Bericht IMI-Kongress 2000
Modernisiert in den nächsten Krieg? 3. IMI-Kongreß
von: BS / TP | Veröffentlicht am: 30. November 2000
Modernisiert in den nächsten Krieg? Dritter Kongreß der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. u.a. über die Bundeswehr 2000
Der dritte jährlich stattfindende Kongreß der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. führte fast 60 Menschen aus der ganzen Republik am Wochenende 25./26.11. in Tübingen zusammen, um mit Fachleuten insbesondere über die neue Bundeswehr 2000 zu diskutieren. Weitere Themen waren je ein Workshop zu Militärritualen, zur Konfliktregion Kaukasus und zu Israel/Palästina.
Bruch des Grundgesetzes – Gegen Interventionsarmee
Nicht mehr der im geänderten Grundgesetz von 1956 verankerte Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, sondern ein Interventionsauftrag stehe im Mittelpunkt der neuen Ausrichtung der Bundeswehr, betonte der ehemalige Flotillenadmiral der Bundeswehr Elmar Schmähling auf der Abendveranstaltung des IMI-Kongresses in Tübingen. In der Öffentlichkeit werde dieser Systembruch, der allerspätestens mit dem völkerrechts- und grundgesetzwidrigen NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien vollzogen wurde, viel zu wenig wahrgenommen. Die Abkehr vom Konzept der Landesverteidigung und die Ausrichtung auf Kriegsfähigkeit für strategische Interessen und enger werdende Ressourcen bewirke in der Bundeswehr eine Zunahme elitärer Professionalisierung. Diese Bundeswehr habe mit der Bundeswehr, in der er gedient habe, nur noch wenig zu tun, Schmähling sagte, er fühle sich betrogen, es gehe der Bundeswehrführung nicht mehr um Verteidigung.
Die Reduzierung der Größe der Bundeswehr und die Wehrpflicht seien nicht die Kernfragen der überfälligen öffentlichen Debatte über die Bundeswehr, betonte Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung auf dem gleichen Werkstattgespräch, das vom freien Journalisten Martin Prösler moderiert wurde. Die Kernfrage der Bundeswehr sei: Soll es eine Bundeswehr zur (Angriffs-) Kriegsführung, also eine Interventionsarmee geben? Tobias Pflüger beschrieb, daß die derzeitige Truppenstärke bei 320.000 Mann und Frau liege, die Gesamtstärke solle in der Zielgröße auf 277.000 (effektiv 255.000) reduziert werden. Zugleich soll der Anteil der Einsatzkräfte auf das fast Dreifache auf 150.000 aufgestockt werden. Diese wesentliche Aufstockung der Einsatzkräfte, die Herausbildung verschiedener Divisionen für Spezialoperationen und Luftbewegliche Operationen, die „Konzentration auf militärische Kernfunktionen“, die zunehmende Aktivität der Bundesrepublik bei der Herausbildung einer eigenständigen EU-Truppe (Deutschland stellt 18.000 von 60.000 Soldaten) und die neue NATO-Strategie bedeuteten eine qualitative Aufrüstung. Unter Rot-grün erhöhen sich nun der Gesamtmilitärhaushalt, der Anteil investiver Mittel des Militärhaushaltes (für Beschaffungsmaßnahmen) jeweils sichtlich und die Waffenexporte sehr deutlich.
Pflüger und Schmähling waren sich absolut einig, daß es nun Ziel sein müsse, die Veränderung der Bundeswehr zur Interventionsarmee zu verhindern. Das Grundgesetz sei z.B. auch durch Einsätze des Kommando Spezialkräfte gebrochen worden.
Militärrituale und „Zivilmilitärische Zusammenarbeit“
Am Samstag hatte der IMI-Kongreß mit Markus Euskirchen von der Zeitschrift „ami – antimilitarismusinformation“ über die Absicherung dieser Entwicklungen durch Militärrituale diskutiert. Militärrituale wie Zapfenstreich oder Gelöbnis hätten die Funktion, Soldaten z.B. auf die Bundeswehr „einzuschwören“. Die spezielle Funktion des Militärs, das Kämpfen werde so „erleichtert.“ Der Tabubruch des Tötens werde durch Militärrituale vorbereitet.
Der IMI-Kongreß diskutierte am Sonntag „zivilmilitärische Zusammenarbeit“ anhand zweier Beispiele. Paul Schäfer und Hendrik Bullens beschrieben die Planungen und Zielsetzungen der US-Army und nachfolgend der Bundeswehr bei der Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen. Dabei wurde deutlich, daß Begriffe wie „lean management“, „Outsourcing“ und „Teilprivatisierung“ nun auch auf die Bundeswehr angewandt werden sollen. Bei der Bewertung dieser Entwicklung wurden unterschiedliche Akzente gesetzt: Paul Schäfer wies daraufhin, daß eine Einbeziehung der Wirtschaft nicht automatisch eine Militarisierung der Gesellschaft bedeute. Es wurde auch die Frage gestellt, ob die Bundeswehr mit der Privatisierung sich nicht ein Kuckucksei ins Nest hole, das nicht zwangsläufig eine Effektivierung der Bundeswehr bedeuten müsse. Tobias Pflüger betonte, daß mit der Einbeziehung von Unternehmen weitere Bereiche der Gesellschaft in Kriegsführung involviert würden.
Diskutiert wurde auch mit Arno Neuber und Gerlinde Strasdeit (Stadträtin und Personalrätin am Universitätsklinikum Tübingen) die Rahmenvereinbarung zwischen Deutscher Krankenhausgesellschaft und Bundeswehr, in der eine Verzahnung von zivilen Gesundheitseinrichtungen und Bundeswehr festgeschrieben ist. Militärisches Sanitätspersonal wird in zivilen Krankenhäusern ausgebildet, die Bundeswehr nutzt medizinische Technik, stellt Personal. Klinikpersonalräte und ÖTV kritisieren eine mögliche Vereinnahmung von zivilen Beschäftigten für militärische Aufgaben.
In Tübingen wurde – wie in ca. 60 Kliniken der Republik – ein solcher Vertrag unterzeichnet, wohl ohne daß die Klinikleitung die volle Tragweite erkannte. In Karlsruhe ist eine speziell auf die Einsatzkräfte ausgerichtete Rahmenvereinbarung wegen Widerstands aus Friedensbewegung, Gewerkschaften und Beschäftigten noch nicht zustande gekommen. In den Gemeinderäten von Tübingen und Karlsruhe wurde eine mögliche Beeinträchtigung des kommunalen Versorgungsauftrages thematisiert. Eine umfassende Gesundheitsversorgung für alle stünde den militärischen Vorgaben im Sanitätswesen entgegen. Die militärischen Vorgaben seien in erster Linie an der Einsatzfähigkeit der Truppe orientiert.
Konfliktregion Kaukasus
Jürgen Wagner von IMI führte mit einem Impulsreferat in das Thema „Konfliktregion Kaukasus“ ein. Er zeigte auf, wie insbesondere die USA (egal unter welcher Regierung) mit der Forcierung bestimmter an Rußland und dem Iran vorbeiführender Öl- und Gas-Pipelinerouten die Region (weiter) destabilisierten. Es geht um die Möglichkeit, möglicherweise reichhaltig vorhandenes Öl aus dem Bereich des Kaspischen Meeres über Pipelines z.B. über die Türkei in die Nutzerländer, sprich insbesondere westlichen Staaten, zu transportieren. Die NATO-Osterweiterung und das NATO-Kooperationsabkommen „Partnerschaft für den Frieden“ werden in Militärkreisen immer wieder als Mittel genannt, um in der Region politisch Einfluß und damit auch Zugang zum Öl zu erhalten.
Israel / Palästina
Zum aktuellen Konflikt in Israel / Palästina referierte Claudia Haydt, die gerade von einem zweiwöchigen Aufenthalt im Nahen Osten zurück war. Sie berichtete von konkreten Erfahrungen auf palästinensischer und israelischer Seite. Sie wies hiesige Medienberichte von Eltern, die ihre Kinder in die Auseinandersetzungen hetzten, deutlich zurück und beschrieb, wie sie immer wieder genau das Gegenteil erlebte, Eltern, die ihre Kinder daran hinderten Steine zu werfen. Sie sprach vom Mythos Ehud Barak im Westen. Unter Barak haben die Siedlungen israelischer Siedler im besetzten Gebiet deutlich zugenommen. Haydt sprach sich neben einer Kritik an direkter Gewalt auch insbesondere für ein Ende der strukturellen Gewalt in der Region aus, d.h. ein Ende der Absperrungen, der allnächtlichen (Kollektiv-)Bombardierungen palästinensischer Siedlungen durch israelisches Militär und ein Ende der Sonderrechte israelischer Siedler im besetzten Gebiet z.B. bei der Straßennutzung, der Wassernutzung und der Landnahme.
Sie überbrachte am Ende eine Botschaft von der israelischen an die deutsche Friedensbewegung, nicht weiter zuzusehen, die sie und Tobias Pflüger in Tel Aviv von Gush Shalom übergeben bekommen hatten. Mitglieder der israelischen Friedens-Opposition erwarten aus Deutschland einerseits historisches Gewissen und Zurückweisung jeglichen Rassismus und Antisemitismus und andererseits Mut zur Position gegen israelische Regierungs- und Siedlungspolitik. Tobias Pflüger meinte, Israel schade sich mit seiner Politik selbst. Wer für Israel sei, müsse in aller Deutlichkeit die Regierungs- und Besatzungspolitik Israels kritisieren.
Neues IMI-Vorstandsmitglied und Kampagne zur Auflösung der Einsatzkräfte
Auf der Mitgliederversammlung der Informationsstelle Militarisierung, die sich direkt an den IMI-Kongreß anschloß, wurde nach den Rechenschaftsberichten des bisherigen Vorstandes mit Andreas Seifert und Tobias Pflüger, Jürgen Wagner, (Politikstudent aus Tübingen) in den IMI-Vorstand nachgewählt.
Die Mitgliederversammlung beschloß außerdem die Initiierung einer Kampagne zur Auflösung der Einsatzkräfte der Bundeswehr. Auf der IMI-Mitgliederversammlung hieß es, daß bisherige IMI-Ideen wie die nach „qualitativer Abrüstung“ nun fortgeführt würden, Ziel sei eine Angriffsunfähigkeit der Bundeswehr, angegangen werden könne dieses Ziel mit der Initiierung einer Kampagne zur Auflösung der Einsatzkräfte der Bundeswehr.