IMI-Standpunkt 2015/039

Kosovo: Neoliberales Assoziationsabkommen unterzeichnet

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 27. Oktober 2015

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Die heutige Unterzeichnung des „Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen“ (SAA) zwischen dem Kosovo und der Europäischen Union stellt den nächsten Meilenstein der neoliberalen Umbaupolitik dar, die unmittelbar nach dem westlichen Angriffskrieg gegen Jugoslawien im Jahr 1999 ihren Anfang nahm. Kurz nach dem westlichen „Sieg“ wurde damals der Kosovo faktisch durch westliche Truppen besetzt, der Verwaltung der Vereinten Nationen unterstellt und in der Folge wirtschaftlich „restrukturiert“: „Die ‚internationale Gemeinschaft‘ nutzte ihre weit reichenden Kompetenzen, um tiefe Eingriffe in die ökonomische Struktur des Kosovo vorzunehmen. Im Anschluss an die NATO-Militärintervention wurde im Rahmen des Besatzungsregimes sofort mit dem Aufbau eines Staatswesens begonnen, dem das neoliberale Ordnungsmodell per Dekret und zu Lasten der Bevölkerung übergestülpt wurde.“ (Ausdruck, Dezember 2007) Schon die provisorische kosovarische Verfassung – eingeführt als Dekret der UN-Besatzungsbehörde UNMIK – schrieb gleich in der Präambel vor, dass die künftige Geld- und Wirtschaftspolitik auf die Einführung einer „freien Marktwirtschaft“ abzuzielen habe. Anschließend wurden – wiederum per rechtlich bindender UN-Dekrete – u.a. über eine eigens eingerichtete Treuhandagentur staatseigene Betriebe verscherbelt, während sich gleichzeitig die soziale Lage der Bevölkerung tendenziell eher noch verschlechterte (siehe IMI-Analyse 2009/021).

Das heute seitens des Kosovo unterzeichnete Assoziierungsabkommen schreibt diese Politik fort, ja verfestigt sie sogar. Auf schlappen 597 Seiten soll es die periphere – sprich: ohne Mitspracherechte vonstattengehende – Integration der abtrünnigen serbischen Provinz in den großeuropäischen Wirtschaftsraum endgültig besiegeln. Damit zusammenhängend geht es vor allem darum, den „freien und fairen“ Wettbewerb zwischen EU-Unternehmen und kosovarischen Unternehmen vertraglich wasserdicht und irreversibel sicherzustellen. Wie üblich gleichen die wirtschaftspolitischen Passagen nahezu eins zu eins anderen bereits zuvor abgeschlossenen Assoziationsabkommen mit diversen Nachbarländern – etwa denen mit der Ukraine (siehe IMI-Studie 2015/06, Kapitel 2.5).

So fixiert Artikel 20 das Ziel, spätestens innerhalb eines Jahrzehnts eine Freihandelszone zwischen den beiden Vertragspartnern zu etablieren: „Während eines Zeitraums von höchstens 10 Jahren ab Inkrafttreten dieses Abkommens errichten die EU und das Kosovo […] eine bilaterale Freihandelszone.“ Dazu gehört die in Artikel 23 festgelegte Abschaffung nahezu sämtlicher Schutzzölle und sog. nicht-tarifärer Handelshemmnisse (zB Mengenbegrenzungen), mit denen es möglich wäre, die kosovarische Wirtschaft vor der übermächtigen EU-Konkurrenz zu schützen: „(1) Die Einfuhrzölle des Kosovos auf die gewerblichen Erzeugnisse mit Ursprung in der EU, die nicht in Anhang I aufgeführt sind, werden mit Inkrafttreten dieses Abkommens beseitigt. (2) Die Abgaben mit gleicher Wirkung wie Einfuhrzölle des Kosovos auf gewerbliche Erzeugnisse mit Ursprung in der EU werden mit Inkrafttreten dieses Abkommens beseitigt.“ Für besagte in Anhang I aufgeführte Produkte gelten längere Übergangsfristen, doch derselbe Artikel regelt auch für sie, dass Schutzzölle „schrittweise nach dem dort angegebenen Zeitplan gesenkt und beseitigt“ werden müssen. Weitere Passagen beschäftigen sich etwa mit dem „Schutz ausländischer Direktinvestitionen“ und der „Schaffung eines günstigen Klimas für in- und ausländische Privatinvestitionen“ im Kosovo (Artikel 98). Generell wird der Kosovo darauf verpflichtet, sukzessive den gesamten Rechtsbestand (acquis communautaire) der EU, insgesamt ca. 80.000 Seiten, in nationale Gesetzgebung zu gießen: „Das Kosovo bemüht sich zu gewährleisten, dass seine bestehenden und künftigen Rechtsvorschriften schrittweise mit dem Besitzstand der EU vereinbar werden.“ (Artikel 74)

Das vom Westen geschnürte Gesamtpaket wird von der Österreichischen Wirtschaftskammer bündig folgendermaßen zusammengefasst: „Das SAA wird die erste umfassende vertragliche Beziehung zwischen dem Kosovo und der EU sein. Das SAA mit dem Kosovo hat den gleichen Aufbau und Inhalt wie die Abkommen mit den restlichen Westbalkan-Ländern (Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienstleistungen und des Kapitalverkehrs sowie Schaffung eines politischen Dialogs, Anpassung an das EU-Recht in Bezug auf Wettbewerb, Öffentliche Beschaffung, Geistige Eigentumsrechte, Konsumentenschutz etc.) und enthält alle Elemente einer vollständigen politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen dem Kosovo und der EU (Soziales, Bildung, Kultur, Umwelt etc.).“

Obwohl formal mit westlichem Plazet in die „Unabhängigkeit“ entlassen, regelt das Assoziierungsabkommen also nahezu alle wesentlichen Fragen zur Wirtschaftspolitik des Kosovo im Europäischen Sinne und presst ihn damit in ein enges neoliberales Korsett. Erfahrungen mit vergleichbaren Abkommen legen nahe, dass hierdurch sicher nicht dazu beigetragen wird, dass die dort herrschende Armut und Perspektivlosigkeit in absehbarer Zeit wirksam abgemildert werden wird. In gewisser Weise ist es deshalb nur konsequent, dass im Kosovo bis heute knapp 4.700 Soldaten (Stand: Oktober 2015) im Rahmen der NATO-Operation KFOR stationiert sind. Sie dürften nicht zuletzt auch dem Zweck dienen sicherzustellen, dass sich die Einführung der freien Marktwirtschaft auch künftig ungebremst fortsetzt.