IMI-Analyse 2017/03 (Update 20.3.17)

Münchner Sicherheitskonferenz

„Operation Aufrüstung“ und Transatlantische No-Go-Areas

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 20. Februar 2017

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

In diesem Jahr war sie mit besonderer Spannung erwartet worden, die alljährliche Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), schließlich stand diesmal der erste „Meinungsaustausch“ mit der neuen US-Regierung unter Donald Trump auf den Programm, die ja bislang – vorsichtig formuliert – die Ursache für einige transatlantische Irritationen war. Kein Wunder also, dass sich vom 17. bis 19. Februar 2017 auch diesmal wieder „25 Staats- und Regierungschefs“ und über „80 Außen- und Verteidigungsminister“ einfanden, wie die MSC-Webseite stolz verkündete. Und tatsächlich wird die Sicherheitskonferenz (SiKo) schon seit einigen Jahren in einer Rangliste der wichtigsten Denkfabrik-Konferenzen auf dem Spitzenplatz geführt.[1] Die Bedeutung der Konferenz rührt nicht zuletzt daher, dass sie stets eine Doppelfunktion innehatte: Auf der einen Seite werden dort Meinungsverschiedenheiten unter den globalen, vor allem aber auch transatlantischen Entscheidungsträgern erörtert und ggf. Lösungen angebahnt; andererseits dient die Tagung nicht zuletzt aber auch als Bühne, um dem breiteren Publikum die „Ergebnisse“ der Aushandlungsprozesse zu präsentieren – und damit natürlich um Zustimmung dafür zu werben.

Dieser Doppelcharakter war in diesem Jahr besonders augenfällig: Was das „transatlantische Binnenverhältnis“ anbelangt, wurden die jeweiligen Claims abgesteckt. Dabei lieferte US-Vizepräsident Mike Pence zwar ein flammendes Bekenntnis zur NATO ab, machte aber gleichzeitig auch unmissverständlich klar, dass diese Verbundenheit elementar von einer Steigerung des EUropäischen – und damit vor allem auch deutschen – Beitrags zu den Gesamtkosten für die Aufrechterhaltung der Weltordnung abhängig sei. Auf Seite der EU-Verbündeten wurden im Gegenzug die Aufwertung der Rolle im Bündnis und die Rücksichtnahme auf elementare EU-Interessen gefordert. Hierfür hatte Konferenzleiter Wolfgang Ischinger schon im Vorfeld diverse No-go-Areas für die Trumpsche Außen- und Militärpolitik benannt. Sollte Washington sich aus diesen Gebieten nicht heraushalten, würde es ruppig werden, so die Botschaft. Gleichzeitig existiere aber ein massives Interesse am Erhalt des Bündnisses, weshalb im entscheidenden Punkt Entgegenkommen signalisiert wurde; nämlich eine – nochmalige – massive Erhöhung der Rüstungsausgaben in die Wege zu leiten.

„Wir haben verstanden“, titelte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in einem Artikel kurz vor Tagungsbeginn, um den USA zu versichern, dass die Aufrüstungsbotschaft des „Trump-Pence-Ultimatums“ angekommen sei.[2] Da die Bevölkerung aber der anstehenden „Operation Aufrüstung“ (BILD[3]) reichlich skeptisch gegenübersteht, ging es bei der Konferenz vor allem auch darum, für Zustimmung zu werben, dass aufgrund der neuen US-Regierung nun militärisch am ganz großen Rad gedreht werden müsse – erfreulicherweise bislang vergeblich, wie erste Umfragen zeigen.

Kontingente Treueschwüre

Greifbar war eine gewisse Verunsicherung, wie scharf die neue US-Regierung mit den Verbündeten ins Gericht gehen würde. Insofern war auch eine gewisse Erleichterung spürbar, nachdem Vizepräsident Mike Pence als Vertreter der neuen Regierung in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz ein klares Bekenntnis zur Nato abgab. „Heute versichere ich Ihnen im Namen von Präsident Trump: Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen fest zur Nato und werden unerschütterlich unsere Verpflichtungen für unsere transatlantische Allianz erfüllen.“ Andererseits formulierte er aber eben auch die bekannte Forderung nach einem größeren finanziellen und militärischen Engagement der EU-Verbündeten: „Die Zeit ist gekommen, mehr zu tun.“[4]

Wie gesagt, die Botschaft war angekommen – Verteidigungsministerin von der Leyen formulierte stellvertretend die Antwort der EU-Verbündeten. Ja, man werde mehr Kosten und Verantwortung übernehmen, erwarte aber dafür „mehr Relevanz“ – mithin also eine deutliche Aufwertung nicht zuletzt der deutschen Rolle im Bündnis: „Wir Deutsche haben verstanden, dass wir nach einer Periode, in der wir die Vorzüge einer Friedensdividende nutzen konnten, jetzt beharrlich investieren müssen in eine Sicherheitsrücklage. Wir bekennen uns zu mehr europäischer Relevanz – und damit auch zu einer fairer balancierten Transatlantischen Sicherheitspartnerschaft.“[5] Eine „faire Balance“ beruhe aber auf Gegenseitigkeit, so von der Leyen in ihrer SiKo-Rede: „Dies schließt Alleingänge aus – weder des Vorpreschens noch des sich Wegduckens.“[6] Zufrieden kommentierte die Tagesschau den Subtext der Rede: „Der Ton könnte über die Botschaft hinwegtäuschen, die von der Leyen an diesem Freitag quasi auch im Namen ihrer europäischen Kollegen verkündet. Es ist eine Botschaft voller Selbstbewusstsein und ganz sicher kein Kniefall vor den Amerikanern.“[7]

Bereits kurz vor Konferenzbeginn zog Tagungsleiter Wolfgang Ischinger konkrete „roten Linien“, die seitens der neuen US-Regierung zum Wohle der transatlantischen Freundschaft besser nicht überschritten werden sollten: „Dazu gehört auch, diejenigen unserer Kerninteressen klar zu kommunizieren, deren Verletzung eine transatlantische Großkrise provozieren würde. Wenn es tatsächlich zur neuen US-Regierungspolitik werden sollte, der EU als Gegner den baldigen Zerfall zu wünschen und Rechtspopulisten aktiv zu unterstützen, wäre das der GAU. Genauso wichtig ist, dass ein möglicher Deal zwischen Russland und den USA nicht zu Lasten Europas geht. Hinsichtlich des Iran-Deals muss Washington wissen, dass wir nicht bereit wären, neue Sanktionen mitzutragen, falls die USA den Deal einseitig aufkündigen.“ Europa müsse gegenüber den USA „selbstbewusst auftreten“, sich dabei erst einmal „auf sich selbst konzentrieren“ und den „Weg zu einer handlungsfähigen Europäischen Verteidigungsunion“ einschlagen.[8]

„Europäisch wachsen“ – Ende der Selbstverzwergung!

Manchen Militärpolitikern scheint Donald Trump regelrecht als Geschenk des Himmels vorzukommen: Keine Forderung, militärisch-machtpolitisch endlich auf eigenen Füßen stehen und so im Konzert der Großmächte ganz vorne mitspielen zu können, kommt aktuell ohne Verweis auf den neuen US-Präsidenten daher.[9] Gerade für Deutschland müsse die „Selbstverzwergung“ ein Ende haben, wie die „Bundesakademie für Sicherheitspolitik“ (BAKS) kürzlich reichlich originell, aber politisch fatal einforderte.[10] Kurz vor Konferenzbeginn bot auch Spiegel Online dem britischen Historiker Anthony Glees eine Bühne, um sich seinem Ärger über Deutschlands angeblich (zu) friedfertige Haltung  so richtig Luft zu machen: „Deutschland muss eine muskulöse Demokratie werden. Es muss bei Weitem mehr Verantwortung für die physische Sicherheit Europas übernehmen, insbesondere in Osteuropa und im Mittelmeerraum. Bisher hat Deutschland vor allem in einer Hinsicht geführt: Bei der Missachtung von Europas Grenzen, indem es seine Türen für mehr als eine Million Flüchtlinge und Migranten geöffnet hat. […] Die pazifistische Ader der deutschen Politik ist ein Problem.“[11]

Als klare Botschaft, dieses „Problem“ adressieren zu wollen, kann wohl die diesjährige Verleihung des Ewald-von-Kleist-Preises gewertet werden. Als alljährliches Ärgernis ging die Auszeichnung für Menschen, die sich in besonderer Weise für Frieden und Konfliktbewältigung eingesetzt haben, früher bereits an so ausgewiesene Friedensengel wie Henry Kissinger oder auch John McCain. Dieses Jahr war dann Joachim Gauck an der Reihe, der an derselben Stelle drei Jahre zuvor mit seiner Rede den Startschuss für die neue militärisch unterfütterte deutsche Weltmachtpolitik gab. Dabei konnte Gauck in seiner Dankesrede der Wahl Trumps durchaus Positives abgewinnen, es gelte aber die sich nun bietende Militarisierungsgelegenheit auch zu nutzen: „Allerdings erscheint mir, dass die augenblickliche Verunsicherung auch einen positiven Effekt haben könnte – nämlich dann, wenn Europa stärker als bisher darauf setzt, den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. […] Ein Europa, das angesichts von Kriegen in seiner Nähe […] unzureichend gerüstet ist, mag ich mir gar nicht vorstellen! Als ich vor drei Jahren, es wurde bereits erwähnt, mit einer Rede die 50. Sicherheitskonferenz eröffnet habe, war es mir ein Anliegen zu fordern, dass sich Deutschland im Angesicht großer neuer Herausforderungen früher, entschiedener und substanzieller engagiert. […] Auf dem Weg von einem Konsumenten zu einem Garanten internationaler Ordnung und Sicherheit ist Deutschland also bereits ein gutes Stück vorangekommen. Doch trotz aller Fortschritte kommt Deutschland gegenwärtig bei weitem noch nicht allen Verpflichtungen nach.“[12]

Dieser Anspruch wurde auch in den verschiedenen anderen SiKo-Reden erhoben. Es sei nun erforderlich, so Innenminister Thomas de Maizière, „dass Europa eben erwachsener und verantwortlicher werden muss“.[13] Und Verteidigungsministerin von der Leyen äußerte sich: „Aus deutscher Sicht wird unser gewohnter Reflex, – nämlich wenn es wirklich eng wird, vor allem auf die Tatkraft unserer amerikanischen Freunde zu bauen und selbst eher bescheidene Beiträge zu bringen, nicht mehr genügen. Ja, wir wissen, dass wir einen größeren, einen faireren Teil der Lasten für die gemeinsame Atlantische Sicherheit tragen müssen. Wir wollen wachsen – und wir wollen europäisch wachsen.“ [14]

Für das „Wachstum“ einer Militärmacht EUropa wurden in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche wesentliche Projekte auf die Schiene gesetzt, von denen zwei von besonderer Bedeutung sind. Unter dem Namen „Ankerländer-Konzept“ (früher: Rahmennations-Konzept) firmieren derzeit Initiativen zum Aufbau multinationaler Truppenverbände, wodurch offiziell Ressourcen eingespart werden sollen. Hierbei werden Teile der Streitkräfte kleinerer Länder an die verschiedener Großmächte „angedockt“ und damit faktisch unter deren Kontrolle gestellt.[15] Weil dies den aus deutscher Sicht nutzbringenden Effekt hat, die eigene militärische Schlagkraft zu vergrößern, bezeichnete von der Leyen das „von Deutschland initiierte Rahmennationenkonzept“ kurz vor Konferenzbeginn als ein „kluges Instrument dafür […], dass wir in Europa Fähigkeitslücken haben, die kaum mehr eine europäische Mittelmacht allein füllen kann.“ Deutschland gehe „in vielen Bereichen als große Nation in die Vorhand und ermöglicht anderen Nationen, mitzumachen.“[16] Der zweite zentrale Bereich, in dem die „Militärmacht EUropa“ dabei ist, große „Fortschritte“ zu erzielen, stellt die Rüstungsfinanzierung auf EU-Ebene dar. Lange wurde dies völlig zu Recht als Verstoß gegen Artikel 41(2) des EU-Vertrages gewertet, der es verbietet, „Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ aus dem EU-Budget zu finanzieren. Mit dem „Verteidigungs-Aktionsplan“ legte die EU-Kommission aber nun Ende 2016 einen konkreten Vorschlag zur Aufstellung eines Quasi-EU-Haushalts zur Beschaffung von Rüstungsgütern im Umfang von 5 Mrd. Euro  jährlich vor, der durch einen jährlichen EU-Rüstungsforschungshaushalt in Höhe von 500 Mio. Euro ergänzt werden soll.[17]

Die entscheidende Frage bei diesen (supra-)nationalen EU-Rüstungsinitiativen ist, inwieweit sie als Ergänzung oder als Konkurrenz zu den USA gedacht sind. Hier machte Anfang Februar 2017 Jaroslaw Kaczynski, der Chef von Polens Regierungspartei, mit einem Interview in der FAZ von sich Reden, in dem er sagte: „Eine Atom-Supermacht Europa würde ich begrüßen.“[18] Obwohl schon zuvor der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Roderich Kiesewetter, betonte, es dürfe bei diesem Thema „keine Denkverbote geben“[19] und auch bei Zeit Online eine „ernsthafte“ Debatte  über eine EU-Nuklearbewaffnung eingefordert wurde[20], stieß der Vorschlag doch mehrheitlich auf Ablehnung. Von den USA wurde umgehend signalisiert, das Vorhaben für eine Schnapsidee zu halten – mutmaßlich, weil Milliardenbeträge in diesen Bereich zu pumpen nur mit ernsthaften Abnabelungsabsichten erklärt werden können.[21]

Mit genau diesem Argument, das hierdurch einem solchen Prozess der „Gegenmachtbildung“ zu den USA vorschnell und unbedacht Vorschub geleistet würde, mischte sich auch Wolfgang Ischinger kurz vor Tagungsbeginn in die Debatte ein. Stattdessen sei es im ureigensten Interesse, den USA trotz der Wahl Trumps die Stange zu halten. Ein enges Bündnis mit den USA sei weitgehend alternativlos und dürfe deshalb nur unter den alleräußersten Umständen ernsthaft in Frage gestellt oder gar aufgekündigt werden. Begründet wurde dies von Ischinger folgendermaßen: „Erstens würden wir die vielen Millionen Amerikaner ignorieren, die eben nicht Donald Trump gewählt haben. […]  Zweitens ist es nicht so, dass überall auf der Welt Partner Schlange stünden, die mit Europa die liberale Weltordnung verteidigen wollten. Die EU mag sich mit China einig sein, dass eine neue Ära des Protektionismus schädlich wäre. Aber die darüber hinausgehenden Gemeinsamkeiten sind überschaubar. Langfristig wird die liberale Weltordnung nur Bestand haben, wenn sie von beiden Pfeilern der transatlantischen Partnerschaft gestützt wird. Drittens übersehen jene, die jetzt zu einer europäischen Gegenmachtbildung zu den USA aufrufen, dass diese Option in Wahrheit gar nicht besteht. Die Europäer können kurz- und mittelfristig nicht auf die US-amerikanische Sicherheitsgarantie verzichten.“[22]

Da Ischinger und andere der transatlantischen Partnerschaft also weiterhin eine zentrale Bedeutung zuschreiben, sind sie auch bereit, (den Steuerzahler) immense Summen in ihre Pflege investieren zu lassen.

Geldregen: Prioritäten setzen!

Wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in seiner Münchner-SiKo-Rede stolz verkündete, sei die Trendwende gelungen: Um 10 Mrd. Dollar oder knapp 4% seien die Rüstungsausgaben der Allianz 2016 gestiegen.[23] Dies ist nicht zuletzt Deutschland geschuldet, wo dem leider relativ erfolgreich vermittelten Eindruck, die Bundeswehr habe einen historischen Finanzierungskahlschlag hinnehmen müssen, nicht vehement genug widersprochen werden kann. Im Jahr 2000 belief sich der Rüstungshaushalt noch auf (umgerechnet) etwa 24 Mrd. Euro. 2006 waren es dann 27,8 Mrd. Euro, um dann bis 2010 auf 31,1 Mrd. weiter anzuwachsen. Gemäß dem Sparbeschluss der Bundesregierung vom Juli 2010 hätte der Haushalt dann bis 2014 wieder auf 27,6 Mrd. Euro abgesenkt werden müssen. Doch der Beschluss wurde schnell wieder kassiert: 2014 waren es 32,5 Mrd. Euro, die in den Militärhaushalt gepumpt wurden. Doch das war nichts, gegen die saftigen Erhöhungen der folgenden beiden Jahre: „Deutschland hat seine Rüstungsausgaben im Jahre 2016 um mehr als zehn Prozent erhöht. […] Der Wehretat insgesamt vergrößerte sich demnach um 1,1 Milliarden Euro auf 35,1 Milliarden Euro. In diesem Jahr sollen die Ausgaben für die Bundeswehr sogar noch einmal erhöht werden: Der Haushalt 2017 sieht Investitionen von 37 Milliarden Euro in die Armee vor, knapp zwei Milliarden mehr als im vergangenen Jahr.“[24]

Allerdings ist damit wohl noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht – zumindest nicht, wenn die Ankündigungen auf der Münchner Sicherheitskonferenz tatsächlich umgesetzt werden. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass es zwar den Tatsachen entspricht, dass sich die NATO-Staaten beim Gipfeltreffen in Wales im September 2014 darauf verständigt hatten, allesamt bis spätestens 2024 mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für ihr Militärbudget zu verausgaben. Strittig war (und ist eigentlich) aber, inwiefern es sich hier um eine Art Absichtserklärung oder um eine bindende Verpflichtung handelt. Die neue US-Regierung unter Donald Trump pocht nun darauf, es handele sich hier um eine Zusage, die einzuhalten sei, andernfalls würden als Konsequenz auch die USA ihr Engagement zurückfahren. Um sich die Dimension dieser Zahl zu vergegenwärtigen: Heute umgesetzt würde dies für die gesamte NATO eine Erhöhung der Militärhaushalte um ca. 100 Mrd. Dollar erfordern. Für Deutschland stellen sich die Zahlen als besonders krass dar: „Bei einem angenommenen Wirtschaftswachstum von zwei Prozent pro Jahr müsste Deutschland im Jahr 2024 mehr als 75 Milliarden Euro für Verteidigung ausgeben, um das Ziel zu erreichen. Dies würde einer jährlichen Steigerung der Ausgaben um fast zehn Prozent entsprechen.“[25]

Da es sich augenscheinlich um immense Summen handelt, wurde die „Operation Aufrüstung“ propagandistisch schon kurz vor Beginn der Sicherheitskonferenz auf den Weg gebracht, als in den Massenmedien nahezu jeder abgedruckt wurde, wenn er nur laut genug nach einer Erhöhung des Rüstungsetats rief.[26] Auf der Sicherheitskonferenz selber legte Verteidigungsministerin von der Leyen ein klares Bekenntnis zu einer verpflichtenden Einhaltung der Wales-Vorgabe ab: „Das NATO-Ziel, 2% des BIP für Verteidigungszwecke auszugeben, verlangt langen Atem. Von uns – wie von vielen anderen Verbündeten auch. Wir alle haben uns 2014 in Wales verpflichtet, innerhalb von 10 Jahren die 2% zu erreichen. Dazu stehen wir und wir haben mit der Umsetzung bereits begonnen.“[27]

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte auf der Konferenz: „Ich möchte hier keinen Bogen um dieses Thema machen. Deutschland hat sich wie alle anderen Staaten auf der NATO-Konferenz in Wales verpflichtet – das war 2014 –, binnen zehn Jahren das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Ich darf hier genauso wie die Verteidigungsministerin sagen: Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, wir fühlen uns diesem Ziel verpflichtet.“[28] Weil eine Erhöhung um über 35 Mrd. Euro womöglich doch eine zu große Menge Holz sein könnte, mahnte Merkel allerdings auch an, sich nicht in eine allzu „kleinliche Diskussion“ um die Höhe der Militärausgaben zu verstricken. Was sich zunächst womöglich wie eine deutliche Relativierung der US-Forderungen anhören könnte, entpuppte sich dann jedoch schnell als ein Plädoyer, jährlich bis an die üppig angesetzte Schmerzgrenze zu gehen: „Merkel schränkte allerdings ein, Deutschland könne seinen Verteidigungsetat nicht um mehr als acht Prozent im Jahr steigern. ‚Mehr können sie faktisch nicht machen‘, sagte die Kanzlerin. Das heißt, dass das Nato-Ziel vermutlich nicht erreicht wird.“[29]

Hochgerechnet würden die 2%-BIP bei einer regelmäßigen Etatsteigerung um 8% zwar tatsächlich wohl verfehlt werden – sie würde aber dennoch einen Aufwuchs des Rüstungshaushaltes von gegenwärtig 37 Mrd. auf 63,4 Mrd. Euro im Jahr 2024 bedeuten![30]

Geht es jedenfalls nach Finanzminister Wolfgang Schäuble, so ist mehr als genug Geld und Bereitschaft vorhanden, den Militäretat aufzupäppeln – alles nur eine Frage der Prioritäten. Im Bericht aus Berlin gab er an: „Wir haben es in den letzten Jahren auch geschafft. Schauen Sie, wir haben in den letzten zwei Jahren jährlich etwa bis zu 20 Milliarden Euro für Integration, für Fluchtursachen-Bekämpfung, für Migrationssteuerung gemacht. […] Kontinuierlich den Verteidigungshaushalt erhöhen – geht. Man kann sich nicht alles leisten, aber wenn man die Prioritäten richtig setzt, ist es möglich. Den Spielraum dazu haben wir.“[31]

Danke, Trump!

Der Verweis auf den neuen US-Präsident Donald Trump dient derzeit als eine Art Totschlagargument, weshalb eine Aufrüstungsoffensive unabdingbar sei. Manche scheinen deshalb der neuen Konstellation durchaus etwas abgewinnen zu können, wenn etwa die Welt titelt „Trump zwingt Europäer zu überfälliger Nachrüstung“: „Es ist die Aufgabe dieser und der nächsten Bundesregierung, die Ausgaben nicht nur zu erhöhen, sondern auch dafür zu sorgen, dass das Geld effizient investiert werden kann. Im Fall der Bundeswehr geht es nach einem Vierteljahrhundert der systematischen Demilitarisierung übrigens nicht um ein Auf-, sondern um ein Nachrüsten. Die deutschen Streitkräfte sind in einem beklagenswerten Zustand, materiell wie personell. So gesehen kann die Bundeswehr Trump dankbar sein: Der Präsident hält den Druck im Kessel hoch.“[32]

Zwar stimmt an dem Bild von der chronisch unterfinanzierten Bundeswehr kein Strich, massive Investitionen allerdings unter Verweis auf Donald Trump zu fordern, hat gerade Konjunktur. Umso erfreulicher ist es, dass der Großteil der Bevölkerung der Aufrüstungsrhetorik bislang noch nicht auf den Leim geht. So berichtete die Welt einige Zeit vor Beginn der Sicherheitskonferenz: „Nur 32 Prozent der Befragten sprachen sich in einer Reuters vorliegenden Umfrage für die Zeitschrift ‚Internationale Politik‘ dafür aus, der Bundeswehr mehr Geld zu geben.“[33] Interessanterweise fiel eine noch aktuellere Umfrage nach der Sicherheitskonferenz noch deutlicher aus: „In einer repräsentativen N24-Emnid-Umfrage sprechen sich nur 25 Prozent der Befragten dafür aus, den deutschen Rüstungsetat auf Wunsch der USA zu erhöhen. 20 Prozent der Deutschen befürworten ein stärkeres militärisches Engagement der Bundeswehr. Die Mehrheit der Befragten will mit 60 Prozent weder höhere Rüstungsausgaben noch ein stärkeres militärisches Engagement Deutschlands.“[34]

Dies ist eine gute Grundlage für die anstehenden Debatten. Es steht zu hoffen, dass es gelang, mit den Protesten gegen die Sicherheitskonferenz, an denen erneut Tausende teilnahmen, noch mehr Menschen von dem Un- und Wahnsinn zu überzeugen, der die „Operation Aufrüstung“ antreibt.

Anmerkungen

[1] McGann, James, G.: 2016 Global Go To Think Tank Index Report, University of Pennsylvania, 26.1.2017, S. 117.
[2] Von der Leyen antwortet den USA: Wir haben verstanden, Süddeutsche Zeitung, 15.2.2017.
[3] Operation Aufrüstung, Bild.de, 16.2.2017.
[4] Rede von Mike Pence bei der 53.Münchner Sicherheitskonferenz, Februar 2017.
[5] Rede von Ursula von der Leyen bei der 53.Münchner Sicherheitskonferenz,  Februar 2017.
[6] Ebd.
[7] Kein Kniefall vor Amerika, Tagesschau.de, 17.2.2017.
[8] Ischinger, Wolfgang: Einbinden, Einfluss nehmen, Süddeutsche Zeitung, 15.2.2017.
[9] So äußerte sich etwa die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps: „In den kommenden Monaten und Jahren – man kann sogar sagen: in diesen Stunden – wird es eine zunehmende Nachfrage nach Europa geben von unseren Nachbarn und unseren Partnern in der Welt. Die Forderung nach einem von Prinzipien geleiteten globalen ‚Sicherheits-Dienstleister‘ wird wachsen. Die Forderung nach einer Supermacht, die an mehrseitige Bündnisse und Zusammenarbeit glaubt.“ Küster, Kai: Mehr Sicherheit mit einer europäischen Armee?, Deutschlandfunk, 14.11.2016.
[10] Keller, Pattrick: Der Westen als Wagenburg? BAKS Arbeitspapier Sicherheitspolitik, Nr. 2/2017: „Das bedeutet, dass ‚Selbstverzwergung‘ und Kleinmut nur noch tiefer in die Krise führen. Es gilt, kraftvoll, selbstbewusst und pragmatisch für die offene Gesellschaft einzustehen. Innenpolitisch sowieso, aber auch außenpolitisch: mit Partnern weltweit, in allen Politikfeldern, vom bilateralen Handel bis zur Geheimdienstkooperation. Deutschland und seine Verbündeten sind auf eine stabile, rechtebasierte und liberale internationale Ordnung angewiesen. Die entsteht und überdauert aber nie von selbst; sie muss geschaffen und beschützt werden.“
[11] „Die pazifistische Ader der deutschen Politik ist ein Problem“, Spiegel Online, 19.2.2017.
[12] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2017/02/170218-Ewald-von-Kleist-Preis.html
[13] Rede von Thomas de Maiziere bei der 53.Münchner Sicherheitskonferenz, Februar 2017.
[14] Rede von Ursula von der Leyen bei der 53.Münchner Sicherheitskonferenz,  Februar 2017.
[15] Betrachtet man die Ausführungen der Regierungsberater von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ zu dem von Deutschland erfundenen „Rahmennations-Konzept“, wird ersichtlich, dass die Unterordnung fremder Streitkräfte tatsächlich ein Ziel der Übung ist: „Die Großen müssen das Funktionieren des Rahmens politisch, militärisch und finanziell langfristig in Aussicht stellen können. Im Gegenzug werden sie politische Führung beanspruchen. […] Die Umsetzung des Konzepts liefe darauf hinaus, dass sich die europäischen Staaten militärisch um die wenigen großen Länder organisieren, die bis auf Weiteres ein breites Fähigkeitsspektrum vorhalten werden, also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, vielleicht auch Italien und die Türkei.“ Auffällig abwesend in dieser Aufzählung ist etwa ein Land wie Polen, das über beachtliche militärische Fähigkeiten verfügt, dennoch werde Warschau dem SWP-Papier zufolge mit dem Rahmennationskonzept „faktisch abhängig von der Sicherheitspolitik Berlins.“ Major, Claudia/Mölling, Christian: Das Rahmennationen-Konzept. Deutschlands Beitrag, damit Europa verteidigungsfähig bleibt, SWP-Aktuell, November 2014.
[16] Von der Leyen antwortet den USA: Wir haben verstanden, Süddeutsche Zeitung, 15.2.2017.  Auf dem NATO-Verteidigungsministertreffen in der Woche vor der Sicherheitskonferenz wurden vor diesem Hintergrund eine Reihe weiterer „Ankerprojekte“ angekündigt: „eine deutsch-französische Lufttransport-Einheit, die ab dem Jahr 2021 entstehen soll, eine multinationale Flotte von Tankflugzeugen, an der Deutschland, die Niederlande, Luxemburg, Belgien und Norwegen beteiligt sein sollen, eine strukturierte Zusammenarbeit der Bundeswehr mit den Streitkräften von Tschechien und Rumänien mit gemeinsamer Ausbildung und ersten Übungen bereits in diesem Jahr, die Entwicklung und Beschaffung von U-Booten und Seezielflugkörpern gemeinsam mit Norwegen, die für eine Beteiligung weiterer Länder offen ist.“ Europa rüstet auf für Trump, Spiegel Online, 15.2.2017.
[17] Wagner, Jürgen: EUropas „Brexit-Dividende“. Militarisierungs-Aktionsplan und Rüstungshaushalt, IMI-Analyse 2017/02.
[18] „Eine Atom-Supermacht Europa würde ich begrüßen“, FAZ, 6.2.2017.
[19] Pletsch, Marius: FAZ: Atommacht Deutschland? IMI-Standpunkt 2016/039.
[20] Braucht die EU die Bombe?, Zeit Online, 16.2.2017.
[21] Nato gegen Atom-Supermacht Europa, FAZ, 12.2.2017.
[22] Ischinger, Wolfgang: Einbinden, Einfluss nehmen, Süddeutsche Zeitung, 15.2.2017.
[23] Rede von Jens Stoltenberg bei der 53.Münchner Sicherheitskonferenz,  Februar 2017.
[24] Deutschland steigert Rüstungsausgaben um mehr als zehn Prozent, Spiegel Online, 18.1.2017.
[25] Erreicht Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato? Stern.de, 18.2.2017.
[26] Siehe zB BDI-Präsident Kempf fordert Stärkung der Bundeswehr, Handelsblatt, 16.2.2017.
[27] Rede von Ursula von der Leyen bei der 53.Münchner Sicherheitskonferenz,  Februar 2017.
[28] Rede von Angela Merkel bei der 53.Münchner Sicherheitskonferenz,  Februar 2017.
[29] Merkel warnt vor „kleinlicher Diskussion“ um Militärausgaben, Spiegel Online, 18.2.2017.
[30] Demgegenüber klingen die Worte von Außenminister Sigmar Gabriel fast noch moderat, sprach er sich in seiner Münchner SiKo-Rede doch dafür aus, den Rüstungsball – ein bisschen – flacher zu halten: „Wir Europäer müssen schnell lernen zu verstehen, dass wir nur Teil einer Welt sind, in der Machtpolitik, notfalls auch durchgesetzt mit kriegerischen Mitteln, leider nach wie vor zu den Instrumenten der Politik gehört oder sogar noch stärker als früher wieder zurückgekehrt ist. Und dass wir dieser in Teilen unfriedlichen und gewaltbereiten Welt nicht durch den Versuch des Einigelns entgehen werden. […] Nach 70 Jahren Führung durch die USA ist es nicht unbillig, dass Washington seine Rolle in der Welt und gegenüber Europa neu definiert. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, jetzt kein Vakuum entstehen zu lassen, sondern ein starkes und verantwortungsbereites Europa zu entwickeln. […] Ich verstehe und akzeptiere, dass Amerika von Europa erwartet, einen größeren Anteil an der Verantwortung für die Sicherheit der Welt zu übernehmen. […] Auch mir ist klar, dass wir eine Verpflichtung eingegangen sind. […] Bei allem Respekt vor dem Zwei-Prozent-Ziel: eines der Länder in Europa, die das erreicht haben, ist Griechenland. […] Also, Maß und Mitte halten. Die Zielrichtung beibehalten, aber nicht in sozusagen Glückseligkeit über eine neue Aufrüstungsspirale zu verfallen, weil am Ende damit alleine jedenfalls Sicherheit nicht gewährleistet werden kann.“ (Rede von Sigmar Gabriel bei der 53.Münchner Sicherheitskonferenz,  Februar 2017) Genau besehen übernimmt damit aber auch Gabriel die Verantwortungsrhetorik und steht hinter der Zusage, mehr in die Rüstung zu investieren. Nur was die Höhe anbelangt, scheint er nicht ganz so weit wie andere gehen zu wollen, auch wenn er sich über eine konkrete Zahl ausschweigt.
[31] Schäuble zu höherem Verteidigungsetat: „Den Spielraum dazu haben wir“; Augengeradeaus, 20.2.2017.
[32] Trump zwingt Europäer zu überfälliger Nachrüstung, Die Welt, 19.2.2017.
[33] Umfrage – Nur ein Drittel der Deutschen für höhere Militärausgaben, Reuters, 15.12.2016.
[34] N24-Emnid-Umfrage zu NATO und Siko, Presseportal, 16.2.2017.