IMI-Standpunkt 2019/020

Deutsche Soldaten gehen am Bundestag vorbei in Afrika in Einsatz

Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland decken Verletzung des Parlamentsvorbehalts auf

von: Jens Wittneben | Veröffentlicht am: 16. Mai 2019

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Bundeswehr-Kampfeinsätze außerhalb des NATO-Gebiets müssen vom Bundestag beschlossen werden. Dieser Grundsatz wird nun in Frage gestellt, wie die Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) berichten – unter Berufung auf Kreise des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, der am Mittwoch, 08. Mai 2019 in geheimer Sitzung in Berlin tagte. Dass dies ausgerechnet der Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa ist, war von den Verantwortlichen ganz sicher nicht gewollt und ist dennoch ein denk(un)würdiger Umstand.

In Niger, Kamerun und Tunesien sind jeweils bis zu zwei Dutzend deutsche Soldaten ohne Parlamentsbeschluss aktiv – und es soll sich auch um Spezialeinheiten handeln. Kampfschwimmer werden genannt und man muss vermuten, dass es sich um Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) aus Calw in Baden-Württemberg handelt. In der geheimen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments kam es zu einer kritischen Debatte, wenn man die Quellen des RND zugrunde legt.

Es liegt nun an der Friedensbewegung und den Bürgern und Bürgerinnen, diese Kritik zu untermauern und dafür zu sorgen, dass Bundeswehrsoldaten nicht im Geheimen und ohne demokratische Kontrolle außerhalb des NATO-Gebiets und Europa in Einsätze gehen. Welche Organisation der Friedensbewegung wird dafür Unterschriften sammeln, Postkartenaktionen starten oder eine öffentlichkeitswirksame Aktion konzipieren?

Das RND berichtet über die geheime Sitzung: „Nach Angaben des Verteidigungsministeriums handelt es sich in Niger seit dem 31. Mai 2018 um eine Ausbildungsunterstützung …“ Der Vertreter des Verteidigungsministeriums hat offenbar zu Protokoll gegeben: „Eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmen im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes erfolgt nicht und wird auch nicht qualifiziert erwartet.“ Diese Behauptung des Verteidigungsministeriums ist unglaubwürdig. Denn DIE ZEIT aus Hamburg schreibt dazu Folgendes: „(…) wenn man auf die Gefahren blickt, die Niger von allen Seiten bedrohen. Ein deutscher Terrorexperte, (…) zeigt Merkel [der Bundeskanzlerin, bei ihrem kürzlichen Besuch in Niger] eine Landkarte. Darauf sind die Terrorgruppen verzeichnet, die Niger zu infiltrieren versuchen. Von Südosten rücken die Terrortruppen von Boko Haram vor. Von Westen her Milizen wie der ‚Islamische Staat in der Großsahara‘. Und auch im Norden (…) versuchen sich Terroristen breitzumachen (…).“

Nicht nur in Deutschland, auch in der Schweiz berichten Journalisten über Gefahren in den bis vor kurzem geheimen Einsatzgebieten deutscher Soldaten in Afrika. Die Schweizerische Depeschenagentur (sda) berichtet aus dem geheimen Einsatzgebiet deutscher Soldaten in Kamerun am 19. April 2019: es „griffen Kämpfer der Islamisten-Gruppe in der Nacht zum Freitag ein Dorf in der Region Tschakamari im Norden des Landes an und setzten Hütten in Brand. Die Opfer verbrannten im Schlaf. Boko Haram (deutsch: westliche Bildung verboten) kämpft seit Jahren gewaltsam für die Errichtung eines islamischen Gottesstaates im mehrheitlich muslimischen Nordosten Nigerias. Bei Angriffen der Gruppe wurden bereits mehr als 27.000 Menschen getötet, 1,8 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Inzwischen ist der Konflikt auch auf Nigerias Nachbarländer Niger, Tschad und Kamerun übergegriffen.“ Der Bonner Generalanzeiger berichtet: „Die SPD sieht viele Fragen geklärt, nachdem die Regierung im Ausschuss den Ausbildungseinsatz erläutert habe.“

Wie bitte will das Verteidigungsministerium in Berlin angesichts der geschilderten Auseinandersetzungen den Einsatz deutscher Soldaten – darunter Spezialkräfte – in Kamerun und Niger als „Ausbildungs-Einsatz“ erklären und wegdiskutieren?! Auf wikipedia.de liest man über Militärische Spezialeinheiten: „Aufgrund der engen Anbindung an die (militärischen) Nachrichtendienste führen diese Einheiten auch Sondereinsätze (Special Activities) wie gezielte Tötungen oder Entführungen von Einzelpersonen, zum Beispiel eines Diktators oder Kriegsverbrechers oder die verdeckte Aufklärung in einem feindlichen Land durch. Naturgemäß werden diese Einsätze aufgrund ihrer politischen Brisanz unter besonders strenger Geheimhaltung ausgeführt.“

Die Public-Relations-Nebelkerze „Ausbildungs-Einsatz“ der Bundesregierung sollten Friedensbewegte mit einer klaren und friedlichen, deeskalierenden Antwort begegnen. Nicht aber so wie die Frankfurter Rundschau am 03. Mai 2019 berichtet: „Die EU unterstützt die sogenannten G5-Sahel-Staaten Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad beim Aufbau einer gemeinsamen Militärtruppe zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Deutschland und Frankreich erhoffen sich davon auch mehr Sicherheit für Europa und einen Rückgang der illegalen Migration.“ Feuer kann man nicht mit Feuer löschen, das zeigen die militärischen Auseinandersetzungen und die vielen Opfer nach dem Ausrufen des „War on Terror“ nach 09/11 in Irak, Afghanistan, Syrien und Libyen. Zivile Mittel sind deshalb gefragt.

DIE ZEIT berichtet über eine „(…) Polizeimission, die sich Eucap Sahel Niger nennt und in der europäische Polizisten ihre nigrischen Kollegen ausrüsten und trainieren (…)“ Sie soll Menschenschleppern, die Flüchtlinge nach Norden und Drogen und Waffen nach Süden zurück in die Krisenregion bringen, das Handwerk legen und den Teufelskreis aus unmenschlichen Lebensbedingungen, Flucht und Terror unterbrechen. Es ginge, so DIE ZEIT weiter, um Alphabetisierung, Wasserversorgung, befestigte Straßen und wirtschaftliche Entwicklung, die Menschenschleppern und Flüchtlingen eine Perspektive in ihrer Heimat bietet – also um zivile Themen.

Tatsächlich geht es um die Bekämpfung illegalisierter Migration, wobei der EU nahezu jedes Mittel ungeachtet der Folgen recht zu sein scheint. Auch Medico International kritisiert laut Frankfurter Rundschau, dass in dem afrikanischen Staat das Recht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit zunehmend eingeschränkt wird. „Der südlich an Libyen grenzende Niger ist ein wichtiger Partner der europäischen Abschottungspolitik gegen Migration geworden. Deshalb schaut Europa bei Menschenrechtsverletzungen nicht so genau hin.“ Diese Ansätze sollten – nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von Nicht-Regierungs-Organisationen – geprüft und gegebenenfalls weiter entwickelt werden.

Quellen:

„Wirbel um Einsatz von Spezialkräften in Niger“, Bonner General-Anzeiger, 09.05.2019

„Bundeswehr in Kamerun“, Frankfurter Rundschau, 09.05.2019

„Westafrika-Reise – Merkels liebstes Land“, Zeit online, 04.05.2019

„Mahnende Worte an die Kanzlerin“, Frankfurter Rundschau, 03.05.2019

„Elf Dorfbewohner bei Angriff von Islamisten in Kamerun verbrannt“, sda – Schweizerische Depeschenagentur, 19.04.2019

„Spezialeinheit“, wikipedia.de 02.05.2019 https://de.wikipedia.org/wiki/Spezialeinheit#Milit%C3%A4rische_Spezialeinheiten