IMI-Studie 2013/02 - in: AUSDRUCK (April 2013)
Überlastung statt Reset
Zunehmende Spannungen zwischen Russland und den USA
von: Mirko Petersen | Veröffentlicht am: 3. April 2013
Im Studien-Layout:
Irgendwie schien von Anfang an ein Fluch auf dem vermeintlichen Neustart in den russisch-amerikanischen Beziehungen zu liegen. Die groß angekündigte „Reset“-Politik der Regierung Barack Obamas gegenüber Russland sollte bei einem Außenministertreffen in Genf im März 2009, also kurz nach Amtsantritt des neuen US-Präsidenten, mit einem symbolischen Akt beginnen. Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton überreichte ihrem russischen Pendant Sergej Lawrow einen kleinen roten Button. Auf der einen Seite dieses Knopfes stand das englische Wort für Neustart, Reset. Doch auf der anderen Seite stand das russische Wort Peregruzka, was übersetzt nicht Neustart (richtig wäre Perezagruska gewesen), sondern Überlastung oder Kurzschluss bedeutet. Als Lawrow seine Amtskollegin über den Fehler aufklärte, musste diese herzlich lachen und versprach die Beziehungen, entgegen der falschen Übersetzung, nicht zu überlasten.[1]
Doch in Wirklichkeit sind die russisch-amerikanischen Beziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges schon länger stark belastet und das hat rein gar nichts mit Übersetzungsfehlern zu tun. Zum Ende der zweiten Amtszeit von US-Präsident George W. Bush hatte das Verhältnis seinen absoluten Tiefpunkt erreicht. Die starken Spannungen während des kurzen Krieges zwischen Russland und dem US-Verbündeten Georgien im August 2008 riefen Erinnerungen an Stellvertreterkriege im bipolaren Systemwettlauf wach. Seit der Wahl und der Amtsübernahme Barack Obamas gelang es, die Beziehungen kurzfristig zu entspannen, ohne die Konfliktlage jedoch entscheidend zu entschärfen. Die vordergründige Harmonie nahm spätestens wieder ab, als Russland die USA für die Proteste gegen die gefälschten Parlamentswahlen im Dezember 2011 verantwortlich machte und seitdem westliche Einmischung als Vorwand für verstärkte innenpolitische Repressionen benutzt. Hohe Wellen schlug ebenfalls das vom US-Senat im Juli 2012 verabschiedete, nach einem in russischer Haft gestorbenen Anwalt benannte „Magnitski-Gesetz“, das allen in Menschenrechtsdelikten verwickelten Personen die Einreise in die USA verwehrt und ihre dortigen Bankkonten einfrieren kann. Russland reagierte wütend mit dem nach einem in den USA verstorbenen Kind benannten „Dima-Jakowlew-Gesetz“, das die Adoption russischer Kinder durch US-AmerikanerInnen verbietet.
Doch in diesem „Sanktionswettstreit“[2] geht es nicht – wie vordergründig angegeben – um Justizwillkür und die Rechte kleiner Kinder. Vielmehr kommen hier die unverminderte geopolitische Rivalität der postsowjetischen Ära sowie die Mängel der Reset-Politik zum Ausdruck. Im Folgenden soll auf die grundlegenden Probleme in den Beziehungen zwischen den USA und Russland aufmerksam gemacht werden. Hierzu ist zunächst eine kurze Rekapitulation der Ereignisse nach dem Ende des Kalten Krieges bis zur Amtsübernahme Barack Obamas notwendig. Im Anschluss soll die Reset-Politik genauer betrachtet, wichtige Streitpunkte benannt sowie auf die Rolle der Proteste in Russland eingegangen werden, um abschließend noch einmal den Kern der Auseinandersetzung hervorzuheben.
Die Unvollendetheit des Kalten Krieges
Mit dem Ende des Kalten Krieges bot sich eine große Chance für ein Ende der Auseinandersetzung, die sich das Weiße Haus und der Kreml seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs geliefert hatten. Diese Chance war in besonderem Maße dem letzten Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, zu verdanken, da er eine grundsätzliche Prämisse der Geopolitik durchbrach. Deren Grundannahme ist, so schreibt der Publizist und Philosoph Hauke Ritz, „dass die Ausdehnung von Macht [per se] wünschenswert sei.“[3] Gorbatschow aber folgte den Prämissen einer „gemeinsamen Sicherheit“ und rüstete die Streitkräfte der UdSSR von einer offensiven zu einer defensiven Struktur um. Zudem zog er die sowjetischen Truppen aus Ostmitteleuropa zurück und ließ die Wiedervereinigung Deutschlands ohne große Auflagen zu. Diese „Handlungen machten aus geopolitischer Sicht kaum Sinn. Denn deren Lehrsätze sehen so etwas wie eine ‚freiwillige Aufgabe von Macht’ gar nicht vor. Gorbatschow dagegen sah sie als vertrauensbildende Maßnahmen an und wollte auf der Grundlage des so hergestellten Vertrauens die außenpolitische Vision eines gemeinsamen Hauses Europas begründen.“[4] Natürlich war die UdSSR auch aufgrund ihrer desaströsen wirtschaftlichen Situation zu den beschriebenen militärischen Einschränkungen gezwungen und das Bild Gorbatschows wirkt hier leicht idealisiert. Doch das ändert nichts daran, dass zu dieser Zeit eine historische Chance für den Frieden verpasst wurde, da Gorbatschows Initiative – „ganz im Sinne der geopolitischen Logik – als Schwäche gedeutet“[5] wurde. Gorbatschows „Schwäche“ wurde noch dadurch gekrönt, dass er sich mit einer Abmachung zufrieden gab, in der die NATO ihm garantierte, das Bündnis nicht Richtung Osten zu erweitern.[6] Doch genau diese Erweiterung wurde in mehreren Runden vorangetrieben, die erste davon 1999, als Polen, Tschechien und Ungarn beitraten. Aus russischer Perspektive hat die NATO-Expansion – mit den Worten des Politikwissenschaftlers Sergej Karaganow – „den Kalten Krieg im Grunde genommen unvollendet gemacht.“[7] Dies galt spätestens ab der zweiten Erweiterungsrunde im Jahr 2004, als auch die baltischen Staaten, also Teile der ehemaligen Sowjetunion, aufgenommen wurden.
In den geopolitischen Visionen der USA nach dem Ende des Kalten Krieges spiegelt sich die Hoffnung wider, die einzige globale Ordnungsmacht zu sein und auch zu bleiben. Wie etwa vom einflussreichen Geostrategen Zbigniew Brzezinski betont wird, spielt dabei die Kontrolle Eurasiens mit dessen Herzstück Russland die zentrale Rolle. Durch NATO- und EU-Osterweiterung sowie die Schaffung neuer Pipeline- und Handelsrouten sollte Russland komplett marginalisiert werden. Die Wichtigkeit der Kontrolle über Eurasien lässt sich in ganz ähnlichen Konzeptionen russischer Geostrategen, wie z.B. von Alexander Dugin, finden.[8] Der erste Präsident Russlands nach dem Zerfall der Sowjetunion, Boris Jelzin, setzte zwar auf gute Beziehungen zu den USA und Europa, dies bedeutete aber nicht, dass er auf eine Dominanz im postsowjetischen Raum verzichten wollte. Doch das Land war zunächst durch die Transformation von der Planwirtschaft zu einem neoliberalen kapitalistischen Modell mit einer herrschenden Schicht von Oligarchen stark angeschlagen. Dem US-Ökonom Joseph Stiglitz zufolge erlitt Russland in den 90er Jahren einen Rückgang des BIP um 54 Prozent und damit größere volkswirtschaftliche Verluste als während des Zweiten Weltkrieges.[9] „Russland war seinerzeit hoch verschuldet und musste einen Teil seiner wirtschaftspolitischen Souveränität, ganz wie ein Land der ‚Dritten Welt’, an den IWF und die Weltbank abgeben.“[10]
Für die US-amerikanische und europäische Wirtschaft öffneten sich im ehemaligen Ostblock vollkommen neue Möglichkeiten, die durch eine bedingungslose Marktöffnung ausgeschöpft werden sollten. Um zu verhindern, dass die Umgestaltung Russlands durch die leidende Bevölkerung oder oppositionelle politische Kräfte infrage gestellt wurde, duldete und unterstützte der Westen Jelzins Autoritarismus, beispielsweise als er im März 1993 das Parlament entmachtete und es sogar mit Panzern beschoss. Der Internationale Währungsfonds ging so weit, Jelzins Wahlkampf von 1996 zu finanzieren, was ihn mit großer Mühe vor einer Abwahl rettete.[11] Im Kontext dieser Schwäche Russlands und dessen Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem IWF war ein Zurückdrängen des russischen Einflusses im postsowjetischen Raum möglich. Als Jelzin beim Angriff der NATO auf den russischen Verbündeten Jugoslawien im Jahr 1999 seinen Unmut klar zeigte, wurde dies schlicht ignoriert. Die außenpolitische Ohnmacht Russlands schien manifest.
Nach der Finanzkrise von 1998 erholte sich die russische Wirtschaft wieder, was sowohl durch die längst überfällige Abwertung des Rubels als auch durch die steigenden Energiepreise erreicht werden konnte. Bereits 2003 hatte das Land die enormen Schulden beim IWF abbezahlt und errang so eine neue Unabhängigkeit.[12] 1999 wurde der damals der Öffentlichkeit vollkommen unbekannte Wladimir Putin vom inzwischen schwer erkrankten Jelzin zum Ministerpräsidenten ernannt und im Jahr 2000 zum Präsidenten gewählt. Zunächst schienen sich die Beziehungen zu den USA zu verbessern, besonders wenn es um die pragmatische Zusammenarbeit im so genannten Kampf gegen den Terror ging.[13] Gleichzeitig trieb Putin ein Bündnis mit Deutschland unter Gerhard Schröder und Frankreich unter Jacques Chirac voran, die an einer von den USA unabhängigeren Außenpolitik interessiert waren. Besonders durch die gemeinsame Ablehnung der US-amerikanischen Invasion des Iraks im Jahre 2003 schien die Achse Moskau-Berlin-Paris für eine Weile gut zu funktionieren.
Russlands erhofftes Ziel, den expansiven Charakter der transatlantischen Politik in seiner Nachbarschaft zu stoppen, konnte jedoch nicht erreicht werden. Dies zeigte sich besonders bei der zweiten Erweiterungsrunde der NATO, als 2004 neben Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Slowenien auch die ehemaligen Sowjetrepubliken des Baltikums, Estland, Lettland und Litauen aufgenommen wurden. Hinzu kamen die mit westlicher Unterstützung entstandenen „farbigen Revolutionen“ in Georgien (2003), der Ukraine (2004) und Kirgisien (2005), die auf eine Loslösung von russischem Einfluss abzielten. Die Pläne der USA, ein Raketenabwehrsystem in Osteuropa zu installieren, sorgten zudem für Entsetzen in Moskau. Der Behauptung Washingtons, Abfangraketen in Polen und eine Radaranlage in Tschechien dienten der Abwehr eines möglichen iranischen Angriffs, schenkt der Kreml, auch nach Bekanntgabe der neuesten US-Pläne (s.u.), wenig Glauben. In Reaktion auf all diese Entwicklungen ist Moskau zu einer aggressiveren Außenpolitik übergegangen, um den postsowjetischen Raum wieder stärker unter seine Kontrolle zu bringen. Diese neue Außenpolitik besteht aus der Suche nach neuen Kooperationspartnern (China, Indien, Lateinamerika), der verstärkten Nutzung von Energieressourcen als außenpolitisches Druckmittel und auch dem Einsatz des Militärs im Krieg gegen Georgien im August 2008, als dieses die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien angriff, die stark an Russland gebunden sind. Mit diesen Mitteln hat Moskau seinen regionalen Einfluss wieder ausgebaut und eine ursprünglich geplante, erneute Erweiterung der NATO um Georgien und die Ukraine scheint momentan nicht mehr denkbar.
Kurzfristige Entspannung, aber kein Reset
„Ich bin im Auftrag der neuen Regierung nach Europa gekommen, einer Regierung, die entschlossen ist, nicht nur in Washington einen neuen Ton anzuschlagen, sondern auch in den Beziehungen der Vereinigten Staaten auf der ganzen Welt.“[14] Mit dieser Nachricht kam der Vize-Präsident der gerade vereidigten Obama-Regierung, Joseph Biden, im Februar 2009 auf die Münchner Sicherheitskonferenz. Tatsächlich konnte der Dialog in den internationalen Beziehungen nach etlichen Zerwürfnissen in der Zeit der Bush-Administration wieder verstärkt werden. So war es auch in den Beziehungen zu Russland, die nach dem Georgien-Krieg ihren vorläufigen Tiefpunkt erreicht hatten. Obama kündigte an, dass vorerst kein Raketenschild in Polen und Tschechien errichtet wird. Zudem einigten sich beide Seiten im „Start III-Abkommen“ auf eine geringfügige atomare Abrüstung. Der Journalist Peter Baker nennt in einem Artikel in der New York Times zudem noch den Ausbau der Versorgung der Truppen in Afghanistan über russisches Territorium, Moskaus Unterstützung für Sanktionen gegen den Iran und die Aufnahme Russlands in die Welthandelsorganisation (WTO) als Erfolge der Politik Obamas.[15]
All diese Maßnahmen trugen zu einer kurzzeitigen Entspannung der Beziehungen bei, ohne jedoch den Kern der Auseinandersetzung nach dem Kalten Krieg zu berühren. Schon in der eben erwähnten Rede Bidens lässt sich erahnen, dass bei dieser Reset-Politik nichts Grundlegendes neu verhandelt wird: „Wir werden uns mit Russland nicht in allem einig sein. Die Vereinigten Staaten werden beispielsweise Abchasien und Südossetien nicht als unabhängige Staaten anerkennen. Wir werden keinem Land eine Einflusssphäre zugestehen. Es ist und bleibt unsere Ansicht, dass souveräne Staaten das Recht haben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihre eigenen Bündnisse zu wählen.“[16] Übersetzt bedeutet diese in sich nicht ganz stimmige Aussage, dass die USA verhindern wollen, dass sich die ehemaligen Ostblockstaaten an Moskau binden. Man selbst dürfe sich einmischen, wenn es um Souveränitätsfragen geht (Kosovo), aber Russland dürfe Ähnliches nicht tun (Abchasien, Südossetien). Der russische Standpunkt könnte dem gegenüber genau konträr formuliert werden: keine erzwungene Westbindung der ehemaligen Ostblockstaaten und die Souveränitätsfragen (Kosovo/Abchasien, Südossetien) würde der Kreml genau andersherum beantworten. Zudem scheint eine Zusammenarbeit im Sinne einer gemeinsamen Sicherheitspolitik auch weiterhin nicht möglich. Dies zeigten die Reaktionen auf die Vorschläge Dmitri Medwedews, zwischen 2008 und 2012 im Präsidentenamt Russlands, zu einem „euroatlantischen Sicherheitsvertrag“ im November 2009.[17] Zwar wurde Medwedews Vorschlag gelobt – darauf einzugehen war jedoch niemand bereit. Die russische Seite ist bei einer sicherheitspolitischen Kooperation nicht bereit, als Juniorpartner aufzutreten, während die NATO-Staaten Russland in wichtigen Fragen keine Mitsprache gewähren wollen. Die vorübergehende Entspannung zwischen den USA und Russland schaffte also alles in allem keinen neuen Konsens und in mehreren Schritten verringerte sich daraufhin auch wieder die vordergründige Harmonie.
Streitpunkte: Libyen, Syrien, Raketenschild, Europas Rolle
Als die NATO im März 2011 mit UN-Resolution 1973 eine Flugverbotszone gegen Libyen unter Muammar al-Gaddafi einrichten wollte, enthielt sich Russland unter ihrem damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew erstaunlicherweise bei der Abstimmung. In der Folge wurde die Resolution jedoch westlicherseits als Mandat für eine umfassende Militärintervention und einen Regimewechsel umgedeutet, was nie im russischen Sinne gewesen sein dürfte. Später wurde die Resolution deshalb von Putin – zwischenzeitlich im Amt des Ministerpräsidenten – auch scharf kritisiert und der anschließende Krieg als „mittelalterlicher Kreuzzug“ bezeichnet.[18] Auch aus heutiger russischer Sicht wird der Libyen-Krieg sehr negativ bewertet und es wird auf das Fehlen des UN-Mandats für eine umfassende Militärintervention hingewiesen. In einer Rede im Dezember 2012 warnte Außenminister Lawrow mit Bezug auf die damaligen Ereignisse sogar: „Wir werden Zeuge von Versuchen, dass ‚libysche Modell’ zu einem Präzedenzfall zu machen.“[19] Damit verknüpfte Lawrow das Vorgehen in Libyen mit den Vorgängen im syrischen Bürgerkrieg, den er in derselben Rede als Anzeichen für „die Gefahr einer Wiederkehr kolonialen Denkens“ bezeichnete, da dort „die Prinzipien eines neuen politischen Systems […] von externen Akteuren“ festgelegt werden solle.
In Syrien, wo sich die Situation seit Anfang 2011 stetig verschärfte, stehen sich die russischen und US-amerikanischen Interessen diametral gegenüber. Von US-amerikanischer Seite wird relativ offen zugegeben, dass es Washington darum geht, die „Schiitische Achse“ unter iranischer Führung zu brechen, wozu Teherans Verbündeter Bashar al-Assad gestürzt werden soll. Zu diesem Zwecke werden die gewaltbereiten Teile der syrischen Opposition mit Waffen versorgt. Hardliner wie der ehemalige republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain fordern zudem eine militärische Intervention wie im libyschen Fall.[20] Russland hingegen wollte verhindern, dass sich die libyschen Vorgänge wiederholen und sperrte sich deshalb gegen jegliche UN-Sanktionen. Moskau versucht, die US-amerikanische Übermacht im Nahen Osten einzudämmen. Zudem sah Russland über das Assad-Regime seinen einzigen Zugang zum Mittelmeer gesichert: die syrische Stadt „Tartus, dessen Hafen mit russischer Hilfe ausgebaut wird, ist das strategische Codewort für das russische Interesse an Syrien.“[21] Um das Regime an der Macht zu halten, wurde es nicht erst seit dem Bürgerkrieg mit russischen Waffen beliefert. Auf diese Weise ist in Syrien ein militarisierter Bürgerkrieg entstanden, bei dem auch die US-amerikanischen und russischen geopolitischen Interessen stetig mitschwingen.
Doch die russisch-amerikanischen Streitigkeiten werden nicht nur in weiter entfernten Regionen ausgetragen. Auch das geplante NATO-Raketenabwehrsystem sorgt weiterhin für Aufregung. Die Pläne zu diesem System wurden keineswegs fallen gelassen. Im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz 2012 betonte Wladimir Putin noch einmal: „Heute gibt es keine Bedrohung aus dem Iran und Nordkorea. Nach dem heutigen Stand soll das Raketenabwehrsystem ohne Frage das Atomwaffenpotential Russlands neutralisieren.“[22] Trotz des russischen Unbehagens verkündete die NATO auf ihrem Gipfel in Chicago im Mai 2012, mit dem Aufbau des Systems in Europa zu beginnen. „In dem Abwehrsystem werden Satelliten, Schiffe, Radaranlagen und Abfangraketen mehrerer Nato-Länder zusammengefügt […]. Dabei werden mit einem Raketenabwehrsystem ausgestattete US-Militärschiffe auf einer US-Marinebasis im spanischen Rota stationiert und eine Radarstation im Südosten der Türkei in Betrieb genommen. Zudem nimmt die Kommandozentrale auf dem Nato-Stützpunkt im deutschen Ramstein ihre Arbeit auf. In den kommenden Jahren wird das Abwehrsystem weiter ausgebaut, bis es gegen Ende des Jahrzehnts vollkommen einsatzfähig sein soll.“[23] Der Kreml reagierte hierauf u.a. damit, dass über die Stationierung von „Iskander-Raketen“ in Kaliningrad gesprochen wird, falls Abfangraketen in Polen stationiert werden. Als weitere Gegenmaßnahme auf die ergebnislosen Verhandlungen mit der NATO testete Russland dann auch noch eine neue Interkontinentalrakete, die ab 2014 einsatzbereit sein soll. Sie dient explizit dem Zweck, die NATO-Raketenabwehr im Ernstfall durchbrechen zu können. Dabei schloss der russische Generalstab sogar einen Präventivschlag nicht aus.[24] Für eine leichte Entspannung dürfte gesorgt haben, dass das Pentagon verlauten ließ, vorerst (bis 2022) keine Abwehrraketen in Polen stationieren zu wollen. In den USA wurde betont, dass diese Entscheidung nicht mit Russland, sondern mit Einsparungen im Militärbudget zu tun habe.[25] Es bleibt aber festzuhalten, dass dieser Sachverhalt keineswegs das Ende der Auseinandersetzungen bedeutet. Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow stellte hierzu klar: „Dies ist kein Zugeständnis an Russland, und wir nehmen dies auch nicht so auf […]. Alle Aspekte der strategischen Unbestimmtheit, die mit dem Abwehrsystem von USA und Nato verbunden sind, bleiben bestehen. Dementsprechend bleiben auch unsere Einwände aktuell.“[26]
Nicht nur bei der Raketenabwehr nimmt Europa eine wichtige Funktion in den russisch-amerikanischen Beziehungen ein, sondern auch ganz prinzipiell. Als Deutschland und Frankreich, besonders in den Amtszeiten von Schröder in Deutschland und Chirac in Frankreich, versuchten, die transatlantische Bindung der europäischen Außenpolitik zu lockern, bot Russland die Möglichkeit dazu. Im Verbund mit Moskau hofften Berlin und Paris, mehr Eigenständigkeit und eigenen globalen Einfluss zu gewinnen. Sicherheitspolitische Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und Europa sind nun aber wohl in den Hintergrund getreten. Inzwischen scheinen sich beide Seiten einig darüber zu sein, dass sie die Verschiebung der wirtschaftlichen Kräfte hin zu anderen Weltregionen nur durch eine enge Zusammenarbeit verhindern können. In letzter Zeit ist gar eine „neue transatlantische Herzlichkeit“[27] zu beobachten.
Trotzdem bleibt Russland ein wichtiger wirtschaftlicher Partner für Europa. Die USA sind zwar selbst nicht an den Energieimporten aus Russland interessiert, befürchten aber, dass ihr Partner Europa durch die Abhängigkeit von russischem Gas erpressbar ist. Schenkt man den jüngsten Berichten zur „Schiefergasrevolution“ in den Vereinigten Staaten Glauben, so könnte sich auch hier eine Änderung anbahnen. Optimistische Prognosen sagen voraus, die USA könnten durch die extrem umweltschädliche Methode des Fracking tief im Gestein sitzendes Öl und Gas im eigenen Land fördern und damit zu einem der führenden Energieexporteure weltweit aufsteigen. Sollte dieses Szenario eintreten, das allerdings noch mit einigen Fragezeichen behaftet ist[28], könnten die USA Russland als Energiezulieferer Europas ersetzen. Russlands Ressourcen wären damit nicht mehr in dem Maße wie bisher als geopolitisches Instrument einsetzbar. Ob dieses Szenario zukünftig eintritt, hängt davon ab, ob sich die optimistischen Prognosen zum Fracking in den USA bewahrheiten und ob Europa überhaupt Interesse hat, sich von der einen Abhängigkeit direkt in die nächste zu katapultieren.[29]
Die Proteste in Russland und ihre Folgen
Neben den bisher genannten Aspekten war zudem der innenpolitische Aufruhr in Russland ein Anstoß zu größeren Spannungen zwischen Moskau und Washington. Die Stabilität der Ära Putin wurde durch die internationale Finanzkrise ab den Jahren 2007/08, die das Land hart traf, erstmals brüchiger. Zwar wurden die sozialen Standards im Vergleich zu den desaströsen 90er Jahren unter Putin nur wenig verbessert, doch durch das starke Wirtschaftswachstum bildete sich eine dünne städtische Mittelschicht. Dem Russland-Experten Felix Jaitner zufolge war es diesem Aufschwung zu verdanken, dass sich diese gut ausgebildete Mittelschicht weitgehend aus politischen Fragen heraushielt. Dieser Konsens erlitt mit der Krise einen Bruch und führte zu Massenprotesten in Moskau und St. Petersburg, die sich gegen die gefälschten Parlamentswahlen im Dezember 2011 richteten, aus denen die durch die Regierung kontrollierte Partei „Einiges Russland“ trotz Verlusten als Sieger hervorging. Kritikern zufolge war jedoch auch dieses Ergebnis nur durch Wahlbetrug möglich. Den sich selbst als demokratisch-liberal charakterisierenden Demonstranten der Mittelschicht schlossen sich auch andere Gruppen an, viele von ihnen aus dem nationalistischen und rechtsradikalen Spektrum.[30] Zumindest die Forderungen letztgenannter nach mehr Demokratie muten dabei eher paradox an.
Auch wenn die Proteste weniger bedeutsam waren als es große Teile der westlichen Presse wahrhaben wollen, so waren sie doch Anlass für Veränderungen. Den für mehr Demokratie Demonstrierenden wurden nur wenige Zugeständnisse gemacht – zu nennen sind hier die Wiedereinführung der Wahlen von regionalen Gouverneuren und die Vereinfachung der Registrierung politischer Parteien. Prinzipiell setzt der Kreml jedoch eher darauf, die Proteste zu diskreditieren. Entgegenzukommen scheint die Regierung lediglich der nationalistischen Opposition. Bei all seinen Maßnahmen kann Wladimir Putin auf die Unterstützung der Orthodoxen Kirche zählen, die Russlands Wiedererstarkung unter Putin als „Wunder Gottes“ betitelt. Als Dank dafür, dass Kirchenvertreter sich gegen die Proteste äußerten, positionierte sich die Regierung deutlich gegen die Punkband „Pussy Riot“, die in einer Kirche demonstrierte, und erließ außerdem ein Gesetz „gegen die Verbreitung homosexueller Propaganda“.
In diesem zunehmend reaktionären Klima wird der Westen verstärkt als Feindbild aufgebaut. So versuchte die russische Regierung, die Schuld für die Proteste den USA zuzuschieben. Laut Putin habe die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton mit ihrer Kritik an den Wahlen das „Startsignal“ zu den Protesten gegeben und das US-Außenministerium die Protestierenden aktiv unterstützt.[31] Die Schuld für den Aufruhr, der sich noch bis zur Wahl Putins im März und seiner Vereidigung im Mai 2012 fortsetzte, wurde außerdem NGOs zugeschrieben, die unter Generalverdacht der Kollaboration mit externen destabilisierenden Kräften gestellt wurden. Mit einem im Juni 2012 beschlossenen Gesetz werden alle NGOs, die eine (für sie oft überlebenswichtige) finanzielle Förderung aus dem Ausland beziehen, dazu verpflichtet, sich als „ausländische Agenten“ registrieren und überwachen zu lassen. Elf nichtkommerzielle Organisationen haben im Februar 2013 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde gegen dieses Gesetz eingelegt.[32] Auch wenn einige Organisationen mit subversiver Absicht in Russland tätig sind, so kann dies diese scharfe Attacke auf jegliche zivilgesellschaftliche Initiative keineswegs rechtfertigen. Bis zu einem gewissen Grade nachvollziehbarer ist der Rausschmiss der immerzu starken Einfluss ausübenden amerikanischen Entwicklungsorganisation USAID, die kurz darauf, im September 2012, erfolgte. Auf amerikanischer Seite bezeichnete John McCain diese Entscheidung Moskaus, USAID auszuweisen, als „Beleidigung für die Vereinigten Staaten und einen Schlag ins Gesicht der Regierung von Präsident Obama, der sich fortwährend mit dem angeblichen Erfolg ihrer sogenannten ‚Neustart-Politik’ gegenüber Moskau gebrüstet hat.“[33]
Gemeinsam mit den Konflikten auf globaler Ebene dienten die Ereignisse in Russland selbst den Gegnern Obamas dazu, dem Präsidenten Schwäche im Umgang mit Russland vorzuwerfen. Es war ebenfalls John McCain, der sich bereits zuvor massiv für das „Magnitski-Gesetz“ stark machte. Dieses Gesetz ist nach dem verstorbenen russischen Anwalt Sergej Magnitski benannt, der den britischen Hermitage Capital Fond des bekannten Managers William Browder in Russland vertrat. Als Magnitski einen Korruptionsskandal in den Steuerbehörden aufdecken wollte, fand er sich plötzlich selbst wegen ähnlicher Vorwürfe in Haft wieder, wo er im November 2009 starb. Die russischen Behörden räumten im Juli 2011 nach Untersuchungen zu dem Fall ein, dass Magnitski wegen unterlassener Hilfeleistung starb. Doch Browder und der Familie Magnitski gingen die Untersuchungen nicht weit genug, da sie von der Folterung des Inhaftierten ausgehen. Als Resultat ihrer Lobbyarbeit entstand die „Magnitski-Liste“, auf der ca. 60 in den Fall verwickelte Personen aufgeführt sind. Das US-Außenministerium beschloss, diesen Personen zukünftig die Einreise zu verwehren und deren Bankkonten in den USA einzufrieren. Im Juni 2012 ging das „Magnitski-Gesetz“ durch den US-Senat, das die Vereinigten Staaten nun theoretisch dazu befähigt, mit Personen jedes beliebigen Landes auf diese Art zu verfahren, die beschuldigt werden, in Mord und Korruption verwickelt zu sein. Doch de facto dürfte eher die Deutung des Kremls zutreffen, dass es sich um ein Gesetz handelt, das als selektive Strafmaßnahme gegen Russland gerichtet ist.[34]
Im Dezember 2012 wurde in der russischen Duma als Konter zum „Magnitski-Gesetz“ das „Dima-Jakowlew-Gesetz“ verabschiedet. Dieses Gesetz verbietet seit Beginn dieses Jahres die Adoption russischer Kinder durch US-AmerikanerInnen.[35] Der Name des Gesetzes geht auf ein russisches Kind zurück, das im Juli 2008 im Alter von 21 Monaten an einem Hitzeschlag starb, da es von seinem amerikanischen Adoptivvater neun Stunden lang in einem Auto gelassen wurde, das direkt in der Sommersonne parkte.[36]
Wie sich bei diesem Schlagabtausch zeigt, scheint sich ein Teufelskreis entwickelt zu haben, in dem auf jede Maßnahme der einen Seite eine Vergeltung der anderen erfolgt. Die Verhältnisse im russischen Justizwesen oder die Fürsorge für kleine Kinder wird sich durch die neuen Gesetze wohl kaum verändern. Diese Themen werden lediglich dazu benutzt, die propagandistische Deutungshoheit in dieser Auseinandersetzung zu erlangen.
Die geopolitische Sackgasse
In Bezug auf die aktuellen Vorgänge in Russland diagnostiziert der bekannte russische Politologe Fjodor Lukjanow eine verstärkte ideologische Hinwendung zu zaristischen, vorsowjetischen Zeiten: „Während des 19. Jahrhunderts war Russland für Europa ein Symbol des Konservatismus. Russland wurde im Westen als etwas sehr Traditionelles und sehr Reaktionäres gesehen. Jetzt versucht Russland, diese Art von Identität zu restaurieren, mit einer sehr konservativen Sicht der Dinge, die nicht kompatibel ist mit dem heutigen liberal gesinnten Westen.“[37] Lukjanow sieht in erster Linie „im Bereich der Mentalitäten“ eine gegenseitige Abgrenzung Russlands und des Westens voneinander, glaubt aber „nicht, dass der Konflikt wirtschaftlich oder gar militärisch ausgetragen wird, auch nicht über Stellvertreterkriege. Aber im ideologischen Bereich wird sich das Klima verschärfen. Russland wird Dinge tun, die im Westen als absolut unakzeptabel angesehen werden, und vice versa wird’s nicht anders aussehen.“[38]
Um zunächst den letzten Teil dieser Aussage aufzugreifen, so kann konstatiert werden, dass diese These Lukjanows über den Konflikt auf ideologischer Ebene sich mit den Befunden der vorliegenden Analyse des Verhältnisses Russlands zu den USA deckt. Auch wenn der immer weiter zunehmende Autoritarismus für die russische Bevölkerung fatal ist, so handelt es bei dem propagandistischen Schlagabtausch aber nicht um den Kern des Problems der russisch-amerikanischen Beziehungen. Der in der westlichen Politikwissenschaft regelrecht zelebrierte, vermeintlich diametrale Systemgegensatz zwischen liberalen Demokratien und reaktionären Autokratien, wie er etwa vom Chefberater der beiden letzten republikanischen Präsidentschaftskandidaten, Robert Kagan, lautstark proklamiert wird[39], dient lediglich dazu, das eigene, geostrategisch motivierte Vorgehen zu legitimieren.
Der Kern der russisch-amerikanischen Spannungen liegt demzufolge in der geopolitischen Sackgasse, in die beide nach dem Ende des Kalten Krieges immer weiter hineingefahren sind. Zugeständnisse gegenüber der anderen Seite werden entlang von geopolitischem Denken als Schwäche ausgelegt. Die USA nutzten die Probleme Russlands im Zuge seiner Transformation zur stärkeren Präsenz im postsowjetischen Raum. Zu einem Neustart in den Beziehungen, wie Barack Obama ihn ankündigte, hätte eine grundlegende Aufarbeitung dieses Prozesses gehört. Nur so wäre eine neue Verhandlungsbasis geschaffen worden. Wie weit Washington davon jedoch entfernt ist, zeigte sich in den Reaktionen auf das, was als Reset-Politik deklariert wurde. Die innenpolitischen Gegner Obamas gestanden ihm nicht einmal die leichte Entspannung in den Beziehungen zu Russland zu und drängten wieder auf ein offensiveres Vorgehen gegenüber Moskau.[40]
Aus russischer Sicht gilt Gorbatschows Verhalten inzwischen als Muster dafür, wie Außenpolitik nicht gemacht werden darf, um kein „untergebenes Land eines Weltführers“ (Lawrow)[41] zu werden. Im Kontrast zu Gorbatschow scheint immer nur ein unnachgiebiges Vorgehen die Wahrung der eigenen Interessen zu garantieren. Die Basis dieser außenpolitischen Interessen konstituiert sich dabei erstmal einmal unabhängig von der genauen inneren Konstellation des Landes. Jelzin, Putin und Medwedew sahen Russland allesamt als regionale Führungsmacht an und auch die Sicherheitsinteressen einer weniger autoritären Regierung wären nicht mit den Entwicklungen im postsowjetischen Raum nach dem Kalten Krieg kompatibel gewesen. Für keine russische Regierung, egal welcher Ausrichtung, kann so etwas wie ein in der Nähe positioniertes Raketenabwehrsystem ohne eigene Mitsprache akzeptabel sein.
Leidtragende der verhärteten Fronten sind dabei die Menschen im postsowjetischen Raum –oder auch in Syrien. Im Sinne der Geopolitik werden hier, mit den Worten von Hauke Ritz, „ganze Länder, Kulturkreise, Bevölkerungen und ihre Geschichte unter dem Diktat einer auf Macht ausgerichteten Logik“[42] subsumiert und wie Figuren auf einem Schachbrett (man denke nur an das Buch „The Grand Chessboard“ des Geostrategen Brzezinski) hin und her geschoben. An dieser Stelle muss auch die Annahme Lukjanows, wonach die russisch-westlichen Konflikte keine wirtschaftliche und militärische Dimension – auch nicht in Form von Stellvertreterkriegen – besäßen, relativiert werden. Auf der einen Seite scheinen sich die USA ihren neuesten strategischen Richtlinien nach verstärkt auf die Eindämmung Chinas zu konzentrieren und auch Russland dürfte kein Interesse an einem zu starken China und einer zu schwachen USA haben. Nur in einem einigermaßen balancierten internationalen System kann Russland seine „Multivektor-Außenpolitik“ mit einer Doppelorientierung hin zum euroatlantischen und zum asiatisch-pazifischem Raum umsetzen.[43] Auf der anderen Seite scheinen jedoch die Auseinandersetzungen um die Raketenabwehr alles andere als eine Garantie für eine Abwesenheit militärischer Komponenten im zukünftigen Verhältnis zwischen Russland und den USA bzw. den NATO-Staaten im Allgemeinen zu sein. Dazu muss gefragt werden, ob ein Ereignis wie der Georgien-Krieg ohne die Konfliktivität zwischen Russland und den NATO-Staaten nach dem Kalten Krieg denkbar gewesen wäre. Und erleben wir nicht in Syrien unter großen menschlichen Opfern teilweise so etwas wie einen Stellvertreterkrieg? Die militärische Dimension existiert ganz klar und es wäre wichtig, sie zu entschärfen. Es bedürfte einer neuen Vertrauensbasis, um wieder aufeinander zugehen zu können – Vertrauen, dass eigene Zugeständnisse nicht von der anderen Seite machtpolitisch genutzt werden. Russland hat hierfür mit dem „euroatlantischen Sicherheitsvertrag“ bereits ein Angebot unterbreitet und damit in Ansätzen gezeigt, wie ein Ausweg aus der geopolitischen Sackgasse aussehen könnte – der Westen müsste bloß endlich bereit sein, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen.
Anmerkungen
[1] ARD Weltspiegel vom 16.12.2012, Beitrag: Russland. Kalter Krieg reloaded; RIA Novosti: Lavrov, Clinton meet in Genova to ‘reboot’ relations (06.03.2009), abrufbar unter: http://en.rian.ru/world/20090306/120465370.html.
[2] Bidder, Benjamin: Putin und Obama liefern sich Sanktionswettsreit (Spiegel Online, 18.12.2012), abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/einreiseverbote-eskalation-im-streit-zwischen-usa-und-russland-a-873456.html.
[3] Ritz, Hauke: Die Rückkehr der Geopolitik. Eine Ideologie und ihre fatalen Folgen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/2013, S. 78.
[4] Ebd., S. 75.
[5] Ebd., S. 76.
[6] Diese Abmachung wird von amerikanischer Seite heutzutage teilweise angezweifelt (vgl.: Mark Kramer: The Myth of a No-NATO Enlargement Pledge to Russia, in: The Washington Quarterly, April 2009, S.39-61).
[7] Karaganow, Sergej: Russia in Euro-Atlantic Region (karaganov.ru, 24.11.2009), abrufbar unter: http://karaganov.ru/en/publications/98.
[8] Genauer dazu vgl.: Petersen, Mirko: Russland, quo vadis? Machtpolitik zwischen Asien und Europa, in: IMI Ausdruck 3/2011, S. 20-21.
[9] Vgl.: Stiglitz, Joseph: Die Schatten der Globalisierung, Goldmann Verlag, München 2004, S. 193.
[10] Ritz, Hauke: Die Welt als Schachbrett. Der neue Kalte Krieg des Obama-Beraters Zbigniew Brzezinski, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2008.
[11] Vgl.: Hiro, Dilip: After Empire. The birth of a multipolar world, Nation Books, New York 2010, S. 36-37.
[12] Vgl: Mankoff, Jeffrey: Russian Foreign Policy. The Return of Great Power Politics, Rowman and Littlefields, Lanham (Maryland, USA) 2009. S. 34.
[13] Vertiefend dazu vgl.: Petersen, Mirko: Steilvorlage 9/11. Die Entwicklung der russischen Außenpolitik im Nordkaukasus, in: IMI Ausdruck 4/2011.
[14] Biden, Joseph R.: „Wir müssen uns erneut zu unserer gemeinsamen Sicherheit bekennen und die NATO erneuern“, Rede auf der 45. Münchner Sicherheitskonferenz (07.02.2009), abrufbar unter: http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Sicherheitskonferenz/2009-biden-dt.html.
[15] Vgl.: Baker, Peter: Syria Crisis and Putin’s Return Chill U.S. Ties With Russia (nytimes.com, 13.06.2012), abrufbar unter: http://www.nytimes.com/2012/06/14/world/europe/putins-return-brings-rapid-chill-to-us-russia-ties.html?pagewanted=all&_r=0.
[16] Biden: „Wir müssen uns erneut zu unser gemeinsamen Sicherheit bekennen und die NATO erneuern“, s.o.
[17] Vgl.: The draft of the European Security Treaty, abrufbar unter: http://eng.kremlin.ru/news/275.
[18] Bidder, Benjamin: Putin gegen Medwedew: Gaddafi befeuert Machtkampf in Moskau (Spiegel Online 22.03.2011), abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/putin-gegen-medwedew-gaddafi-befeuert-machtkampf-in-moskau-a-752366.html.
[19] Lawrow, Sergej: Russia in the 21st-Century World of Power, basierend auf einer Rede beim 20. Jubiläum des Rats für Außen- und Sicherheitspolitik am 01.12.2012, abrufbar unter: http://eng.globalaffairs.ru/number/Russia-in-the-21st-Century-World-of-Power-15809.
[20] Vgl.: Wagner, Jürgen: Syrien: Die Militarisierung der Proteste und die strategische Unvernunft der Gewalt, in IMI Ausdruck 2/2012; Ders.: Indirekte Kriege und globale Frontbildung: Der „Westen“ bringt sich neu in Stellung, in: IMI Ausdruck 1/2013, S. 13-14.
[21] Rühl, Lothar: Russlands Interesse an Syrien (faz.net, 10.02.2012), abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/veto-gegen-un-resolution-russlands-interesse-an-syrien-11643737.html; Aktuell bemüht sich Russland bereits um Alternativen für einen Mittelmeerhafen, falls das Assad-Regime in naher Zukunft nicht mehr regieren sollte. Eine Option dafür wäre Zypern, wo Moskau in der jetzigen Krisenlage versucht, Einfluss zu gewinnen.
[22] Zitiert nach Wagner, Jürgen: Münchner Sicherheitskonferenz. Deutsches Europa und Verhärtung der Fronten, in IMI Ausdruck 1/2012, S. 36.
[23] Zeit Online: NATO bringt Raketenabwehr in Stellung (21.05.2012), abrufbar unter: http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-05/nato-raketenabwehr-start.
[24] Vgl.: RIA Novosti: Russlands neue Rakete gegen US-Raketenschild schon 2014 einsatzbereit (21.11.2012), abrufbar unter: http://de.rian.ru/security_and_military/20121121/264980650.html.
[25] Vgl.: RIA Novosti: Pentagon beschneidet Raketenschild-Pläne – „Nicht wegen Haltung Russlands“ (17.03.2013), abrufbar unter: http://de.ria.ru/politics/20130317/265742101.html.
[26] Zitiert nach RIA Novosti: Trotz Revision amerikanischer Raketenschildpläne: Russlands Einwände bleiben bestehen (18.03.2013), abrufbar unter: http://de.ria.ru/security_and_military/20130318/265743482.html.
[27] Wagner: Indirekte Kriege und globale Frontbildung, s.o., S.9.
[28] So wird etwa in einer Studie der Energy Watch Group, die im März 2013 veröffentlicht wurde, angezweifelt, dass Fracking den Weltenergiemarkt in dem Ausmaß umkrempeln wird, wie dies manche Prognosen vorhersagen (vgl.: handelsblatt.com: Rasches Ende des Fracking-Booms (25.03.2013), abrufbar unter: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/studie-rasches-ende-des-fracking-booms/7982324.html).
[29] „[…] auch wenn die deutsche (und europäische) Industrie womöglich Lieferungen aus den USA gegenüber denjenigen aus Russland bevorzugen würde, was sie wirklich möchte, ist die Technik [Fracking] auch hierzulande an den Start zu bringen. Denn zum Nulltarif – bzw. ohne kräftigen Preisaufschlag – dürfen auch die USA ihre Energie nicht abgeben […]“ (ebd., S.11).
[30] Vgl.: Jaitner, Felix: Politischer Frühling im russischen Winter?, in: LunaPark 21, Nr. 17, Frühjahr 2012.
[31] Vgl.: sueddeutsche.de: Putin macht USA für Massenproteste verantwortlich (08.12.2011), abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/aufruhr-in-russland-putin-macht-usa-fuer-massenproteste-verantwortlich-1.1229436.
[32] Vgl.: „Wir sind keine Agenten!“, in: Russland Analysen Nr. 252 (22.02.2013), S. 9-10.
[33] Zitiert nach Rüb, Matthias/Veser, Reinhard: Moskau wirft Washington Einmischung vor (faz.net, 19.09.2012), abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/usaid-muss-russland-verlassen-moskau-wirft-washington-einmischung-vor-11896307.html.
[34] Vgl.: Aris, Ben: Russlands Reaktionen auf den „Magnitsky Act“ und die Beziehungen zum Westen, in: Russland Analysen Nr. 252 (22.02.2013), S. 10-14.
[35] Die orthodoxe Kirche begrüßte das „Dima-Jakowlew-Gesetz“ ausdrücklich, da ihrer Auffassung nach der Weg gen Himmel für von Ausländern adoptierte Kinder geschlossen sei (vgl.: Elder, Miriam: Church backs Vladimir Putin’s ban on Americans adopting Russian children (guardian.co.uk, 30.12.2012), abrufbar unter: http://www.guardian.co.uk/world/2012/dec/30/russian-church-backs-putin-adoption-ban).
[36] Vgl.: Bidder: Putin und Obama liefern sich Sanktionswettstreit, s.o.
[37] Zitiert nach wienerzeitung.at: „Konflikte mit dem Westen werden sich verstärken“. Politologe Fjodor Lukjanow über Russlands konservatives Selbstverständnis (31.01.2013).
[38] Zitiert nach ebd.
[39] „Die alte Rivalität zwischen Liberalismus und Autokratie ist neu entflammt, und die Großmächte der Welt beziehen entsprechend ihrer Regierungsform Position. […] Die Geschichte ist zurückgekehrt, und die Demokratien müssen sich zusammentun, um sie zu gestalten – sonst werden andere dies für sie tun.“ (Kagan, Robert: Die Demokratie und ihre Feinde. Wer gestaltet die neue Weltordnung?, Siedler Verlag, München 2008, S. 7-8).
[40] Im Zuge des US-Wahlkampfes von 2012 bezeichnete der republikanische Kandidat Mitt Romney, der gegen Obama antrat, Russland als “geopolitischen Feind Nummer eins” (vgl.: Wagner, Jürgen: Anwalt der Reichen und Militaristen. Mitt Romney und die Rückkehr der Neokonservativen, in: IMI Ausdruck 5/2012, S. 36).
[41] Lawrow: Russia in the 21st-Century World of Power, s.o.
[42] Ritz: Die Rückkehr der Geopolitik, s.o., S.72.
[43] Zevelev, Igor: A New Realism for the 21st Century. U.S.-China Relations and Russia’s Choice (Russia in Global Affairs, 27.12.2012), abrufbar unter: http://eng.globalaffairs.ru/number/A-New-Realism-for-the-21st-Century-15817.