IMI-Standpunkt 2015/014

Politik der Destabilisierung und der Entgrenzung des Militärischen

Rede bei der Demonstration gegen die Königsbronner Gespräche am 28. März 2015

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 30. März 2015

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Liebe Freund_innen und Freunde,

zum vierten Mal finden hier die Königsbronner Gespräche statt und zum zweiten Mal gibt es hiergegen sichtbaren Protest. Das Ziel solcher Veranstaltungen ist es, in der Fläche und auch in der Provinz Ideologie zu produzieren und Kriegsbereitschaft – Kriegswilligkeit – herzustellen und zu suggerieren. Sie dienen dem öffentlich zelebrierten Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Militär. Doch dieser Schuss kann nach hinten losgehen, denn große Teile der Bevölkerung wissen, dass dieser Schulterschluss der Eliten nichts gutes für sie bedeutet, dass der Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Militär letztlich gegen sie selbst gerichtet ist. Und deshalb ist es sehr gut, dass dieser Protest stattfindet, denn er gibt uns auch die Möglichkeit, hier in der Provinz unseren Widerspruch und Widerstand gegen die Kriegstreiberei der Herrschenden zum Ausdruck zu bringen.

Liebe Freund_innen und Freunde,

das Motto dieser Konferenz ist ja in gewisser Weise recht ehrlich, es lautet: „Herausforderung Gleichzeitigkeit von Krisen“. Eine Herausforderung ist ja etwas positives, etwas, an dem man wachsen kann. Die katastrophalen Entwicklungen von Mali, Niger und Nigeria über die Zentralafrikanische Republik, den Sudan und Somalia nach Jemen, Syrien und Irak bis zur Ukraine, Georgien, Afghanistan und Pakistan als „Herausforderung“ zu bezeichnen, zeugt schon vom verkommenen Verständnis unserer Eliten von Außenpolitik. Die großflächige Destabilisierung ganzer Großregionen, die tausende von Menschenleben kostet und Millionen in Flucht, Hunger und Elend drängt, wird v. A. als Möglichkeit verstanden, Soldaten zu stationieren und auf Konferenzen willfährige Exilpolitiker des jeweiligen Landes zur Regierung zu erklären. Die Bevölkerung dort wie hier begreift diese Politik ganz zurecht als Bedrohung und es wird Zeit, aufzustehen gegen diese Politik.

Liebe Freund_innen und Freunde,

diese Politik der Destabilisierung und der Entgrenzung des Militärischen folgt einem Programm, einer Strategie, die ebenfalls genannt wird im Motto dieser Konferenz: „Vernetzte Sicherheit“. Vernetzte Sicherheit bedeutet einerseits, dass nur im Bündnis Krieg geführt wird – im Bündnis mit der NATO, der EU und auch im Bündnis mit sog. Koalitionen der Willigen. Das führt dazu, dass die deutschen Kontingente oft eher klein sind und dass Einsätze erstmal ganz „harmlos“ anfangen – mit Unterstützungsleistungen beim Lufttransport, bei der Ausbildung, bei Luftabwehr usw. – wie das damals in Afghanistan auch war. Das führt auch dazu, dass kaum noch jemand den Überblick hat, wo eigentlich alles deutsche Soldaten sind und was sie dort tun und dass über ihre Entsendung kaum diskutiert wird, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung gegen immer neue Auslandseinsätze der Bundeswehr ist, der Bundestag diese aber reihenweise beschließt – oft mehrere an einem einzigen Tag.

Auf der anderen Seite bedeutet „Vernetzte Sicherheit“, dass zivile Akteure immer enger in militärische Konzepte eingebunden werden. Das sind im Ausland Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und der Humanitären Hilfe, Polizist_innen, Wissenschaftler_innen und Jurist_innen, die gleich die Verfassung für die von der NATO gebildeten Regime verfassen. In Deutschland sind das Schulen und Hochschulen, Medien und Unternehmen, das THW und das Rote Kreuz, die Polizeien, der Katastrophenschutz und eine ganze Reihe neuer Institutionen der sog. Inneren Sicherheit, wie die Bundesakademie für Sicherheitspolitik, die hier als Mitveranstalter der Königsbronner Gespräche auftritt. Selbst mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund unter Michael Sommer wollte der damalige Verteidigungsminister De Maizière eine Kooperationsvereinbarung treffen, was glücklicherweise von der Basis torpediert wurde. Herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch übrigens dazu von hier aus an alle Beteiligten! Auch das ist ein Beispiel dafür, dass uns das Ringen um Legitimitation und die zivil-militärische Zusammenarbeit im Zuge der Vernetzten Sicherheit auch neue Möglichkeiten bringt, unseren Dissenz zu formulieren.

Liebe Freund_innen und Freunde,

in Wirklichkeit handelt es sich bei der Vernetzten Sicherheit um ein umfassendes Programm zur Militarisierung der Gesellschaft. Die Lehrer_innen werden von Jugendoffizieren in Sachen „Sicherheitspolitik“ ausgebildet und schon dieser Begriff ist hochgradig ideologisch durchtränkt vom Gedanken, dass Innere und Äußere Sicherheit nicht zu trennen seien und deshalb immer das Militär mit im Spiel sein müsste. Die Jugendoffiziere kommen dann auch in die Schulen, geben Unterricht und bieten Exkursionen an, während die „Karriereberater“ draußen auf den Schulhöfen in ihren „KarriereTrucks“ lauern. In allen möglichen Gremien – vom Stiftungsrat der Deutschen Stiftung Friedensforschung über die Stäbe des Katastrophenschutzes bis hin zum Ressortkreis Zivile Krisenprävention – sitzen Vertreter_innen der Bundeswehr mit am Tisch. Auch im Bundestag selbst ist auffällig, wie selbstverständlich dort allerorten Soldaten präsent sind und als Politikberater fungieren. Meist sind sie längst da, wenn eine Krise ausbricht. Als im Jemen 2011 Aufstände zum Bürgerkrieg eskalierten, war eine Beratergruppe der Bundeswehr längst vor Ort, um bestimmte Teile der Armee auszurüsten, lange vor dem Bürgerkrieg in Mali bildete auch dort eine Beratergruppe der Bundeswehr Pioniere aus und das geheim agierende Kommando Spezialkräfte nicht näher benannte bewaffnete Gruppen aus verschiedenen westafrikanischen Staaten. Kaum begann in der Ukraine der Bürgerkrieg auszubrechen, wurden im Osten des Landes hochrangige deutsche Soldaten aus dem militärischen Nachrichtenwesen festgenommen, die als vermeintlich zivile Beobachter die militärischen Fähigkeiten der Rebellen auskunschaften sollten. Liebe Freund_innen und Freunde, unter solchen Umständen ist eine zivile Außenpolitik gar nicht mehr denkbar und möglich und deshalb dürfen wir uns auch nicht wundern, dass nahezu jede Krise der vergangenen Jahre mehr oder weniger offen in einen Bürgerkrieg mit internationaler, mit deutscher Beteiligung ausgeartet ist. Wir stehen hier für eine andere Außenpolitik, als die militärische Durchsetzung der Interessen des deutschen Kapitals und einer kleinen sicherheitspolitischen Elite, die heute hier in Königsbronn tagt. Wir stehen hier für eine Politik der Solidarität und des Miteinanders, eine Politik, wie sie am 18. März in Frankfurt anlässlich der Eröffnung der neuen EZB (Europäische Zentralbank) zum Ausdruck kam, als sich Aktivist_innen aus ganz Europa gegen die zerstörerische Politik der Bundesregierung und der Troika auflehnten und mit massiver Repression überzogen, mit zehntausend Polizisten konfrontiert wurden.

A Propos Frankfurt, auch hier ein Beispiel vernetzter Sicherheit. Hier sitzt ja die Commerzbank und deren Aufsichtsratsvorsitzender ist Klaus-Peter Müller. Klaus-Peter Müller leistete seinen Wehrdienst im Bereich der Psychologischen Verteidigung, früher Psychologische Kriegführung. Er ist heute Beirat der Bundesakademie Sicherheitspolitik, die heute im Grunde vieles von dem macht, was zuvor Aufgaben der Psychologischen Verteidigung waren und führende Vertreter_innen der Medien einbindet und organisiert. Klaus-Peter Müller, zuvor Vorstandsvorsitzender, bevor die Commerzbank mit Steuermitteln vor der Insolvenz gerettet werden musste, ist Träger des Ehrenkreuzes der Bundeswehr für seine Bemühungen um eine vertiefte Beziehung zwischen Führungskräften der Bundeswehr und der Wirtschaft und er setzt sich dafür ein, dass aktive Reservisten der Bundeswehr führende Positionen in der Wirtschaft erhalten. Er rühmte sich selbst damit, dass einer seiner Mitarbeiter im Range eines Majors der Reserve einer von drei Offizieren im Kreisverbindungskommando Frankfurt sei.(1) Es ist damit alles andere als unwahrscheinlich, dass in den Lagezentren am 18. März in Frankfurt auch ein Mitarbeiter der Commerzbank im Range eines Majors der Reserve anwesend war und das ist eine bewusste Strategie des Kapitals, es ist die Strategie der vernetzten Sicherheit.

Liebe Freund_innen und Freunde,

diese Strategie der Vernetzten Sicherheit verwischt systematisch die Grenzen zwischen Krieg und Frieden, und wir brauchen uns deshalb nicht wundern, dass wir nicht in Frieden leben. Sie fasst die Telekommunikationsüberwachung und Großdemonstrationen hier, die Aufstandsbekämpfung im Kosovo, die Beteiligung an den Bürgerkriegen in Mali, Somalia und am Golf mit dem Krieg in Afghanistan und der Aufrüstung an der Grenze zu Russland in einem einzigen Dispositiv zusammen. Gemessen an ihren vermeintlichen Zielen – Stabilisierung usw. – ist ihre Bilanz desaströs. Nach 2001 wurde der Krieg gegen den Terror ausgerufen, gegen versprengte Gruppen des ominösen Netzwerks Al Kaida, die polizeiliche Aufgabe der Strafverfolgung wurde militarisiert. Heute haben wir etwas zuvor nicht dagewesenes: Terror-Milizen, die Gebiete von der Größe von Staaten kontrollieren, über schwere Waffen und in Libyen sogar eine Art Luftwaffe verfügen. Viele davon gehen auf die Unterstützung von Bürgerkriegsparteien durch die NATO-Staaten zurück und genießen bis heute Rückendeckung aus den Golfstaaten, die als unsere Verbündete gelten und von den NATO-Staaten aufgerüstet werden. Anstatt Russland einzubinden und gemeinsam abzurüsten, hat sich die NATO nach Osten ausgedehnt, aufgerüstet und zuletzt die Ukraine gezielt destabilisiert, sodass wir heute wieder einen neuen Kalten Krieg haben. Bis zu dreißig mal täglich sind deutsche Kampfflugzeuge vom Baltikum aus – und von Kalkar am Niederrhein kommandiert – aufgestiegen in internationalen Luftraum, um dort russische Flugzeuge zu „kontaktieren“, wie man sagt. Die Gefährdung für uns, die Menschen in Deutschland, Europa und der Welt, steigt und das wird wiederum genutzt als Vorwand für neue Sicherheitsgesetze, für neue Befugnisse für Polizei, Militär und Geheimdienste – bis hin zu „gezielten“ Tötungen auch von US-Bürgern ohne Anklage, Verfahren und Urteil. Cybersicherheit – ein beliebtes Thema hier in Königsbronn und von Wolfgang Ischinger, der hier den Stargast spielt – ist nur ein neues Schlagwort, mit dem die Funktionen von Geheimdienst, Polizei und Militär unter reger Beteiligung der Industrie als Bereitsteller der hierfür benötigten und potentiell angegriffenen Infrastruktur in eine offensive gemeinsame Strategie verschmolzen werden.

Liebe Freund_innen und Freunde,

gutwillig beurteilt kann man zu dem Schluss kommen, dass die Strategie der Vernetzten Sicherheit und des erweiterten Sicherheitsbegriffs, der uns von der Strategischen Gemeinschaft und den Medien tagtäglich eingeimpft wird, gescheitert ist, ganze Gebiete dem Terrorismus anheim gegeben hat, uns zu Geiseln, Opfern und Gefährdern macht und einer wachsenden Kriegsgefahr aussetzt. Dann müsste die Schlussfolgerung lauten, dass diese sicherheitspolitische Elite, die hier in Königsbronn tagt – einschließlich des einen Abgeordneten der LINKEN, der hier gerne mitspielen möchte – geschlossen abtreten und mit ihrer Zeit was sinnvolleres anstellen sollte.

Realistisch betrachtet müssen wir zu dem Schluss kommen, dass diese Sicherheitspolitiker selbst ein Interesse daran haben, ganze Regionen zu destabilisieren und uns der Gefahr von Terrorismus, Überwachung und Aufstandsbekämpfung auszusetzen. Ohne Krisen kein „Krisenmanagement“, um einen letzten Begriff des Mottos dieser Tagung aufzugreifen. Und vom Krisenmanagement, von der Herstellung von Unsicherheit, der Produktion von Waffen, Überwachungstechnologie und entsprechenden Diskursen leben diese Menschen. Der permanente Krieg, die Herstellung von Sicherheit – die Unsicherheit ist – auf Kosten der Menschen und von Menschenleben ist ein grandioses Geschäft und ein grandioses Ablenkungsmaneuver in einer Welt, in der es problemlos möglich wäre, die materiellen Bedürfnisse aller solidarisch zu befriedigen. Deshalb ist es wichtig festzustellen: Ihre Sicherheit bedeutet Krieg, ein Krieg, der gegen uns gerichtet ist. Und von hier muss das Signal ausgehen: Wenn Ihr so weitermacht, dann gibt es Aufruhr, dann gibt es Widerstand, denn es gibt auch und gerade hier hier, in Königsbronn, dem Ort, in dem Georg Elser lebte, kein ruhiges Hinterland.

 

Anmerkungen:

(1) Kirsch, Martin: Der Celler Trialog – Ideologieproduktion und Elitenkonsens, in: IMI (Hrsg): Deutschland – Wi(e)der die Großmacht, März 2015. URL: http://imi-online.de/download/grossmacht_web.pdf