IMI-Analyse 2008/021 - in: AUSDRUCK (Juni 2008)

Erweitertes Handlungsspektrum der Bundeswehr durch weniger letale Waffen


von: Jonna Schürkes und Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 10. Juni 2008

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Die Lücke zwischen Schrei und Schuss

Doug Beason, selbst mit der Entwicklung von Strahlenwaffen beschäftigt, formulierte für den britischen Strategie-Thinktank RUSI (Royal United Services Institute for Defence and Security Studies) ein mögliches Einsatzszenario so genannter nicht-letaler Waffen: In Neu-Delhi formiert sich ein Demonstrationszug durch die Armenviertel und wächst auf dem Weg zur US-amerikanischen Botschaft beständig an. Einige Teilnehmer sind bewaffnet und sie haben Frauen und Kinder unter sich. So dringt der Mob aufs Botschaftsgelände vor. Die USA hätten sich geschworen, nie wieder eine ihrer Auslandsvertretungen überrennen zu lassen, aber die Marines, die zu ihrer Verteidigung die Gewehre bereits in den Anschlag gebracht haben, zögern noch zu schießen. Nicht weil es unmoralisch wäre, auf eine überwiegend unbewaffnete Menge das Feuer zu eröffnen, sondern weil dies in Sekunden das Verhältnis der USA zu einem ihrer wichtigsten Verbündeten, Indien, um Jahrzehnte zurückwerfen könnte. Weniger tödliche Waffen, die im Normalfall lediglich unerträgliche Schmerzen, Atemnot oder vorübergehende Blindheit hervorrufen, seien die perfekte Lösung für derartige Probleme. Ein Toter oder gleich mehrere können einer Regierung für Jahrzehnte als moralischer Makel anhaften, zu diplomatischen Verwicklungen führen oder die Proteste auch weiter anheizen. Doug Beason wirbt für die folgende Alternative: das „Active Denial System“, eine Mikrowellenwaffe, die in einem bestimmten Winkel bei allen Menschen das Gefühl schwerer Verbrennungen erzeugt. „Bisher hatten [die Einsatzkräfte] nur zwei Optionen: die Aufständischen anzuschreien und zu bitten, anzuhalten oder auf sie zu schießen. Eine einfache, binäre Entscheidung. Schreien oder Schießen, angeschrien zu werden oder zu sterben. Heute gibt es eine dritte Option.“

„…Ein tiefes Brummen erfüllt den Raum, als ob sich ein gigantischer Ofen vor ihnen eröffnet hätte. Innerhalb von Sekunden wird der Schmerz unerträglich. Sie können nicht nachdenken, sie können nur reagieren. Nach weniger als einer Minute sind die Strassen frei und das Gelände ist unwirklich ruhig.“

Übrigens: Der Artikel von Beason trägt den Titel: „Changing the Way Future Wars Will Be Fought“, das Gesicht der kommenden Kriege – frei übersetzt.[1] Was Beason die dritte Option nennt, ist die „Lücke zwischen Schrei und Schuss“.[2]

Zum Thema weniger letaler Waffen (WLW) hat die Fraktion DIE LINKE Anfang Mai eine Kleine Anfrage im Bundestag gestellt. In ihrer Antwort zeigte sich die Bundesregierung weitgehend ungewillt, über die Forschung, Herstellung und Nutzung von WLW in Deutschland und bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr Auskunft zu geben.

Die Funktion von weniger letalen Waffen (WLW) aus Sicht der Bundesregierung

„NLW [nicht-letale Wirkmittel, offizieller Sprachgebrauch der Bundeswehr] sind vorgesehen zur angemessenen Reaktion auf Gewalttätigkeiten aller Art und jeglichen Eskalationsniveaus […] Ohne NLW stehen den Streitkräften nur die Alternativen Passivverhalten und Einsatz konventioneller soldatischer Bewaffnung zur Verfügung“ schrieb die Bundesregierung jüngst in ihrer Antwort auf die kleine Anfrage der Linksfraktion.[3] Trotzdem teilt die Regierung nicht die Auffassung vieler ExpertInnen, darunter der 19. Ausschuss für Technikfolgenabschätzung,[4] dass „die Verfügbarkeit nicht-letaler Waffen die Hemmschwelle für den Einsatz von Zwangsmitteln senken kann, da ein größeres Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung steht“.[5] Dies würde nicht zutreffen, da NLW erst dann zum Einsatz kämen, wenn von der Gegenseite bereits irgendeine Form von Gewalt ausgegangen sei, die aus der Sicht der Bundesregierung auch den Einsatz tödlicher Gewalt legitimieren würde: „Die Anwendung von solchen Wirkmitteln ist jedoch ausdrücklich Situationen auf höherer Eskalationsstufe vorbehalten, bei denen zum Beispiel auch ein Schusswaffengebrauch gerechtfertigt wäre.“

Damit erklärt die Bundesregierung im Grunde, dass sie bereit ist, Soldaten im Ausland Demonstrationen niederschießen zu lassen. Denn „der Einsatz NLW wird konzeptionell ausschließlich auf Crowd and Riot Control (CRC) bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland beschränkt. CRC umfasst alle Verfahren, Kräfte, Mittel und Maßnahmen von Streitkräften im Einsatz zur Verhinderung oder Auflösung von/zur Einflussnahme auf Ansammlungen von Menschen, von denen Gewalt ausgeht oder Gewaltanwendung ausgehen kann.“ An anderer Stelle heißt es: „Ziel der CRC ist es, Menschenmengen auf Distanz zu halten, zu lenken und sofern erforderlich aufzulösen. Die zum Einsatz kommenden Mittel sollen wirksam die eigenen Handlungsmöglichkeiten erweitern, um die Fähigkeit zu einer abgestuften Eskalation und Deeskalation der eingesetzten Zwangsmittel zu eröffnen und gewalttätigen Aktionen wirksam zu begegnen. Damit soll insbesondere die Schwelle zum Einsatz letaler Wirkmittel erheblich erhöht werden.“

WLW in und aus Deutschland

Die deutsche Forschung zu NLW und WLW begann spätestens 1993, als das Verteidigungsministerium die DASA mit einer Untersuchung zu NLW beauftragte. Im Anschluss an eine Präsentation der Forschungsergebnisse ergingen drei Forschungsaufträge insbesondere zu akustischen Waffen an das Fraunhofer ICT, welches seit dem auch Tests mit Fangnetzen, Schaumstoffen und Wirbelgeneratoren als NLW bzw. WLW und zahlreiche Arbeitsseminare und Konferenzen zu diesem Thema durchführte.[6] Im Dezember 1996 warnte der Ausschuss für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung davor, dass NLW und WLW das (Kriegs-)Völkerrecht unterlaufen, zu einem neuen Wettrüsten führen und die Schwelle zur Anwendung von Gewalt auch bei Friedenseinsätzen durchaus auch erhöhen können.[7] Das Fraunhofer ICT initiierte 1998 die Gründung der European Working Group NLW, der es in Person von Dr. Ing. Klaus-Dieter Thiel vorsteht und veranstaltet seit 2001 alle zwei Jahre in Ettlingen das European Symposium NLW, nach eigenen Angaben „das größte europäische Symposium auf dem NLW-Sektor“. Ebenfalls 2001 genehmigte der damalige Verteidigungsminister den Einsatz von Impulswaffen im Kosovo und empfahl die Innenministerkonferenz die Erprobung von Elektroimpulswaffen durch die Polizei im Inland.

Nach den März-Unruhen 2004 im Kosovo, als die Bundeswehrsoldaten Vertreibungen und Brandschatzungen durch aufgebrachte Albaner nicht verhindern konnten, wurde festgestellt, dass die Bundeswehr, außer über Gummiwuchtgeschossen, „unterhalb der Schwelle des Einsatzes von Schusswaffen zurzeit nur über begrenzte Mittel zur angemessenen Reaktion und stufenweisen Eskalation [verfüge]. Insbesondere fehlen Möglichkeiten, Menschenmengen auf Distanz zu halten, zu kanalisieren oder aufzulösen, falls physische Absperrungen oder Warnschüsse nicht zum Erfolg führen.“[8] In der Folge wurde das deutsche Ausführungsgesetz zum Chemiewaffenübereinkommen dahingehend geändert, dass die Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen neben der vorhandenen Bewaffnung auch Reizstoffe und Pfefferspray einsetzen kann.

Innerhalb der Bundeswehr ist insbesondere die Wehrtechnische Dienststelle für Schutz- und Sondertechnik (WTD 52) für die Entwicklung und Erprobung von WLWs zuständig. Im Jahr 2004 gab diese als Aufgabenschwerpunkt die Ermittlung des „Erstausstattungsbedarf[s] der Streitkräfte für den Einsatz NLW bei friedenserhaltenden Maßnahmen“ an.[9] Auf dessen Grundlage wurde die Bundeswehr mit Impulsmunition, Pfefferspray in zwei Ausführungen mit unterschiedlicher Reichweite, CS-Reizstoffwurfkörpern und CS-Reizstoffmunition mit Reichweite bis 150 Metern ausgestattet.

Der Bundesregierung zufolge wurden Forschungsaufträge an das Fraunhofer Institut für Chemische Technologie, die Universität der Bundeswehr in München sowie an die Universitäten in Düsseldorf und Witten/Herdecke vergeben. Zudem wurden „Unternehmen der nationalen wehrtechnischen Industrie (Rheinmetall, Diehl BGT, EADS) mit F&T-Untersuchungen zu NLW mit konkreten Verträgen beauftragt“.

Laut einem Bericht des Amtes zur Bewertung von Technikfolgen des Europäischen Parlaments[10] waren im Jahr 2000 nach Frankreich in keinem europäischen Land mehr Produzenten und Vertriebe von NLWs angesiedelt als in Deutschland. Alleine 21 deutsche Firmen boten bereits im Jahr 2000 chemische Reizstoffe, 13 Elektroschockwaffen und zehn kinetische Waffen an. Die deutsche Botschaft London blockierte seinerzeit die Beantwortung eines Fragebogens von Amnesty International UK zu NLW durch die entsprechenden Ministerien. Eine umfassende Liste über den Bestand, Export und Verwendung von WLW zu erstellen würde unangemessene Kosten verursachen. Der damalige Bericht des Amtes zur Bewertung von Technikfolgen des Europäischen Parlaments zeigte sich irritiert über diese Antwort, da die Bundesregierung zumindest für chemische Reizstoffe ohnehin eine entsprechende Liste im Rahmen des Chemiewaffenabkommens für die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) bereithalten müsste.

Ähnlich auskunftsunfreudig zeigte sich die Bundesregierung bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage. Auf die Frage, welche deutschen Unternehmen nach Kenntnis der Bundesregierung an der Forschung, Entwicklung und Herstellung von WLW beteiligt sind, gab die Bundesregierung ausschließlich Rheinmetall, Diehl BGT und EADS an, obwohl beispielsweise die Firma Carl Hoernecke Chemische Fabrik eigenen Angaben zufolge Reizgase an die Bundeswehr liefert[11] und die Bundesregierung demzufolge darüber informiert sein müsste, dass dieses Unternehmen an WLW forscht und herstellt. Auch über den Export von WLW wollte die Bundesregierung keine Angaben machen.

WLW bei der Bundeswehr

Die Bundeswehr ist bereits seit Längerem mit 40mm-Hartschaumstoffgeschossen ausgestattet, nach der Änderung des deutschen Ausführungsgesetzes zum Chemiewaffenübereinkommen wurde die Bundeswehr auf dem Balkan und in Afghanistan zusätzlich mit Pfeffersprays in zwei verschiedenen Ausführungen mit unterschiedlichen Reichweiten (RSG4 bzw. RSG8) sowie 40mm-Patronen und Granaten, die CS-Gas (laut Bundesregierung: „Reizstoffrauch“) freisetzen, ausgerüstet. Diese werden entweder von Granatpistolen oder auch per Anbaugerät vom Sturmgewehr G36 abgefeuert. Der Umfang der entsprechenden Bestände ist jedoch als Verschlusssache eingestuft, weshalb die Regierung keine Angaben hierüber macht. Die Anschaffung von flüssigem CS ist geplant, um dieses den auf Fahrzeugen montierten und rückentragbaren Reizstoffwerfen, über welche die Bundeswehr bereits verfügt, beizumischen. Darüber hinaus verfügen zumindest die CRC-Züge auch über Schlagstöcke und Schilder und die Feldjäger über Wasserwerfer. In ihrer Antwort auf die kleine Anfrage behauptete die Bundesregierung zwar, es seien „keine Wasserwerfern bei deutschen Einsatzkontingenten im Ausland stationiert“. Auf der Homepage der Bundeswehr hingegen sind Bilder eines „Anti-Aufruhr-Trainings“ in Prizren zu sehen, bei denen ein Wasserwerfer, geschützt durch deutsche Soldaten mit Schlagstöcken und Schildern, einen Strahl abfeuert. Auch widersprechen verschiedene Pressemeldungen der Aussage der Bundesregierung. So berichtete die Tagesschau im Mai 2005: „Seit knapp einem Jahr verfügt die Bundeswehr im Kosovo auch über entsprechende Waffen gegen Gewalttäter in einem Protestzug: Gummigeschosse, Tränengasgranaten, Wasserwerfer“. [12] Auch die Neue Westfälische berichtete von Übungen mit Wasserwerfern in Kosovo: „Um einen Ernstfall zu demonstrieren, sind am Sonntagmorgen etwa 100 Soldaten aus Augustdorf im ´Camp Casablanca´ nördlich von Prizren angetreten. Kompaniechef Jan T. erklärt die ´Bedrohungslage´: Gewalttätige Demonstranten müssen in Schach gehalten und zur Ruhe gebracht werden. […] Anders als früher sind die Soldaten mit dem so genannten CRC (Crowd-Riot-Control, Kontrolle von Massen-Aufständen)- System ausgerüstet. Diese Ausrüstung besteht aus verschiedenen Waffen, die alle nicht tödlich sind, den Gegner aber außer Gefecht setzen. Je nach Eskalationsgrad werden Tränengas, Pfefferspray, Gummigeschosse, Wasserwerfer und Schlagstöcke gegen Angreifer eingesetzt. Erst im schlimmsten Fall – und immer erst nach entsprechendem Befehl – greifen die Soldaten zur Schusswaffe.“[13]

Die Ausbildung „der für Einsätze der Bundeswehr vorgesehenen Kräfte“ im Umgang mit WLW erfolgt durch die Feldjäger „im Rahmen der einsatzvorbereitenden Ausbildung für Konfliktverhütung und Krisenbewältigung (EAKK) … und erfolgt für die jeweiligen Kräfte grundsätzlich anlassbezogen an den Ausbildungseinrichtungen ´Gefechtsübungszentrum Heer´ (Letzlingen),[14] dem VN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr (Wildflecken), dem Ausbildungszentrum Grundlagenausbildung der Luftwaffe (Germersheim), dem Zentrum ´EinsAusbÜbSanDstBw´ (nur RSG4) in Feldkirchen und der Schule für Feldjäger und Stabsdienst in der Bundeswehr in Sonthofen.“ Dabei verschweigt die Regierung – wie so vieles – dass die Ausbildung im Rahmen der Auslandseinsätze durch zahlreiche Übungen im Einsatzland weitergeführt wird. Als besonderes Testfeld erweist sich hier der Balkan, insbesondere im Kosovo scheinen CRC-Übungen nahezu wöchentlich stattzufinden.[15] Die Übungsszenarien lauten dabei beispielsweise wie folgt: „Eine Gruppe von Demonstranten hat sich von einer genehmigten Demonstration in der Altstadt abgesetzt und bewegt sich in Richtung Erzengelkloster im Bistricatal. Zum Schutz der Mönche und des Klosters befiehlt die 4. Kompanie des Einsatzbataillons Prizren zusätzliche Sicherungsmaßnahmen. Dazu verstärkt sie die Reserve, den Charlie-Zug, luftbeweglich als CRC-Zug die Sicherung am Kloster […] Minuten später landen die drei Hubschrauber auf relativ kleinem Raum und setzen die Verstärkungskräfte ab. Unverzüglich beziehen sie ihre im Voraus erkundeten Stellungen womit auch das Ende der Übung angezeigt ist.“[16] Die Übungen sind u.a. notwendig, um den Umgang mit für Soldaten eher untypischen Einsatzmitteln wie Schildern (gegen Steinwürfe) zu trainieren. Die Schilder müssen beim Besteigen des Hubschraubers in einer bestimmten Weise getragen werden, damit sich der Luftzug der Rotoren nicht in ihnen verfängt. Das Foto der Woche in der Aprilausgabe der Zeitschrift „Y – das Magazin der Bundeswehr“ zeigt junge Männer in Armeehosen, die vor einem Panzer und deutschen Feldjägern wegstürmen, im Hintergrund ein Hubschrauber, folgender Text erläutert die Szene: „Das Operational Reserve Batallion trainiert seine Fähigkeiten im Kosovo bei der Übung ‚Balkan Hawk‘ und bekommt von den Amerikanern Unterstützung aus der Luft. Sie versuchen die Demo mit Hilfe eines Apache-Hubschraubers aufzulösen.“ Die Uniformen der Feldjäger tragen dabei keine Tarnflecken sondern sind in einheitlichem grün gehalten so wie (früher) die der deutschen Bereitschaftspolizei (denen sie verdächtig ähneln). Außerdem tragen sie offensichtlich Schienbeinschoner.

Lapidar erklärt die Bundesregierung: „NLW wurden, abgesehen zu Ausbildungszwecken, durch deutsche Kräfte bislang nicht eingesetzt.“ Auch dem widersprechen zahlreiche Presseberichte und Aussagen aus dem Umfeld der Bundeswehr selbst: Einem Bericht der Zeitschrift ´Das Parlament´ zu Folge wurde z.B. im Kosovo bereits Pfefferspray durch die deutschen KFOR Soldaten eingesetzt und zwar aus eher lapidarem Anlass: „Zum Beispiel neulich, als zwei Streithähne mit Mistgabeln aufeinander losgingen und damit das halbe Dorf in Tumult zu stürzen drohten – nach einer Prise Pfefferspray herrschte Ruhe. Die deutschen Soldaten seien dem Bericht zufolge sogar besser mit NLWs ausgerüstet, als die Einsatzkräfte anderer Nationen.“[17] Johann Höcherl, Professor an der Universität der Bundeswehr erklärte auf dem 4. European Symposium on Non-Lethal Weapons: „Als Konsequenz aus den neuen Szenarien, in denen Teile der deutschen Armee eingesetzt werden, wurde nicht-tödliche Munition, basierend auf Impuls und Energie, die auf das Ziel übertragen werden, zu Aufstandsbekämpfungszwecken eingeführt, die sich bislang sehr bewährt hat.“[18] Die Verwendung von WLW wird laut Bundesregierung zwar nach eigenen Angaben „im Rahmen des Bestandsnachweises“ registriert, doch die Bestände sind eben Verschlusssache und damit nicht überprüfbar. Ferner lässt sich aus den Beständen etwa an Pfefferspray oder flüssigem CS wenig über konkrete Einsätze erfahren, da sich die verbrauchten Mengen schlecht wie bei anderer Munition in einzelnen Patronen angeben lassen.

Auch die so genannten „Quick Reaction Force“, die im Sommer 2008 nach Afghanistan verlegt wird, ist der Bundeswehr und verschiedenen Presseberichten zu Folge mit WLW ausgestattet. Auch hier zeigte sich die Bundesregierung ungewillt, den Umfang, zu konkretisieren.

Keinerlei Angaben machte die Bundesregierung außerdem zur Ausrüstung der Spezialeinheiten des KSK mit WLW, da „zu operationellen Einzelheiten von Einsätzen der Spezialkräfte der Bundeswehr […] grundsätzlich keine Stellung genommen“ wird. Von einer Bewaffnung mit Gas-, Blend- und Rauchgranaten ist aber, betrachtet man das Aufgabenspektrum des KSK,[19] in jedem Falle auszugehen. Sie würde nach wie vor dem Chemiewaffenübereinkommen eklatant widersprechen, da auch nach dessen novellierten deutschen Ausführungsgesetz der Einsatz chemischer Kampfstoffe auf Unruhebekämpfung beschränkt ist. Diese ist aber explizit nicht Aufgabe des KSK.

Intransparent und verantwortungslos

Zu den rechtlichen Implikationen der Forschung und des Einsatzes WLW scheint sich die Bundesregierung ohnehin kaum Gedanken zu machen. So hat schon die Änderung des deutschen Ausführungsgesetzes zum Chemiewaffenübereinkommen dessen Wirkung auf internationaler Ebene geschwächt, indem die Bundesregierung damit Wege aufzeigte, das an sich absolute Verbot von Chemiewaffen in kriegerischen Auseinandersetzungen zu umgehen. Da die internationale Sicherheitsarchitektur ohnehin zunehmend auf asymmetrische Bedrohungen und „neue Kriege“ abzielt, also CRC in den Mittelpunkt des aktuellen Aufgabenspektrums rückt, diese aber nach Auffassung der Bundesregierung auch im Ausland eine Ausnahme vom Chemiewaffenverbot darstellt, wird es hiermit de facto entkräftet. Obendrein hat es die Bundesregierung unterlassen, die unter diesen „Ausnahmebedingungen“ eingesetzten Wirkstoffe zu spezifizieren und zu beschränken und sie hat jüngst erneut zum Ausdruck gebracht, dass sie dies auch nicht vorhat. „Durch das Fehlen konkreter Definitionen schafft die Neuregelung ein gewisses Maß an rechtlicher Unsicherheit für den RCA-Einsatz (Riot Control Agents). Die Auslegung des CWÜ wird letztlich auf die Ebene der militärischen Einsatzregeln übertragen“, urteilte der Jurist Hans Wolfram Kessler nach der Änderung des Gesetzes.[20] Auch Jan von Aken kritisierte diese in der NDR-Sendung „Streitkräfte und Strategien“ scharf: „Sobald Sie sich bei den Chemiewaffen auf eine Eskalationsstufe begeben, egal wie niedrig die ist, dann bereiten Sie damit die weitere chemische Eskalation vor. Man muss wissen, dass in der Geschichte jeder Einsatz von tödlichen Nervengasen, von tödlichen Chemiewaffen immer mit Tränengas angefangen hat. Ob das nun der Irak war unter Saddam Hussein, ob das im Ersten Weltkrieg die Deutschen waren, es fängt immer mit Tränengas an, unterste Eskalationsstufe, aber in dem Moment, wo sie im Krieg Gas einsetzen, ist es nicht mehr zu stoppen und am Ende werden sie bei den tödlichen Gasen landen.“[21]

Auf die Frage, ob die Bundesregierung einen weiteren Regelungsbedarf für den Umgang mit WLW auf internationaler Ebene sieht, antwortete diese: „Nein. Auf NATO- und EU-Ebene sind Arbeitsgruppen zu NLW tätig, die eventuell auch neue Regelungen als Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten herausgeben. Diese Regelungen sind aber nicht von der Bundesregierung veranlasst.“ Hierzu muss erwähnt werden, dass die angesprochenen Gremien eben nicht mit der Eindämmung und Kontrolle von WLW beauftragt sind, sondern eher Lobbying für diese betreiben. Vorsitzender der European Working Group Non-Lethal Weapons ist beispielsweise der bereits erwähnte Klaus-Dieter Thiel vom Frauenhofer ICT, einem der größten Institute zur Entwicklung von WLW in Europa. Sein Stellvertreter ist Massimo Annati von der italienischen Marine, ein regelmäßiger Autor der Zeitschrift Military Technology und angesehener Vordenker moderner Kriegstechnologie.

Thiel ist ebenfalls Mitautor einer der wichtigsten NATO-Studien zu NLW[22] und Vorsitzender der „International Virtual Non-Lethal Weapons Platform“, einer Internetseite, auf der sich verschiedene Wissenschaftler über NLW austauschen sollen.

Das Fraunhofer Institut arbeitet eigenen Angaben zufolge sowohl mit dem Verteidigungsministerium, als auch der Rüstungsindustrie eng zusammen.[23] Das BMVg ist der wichtigste Geldgeber des Instituts, gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt es 50% der Mittel für das Institut zur Verfügung.[24] Bei dem European Symposium NLW sind öfters Angehörige des BMVg als Redner und Teilnehmer eingeladen.[25] Dennoch gab die Bundesregierung an, das Symposium werde von dem BMVg weder personell, noch finanziell unterstützt.

Eigentlich müssten Forschung, Produktion, Export und Einsatz von WLW restriktiv gehandhabt werden. Die Bundesregierung räumt zwar ein, dass viele der WLW in Deutschland unter das Waffengesetz fallen, weigert sich aber konsequent, eine Aufstellung zu liefern, welche dieser Waffen exportiert werden. Die Begründung hierfür besteht darin, dass WLW nach Auffassung der Bundesregierung generell nicht unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Deshalb liege ihr „keine statistische Aufbereitung zu Genehmigungen der Ausfuhr von ´WLW´ bzw. entsprechender Komponenten und Technologien vor. Die Struktur der dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) vorliegenden Datenbestände gestattet keine automatisierte Recherche im Sinne der gestellten Frage“. Das heißt, dass nicht nur Schlagstöcke sondern auch Wasserwerfer aus dem Hause Daimler oder kinetische Waffen, wie sie Heckler & Koch herstellt, an diktatorische Regime ausgeliefert werden können, ohne dass die Öffentlichkeit hierüber etwas erfährt. Die deutsche Außenwirtschaftsverordnung nimmt für die Länder Somalia, DR Congo, Liberia, Simbabwe, Birma, Côte d’Ivoire, Sudan und Usbekistan „nichtletale militärische Ausrüstung“ von den jeweiligen Waffenembargos der UN aus, sofern sie nur „für humanitäre oder Schutzzwecke“ bestimmt sind. In diesen Fällen jedoch bedarf der Export einer Genehmigung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Auch hier sieht die Bundesregierung keinen weiteren Regelungsbedarf.

Eine ähnliche Haltung zeigt die Bundesregierung, wenn es um die Verwendung WLW im Inland geht. Obwohl mittlerweile auch die Polizei in Deutschland zunehmend mit WLW, darunter Elektroschockpistolen, ausgerüstet wird, existiert im Geschäftsbereich des Innenministeriums keine einzige Richtlinie oder Verordnung, die den Einsatz von WLW regelt.

Das perfekte Werkzeug für Diktatoren

Die deutsche Regierung finanziert die Forschung und Entwicklung weniger letaler Waffen, weil sie diese für „Verteidigungsaufgaben“, „dort […] wo Risiken und Bedrohungen für die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten entstehen“ für geeignet erachtet. Bei solchen „Friedensmissionen“, die ja vermeintlich den Export von Demokratie befördern sollen, ist der Einsatz von WLW vorgesehen, „um Menschenmengen auf Distanz zu halten, zu lenken und sofern erforderlich aufzulösen“. Die Wirkprinzipien dieser Waffen sind Schmerz und Angst. Obwohl sie in Deutschland meist unter das Waffengesetz fallen, ist ihr Export selbst dann legal, wenn es sich explizit um militärische Ausrüstung handelt, die in Länder exportiert wird, die aufgrund von Menschenrechtsverletzungen mit einem UN-Embargo belegt sind. Entsprechend widerspricht die Bundesregierung der Auffassung des UN-Ausschusses gegen Folter, dass der Einsatz von Elektroschockpistolen beispielsweise Folter sei.

Anmerkungen

[1] Doug Beason (2006): The E-Bomb: Changing the Way Future Wars Will Be Fought, in: Rusi Defence Systems, Vol. 9., Nr. 1.; S. 90-93.

[2] Olaf Arndt / Ronald Düker: Eine andere Gewalt ist möglich, veröffentlicht auf Telepolis (06.06.2007)

[3] Antwort der Bundesregierung auf BT-Drucksache 16/9050 vom 2.Mai 2008, alle folgenden, nicht näher gekennzeichneten Zitate entstammen dieser.

[4] BT-Drucksache 13/6449

[5] BT-Drucksache 16/9050

[6] Landmine Action (2001), Tödliche Alternativen. Wie die Antipersonenminen ersetzt werden, S. 53; URL: www.landmine.de/fix/deutsch_report.pdf .

[7] BT-Drucksache 13/6449

[8] BT-Drucksache 15/3599

[9] Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (2004): Das BWB und die Dienststellen in der Transformation

[10] European Parliament: Crowd Control Technologies – An Assessment Of Crowd Control Technology, Options For The European Union (EP/1V/B/STOA/99/14/01), Working Paper der Omega Foundation.

[11] http://www.tw1000.com/index.cgi?sid=974835927703&action=frontpage::load_plain&template=referenzen

[12] http://www.tagesschau.de/ausland/meldung177030.html

[13] Soldaten sorgen für Sicherheit, in Neue Westfälische vom 3./4.12.2005

[14] Vgl. hierzu: Johannes Plotzky (2005): Kriege üben mit Serco GmbH und SAAB, IMI-Analyse 2005/032, in: AUSDRUCK, Dezember 2005.

[15] Dies ergibt eine Auswertung der wöchentlich erscheinenden Feldzeitung der Bundeswehr für das Kosovo, Maz & More

[16] Maz & More, Feldzeitung der Bundeswehr für das Kosovo, Nr. 422

[17] Thiele, Christian (2005): Überwiegend ruhig, aber nicht stabil, in: Das Parlament Nr. 21; URL: http://www.das-parlament.de/2005/21/Thema/015.html

[18] Höcherl, Johan G. (2007): Pressure measurements at impact of kinetic energy ammunitions, Beitrag auf dem 4. European Symposium on Non-Lethal Weapons; URL: http://www.non-lethal-weapons.com/sy04abstracts/V20.pdf

[19] Claudia Haydt (2008): Kommando Spezialkräfte: „Mit der Lizenz zum Töten“, IMI-Analyse 2008/006 – in: AUSDRUCK, Februar 2008.

[20] Kessler, Hans Wolfram (2005): Krieg ohne Tränen? Reizstoff für die Bundeswehr: Zur Änderung des deutschen Ausführungsgesetzes zum Chemiewaffenübereinkommen, in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 1/2005; S. 4-10.

[21] Streitkräfte und Strategien vom 5.04.08, URL: http://www.ndrinfo.de/programm/sendungen/streitkraeftesendemanuskript68.pdf

[22] NATO (2006) The Human Effects of Non-Lethal Technologies. The Final Report of NATO, Brussels: NATO, Research and Technology Organisation; URL: http://ftp.rta.nato.int/public//PubFullText/RTO/TR/RTO-TR-HFM-073/$$TR-HFM-073-TOC.pdf

[23] http://www.ict.fraunhofer.de/Institutsprofil/Institutsgeschichte/index.jsp

[24] Fraunhofer ICT (2008): Jahresbericht 2007/08; URL: http://www.ict.fraunhofer.de/fhg/Images/jahresbericht_2008_d_tcm137-112318.pdf

[25] http://www.non-lethal-weapons.com/sy02index.html