IMI-Analyse 2015/003 (update: 21.04.2015)

Münchner Sicherheitskonferenz

Alle gegen Alle oder Front gegen Russland?

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 9. Februar 2015

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Wie zu erwarten war, dominierten die Auseinandersetzungen in der Ukraine und die eng damit verbundenen westlich-russischen Beziehungen die Münchner Sicherheitskonferenz, die in diesem Jahr vom 6. bis 8. Februar 2015 stattfand. Einigkeit herrschte dabei zwischen den Kontrahenten lediglich darüber, dass das beiderseitige Verhältnis auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt ist. In der Frage, wer dafür verantwortlich ist und wie aus dieser gefährlichen Krise herausgekommen werden könnte, trennen die verschiedenen Akteure jedoch tiefe Gräben.

Auffällig war dabei, dass hier augenscheinlich auch innerhalb des westlichen Blocks keineswegs traute Einigkeit über das weitere Vorgehen herrscht, wie sich anhand der Kontroverse um mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine zeigte. Doch sollten diese Streitereien andererseits auch nicht überbewertet werden. Denn grundsätzlich scheint man auf beiden Seiten des Atlantiks dieselbe Sichtweise auf den Konflikt zu haben: Russland ist an allem allein Schuld und muss in die Schranken verwiesen werden. Solange dies aber der Fall ist, dürften die Aussichten für die anstehenden Friedensgespräche – trotz einiger möglicherweise vielversprechender Ansätze – eher düster sein.

Frieden schaffen mit westlichen Waffen

Als „Friedenspräsident“ bezeichnete sich der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko in seiner Rede bei der Sicherheitskonferenz, nur um im selben Atemzug westliche Waffenhilfe zu fordern: „Ich möchte schlicht wiederholen, dass die ukrainische Frage solange ungelöst bleiben wird, wie die Herzen der Menschen und Politiker im Westen sich davor verschließen, relevante, praktische Unterstützung für die Unabhängigkeit der Ukraine zu leisten, politische, ökonomische, aber auch militärische.“

Schützenhilfe erhält Poroschenko vor allem aus den USA, wo die Stimmen immer lauter werden, die sich für die Lieferung „tödlicher“ Waffensysteme an die Ukraine aussprechen. Stein des Anstoßes war hierfür ein Anfang Februar 2015 erschienener „Expertenbericht“, der von drei wichtige Denkfabriken veröffentlicht und durch mehrere ehemalige demokratische Regierungsmitglieder erstellt wurde. Im Kern wird darin dafür plädiert, nicht mehr wie bisher „nur“ nicht-letale, sondern nun auch offensive Waffensysteme im Wert von drei Mrd. Dollar zwischen 2015 und 2017 zu liefern.[1]

Natürlich diente auch die bisher geleistet „nicht-tödliche Unterstützung“ teils der Durchführung von Offensivaktionen[2], aber es versteht sich von selbst, dass es sich bei den neuen Plänen um eine komplett neue Stufe auf der Eskalationsleiter handeln würde. Dies wird allein schon daraus ersichtlich, dass etwa die Bild-Zeitung betonte, dass es hier um mehr geht, als „nur“ um Waffenlieferungen, nämlich um die Gefahr einer direkten Konfrontation: „Brisant: Die geplanten Waffen und Systeme sind technisch so anspruchsvoll, dass US-Soldaten die ukrainische Armee vermutlich trainieren müssten. Damit würden die USA mit eigenen Truppen in den Konflikt eingreifen.“

Kurz nach Veröffentlichung des Expertenberichts tauchten dann Meldungen auf, auch innerhalb der US-Regierung habe diesbezüglich ein Umdenken eingesetzt: Sowohl US-Außenminister John Kerry und US-Generalstabschef Martin Dempsey als auch die Sicherheitsberaterin von Präsident Barack Obama, Susan Rice, seien nun gewillt, Waffenlieferungen ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Derart präpariert reiste die US-Delegation nach München und verlieh dieser Forderung lautstark mit gleich mehrere Stimmen Nachdruck. Etwas verklausuliert, aber letztlich doch eindeutig äußerte sich US-Vizepräsident Joseph Biden folgendermaßen: „Lassen sie mich eines klar sagen: Wir glauben nicht an eine militärische Lösung in der Ukraine. Aber lassen sie mich ebenso klar festhalten: Wir glauben nicht, dass Russland das Recht hat, zu tun, was es aktuell tut. Wir glauben, wir sollten einen ehrenvollen Frieden anstreben. Aber wir sind auch der Meinung, dass die ukrainischen Menschen das Recht haben, sich zu verteidigen. […] Zu oft hat Präsident Putin Frieden versprochen und Panzer, Truppen und Waffen geliefert. Deshalb werden wir der Ukraine weiter Sicherheitsunterstützung gewähren, nicht um einen Krieg zu befeuern, sondern um es der Ukraine zu erlauben, sich selbst zu verteidigen.“

Wie üblich noch weitaus aggressiver traten die beiden US-Senatoren John McCain und Lindsay Graham auf, generell scheint die US-Delegation vor allem mit der Vorgabe entsandt worden zu sein, einige der in dieser Frage eher skeptischen EU-Länder weichzuklopfen, was zu einigen Spannungen führte.

Innerwestliche Dissonanzen

In Deutschland griffen nur wenige die Steilvorlage aus Washington auf – darunter aber immerhin Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Münchner Sicherheitskonferenz: „Von Kritikern wird der Sicherheitskonferenz seit jeher vorgeworfen, dass sie eher die militärische Konfrontation schürt, als den Frieden auf der Welt voranzubringen. Diesmal hat Ischinger jedoch im Vorfeld einen Beitrag dazu geleistet, dieses Vorurteil zu stärken. Im ZDF sprach er sich für ‚eine Ankündigung möglicher Waffenlieferungen‘ an die Ukraine aus, um Russland zu mehr Einflussnahme auf die Separatisten zu drängen. ‚Wichtig‘ und ‚angemessen‘ nannte er entsprechende Überlegungen in den USA. ‚Manchmal braucht man Druck, um Frieden zu erzwingen‘.“

Für diese Position scheint es aber – derzeit zumindest – innerhalb der Bundesregierung keinerlei Mehrheit zu geben, sowohl Angela Merkel als auch Frank-Walter Steinmeier erteilten ihr auf der Sicherheitskonferenz eine klare Absage. So fasst die Welt die Antwort der Bundeskanzlerin auf eine Nachfrage folgendermaßen zusammen: „‘Das Problem ist, dass ich mir keine Situation vorstellen kann, in der eine verbesserte Ausrüstung der ukrainischen Armee zu einer Lösung beitragen kann‘, sagt Merkel. Die Vorstellung, die ukrainische Armee allein durch Waffenlieferungen in eine Lage zu versetzen, wo sie es mit dem überlegenen Gegner aufnehmen könne, sei illusorisch. ‚Militärisch ist das nicht zu gewinnen‘, wiederholte Merkel diesmal vehement, ‚das ist die bittere Wahrheit‘.“[3]

Da dies überhaupt nicht das war, was die eigens aus den USA angereisten Hardliner hören wollten, polterte John McCain heftig gegen Merkels Aussagen: „Wenn die Kanzlerin sagt, dass wir den Ukrainern unter keinen Umständen Waffen liefern sollten, damit sie sich verteidigen können und nicht abgeschlachtet werden, dann liegt sie damit schrecklich falsch und ich bin völlig anderer Meinung als sie. […] Und wenn sich ernsthaft jemand weigert, den Ukrainern die Möglichkeit zur Selbstverteidigung zu geben und dann von mir eine Entschuldigung will, dann antworte ich: Sagt mir, wofür ich mich entschuldigen soll? Sollten sie sich nicht viel mehr bei den Familien der 5000 Ukrainer entschuldigen, die von den Russen abgeschlachtet worden sind? […] Man könnte meinen, sie hat keine Ahnung oder es ist ihr egal, dass Menschen in der Ukraine abgeschlachtet werden.“

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Artikel der Bild-Zeitung, demzufolge es am Abend des ersten Konferenztages zu einem Treffen der US-Delegation gekommen sein soll, bei dem sich heftig über den angeblichen „Kuschelkurs“ der deutschen Regierung beschwert wurde. Zugegen war u.a. die EU-Abteilungsleiterin im US-Außenministerium, Victoria Nuland, die schon mehrfach mit abfälligen Bemerkungen über die Verbündeten („Fuck-the-EU“) auf sich aufmerksam gemacht hat. Sie soll sich heftig über „Merkels Moskau-Zeug“ beschwert und gefordert haben, den aggressiven Kurs gegenüber den EU-Verbündeten vehement zu vertreten: „Sie fürchten sich vor Schäden für ihre Wirtschaft, Gegensanktionen der Russen […] Wir können gegen die Europäer kämpfen, rhetorisch gegen sie kämpfen …“

Angesichts dieser doch nicht ganz gewöhnlichen Schärfe in der Auseinandersetzung, war US-Außenminister John Kerry am Schlusstag der Konferenz sichtlich um Schadensbegrenzung bemüht: „Es gibt hier keine Spaltung, es gibt hier keine Uneinigkeit. (…) Ich möchte nicht, dass jemand auch nur über Spannungen nachdenkt.“ Und in der Tat, auch wenn man sich womöglich aktuell nicht ganz über die weitere Vorgehensweise einigen kann, so herrscht in der Bewertung, wer denn für die ganze Katastrophe verantwortlich zu machen ist, gänzliche Übereinstimmung.

Unterschiedliche Geschichtsbücher

Nicht von ungefähr verwies der russische Außenminister Sergej Lawrow in München auf die Rede von Präsident Wladimir Putin, die dieser an selbiger Stelle bereits acht Jahre zuvor gehalten hatte. Für viele seinerzeit überraschend ging er darin scharf mit der westlichen Expansionspolitik ins Gericht und warnte vor einem drohenden Neuen Kalten Krieg, sollte hier kein Kurswechsel erfolgen:  „[Damals] platzte die Abrechnung des russischen Staatsoberhaupts mit dem Weltherrschaftsanspruch der USA wie eine Bombe ins Auditorium.“[4] Seit diesem Zeitpunkt ist aus russischer Sicht nichts geschehen, um die damals geäußerten Bedenken abzumildern, im Gegenteil. Ein ums andere Mal verwies Putin auf die lange Liste von Problemen, so etwa in seiner Rede zur Aufnahme der Krim am 18. März 2014: „Wir schlagen ständig Kooperation in Schlüsselfragen vor, wir wollen gegenseitiges Vertrauen fördern, wir wünschen, dass unsere Beziehungen auf Augenhöhe stattfinden, dass sie offen und ehrlich seien. Aber wir sehen keinerlei Entgegenkommen. Im Gegenteil, wir wurden Mal ums Mal betrogen, es wurden Entscheidungen hinter unserem Rücken getroffen, man stellt uns vor vollendete Tatsachen. So war es mit der Osterweiterung, mit der Installation von militärischer Infrastruktur an unseren Grenzen. So war es mit der Entfaltung der Systeme der Raketenabwehr. […] Man versucht ständig, uns in irgendeine Ecke zu drängen. […] Im Falle der Ukraine haben unsere westlichen Partner eine Grenze überschritten, handelten grob, verantwortungslos und unprofessionell.“[5]

Im Wesentlichen wiederholte Lawrow in München diese Kritik, indem er vor allem auf zwei Aspekte abhob: Einmal, dass der Westen auf Expansion setze und nicht bereit sei, Russland an einer tragfähigen Sicherheitsarchitektur zu beteiligen: „Die Welt befindet sich hier an einem Wendepunkt. […] Es stellt sich die Frage, ob Sie (der Westen) eine Sicherheitsarchitektur mit, ohne oder gegen Russland errichten wollen.“ Und zum anderen betonte er erneut die russische Sichtweise, was in der Ukraine stattgefunden habe sei ein „Staatsstreich“ gewesen, für den der Westen maßgeblich mitverantwortlich sei: „Zu jedem Zeitpunkt haben die Amerikaner, und unter ihrem Druck auch die EU, Schritte unternommen, um den Konflikt zu eskalieren.“[6]

Nun mag man nicht mit jeder einzelnen der Russischen Einschätzungen übereinstimmen und noch weniger muss man die harten Bandagen begrüßen, mit denen Moskau in der Ukraine agiert. Dass aber die Wahrnehmung, der Westen habe die russische Schwäche genutzt, um seine Einflusssphäre aggressiv auf Kosten Moskaus auszudehnen, alles andere als an den Haaren herbeigezogen ist, wurde an vielen Stellen ausführlich erörtert. Exemplarisch sei diesbezüglich John J. Mearsheimer zitiert, einer der bekanntesten US-Politikwissenschaftler, der gänzlich unverdächtig ist, der Friedensbewegung oder Russland allzu nahe zu stehen: „Im Westen gilt es als gesicherte Erkenntnis, dass an der Ukraine-Krise maßgeblich die aggressive Haltung der Russen schuld ist. […] Doch diese Darstellung ist falsch: Die Hauptschuld an der Krise tragen die USA und ihre europäischen Verbündeten. An der Wurzel des Konflikts liegt die NATO-Osterweiterung, Kernpunkt einer umfassenden Strategie, die Ukraine aus der russischen Einflusssphäre zu holen und in den Westen einzubinden. Dazu kamen die EU-Osterweiterung und die Unterstützung der Demokratiebewegung in der Ukraine durch den Westen, beginnend mit der Orangenen Revolution 2004. Seit Mitte der 1990er Jahre lehnen russische Staatschefs eine NATO-Osterweiterung entschieden ab, und in den vergangenen Jahren haben sie unmissverständlich klargemacht, dass sie einer Umwandlung ihres strategisch wichtigen Nachbarn in eine Bastion des Westens nicht untätig zusehen würden. Das Fass zum Überlaufen brachte der unrechtmäßige Sturz des demokratisch gewählten pro-russischen Präsidenten der Ukraine; Putin sprach zu Recht von einem »Staatsstreich«.“[7]

Mehrheitlich wird dies aber im Westen natürlich gänzlich anders bewertet – und zwar nicht nur in den USA. So steht es für Merkel etwa außer Frage, wer die alleinige Verantwortung für die Eskalation zu übernehmen hat: „Meine Damen und Herren, seit mehr als einem Jahr erleben wir nun in der Ukraine-Krise, dass die Grundlagen der europäischen Friedensordnung keineswegs selbstverständlich sind. Denn Russlands Vorgehen – erst auf der Krim, dann in der Ostukraine – hat diese Grundlagen unseres Zusammenlebens in Europa verletzt. Die territoriale Integrität der Ukraine wird ebenso missachtet wie ihre staatliche Souveränität. Das Völkerrecht wird gebrochen. Vor diesem Hintergrund sind auch die Beschlüsse des NATO-Gipfels in Wales im letzten Jahr zu sehen, mit denen die NATO den Grundstein für eine erhöhte Einsatzbereitschaft der Reaktionskräfte des Bündnisses gelegt hat. Wir rücken damit die kollektive Verteidigung wieder in den Fokus der Allianz, auch mit Blick auf die potentiellen Bedrohungen der sogenannten hybriden Kriegsführung.“

Ganz direkt griff Außenminister Frank-Walter Steinmeier seinen russischen Amtskollegen an: „Es ist auch Moskaus Aufgabe, gemeinsame Interessen zu definieren […] Dazu haben wir wenig, zu wenig gesehen bisher. Und die Rede des Kollegen (Sergej) Lawrow, die Sie gestern gehört haben, hat dazu auch nichts beigetragen.“ Auch Steinmeier bemüht das abgeschmackte Klischee von der westlichen Wertegemeinschaft, die sich einem Russland ausgesetzt sehe, das im Denken um geopolitische Einflusssphären verhaftet sei: „Im Ukraine-Konflikt […] standen von Beginn an zwei kritische Elemente internationaler Ordnung auf dem Spiel. Zum einen die Konfrontation der mühevoll errungenen europäischen Friedensordnung, die auf Völkerrecht und souveräner Selbstbestimmung fußt, zum anderen die machtpolitische Logik von geopolitischen Einflusssphären, die bereit ist, sich über diese Regeln gewaltsam hinwegzusetzen. Auf diesen gefährlichen Kurs der Annexion der Krim und des von Russland militärisch unterfütterten Konflikts in der Ostukraine haben wir in EU und NATO entschlossen und geschlossen reagiert.“

Größer könnte die Kluft in den jeweiligen (Selbst-)Wahrnehmungen also kaum sein: „Mit voller Wucht prallten in München die Ansichten Russlands und des Westens aufeinander. Dabei ging es nicht nur um die Ukraine-Krise. Das gegenseitige Misstrauen sitzt viel tiefer. Russlands Außenminister steht allein. […] Von der NATO-Osterweiterung bis hin zu Meinungsverschiedenheiten bei internationalen Abrüstungsabkommen – alles ein einziger Affront gegen Russland, so Lawrows Lesart. Moderator Ischinger wirkt konsterniert: ‚Wir scheinen ein anderes Geschichtsbuch aufzuschlagen als die Russen‘, kommentiert der erfahrene Diplomat und stellt eine ‚große Kluft in den Narrativen‘ fest, also in jenen Erzählungen, aus denen eine Gesellschaft ihre Identität schöpft.“

Eiszeit als Dauerzustand

Sicher ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung aktuell zumindest den Forderungen nach der Lieferung von Offensivwaffen ablehnend gegenübersteht. Auch die aktuelle Friedensinitiative, mit der Deutschland und Frankreich möglicherweise durchaus einige richtige Ansätze verfolgen[8], ist ein Schritt in die richtige Richtung. Umso ernüchternder ist es, wie pessimistisch sich der deutsche Außenminister Steinmeier ob ihrer Erfolgsaussichten äußerte: „Wir sind von einer politischen Lösung weit entfernt.“

Aus Sicht der Bundesregierung liegt dies erneut allein an Russland und genau hier liegt auch das Kernproblem: Solange im Westen keinerlei Bereitschaft an den Tag gelegt wird, sich an die eigene Nase zu fassen und zu überlegen, wie und in welcher Weise die eigene Expansionspolitik wesentlich die aktuelle Krise mit verursacht hat, erscheinen die Chancen für eine dauerhafte Entspannung der Lage eher gering. Doch genau hierzu existiert mehrheitlich weder in den USA noch in der EU die Bereitschaft.

Vor diesem Hintergrund ist es umso Besorgnis erregender, dass die aktuellen Friedensbemühungen allenthalben als letzte Gelegenheit bezeichnet werden, einer militärischen Totaleskalation doch noch aus dem Weg zu gehen: „Angesichts der dramatischen Zuspitzung in der Ukraine-Krise kommen Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande […] in Moskau mit Putin zusammen – die womöglich letzte Chance, um einen offenen Krieg zu verhindern. […] Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sieht in der Friedensinitiative ‚mehr Hoffnung als Chance‘. […] Die Lage sei ‚brandgefährlich‘. Hollande sagt es noch dramatischer: ‚Wir sind im Krieg.‘ Es könne nicht unendlich weiterverhandelt werden.“

So bleibt ungeachtet aller transatlantischen Differenzen im Detail der Eindruck, dass die Rahmenbedingungen für eine weitere Verhärtung der Fronten gegeben sind und dies die eigentlich Besorgnis erregende Botschaft ist, die von der Münchner Sicherheitskonferenz ausgeht. So bilanziert der Militärexperte Thomas Wiegold die Tagung folgendermaßen: „Meine sehr subjektive Wahrnehmung (mit der ich offensichtlich bei Weitem nicht alleine stehe) nach drei Tagen Sicherheitskonferenz: Die Konfrontation West gegen Ost (oder umgekehrt) ist nicht nur wieder da, sie wird so bald nicht verschwinden. Und die Meinungsverschiedenheiten, die zwischen den USA und einem Teil ihrer europäischen Verbündeten auftraten, wenn es zum Beispiel um Waffenlieferungen an die Ukraine geht, sind ein Streit um den richtigen Weg – aber noch keine grundlegende Spaltung des Westens.“

 

Anmerkungen

[1] Ivo Daalder, Michele Flournoy, John Herbst, Jan Lodal, Steven Pifer, James Stavridis, Strobe Talbott and Charles Wald: „Preserving Ukraine’s Independence, Resisting Russian Aggression: What the United States and NATO Must Do“, The Brookings Institution, The Atlantic Council, and The Chicago Council on Global Affairs, February 2015.

[2] So betont etwa Otfried Nassauer im Deutschlandfunk: „Sie [die ukrainischen Regierungstruppen] haben ja auch schon unter den nicht-lethalen, nicht-tödlichen Systemen für die Ortung von Mörsern ähnliches Equipment gekriegt. Sie können Mörser heute orten, während sie weiter entfernte Raketenwerfer, 30, 40 Kilometer entfernte Raketenwerfer, nicht orten können, und das sollen sie zukünftig auch können.“

[3] Genauso deutlich wendete sich Außenminister Steinmeier gegen solche Waffenlieferungen: „Deshalb ist es richtig, über die verschiedensten Handlungsoptionen nachzudenken und sie sorgfältig abzuwägen. Manche halten Waffenlieferungen an die Ukraine – eine Art gezielter Gegeneskalation – für einen gangbaren, ja sogar notwendigen Weg. Ich halte das nicht nur für hochriskant, sondern für kontraproduktiv.“

[4] Willi Gerns: Putinsche Russland, in: Marxistische Blätter, Nr. 1/2015, S. 67-78, S. 74.

[5] Ebd., S. 75.

[6] Detailliert beschrieb Lawrow seine Sicht auf die Vorgänge in der Ukraine folgendermaßen: “According to what you’ve said, the events in Kiev were simply the implementation of the agreement signed by president Yanukoviech as elections were held there. First, the next day after signing the agreement, regardless of Yanukovich’s location (and he was in Ukraine), his residence, as well as the presidential administration and the government buildings, were attacked; not to mention buildings burnt and people killed on Maidan previously. The trampled down agreement, witnessed by foreign ministers of Germany, France and Poland (by the way, present here is Radoslaw Sikorski, who can probably tell a story of his own), in its first article implied the creation of a government of national unity. These are key words. The aim of the national unity cannot depend on the fate of Viktor Yanukovich alone. So, if he fled, does this mean that power could be seized through an armed coup and that national unity could be disregarded? You wouldn’t agree with this, and you would be right, because it’s inadmissible. So, this all took place instead, establishing a government of national unity, which by September ought to have developed a new constitution to be used as the basis for the national election. This is how the events should have unfolded. But the starting point is national unity; this is what the Constitution should be based upon with consideration of all opinions across the country. Instead, when the agreement I mentioned was already buried, Arseny Yatsenyuk spoke at Maidan announcing the establishment of the ‘government of victors.’ Then, force was used against the regions of Ukraine that staged protests and refused to accept the results of the coup. The leaders who spoke against the coup were arrested. Who attacked whom? Did Donetsk and Lugansk start the assault on Kiev? Not at all. Just the opposite, military units were sent to the southeast of Ukraine to take control of power by force.”

[7] John J. Mearsheimer: Putin reagiert. Warum der Westen an der Ukraine-Krise schuld ist, Internationale Politik und Gesellschaft,  01.09.2014.

[8] Zumindest, wenn sich ein Bericht des Figaro bewahrheiten sollte, sie enthalte das Angebot, “dass die Ukraine blockfrei und neutral bleibt und im Innern föderalisiert wird.“