IMI-Analyse 2016/18

Widerstand gegen NATO-Strukturen in Deutschland

Das Beispiel EUCOM in Stuttgart

von: Thomas Mickan | Veröffentlicht am: 20. Juni 2016

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Das EUCOM ist zentral für die Kriege der NATO. Von der Stuttgarter Bevölkerung weitgehend unbeachtet, ist es seit 1967 im Ortsteil Vaihingen in den Patch Barracks beheimatet. Doch nicht nur das Europakommando der US-Streitkräfte befindet sich hier, sondern auch der militärische Oberbefehlshabende aller NATO-Operationen, der sogenannte Supreme Allied Commander Europe (SACEUR). Seit 2004 besteht dafür eine Personalunion mit dem Oberbefehlshabenden des EUCOM; das Wort „Europa“ ist lediglich aus alter Tradition erhalten geblieben. Der SACEUR ist zudem immer ein US-General, der bisherige NATO-Generalsekretär ist hingegen immer von den europäischen NATO-Mitgliedern gestellt.

Mit der Ukrainekrise und den wachsenden Spannungen mit Russland rückt das EUCOM wieder verstärkt in den Mittelpunkt, nicht zuletzt deshalb, weil hier die kommenden Kriege und die Kriegsbedrohung geplant und vorbereitet werden. Mit dem Wechsel des Oberbefehlshabenden von Philip M. Breedlove zu Curtis M. Scaparrotti Anfang Mai 2016 haben sich die Spannungen mit Russland weiter verschärft. Zu dessen Amtsantritt machte der neue SACEUR seine Auffassung deutlich und drohte: „Wir stehen vor einem wiedererstarkenden Russland, dessen aggressives Verhalten die internationalen Normen in Frage stellt. […] Wenn Abschreckung scheitert, muss man auch bereit sein zu kämpfen.“[1] Laut US-Medien sei mit dem Kommandowechsel auch endgültig der Wandel vollzogen von einer Koordinationsstelle für die NATO hin zu einer Stelle, die tatsächlich den Krieg vorbereitet.[2]

Militärregion Stuttgart

Die Bundeswehr und die US-Army unterhalten auch im Rahmen der NATO und für NATO-Einsätze in der Militärregion Stuttgart militärische Strukturen. Neben einem großen Karrierecenter mit Assessment-Center auch für höhere Dienstgrade befinden sich für die Bundeswehr in Stuttgart zudem noch das Landeskommando Baden-Württemberg, Teile des Militärischen Abschirmdienstes (MAD-Gruppe V, MAD Stelle 51) und weitere kleinere Dienstleistungszentren der Bundeswehr wie das Kompetenzzentrum Baumanagement. Auch die Landesgeschäftsstelle des Verbands der Reservisten Baden-Württemberg oder die Heimatschutzbrigade 65[3] haben sich größtenteils in der Theodor-Heuss Kaserne oder an der Heilbronner Straße 186 eingerichtet.

Für die US-Army zeichnet sich ein weitaus komplexeres Bild. Vier Kasernen bilden dessen Kern: die Patch-Barracks in Stuttgart-Vaihingen, die Kelley-Barracks in Stuttgart-Möhringen, die Robinson-Barracks als reine Wohnkaserne mit Schule in Stuttgart-Bad-Cannstatt sowie die Panzerkaserne in Böblingen. Zudem ist ein Teil des Flughafens Stuttgart – das US-Army Airfield in Leinfelden-Echterdingen – militärisch genutzt, sowie kleinere Außenstellen wie das Lagerhaus „6th ASG CFMO Warehouse“ in Stuttgart Weilimdorf, das allerdings bis 2018 verlegt werden soll.[4] Die Kelley-Barracks sind mit dem US-Afrika-Kommando AFRICOM und dem von ihm ausgehenden Drohnenkrieg schon weit über Stuttgart hinaus bekannt.[5] Auf dem Gelände der Patch-Barracks liegt zudem das Europabüro der US-Geheimdienste NSA und des Central Security Service (CSS).

Weit weniger bekannt sind die weiteren Einheiten, die in der Militärregion Stuttgart stationiert sind. In den Patch-Barracks befindet sich das Special Operations Command Europe (SOCEUR). Das Kommando ist dem EUCOM direkt unterstellt und koordiniert sämtliche Spezialkräfte für Einsätze in Europe beispielsweise auch während der Jugoslawienkriege oder bei großen Übungen in Osteuropa. Direkt ihm unterstellte Einheiten befinden sich mit dem luftlandefähigen Sondereinsatzkommando (1st Bataillon der 10th Special Forces Group) sowie mit dem Marinekommando für Spezielle Kriegsführung (Navy Special Warfare Unit 2 der Naval Special Warfare Group 2) auch in der Region Stuttgart in der Panzerkaserne in Böblingen. Eine wichtige Aufgabe dieser Einheiten war und ist gemeinsame Übungen in Osteuropa mit den Spezialkräften dieser Länder durchzuführen. Darüber hinausgehende Aktivitäten sind, in der Natur dieser Einheiten liegend, kaum bekannt.

Eine weitere Einheit in der Böblinger Panzerkaserne ist die 554th Military Police Company. Sie ist Teil des 709th Military Police Battalion (Grafenwöhr), welches wiederum Teil der 18 Military Police Brigade (Sembach) ist und damit der 21st Theater Sustainment Command (Kaiserslautern) untersteht. Als Spitznamen trägt die Einheit den Namen „War Dawgs“ – umgangssprachlich für Kriegshunde. Diese Einheit war auch für die Ausbildung von Polizei und für Razzien in Irak und Afghanistan verantwortlich. Zudem wird sie eingesetzt, um in großen Militärübungen in Osteuropa die dortigen Streitkräfte und Militärpolizei auszubilden. Schließlich sind als weitere größere Einheit die Marine Forces Europe and Africa als Teil des Marine Corps der US-Army in der Panzerkaserne zu finden. Diese Einheit der Marines nahm sowohl an Kampfhandlungen im Kosovo teil, als auch an den Operationen Enduring Freedom sowie Iraqi Freedom. Sowohl die 55th Military Police Company als auch die Marine Forces Europe and Africa nehmen an den aktuellen Übungen entlang der östlichen Ränder der NATO teil.

Traditionslinien des Widerstandes

Für die Friedensbewegung war jedoch vor allem das EUCOM bereits seit mindestens dem Jahr 1983 mit der Menschenkette Stuttgart-Neu-Ulm als Kristallisationspunkt von Bedeutung.[6] Rund 400.000 Menschen schlossen sich in Reaktion auf eine geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen u.a. in den Wiley Barracks in Neu-Ulm der 108 km langen Kette an. Von 1988-1996 folgte mit der EUCOMmunity I-VI eine weitere Aktionsphase, bei der es zu gewaltfreien Entzäunungsaktionen des EUCOMs kam. Dabei richtete sich der Protest insbesondere gegen die noch in Deutschland stationierten US-Atombomben, die vom EUCOM aus koordiniert werden. Mit Pflugscharen und Bolzenschneidern rückten die Aktivist_innen dabei den Zäunen der Militärbasis an den Kragen und versuchten, auch über die anschließenden Gerichtsprozesse, mediale Öffentlichkeit zu erzeugen.[7] Einen letzten historischen Widerstandshöhepunkt erlebte das EUCOM im Jahr 2003, als es als wichtige Logistikschnittstelle für den Irakkrieg identifiziert wurde. Rund 6.000 Menschen konnten am 29. April 2003 das EUCOM so vollständig „umzingeln“. Weitere Aktionen wie ein schwäbisches „Ständerling“ und eine „Hocketse“ folgten, bei der immer wieder das EUCOM blockiert wurde.[8] Es kann auch abseits der drei beschriebenen Höhepunkte auf eine über 30-jährige lebendige Widerstandstradition zurückgeblickt werden, die angesichts der neuen Spannungen mit Russland und dem Drohnenkrieg der USA auf weitere Höhepunkte zusteuert.

Von Stuttgart muss Frieden ausgehen

Seit den Enthüllungen um den Drohnenkrieg 2013,[9] der vom nur einen Kilometer zum EUCOM entfernten AFRICOM aus mit koordiniert wird, hat der Widerstand gegen die militärischen Strukturen in Stuttgart wieder eine neue Qualität und Aufmerksamkeit erhalten. So konnte in den letzten drei Jahren verstärkt die Rolle von AFRICOM und EUCOM immer wieder hervorgehoben werden und insbesondere die Rolle vom AFRICOM im Drohnenkrieg sowie die Kooperation mit deutschen Behörden oder der Bundeswehr. Im Sommer 2016 wird der bisherige AFRICOM Kommandeur David M. Rodriguez durch Thomas D. Waldhauser ersetzt. Rodriguez ließ sich in der US-Militärzeitschrift Stars and Stripes dazu hinreißen, über seine Frustration zu sprechen, dass das AFRICOM immer stärker öffentlich als „hard-charging hunter-killer force“ wahrgenommen werde.[10] Wenn hier durch Proteste ein Nachdenken bei Militärs angestoßen wird, darf das gerne auch als ein Erfolg von Protesten aufgefasst werden.

Eine dieser Proteste war 2015 eine erneute Menschenkette innerhalb Stuttgarts während des evangelischen Kirchentages, an dem sich über 2.500 Menschen beteiligten. Bis in die Tagesschau hinein schafften es die Bilder, die zeigten, dass Friedensbewegung aktiv und dynamisch sein kann.[11] Für das Jahr 2016 hat sich aus diesen positiven Erfahrungen heraus ein Kreis von Aktiven gefunden, um das Veranstaltungsjahr „Krieg und Fluchtursachen beginnen hier – von Stuttgart muss Frieden ausgehen!“ zu initiieren und zu gestalten. Über ein Dutzend Veranstaltungen konnten so bereits in der ersten Jahreshälfte realisiert werden. Dazu zählen antimilitaristische Stadtrundgänge, ein internationales Künstler_innenfest vor den Kasernentoren, Vorträge und im August 2016 eine große Konzertblockade der offenen Musik- und Aktionsgruppe Lebenslaute.

Das besondere Augenmerk des Aktionsbündnisses ist es, die Kooperation zwischen dem Militär, zivilen Stellen und der Stadt sichtbar zu machen und anzugreifen. Fern von nationalen Ressentiments sollen die komplexen Zusammenhänge von Drohnen, der NATO oder etwa dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr verstehbar und erfahrbar werden. Kurzum, sollen militärische Landschaften aus ihrer Funktion wie die des SACEURs heraus thematisiert werden, um zu zeigen, wie diese auf die Stadt und ihre Menschen wirken. Der NATO-Bezug ist dabei einer aus einer Vielzahl von Bezügen, die es ermöglichen sollen, Spektren übergreifend die destruktive Rolle des Militärs herauszustellen. In Stuttgart kann so die große Bandbreite des modernen Krieges von Drohnen, über das angespannte NATO-Russland-Verhältnis bis hin zu den Geheimdiensten oder den militärischen Ausbildungsmissionen und den Rüstungsexporten angegriffen und in ihrer alltäglichen Bedeutung für die Menschen gezeigt werden.

Anknüpfend an die lange Widerstandstradition, haben sich so in den letzten fünf Jahren ein knappes Duzend Friedensgruppen in Stuttgart neu gegründet! Auch die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Kirchen, Umweltgruppen und weiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen wird beständig intensiviert. Die zentrale Bedeutung, die das EUCOM für die NATO-Kriege und das AFRICOM für Drohneneinsätze einnehmen, ermöglicht es, kontinuierlich Strukturen aufzubauen und Menschen zu gewinnen, die sich neu oder nach längerer Abstinenz wieder aktiv für den Frieden einsetzen.

Auch an anderer Stelle regt sich vermehrt Widerstand gegen Kriegsstrukturen der NATO: in Kalkar/Ueden, Ramstein und Spangdahlem oder Münster. In Geilenkirchen ist der Widerstand gegen die NATO erst langsam wieder am Aufkeimen, obwohl Ende 2015 der dortige Stützpunkt der AWACS-Überwachungsflugzeuge deutlich aufgewertet wurde. Seit 1982 sind diese unter dem damaligen Protest von über 2.000 Menschen dort stationiert wurden. Ende 2015 verlegte die NATO das „NATO Airborne Early Warning & Control Force Command” (NAEW&C Force Command), welches die AWACS kommandiert, vom belgischen Mons ebenfalls nach Geilenkirchen. Wöchentlich fliegt die NATO mit den AWACS Mitte 2016 rund 90 Flugstunden, davon gehen 85 Prozent auf Einsätze an der russischen Grenze – wiederum unter dem Oberbefehl des SACEURs im EUCOM.[12]

 

Anmerkungen

[1] Vandiver, John (Stars and Stripes, 3.5.2016): Scaparrotti succeeds Breedlove as EUCOM commander.

[2] Shinkman, Paul D. (USNews, 2.5.2016): U.S., NATO Look to Combat an Aggressive Russia.

[3] Kirsch, Martin (2013): Der neue Heimatschutz der Bundeswehr. In: AUSDRUCK 3/2013, S. 1-9.

[4] Mickan (2015): AFRICOM und EUCOM in Stuttgart.

[5] Vgl. Fuchs, Christian/Goetz, John (2013): Geheimer Krieg. Rowohlt, insbesondere S. 27f. Auch in Zusammenarbeit mit dem in den Patch stationierten 52D Signal Battalion sowie dem Defense Information Systems Agency (DISA/ bzw. DITCO) und der 66th Military Intelligence Brigade.

[6] Hermann G. Abmayr im Gespräch mit Wolfgang Sternstein (KONTEXT Wochenzeitung, 16.10.2013): 30 Jahre Hand in Hand.

[7] Die EUCOMmunity. Initiative für eine atomwaffenfreie Welt. Eine Dokumentation, 1997.

[8] Sternstein, Wolfgang (FriedensForum 2003-1): Don`t Attack Iraq.

[9] Fuchs, Christian/Goetz, John (2013): Geheimer Krieg. Rowohlt.

[10] Vendiver, John (Stars and Stripes, 23.5.2016): AFRICOM must adapt to new challenges, outgoing commander says.

[11] Mickan, Thomas (IMI, 13.4.2015): AFRICOM und EUCOM in Stuttgart. Zusammenarbeit und Widerstand.

[12] Stüßer, Udo (Aachener Zeitung, 27.10.2015): Geilenkirchen ist jetzt Nato-Hauptquartier.