IMI-Standpunkt 2018/009 - in: Graswurzelrevolution, März 2018

Solidarität mit dem Antimilitaristen Thomas H.

Wann darf auf einer Messe gegen die Bundeswehr demonstriert werden?

von: Thomas Mickan | Veröffentlicht am: 7. März 2018

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Seit über zwei Jahren kämpft Thomas H. sich nun schon durch den Dschungel der Gerichte (vgl. GWR 411). Weil er bei einer Messe fünf Minuten sein Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gegen die massive Werbung der Bundeswehr im öffentlichen Raum wahrnahm, will ihn die Staatsanwaltschaft bestrafen. Nun liegt das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht mit einer hoffentlich guten Entscheidung, um die Bundeswehr in ihrem Nachwuchshunger in die Schranken zu weisen und das Recht auf freie Meinung und Versammlung zu stärken.

In Stuttgart, so der Vorwurf der dortigen Staatsanwaltschaft, habe der Aktivist Thomas H. bei den Protesten gegen einen Bundeswehr-Rekrutierungsstand auf der Ausbildungsmesse „Nacht der Unternehmen“ in der Liederhalle am 17. November 2015 Unrecht begangen. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Hausfriedensbruch.

Runde 1 – Beim Amtsgericht bleiben alle Fragen offen

In einem ersten, fast alle Fragen offen lassenden Verfahren wurde der Aktivist vom Amtsgericht Stuttgart am 26. Juli 2016 zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt. Die unzureichende Wahrheitsfindung (die einzige Zeugin konnte sich beispielsweise nicht mehr daran erinnern, wo Thomas H. bei nur 5-6 weiteren Aktivist_innen gestanden hatte) und eine ungenügende Würdigung des „Fraport-Urteils“, das in solchen Fällen in Betracht gezogen werden muss, führten dazu, dass Thomas H. Berufung beim Landgericht einlegte.

Runde 2 – Landgericht weist Berufung zurück

Das Landgericht wies jedoch die Berufung als offensichtlich unbegründet zurück, und stützte sich dabei auf die Begründung des Amtsgerichtes. Dabei wies es Thomas H. zusätzlich als Bundeswehrgegner aus, obwohl seine beim Amtsgericht verlesene Erklärung nicht mit in die Akten aufgenommen wurde, die einzig diesen Schluss zugelassen hätten. Ebenso wurde sich an die Auslegung des Fraport-Urteils des Amtsgerichtes angeschlossen, dass keine Grundrechtebindung der Tema-AG vorsah. Als private AG hatte diese die Messe ausgerichtet. Damit wird von vornherein ausgeschlossen, dass ein möglicher Hausfriedensbruch mit dem (auch nach dem Fraport-Urteil) höher zu wertenden Recht auf Versammlung abgewogen werden muss.

Unzureichende Würdigung des Fraport-Urteils

Die Fraport AG erteilte im Jahr 2003 einer Aktivistin ein Hausverbot, weil diese Flyer gegen Abschiebungen im Frankfurter Flughafen verteilte. Gegen das Versammlungsverbot setzte sie sich rechtlich zur Wehr, mit dem Ergebnis, dass das Verbot für unzulässig erklärt wurde. Entscheidend war, dass die Fraport AG sich mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand befand. Daraus ergab sich eine unmittelbare Grundrechtsbindung, weil der Staat sich durch eine Privatisierung und damit der „Flucht ins Privatrecht“ nicht dieser Bindung entziehen könne. Weiterhin wurde eine mittelbare Grundrechtsbindung postuliert, wenn eine private Firma im Bereich der öffentlichen „Daseinsvorsorge“ agiert, die hilft den Bürger_innen als Bildungs- und Kultureinrichtung die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz zu ermöglichen. Gerade die hier relevante Bildungsmesse in der Messestadt Stuttgart erfüllt den Sachverhalt, die Bedürfnisse und Interessen der örtlichen Gemeinschaft zu befriedigen.

Das Fraport-Urteil stärkte zudem die Rechtsfigur des „öffentlichen Forums“ in einer Zeit, in der sich das öffentliche Geschehen immer mehr von der ursprünglich gedachten Straße an „private“ Orte wie eben Flughäfen, Bahnhöfe, Shoppingcenter oder eben Messen verlagert. Relevant ist hierbei, dass die Orte allgemein zugänglich sind (das heißt etwa keine Eintrittsgelder verlangt werden) und, wie bei der Messe Stuttgart, diese als ein „Marktplatz“ beworben werden, der eben mehr sein soll, als nur eine singuläre Aufgabe zu erfüllen, indem für Austausch in einem umfassenden Bereich des öffentlichen Lebens gesorgt wird. Eine mittelbare Grundrechtsbindung für die AG, die Thomas H. angezeigt hat, muss daher gerade auch in Bezug auf das öffentliche Forum eingeräumt werden: Insbesondere, wenn der Kommunikationszweck einer möglicherweise die „Wohlfühlatmosphäre“ (wie damals das Verfassungsgericht beim Fraport-Urteil argumentierte) störenden Demonstration im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ort steht – wie es bei einem Messe-Rekrutierungsstand der Bundeswehr ohne Zweifel der Fall ist.

Runde 3 – Verfassungsbeschwerde eingelegt

Thomas H. sah seine Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit verletzt und zusammen mit weiteren Verfahrensfehlern, wie der überzogenen Höhe des Strafmaßes, führte dies dazu, dass mit Hilfe seines Anwaltes, Anfang Januar 2017 gegen die Entscheidung des Landgerichtes Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde. Zudem wurde eine Rüge des Landgerichtes eingereicht. Hier galt es zu klären, ob die Zurückweisung des Landgerichts als offensichtlich unbegründet tatsächlich so unbegründet war und wie das Fraport-Urteil ausgelegt werden kann.

Runde 4 – Rüge erfolgreich, zurück zum Landgericht

Noch bevor allerdings das Verfassungsgericht über die Klage entscheiden konnte, nahm das Landgericht die Rüge an, und bestätigte, dass im bisherigen Verfahren gravierende Formfehler dazu führen, dass die Berufung am Landgericht „nicht offensichtlich unbegründet“ sei. Insbesondere die mangelhafte Protokollierung des erstinstanzlichen Verfahrens sowie die unzureichende Belehrung über die möglichen Rechtsmittel führten dazu, dass die Rüge erfolgreich war. Auf das Fraport-Urteil wurde sich dabei nicht bezogen. Thomas H. strebte ein Verfahren gegen das Land Baden-Württemberg an, um die Aufwendungen der Verfassungsbeschwerde erstattet zu bekommen, da diese ursächlich durch Formfehler des Amts- sowie des Landgerichtes zustande kamen. Dieses Verfahren wurde jedoch zurückgewiesen. Thomas H. trägt damit die Kosten für die Verfassungsbeschwerde selbst.

Runde 5 – Landgericht: Fraport ja, aber

Anders als noch das Amtsgericht würdigte das Landgericht im Verfahren auch das Fraport-Urteil. In der mündlichen Urteilsbegründung räumte nun im Juni 2017 das Landgericht anders als noch das Amtsgericht ein, dass auch die private Firma, die die städtische Liederhalle gemietet hatte, einer Grundrechtsbindung unterliegt. Dies ist relevant, weil dann das Hausrecht der Firma mit dem Demonstrationsrecht des Angeklagten abgewogen werden muss. Die Abwägung fiel jedoch nicht zu Thomas Gunsten aus:

Die Liederhalle als Messeörtlichkeit erfülle erstens nicht die Rechtsfigur des „öffentlichen Forums“ als kommunikativer Raum. Sie sei zwar frei zugänglich gewesen, jedoch nicht im engeren Sinne mit einer kleinen Stadt (Einkaufsmöglichkeiten, Verweilen, Essstände, Gebetsplätze, usw.), in der demonstriert werden dürfe wie am Fraport, vergleichbar. Zweitens sei auch die Form des Protestes durch den Angeklagten – u.a. wurde, nicht jedoch von Thomas selbst, ein Megaphon benutzt („Tinitusgefahr“) – für den Raum als Kundgebungsform nicht angemessen gewesen. Gerade diese Abwägung der Angemessenheit, und die Frage, ob nicht eine Kundgebung auch in einer „Kleinstadt“ Liederhalle ein öffentliches Forum darstellt, führten zur Revision am Oberlandesgericht.

Runde 6 – Oberlandesgericht und die Flucht ins Private

Der Revisionsantrag der Verteidigung zielte dementsprechend auch auf die besondere Rolle der Bundeswehr im öffentlichen Raum ab, die sich als öffentliche Institution eben nicht ins Privatrecht (das heißt unter das Hausrecht der privaten Messefirma) flüchten könne, um sich unliebsamer Proteste bei der Nachwuchssuche zu entziehen. Dass die Bundeswehr ansonsten gerne einseitig zur Debatte auffordert, oder diese viel mehr inszenieren möchte, zeigt sich in ihrer aktuellen Werbekampagne. Mit Sprüchen wie „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“ fordert sie explizit zur Debatte auf – und entzieht sich gleichzeitig doch mit der Flucht ins Private der öffentlichen Kritik. Da zudem die Bundeswehr erhebliche öffentliche Mittel für überregionale Werbung aufwendet, kann es sich hier gerade nicht um ein vom privaten Hausrecht geschütztes regionales Privatunternehmen im Sinne des Veranstaltungszwecks handeln, wie die Revisionsschrift hervorhebt.

In der Revisionsschrift wird auch die mangelhafte Einordnung speziell dieser Messeveranstaltung als kommunikativer Raum hervorgehoben. Sogar in englischer Sprache spricht die Einladung einen denkbar großen Kreis von Interessierten an. Sie beschränkt sich nicht auf die Liederhalle, sondern regelmäßige Busshuttle führen zu den Arbeitsplätzen der regionalen Unternehmen. Vertreter_innen der Landespolitik sind auf Plakaten zu sehen, treten in Schirmherrschaft auf und die Messe befindet sich ohnehin in öffentlicher Hand der Stadt. Es fehlte indes auch bei einer solchen Gemengelage die Prüfung eines möglichen Verbotsirrtums, bei der der Aktivist irrig annahm, hier ein das Hausrecht brechendes stärkeres Recht zu haben.

In einem ansonsten für die Stuttgarter Staatsanwaltschaften ungewohntem Tempo (Stichwort: verschleppte Verfahren gegen Heckler & Koch) reichte die Generalstaatsanwaltschaft einen Verwerfungsantrag für die Revision ein. Die erfolgte ausführliche Gegenerklärung der Verteidigung wurde anschließend aller Voraussicht nach überhaupt nicht mehr vom OLG zur Kenntnis genommen. So verwarf das OLG die Revision, womit das Urteil des Landgerichtes Bestand hat.

Auch eine darauf folgende Anhörungsrüge der Verteidigung führte nicht zur Wiederaufnahme. In ihr wurde die Verletzung elementarer Grundrechte auf ein faires Verfahren angemahnt, da dem Angeklagten kein ausreichendes Gehör mit der Gegenerklärung eingeräumt wurde sowie keine hinreichende Begründung für die Revisionsverwerfung erfolgte, die sich auf die Revisionsschrift der Verteidigung bezog und damit womöglich gegen die Strafprozessordnung (§34) verstößt. Auch ohne eine Kenntnis der Verwerfungsgründe, die eine angemessene Entscheidung über weitere Rechtsmittel stützen könnte, hat sich Thomas H. Entschieden, seine verletzten Grundrechte auf Versammlung und Meinungsfreiheit beim Verfassungsgericht einzuklagen.

Der Staatsschutz führt Akten

Ein Seitenverweis im Verfahren beim Blick in die Prozessakten förderte zudem für den Angeklagten Erschreckendes zu Tage: die Polizei führt über ihn als bisher unbescholtenen Bürger politische Akten. Die ermittelnde Polizeibehörde hat im Laufe des Verfahrens beim Staatsschutz angefragt, der Abteilung für politische Kriminalität beim LKA. Der Staatsschutz übermittelte die Daten aus Thomas Akte bereitwillig. Aus dieser Akte gehen auch seine Zugehörigkeit zur Partei Die Linke hervor sowie weitere politische Tätigkeiten.

Weitere Solidarität erforderlich

Neben juristischen Spitzfindigkeiten bleibt weiterhin rechtlich ungeklärt, wo und wie Proteste gegen Bundeswehrstände auf Messen möglich sind und wie diesbezüglich das Fraport-Urteil berücksichtigt wird. Für Thomas H. bedeutet das Verfahren, dass dies klären soll, ein finanzielles Risiko. Hier ist auch materielle Solidarität erforderlich. Bisher konnten bereits fast 4.000 Euro für den Aktivist gesammelt werden. Das deckt jedoch nur rund zwei Drittel allein der Anwaltskosten, die bisher angefallen sind. Ich möchte euch daher bitten, über eine solidarische Spende nachzudenken, falls es eure finanziellen Möglichkeiten zulassen.

Im Falle eines Prozessgewinns von Thomas H. wird das gesammelte Geld an den Carl-von-Ossietzky Solidaritätsfonds der DFG-VK weitergegeben, der zukünftig Aktivist_innen, die für ihr Recht auf Versammlung und gegen die Rekrutierungsmaßnahmen der Bundeswehr kämpfen, im Falle einer Anklage die nötige Rechtskraft einräumen soll.

 

Für einen Freispruch von Thomas H.!

Spenden zur Prozessunterstützung dringend erbeten: Stichwort „Prozess Thomas“, Konto der DFG-VK Stuttgart, IBAN: DE32 4306 0967 4006 1617 40