IMI-Standpunkt 2012/016 - in: Friedensjournal 2/2012
Drohneneinsatz
Mordanschläge als verdeckte Kriegsführung
von: Michael Haid | Veröffentlicht am: 14. März 2012
Seit 2002 avancieren bewaffnete Drohnen zum bevorzugten Instrument für »gezielte Tötungen« im Kontext des »Krieges gegen den Terror«. Bisher wurden Drohnenangriffe durch das US-Militär und die CIA in Irak, Afghanistan, Lybien, Somalia, Jemen und – am allerhäufigsten betroffen – dem Nordwesten Pakistans dokumentiert. Bemerkenswert ist, daß sich die USA mit den letzteren drei Staaten nicht im Krieg befinden oder dort offiziell Krieg führen.
Ein Beleg für die steigende Relevanz von »gezielten Tötungen« durch unbemannte Luftfahrzeuge (Unmanned Aerial Vehicles, UAV) in der US-Kriegsstrategie ist die Zunahme ihrer Häufigkeit (siehe Grafik). Rund fünf von sechs Angriffen seit 2004 fallen unter die Verantwortlichkeit der Obama-Administration.
Die Praxis gezielter Tötungen wurde bereits in einer Studie des UN-Sonderberichterstatters für extralegale Hinrichtungen, Philip Alston, vom 28. Mai 2010 als im Ergebnis (völker-) rechtswidrig bewertet; vor allem die USA wurden in diesem Gutachten für ihre Drohnen-Kriegsführung heftig kritisiert. Aber nicht nur die USA, auch Israel und Rußland werden von Alston als »Trendsetter« benannt, die extralegale Hinrichtungen zum Gegenstand ihrer politischen Praxis erhoben haben.
Der Ausdruck »gezielte Tötung« ist im internationalen Recht nicht definiert. Im allgemeinen wird darunter die tödliche Gewalt durch Staaten (Armee, Geheimdienste) oder diesen zurechenbare Organisationen (private Sicherheitsfirmen) verstanden, die mit der ausschließlichen Absicht durchgeführt wird (im Gegensatz zu Tötungen als sog. »zivile Kollateralschäden«), individuell ausgewählte Personen ohne rechtskräftiges Urteil eines zuständigen Gerichts (und zumeist auf fremdem Territorium) zu töten.
Drohnenflüge werden nicht nur vom US-Militär, sondern auch von der CIA durchgeführt, was kürzlich durch den Verlust einer Drohne über dem Iran auf spektakuläre Weise sichtbar wurde.
Revolution in der Kriegsführung
Bereits 2010 waren bereits ein Drittel der Flugzeuge der US-Armee unbemannte Flugkörper, und in den USA werden mittlerweile mehr Drohnenoperateure als Kampf- und Bomberpiloten ausgebildet. Im Zuge der Umstrukturierung der US-Armee hat laut dem Wall Street Journal US-Pentagon-Chef Panetta vor, den Bestand der Drohnenflotte zukünftig noch um 30 Prozent zu erhöhen. Derzeit betreibt die US-Luftwaffe rund um die Uhr 61 Drohnen-Kampfpatrouillen mit bis zu vier Flugzeugen pro Einsatz. Nach den Plänen von Panetta sollen bald genug Drohnen für bis zu 85 Dauereinsätze zur Verfügung stehen.
Diese Umstrukturierung zu automatisierten Armeen mit Hilfe von Drohnen- und Robotertechnologien findet ebenfalls in den Armeen anderer NATO-Staaten statt. Aber auch die Streitkräfte von Ländern wie China, Rußland oder Pakistan nehmen an diesem Rüstungswettlauf teil. Der Drohnen-Markt boomt: Allein die Ausgaben des US-Militärs für UAVs haben sich zwischen 2002 (550 Mio. Dollar) und 2011 mit rund fünf Mrd. Dollar nahezu verzehnfacht.
Gegenwärtig setzen nur die USA und Israel Kampfdrohnen zur gezielten Tötung ein. Dieser Zustand wird sich aber rasch ändern. Zwischen 40 und 50 andere Staaten verfügen über UAV als Aufklärungsmittel. Einige von ihnen – darunter Rußland, die Türkei, China, Indien, der Iran, Großbritannien, Frankreich und Deutschland – besitzen entweder bereits oder streben nach Drohnen, die auch Raketen abschießen können.
Neu an dieser Technologie ist, so eine Analyse des Centers for Security Studies der ETH Zürich vom Juli 2010, daß mit ihrer Hilfe erstmals in der Kriegsgeschichte über riesige Distanzen, nahezu ohne Risiko des eingesetzten Personals und praktisch ohne Zeitverlust als feindlich betrachtete Individuen identifiziert und fast im selben Moment »eliminiert« werden können. Diese Tatsache vereinfacht im Vergleich zu früheren Methoden das Töten beträchtlich und dürfte die Hemmschwelle zur Autorisierung der Gewaltanwendung bei politischen Entscheidungsträgern erheblich senken. Drohnen fungieren hierbei als »luftgestützte Scharfschützensysteme«, die einzelne Personen über längere Zeiträume verfolgen und schließlich umbringen können. Für die nahe Zukunft ist also zu erwarten, so die Analyse weiter, daß Drohnen vor allem in der sogenannten Aufstands- und Terrorismusbekämpfung eine bedeutende Rolle spielen werden, da sie eine politisch einfachere und finanziell günstigere Alternative zur Entsendung von Bodentruppen darstellen würden. Zusätzlich dürften sie deshalb für die westliche Kriegsführung attraktiv sein, da die Öffentlichkeit und parlamentarische Gremien ihnen bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt haben und eine Rechtfertigung, die häufig beim Einsatz von Kampfflugzeugen oder gar von Bodentruppen erforderlich wird, bislang unnötig war.
Opferzahlen schwer greifbar
Dieses blutige Geschäft ist schwer in Zahlen zu fassen, da präzise Angaben zur Anzahl der Getöteten (und vor allem zum Verhältnis von Zielpersonen und Unbeteiligten) von öffentlicher Seite nicht bekanntgegeben werden, zumal die Existenz dieser Drohnenprogramme von Seiten des US-Militärs und besonders der CIA lange Zeit geleugnet wurde. Erst Ende Januar 2012 gab US-Präsident Obama öffentlich zu, dass das US-Militär in Pakistan Drohnen zur Tötung einsetzt. Etwa zur selben Zeit demonstrierten 100.000 Menschen in Karachi gegen die US-Drohnenangriffe.
Strittig ist vor allem der Anteil der zivilen Opfer. Die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung fasste in einem Standpunkt von 2010 zusammen, dass die Schätzungen von beinahe 100 Prozent, über rund ein Drittel bis zu unter zehn Prozent reichen würden. Nach den konservativen Auswertungen der New America Foundation seien in absoluten Zahlen durch Drohnenangriffe im Nordwesten Pakistans von 2004 bis Februar 2012 zwischen 1.741 und 2.712 Individuen getötet worden. Davon würden in den ausgewerteten Pressemeldungen 1.448 bis 2.241 als »Militante« beschrieben. Das Bureau of Investigative Journalism in London kommt hingegen auf 2.413 bis 3.058 getötete und 1.158 bis 1.263 verletzte Personen. Von den Getöteten seien 464 bis 818 Zivilisten gewesen – davon 175 Jugendliche und Kinder.
Zu dieser fürchterlich großen Anzahl an getöteten Unschuldigen kommt es einerseits, weil häufig Raketen mit großer Sprengkraft benutzt werden, um ganz sicher zu gehen, daß die Zielperson auch getroffen wird. Das bedeutet aber auch, daß die Verantwortlichen der angeblichen Präzision und damit »Sauberkeit« ihrer Waffensysteme selbst nicht vertrauen. Andererseits werden Attacken von UAV trotz der Kenntnis angeordnet, daß sich in unmittelbarer Nähe der zur Tötung bestimmten Person Unbeteiligte (Familienangehörige, Nachbarn, Passanten, Angestellte etc.) aufhalten, oder obwohl sich die Zielperson an einem Ort befindet, an dem es fast zwangsläufig zu Zivilopfern kommen muß (zum Beispiel in Wohngebieten).
Nach dem humanitären Völkerrecht ist die Tötung von Aufständischen nur dann rechtmäßig, wenn sie sich unmittelbar im fraglichen Moment an den Kampfhandlungen beteiligen. Sonst nicht! Die Praxis von extralegalen Hinrichtungen mittels Drohnen ist völkerrechtswidrig und mißachtet das Recht Unschuldiger auf Leben in extremer Weise. Leider zeichnet sich bei politischen und militärischen Entscheidungsträgern von immer mehr Staaten ein Trend ab, genau diese Praxis zu forcieren. Es ist notwendig, dieses Vorgehen überall und ständig zu skandalisieren und zu kritisieren.