IMI-Standpunkt 2012/004 - in: AUSDRUCK (Februar 2012)

Eine deutsche „Blankettnorm“ zum Töten?

Anmerkungen zur Debatte um ein Gesetz für den Auslandeinsatz der Bundeswehr („Streitkräfteeinsatzgesetz“)

von: Michael Haid | Veröffentlicht am: 27. Januar 2012

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Die Online-Ausgabe der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ) berichtete unlängst über eine Ende des letzten Jahres stattgefundene Veranstaltung des »Deutschen Instituts für Menschenrechte« und der »Deutschen Gesellschaft für Wehrrecht und Humanitäres Völkerrecht«. Der Titel des Artikels umreißt den Kern der dort geführten Debatte: „Blankettnorm für den Krieg. Braucht Deutschland ein Gesetz für Auslandseinsätze der Bundeswehr – oder reicht das Mandat?“.[1]

Das juristische Fachgespräch war mit dem Potsdamer Völkerrechtler Andreas Zimmermann und Ministerialrat Christof Gramm prominent besetzt. Ersterer ist VN-politischer und völkerrechtswissenschaftlicher Beirat des Auswärtigen Amtes. Letzterer ist Privatdozent der Universität Düsseldorf und der FAZ zufolge Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums. Beide Kontrahenten stellten jeweils ihre eigenen Thesenpapiere vor, die im Folgenden erläutert werden.

Der Grund für diese Debatte kann im Wesentlichen wie folgt beschrieben werden: Es ist eine Kernentscheidung des Grundgesetzes, dass die Staatsgewalt, und dazu gehört auch seit ihrer Aufstellung 1956 die Bundeswehr, an die Grundrechte gebunden sind (Art. 1 Abs. 3 GG). Diese Grundrechtsbindung ist aber nicht territorial definiert (gilt also nicht nur in Deutschland), sondern kann überall dort zur Geltung kommen, wo deutsche Staatsgewalt ausgeübt wird (folglich auch bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr).[2]

Das heißt nichts anderes, als dass etwaige Grundrechtseingriffe wie Festnahmen, Überstellungen von Verdächtigen an Drittstaaten oder gar Körperverletzungen an oder Tötungen von Personen durch deutsche Soldaten im Auslandseinsatz verfassungsrechtlich Deutschland zurechenbar sein können. Dies würde für die Betroffenen die Möglichkeit begründen, gegen die Bundesrepublik ihre Rechtsschutzmöglichkeiten vor deutschen Gerichten wahrzunehmen (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG). Im Grunde genommen könnte dies für die deutsche Politik eine reale Gefahr erhöhter politischer und finanzieller Kosten bedeuten, wenn die Bundesregierung für von deutschen Soldaten begangene Grundrechtsverletzungen gerichtlich zur Verantwortung gezogen würde und beispielsweise Schadensersatz leisten müsste.

Dass Fälle durchaus eintreten können, bei denen militärisches Handeln gerichtliche Konsequenzen nach sich ziehen, lässt sich gut am Beispiel eines Urteils des Verwaltungsgerichts Köln zeigen (Urt. v. 11.11.2011, Az. 25 K 4280/09). Die Überstellung eines der Piraterie Verdächtigen durch die Bundesmarine an kenianische Behörden wurde von diesem Gericht für rechtswidrig erklärt, weil die dortigen Haftbedingungen nicht völkerrechtlichen Mindeststandards genügten.[3]

Grundsätzlich kann aber die Staatsgewalt in die Grundrechte von Personen eingreifen, wenn diese Grundrechtseingriffe durch eine gesetzliche Ermächtigung gerechtfertigt sind. Bei der angesprochenen Veranstaltung ging es um die Frage des Für und Wider eines ebensolchen Gesetzes, das vor allem die Eingriffsbefugnisse in die Grundrechte der Bevölkerung in den Einsatzgebieten der Bundeswehr im Ausland regeln würde. Bislang gibt es nur das aus dem Jahr 2005 stammende Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG), welches nur das „ob“ eines Einsatzes der Zustimmung des Bundestages unterwirft. Das diskutierte „Streitkräfteeinsatzgesetz“ würde das „wie“ eines Einsatzes regeln; letztlich im schlimmsten Fall Tötungen legalisieren.

Zimmermann sprach sich in seinem Thesenpapier für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung für Grundrechtseingriffe durch die Bundeswehr im Kontext von Auslandseinsätzen aus. Nach seinem Vorschlag müsse ein „mögliches Auslandseinsatzgesetz“ (…) „den Besonderheiten solcher Einsätze Rechnung tragen“. Das Gesetz müsse „daher zum einen in großer Intensität Grundrechtseingriffe legitimieren bis hin zur gezielten Tötung gegnerischer Kämpfer bzw. Kombattanten“ und es müssten ferner „auch Grundrechtseingriffe in der Breite legitimiert werden um den Besonderheiten bewaffneter Konflikte bzw. den von Situationen knapp unterhalb solcher Konflikte Rechnung zu tragen.“ Aus „Praktikabilitätsgründen“ komme nur eine gesetzliche Regelung in der „Art einer Blankettnorm“, die „zu solchen Grundrechtseingriffen“ ermächtige, in Betracht.[4]

Hingegen hält Gramm ein „umfassendes Streitkräfteeinsatzgesetz“ für nicht erforderlich. Er sieht es sogar als „fraglich“ an, „ob und ggf. mit welcher Reichweite die Grundrechte beim Auslandseinsatz der Streitkräfte im Hinblick auf Dritte (Nichtdeutsche) überhaupt gelten“ würden. Er schlägt in seinem Thesenpapier vor, nach dem Vorbild Österreichs, die Eingriffsbefugnisse der Soldaten in einer Verordnung zu erfassen.[5] Eine Rechtsverordnung nach Artikel 80 des Grundgesetzes müsste nicht, wie das von Zimmermann favorisierte Gesetz, vom Bundestag verabschiedet werden. Es würde lediglich die Verabschiedung eines Gesetzes erforderlich sein, das Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung enthält. Ansonsten bliebe der Bundesregierung oder einem Bundesminister im Rahmen dieser Beschränkungen die inhaltliche Ausformulierung der Rechtsverordnung überlassen.

Beide Varianten stellen Versuche dar, von der Bundeswehr begangene Grundrechtsverstöße, etwa von ihr verursachte – so genannte – Kollateralschäden, rechtlich abzusichern. Damit würde den Betroffenen die Möglichkeit erschwert, vor deutschen Gerichten Rechtsschutz, Aufklärung des Vorfalls in einer unabhängigen Untersuchung oder Schadensersatz zu erlangen. Dass gerichtlicher Rechtsschutz auch auf europäischer Ebene durchaus erreichbar sein kann, zeigt die jüngste Rechtsprechung des »Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte« (EGMR) in seiner Entscheidung „Al-Skeini u.a. gegen Vereinigtes Königreich“ (Aktenzeichen 55721/07). Der EGMR erklärte in diesem grundlegenden Urteil die »Europäische Menschenrechtskonvention« (EMRK) für den Einsatz britischer Truppen in Basra nach dem Irak-Krieg für anwendbar. Nach Auffassung des Gerichts habe Großbritannien dort Hoheitsgewalt ausgeübt. Aus der effektiven Kontrolle über ein Konfliktgebiet erfolge auch die menschenrechtliche Verantwortlichkeit für Rechtsverletzungen, so der EGMR weiter. Dieses Urteil ist richtungsweisend für den Einsatz europäischer Truppen und gilt damit auch für deutsche Auslandseinsätze. Die Angehörigen von sechs durch britische Soldaten zu Tode gekommenen irakischen Personen hatten auf Schadensersatz und Aufklärung der Todesfälle durch eine unabhängige Kommission geklagt, womit sie zuvor bei britischen Gerichten gescheitert waren, und nun im Juli 2011 vor dem EGMR Recht bekommen.[6]

[1] Vgl. Reinhard Müller, Blankettnorm für den Krieg. Braucht Deutschland ein Gesetz für Auslandseinsätze der Bundeswehr – oder reicht das Mandat?, FAZ Online, 12. Januar 2012.

[2] Zum Meinungsstand in der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur exterritorialen Geltung der Grundrechte vgl. Dieter Wiefelspütz, Auslandseinsatz der Streitkräfte und Grundrechte, Neue Zeitschrift für Wehrrecht, Heft Nr. 3/2008, S. 89-102, S. 89-98.

[3] Vgl. VG Köln. Übergabe somalischer Piraten an Kenia rechtswidrig, Legal Tribune Online, 11. November 2011; Tim René Salomon, Das VG Köln als Hüter der Menschenrechte, Legal Tribune Online, 22. November 2011.

[4]Andreas Zimmermann, Bundeswehr-Auslandeinsatzgesetz, Thesenpapier, http://dgwhv.de/media/Fachgespr%C3%A4ch%20AuslEinsatzG%202011/Thesenpapier%20Zimmermann.pdf (23. Januar 2012).

[5]Christof Gramm, Ein Streitkräfteeinsatzgesetz für die Bundeswehr? Juristisches Fachgespräch am 24. Oktober 2011 des Deutschen Instituts für Menschenrechte und der Deutschen Gesellschaft für Wehrrecht und Humanitäres Völkerrecht, http://dgwhv.de/media/Fachgespr%C3%A4ch%20AuslEinsatzG%202011/Thesen%20Gramm%20%281%29.pdf (23. Januar 2012).

[6] Vgl. Przemyslaw Roguski, Wer den Krieg exportiert, muss auch vor seinem Grauen schützen, Legal Tribune Online, 8. Juli 2011.