„Deutschland und die Bundeswehr als globaler Akteur“

Der 5. IMI-Kongress war erfolgreich

von: IMI | Veröffentlicht am: 10. Dezember 2002

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Bereits zum fünften Mal veranstaltete die Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. am 09/10. November 2002 ihren alljährlichen Kongress. Der Schwerpunkt der Vorträge lag auf dem Themenbereich „Deutschland und die Bundeswehr als globaler Akteur“, wie auch der Titel des Kongresses lautete. Erfreulich war die große Resonanz. Zwischen 50 und 80 Interessierte fanden sich zu den einzelnen Beiträgen ein, um die dramatische Ausweitung deutscher Kriegspolitik, insbesondere auch im Hinblick auf die deutsche Beteiligung am „Kampf gegen den Terror“ zu diskutieren.

Den Anfang machte der frisch vom Europäischen Sozialforum in Florenz eingetroffene Politikwissenschaftler und IMI-Vorstand Tobias Pflüger. Er widmete sich zunächst den verschiedenen Einsätzen der Bundeswehr im „Anti-Terror-Kampf.“ Mit 8600 Soldaten im Auslandseinsatz – vor allem auf dem Balkan, am Horn von Afrika und in Afghanistan – sei Deutschland nunmehr hinter den USA, aber noch vor Großbritannien und Frankreich, zum zweitgrößten Truppensteller der Welt aufgestiegen. Zudem übernahm die Bundeswehr die Rolle der „Lead Nation“ zuerst in Mazedonien und nun bald in Afghanistan, was die beträchtlich gestiegene Rolle des Militärs zusätzlich unterstreiche.

Weiterhin wurde die Haltung der Bundesregierung zum bevorstehenden Irak-Krieg kritisch hinterfragt. Pflüger äußerte deutliche Zweifel an der rot-grünen Anti-Kriegshaltung. Dies zeige sich daran, dass die Bundesregierung nur verbal gegen den Krieg sei, tatsächlich aber substanziell in die Angriffsvorbereitungen involviert wäre. Insbesondere die Nutzung auf deutschem Boden befindlicher US-amerikanischer Militärbasen zeige dies deutlich. Wenn die Regierung es mit ihrer Position zum Irak-Krieg ernst meinen würde, würde sie den USA diese Nutzung untersagen. Sie wäre hierzu nicht nur befugt, sondern aufgrund der Verfassung (Verbot der Unterstützung eines Angriffskrieges) sogar verpflichtet. Der Bundesrichter Dieter Deiseroth nannte die diesbezügliche Haltung der Bundesregierung „am Rande des Verfassungsbruchs.“

Im nächsten Vortrag beschäftigte sich der Hamburger IMI-Beirat Lühr Henken mit der rot-grünen Rüstungsexportpolitik. Er wies nach, dass Deutschland nach wie vor an der Weltspitze der Kriegswaffenexporteure ist. „Der Weltmarktanteil“ der deutschen Kriegswaffenexporte beträgt“ im letzten Jahrfünft“ „4,8 Prozent“. Er wies auch darauf hin, dass die großen fünf Kriegswaffenexporteure – wozu auch die Bundesrepublik gehört – für 83,5 Prozent aller Waffenexporte verantwortlich sind. „Der Rüstungssexportbericht 2000 der Bundesregierung (www.bmwi.de) summiert die Ausgaben für Kriegswaffen in den Jahren 1996 bis 2000 auf 7,9012 Mrd. DM, somit jahresdurchschnittlich auf 1,5802 Mrd. DM.“ Lühr Henken zeigte anhand konkreter Zahlen und konkret benannter Exporte auf, dass es einen Kriegswaffenexportboom unter rot-grün gab und gibt.

Da Arno Neuber aus gesundheitlichen Gründen Absagen musste, übernahm Tobias Pflüger seinen Part und kam in ihm auf „Deutsche Interessen“ zu sprechen. Deutschland organisiere seinen weltpolitischen Aufstieg mit militärischen Mitteln, so seine zentrale Aussage. Dies lasse sich auch daran erkennen, dass die Bundeswehr die meisten Truppen („Ein Drittel“) für die im Aufbau befindliche EU-Eingreiftruppe bereitstellt. In verschiedenen Strategiepapieren seien die Aufgaben des deutschen Militärs bereits klar benannt worden: Von der Sicherung einer Versorgung mit wichtigen Rohstoffen bis hin zur Aufrechterhaltung der marktwirtschaftlichen Ordnung gehe inzwischen das Aufgabenspektrum. Auch sei zu bemerken, dass sich deutsche und US-amerikanische Interessen keineswegs jederzeit decken. Insbesondere was eventuelle Angriffspläne gegen das übernächste Kriegsziel Iran anbelange, würden sich die Interessen beider Länder fundamental widersprechen, sowohl auf wirtschaftlichem als auch geopolitischen Gebiet.

Trotz der Konzentration auf die Rolle der Bundeswehr ging der nächste Vortrag näher auf die US-Interessen an einem künftigen Irak-Krieg ein. Die eigentlichen Kriegsgründe, so IMI-Vorstand Jürgen Wagner, seien keineswegs angebliche irakische Versuche an Massenvernichtungsmittel zu gelangen- hierfür gäbe es keinerlei Beweise – sondern das US-amerikanischen Interesse an einer Kontrolle der irakischen Ölvorräte. Der seit 1999 zu verzeichnende Einflussgewinn der OPEC, resultierend in höhere Ölpreise und die zunehmenden Spannungen mit Saudi-Arabien, das bisher als „trojanisches Pferd“ der USA innerhalb des Kartells gewirkt habe, mache es notwendig, im Irak ein Marionettenregime einzusetzen und dessen immense Ölvorkommen außerhalb der OPEC auf den Weltmarkt zu bringen. Dies würde sowohl den Einfluss des Kartells, als auch Saudi-Arabiens dramatisch schwächen und so dazu beitragen, dass das US-Interesse an billigem Öl weiterhin erfüllt werden könne.

In der Abendveranstaltung gab es eine interessante Gesprächsrunde bzw. Podiumsdiskussion mit Jugendoffiziersausbilder der Bundeswehr, Kai Samulowitz und Tobias Pflüger. Unter der Leitung von Till Gocht unterhielten sich die beiden und das Publikum mit den beiden vor allem über die Auswirkungen der Auslandseinsätze auf die Bundeswehr. Die finanzielle Dimension (1,7 Milliarden DM im Jahr 2002) war zwischen den beiden unstrittig. Warum das Kommando Spezialkräfte entstand, darüber waren sich die beiden nicht einig. Dem Bundeswehroffizier Samulowitz wurden aus dem Publikum eine Reihe von Hinweisen „mitgegeben“: So wies etwa Uwe Reinecke auf einen dubiosen Sexualleitfaden für die Soldaten im Auslandseinsatz in Georgien hin. Die Antwort von Kai Samulowitz auf die Abschlussfrage von Silke Reinecke war interessant. Trotz einiger schlechter Erfahrungen während des Jugoslawienkrieges glaube er, Kai Samulowitz, seiner Regierung, dass sie gegen eine Kriegsteilnahme im Irak sei. Sollte sich die Bundesregierung doch an einem Irakkrieg beteiligen, wäre er schwer enttäuscht und wisse er noch nicht, was er dann tue und ob er dann noch den richtigen Beruf habe.

Erstaunlicherweise ging die Besucher/innenzahl auch bei der traditionell eher schlechter frequentierten Veranstaltung am Sonntagmorgen kaum zurück, was sicher auch an dem spannenden Thema lag. IMI-Beirat Christoph Marischka präsentierte die Ergebnisse seiner kürzlich veröffentlichten Studie zum Thema „Der Afghanistan-Krieg und die deutschen Medien.“ Er betonte die Deutungsgewalt der Politiker, indem er auf die kritiklose fast wortwörtliche Übernahme von Pressemitteilungen und Reden der Bundesregierung in den deutschen Medien hinwies. Damit werde eine Minderheitenmeinung über die Medien zum Standpunkt der Mehrheit transformiert. Während die Opfer des 11. September in endlosen Wiederholungen zur Emotionalisierung beigetragen hätten, seien die Toten des Afghanistankrieges aus der Medienlandschaft weitgehend verbannt worden. Zudem habe sich eine „Schweigespirale“ etabliert. Die gebetsmühlenartige Wiederholung des „Gut gegen Böse“ Schemas führe dazu, dass kritische Stimmen automatisch der Kollaboration mit Terroristen verdächtig gemacht würden, was viele dazu veranlasse, ihre durchaus vorhandene Kritik an der herrschenden Politik nicht zu äußern.

Der anschließende Vortrag beschäftigte sich mit den laufenden und geplanten Beschaffungsprogrammen der Bundeswehr in den nächsten Jahren. IMI-Beirat Lühr Henken meinte, es sei nicht einfach mitten in einer Umbruchphase Grundtendenzen der derzeitigen Aufrüstung aufzuzeigen. In einem mit detaillierten Zahlen und Namen von Kriegswaffenprojekten gespickten Vortrag arbeitete Lühr Henken heraus, dass die fest geplanten Kriegswaffenprojekte zusammen 87,5 Mrd. Euro bis zum Jahr 2014 betragen werden (müssen), eine Zahl, auf die auch der Bundesrechnungshof kommt. 87,5 Mrd. Euro für neue Waffen und Ausrüstungen verteilt auf 13 Jahre bedeuten einen Durchschnittswert von 6,73 Mrd. Euro jährlich. „Im Jahr 2002 liegt dieser Ansatz bei knapp 4,4 Mrd. Euro. Im Jahr 2003 sind dafür im EP 14 (Verteidigungs-Haushalt) knapp 5,1 Mrd. Euro eingeplant.“ Das bedeutet, dass es – immanent gesehen – zu enormen Steigerungen im „investiven Bereich“ des Militärhaushaltes kommen wird. Die deutlich gestiegenen Kosten der Auslandseinsätze sind dabei noch nicht berücksichtigt. Er endete mit dem Satz: Unsere zentrale Forderung muss bleiben: „Auflösung der 150.000 Mann starken „Einsatzkräfte“ der Bundeswehr!

Abschließen ging die Religionswissenschaftlerin und Soziologin Claudia Haydt auf das Thema „Antimilitaristische Strategien, Globalisierungskritik und Pazifismus in der ‚Neuen Weltordnung’“ ein. Sie betonte, dass Globalisierungskritik und Antimilitarismus keine voneinander isolierten Bewegungen sind. Claudia Haydt zeigte an konkreten Beispielen auf, wie die unter neoliberalen Vorzeichen vollzogene Globalisierung zu sozialen Verwerfungen führen, die sich häufig in gewalttätigen Auseinandersetzungen niederschlagen. Aufgabe der globalisierungskritischen Bewegung und der Friedensbewegung sei es, sich nicht darauf zu verlassen, dass politische Entscheidungsträger sich ihrer Anliegen annehmen, sondern selbstbewusst als eigenständige Akteure aufzutreten.

Der IMI-Kongress war nach Ansicht vieler Besucher/innen und der Vertreter/innen der Informationsstelle Militarisierung erfolgreich. Wichtig war vielen, bei den zum Teil auch kontroversen Debatten, dass diesmal beim IMI-Kongress „Deutschland als globaler Akteur“ in den Blickpunkt gerückt wurde. Deutschland sei eben nicht so friedfertig und „harmlos“, wie es die rot-grüne Bundesregierung gerne darstelle, hieß es bei einem abschließenden Gespräch. Weitere Aktivitäten, wie die im Umfeld der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2003 und Initiativen gegen den Irakkrieg und die drohende deutsche „aktive“ oder „indirekte“ Teilnahme, wurden am Rande diskutiert.