IMI-Standpunkt 2003/088 - in: Zeitung gegen den Krieg Nr. 15. September 2003
Demokratie, Heuchelei und quasi-imperiale Kontrolle
Je offensichtlicher die Lügen zu Tage treten, mit denen die neokonservative Regierungsclique um den stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz den Angriffskrieg gegen Bagdad rechtfertigte, desto stärker schwenken sie auf eine andere Kriegslegitimation um.
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 9. September 2003
Es sei ohnehin nie wirklich um Massenvernichtungsmittel gegangen, sie seien „aus bürokratischen Gründen“ vorgeschoben worden, gibt Wolfowitz offen zu.
Die neueste Kriegsbegründung lautet nun folgendermaßen: “Der Irak sollte nicht als Ausnahme, sondern als ein weiterer wichtiger Schritt in einer großen Kampagne betrachtet werden, um die Welt für die Demokratie sicher zu machen,“ so der einflussreiche Neokonservative Max Boot. Kritikern hält er entgegen: „Die Aussage, dass man Demokratie nicht mit der Waffe exportieren kann, ist schlicht falsch. Wir taten dies in Deutschland, Italien und anderswo.“ Abgesehen davon, dass dies wohl kaum den Tod tausender Zivilisten rechtfertigt, entlarven sich diese Pläne auch schnell als pure Heuchelei.
Zunächst fällt auf, dass es bei der Aufteilung der Beute alles andere als demokratisch zugeht. Etwa bei der Art und Weise, wie sich Washington die Ölvorkommen des Iraks unter den Nagel reißt. Zuständig hierfür ist der zuletzt von der amerikanischen Ölfirma Exxon beschäftigte Gary Vogler, der die „Aufsicht“ über das Ölministerium übernahm. „Bis auf weiteres“, so der Spiegel zu Voglers erster Anweisung, „sei allen Mitarbeitern des Ministeriums untersagt, selbstständig operative oder personelle Entscheidungen zu treffen, bedingungslos sei den Anweisungen der Koalitionskräfte zu folgen.“ Die Zeitschrift berichtet weiter, „Nach einem vertraulichen US-Fahrplan soll innerhalb des nächsten Jahres mit den Irakern ein Konsens über die Privatisierung der Erdölindustrie gefunden werden.“ Bechtel, Halliburton und Co. werden sich freuen. Auch die 25 Mitglieder des neuen irakischen „Regierenden Rates“ wurden nicht demokratisch gewählt sondern von US-Prokonsul Paul Bremer handverlesen.
Inzwischen versucht man die offenkundigen Widersprüche kreativ zurechtzubiegen. Ein Artikel des Policy Review, herausgegeben von der Neokonservativen Hoover Institution, stellt fest, dass ein demokratischer Übergang nur „sehr langsam“ zu bewerkstelligen sei. Grundsätzlich sei es unklug „demokratische Wahlen in einem grundsätzlich illiberalen Umfeld durchzuführen. […] Dies legt es nahe, dass eine Periode quasi-imperialer und somit undemokratischer Kontrolle eine notwendige Bedingung für Demokratie sein könnte.“ Ein Schönheitsfehler sind hierbei allerdings die Ergebnisse einer Studie desselben Think Tanks, die die „Demokratisierungswirkung“ der 19 amerikanischen Besatzungen im letzten Jahrhundert untersuchte: „Im Gegensatz zu dem, was erwartet werden könnte, ist der Einfluss der Vereinigten Staaten nicht sonderlich beeindruckend.“ Noch im Jahr 2000 war sich auch Wolfowitz dessen bewusst: „Die Erfahrungen mit Deutschland und Japan nach dem 2. Weltkrieg sind falsche Anleitungen. […] Was nach totalem Sieg und fortdauernder Besatzung möglich war – in Gesellschaften die ökonomisch fortgeschritten waren, aber zugleich Vertrauen in ihre eigenen Institutionen verloren hatten – bietet kein Modell, das für andere Umstände zutrifft.“
Trotzdem kündigte Washington nun an, die „quasi-imperiale Kontrolle“, sprich Besatzung des Irak, auf Jahre beibehalten zu wollen, wohl deshalb, weil gerade ein demokratischer Irak für die amerikanischen Ölinteressen äußert hinderlich wäre. Ein Artikel des neokonservativen Sprachrohrs The Weekly Standard entlarvt das Gerede von der angestrebten Demokratie als Heuchelei: “Als wir versprachen, im Irak eine Demokratie zu erschaffen, beachtete die Regierung offenbar nicht die Möglichkeit, dass Iraks 100 Mrd. Barrel an Ölreserven in die Hände eines anti-amerikanischen islamischen Regimes ähnlich dem im Iran, fallen könnten. Wenn das iranische Verhalten als Anhaltspunkt dient, werden Iraks neue Kleriker-mit-Öl Mogule Preisfalken sein – eine Stimme in der OPEC für das Niedrigproduktions- Hochpreisszenario, von dem Analytiker hofften, ein demokratischer Irak würde es beenden.“ Aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten benötige die USA jedoch einen „Stimulus – Ölpreise, die niedrig genug sind, um die Konsumenten in den Einkaufszentren und Autohäusern zu halten.“
Ganz offensichtlich richten sich diese Aussagen gegen die im Irak lebende schiitische Mehrheit (60 Prozent). Da diese wahrscheinlich als Sieger aus demokratischen Wahlen hervorgehen und sich dem ebenfalls schiitischen Iran annähern würden, stellte der ehemalige Sicherheitsberater von Bush Senior, Brent Scowcroft, vorsorglich klar, dass Wahlen nur mit dem von den USA erwünschten Ausgang geduldet werden: „Was wird passieren, wenn wir erstmals eine Wahl im Irak abhalten und es sich ergibt, dass die Radikalen gewinnen? Wir werden sie sicher nicht die Regierung übernehmen lassen.“