IMI-Mitteilung - in: AUSDRUCK (Dezember 2012)
Bericht vom 15. Kongress der Informationsstelle Militarisierung
Entdemokratisierung und Krieg – Kriegerische Demokratie
von: IMI | Veröffentlicht am: 6. Dezember 2012
Zum inzwischen 15. Mal fand am 17. und 18. November 2012 der alljährliche Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) statt. Das Thema des Kongresses, an dem bis zu 120 Menschen teilnahmen, lautete „Entdemokratisierung und Krieg – Kriegerische Demokratie“. Im Mittelpunkt standen dabei Fragen des Abbaus demokratischer Kontrollfunktionen, die zunehmenden Formen klandestiner Kriegsführung sowie die Rolle der Zivilgesellschaft, des Internets und anderer neuer Partizipationsformen für die Frage von Krieg und Frieden.
Auf dem ersten Podium zum Thema „Demokratieabbau und Militarisierung“ eröffnete Martin Hantke den Kongress mit seinem Vortrag über den „Neuen Autoritarismus in Deutschland und Europa“. Laut Hantke habe die Finanzkrise inzwischen nicht nur eine Weltwirtschaftskrise, sondern auch eine Staatsschuldenkrise infolge der Bankenrettungen zur Folge gehabt. In diesem Zusammenhang vollziehe sich auf mehreren Ebenen ein massiver Demokratieabbau: Über die „Antikrisenreformen“ der letzten Jahre würden Ausgabenkürzungen durch Sozial- und Lohnkürzungen erzwungen, die eine Rezession verursachen und damit den Schuldenabbau torpedieren würden. Gegenüber den am meisten unter Druck geratenen Ländern wie Griechenland, Irland, Portugal und mit Abstrichen Spanien und Italien geschehe dies über die sogenannte Memorandenpolitik von EU-Kommission, EZB und IWF. Allerdings sei für den nächsten EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Dezember 2012 eine „Europäisierung der Memorandenpolitik“ geplant: „Zusammengenommen handelt es sich hier um einen europaweiten Angriff auf Demokratie und soziale Errungenschaften, den es in einem solchen Ausmaß davor noch nicht gab“, so Hantke. „Aus diesem Grund ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass vermehrt brutale Polizeigewalt eingesetzt werden muss, um Proteste gegen diese katastrophale Politik zu unterdrücken.“ Unter diesen Umständen könne man inzwischen nur noch zu der Schlussfolgerung gelangen: „Europäisierung heißt Endemokratisierung.“
Im anschließenden Beitrag über den neu geschaffenen „Sachzwang Krieg“ beschrieb Jürgen Wagner das neue Kernprojekt in der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union: Die Bündelung und gemeinsame Nutzung von Militärgerät (Pooling & Sharing). Obwohl die Militärhaushalte der EU-Staaten in den letzten Jahren massiv angewachsen und zuletzt nur minimal gesunken seien, werde das Argument, es habe ein Kahlschlag der Rüstungsausgaben stattgefunden, genutzt, um einen weitreichenden Abbau demokratischer Kontrollmöglichkeiten zu erreichen. Durch die Zusammenlegung militärischer Fähigkeiten solle die militärische Schlagkraft entscheidend verbessert werden, so laut Wagner die Kernidee des Konzeptes: „Bei Pooling & Sharing geht es nicht darum, Geld zu sparen. ‚Mehr Krieg pro Euro‘ ist vielmehr die Devise.“ Doch die Auswirkungen des Konzeptes gingen laut Wagner noch deutlich weiter: „Mit dem Argument, auf ‚gebündelte‘ Militärgüter müsse auch gesichert zugegriffen werden können, wird nun ein Generalangriff auf den deutschen Parlamentsvorbehalt gestartet.“ Es werde gefordert, künftig „Vorratsbeschlüsse“ und „Blankoermächtigungen“ auszustellen, womit die Mitspracherechte des Bundestages weitgehend ad acta gelegt würden.
Pooling & Sharing sei aber nicht der einzige Bereich, in dem die „Aushöhlung des Parlamentsvorbehaltes“ betrieben werde, so IMI-Vorstand Tobias Pflüger in seinem Beitrag. Pflüger Verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Juli 1994 und das Parlamentsbeteiligungsgesetz aus dem Jahr 2005, die die Zustimmungspflicht des Bundestages für deutsche Kriegseinsätze – den Parlamentsvorbehalt – festschreiben, immer weiter ausgehöhlt würden. Es würden immer mehr Ausnahmetatbestände etabliert, so seien Einsätze von Sondereinheiten wie dem „Kommando Spezialkräfte“ von der Zustimmungspflicht ebenso ausgenommen wie Evakuierungseinsätze. Durch das zuvor beschriebene „Pooling & Sharing“ gerate der Parlamentsvorbehalt nun immer weiter unter Druck. Außerdem ermögliche das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 16.08.2012 nun erstmals den Einsatz der Bundeswehr „mit spezifisch militärischen Waffen“ bei „Ereignissen von katastrophischen Dimensionen“ im Innern, so Pflüger. Gleiches spiele sich auf EU-Ebene ab, wo der Einsatz des Militärs im Inland – mutmaßlich auch bei sozialen Unruhen – inzwischen mit der Solidaritätsklausel des Vertrags von Lissabon rechtlich verankert worden sei. „Die EU ist eine Wirtschaftsdiktatur geworden, die militärisch abgesichert wird“, so Pflügers Fazit.
Auf dem folgenden Podium „Kriegspolitik hinter den Kulissen“ wurden weitere Beispiele genannt, wie Debatten über Außenpolitik, Krieg und Frieden jenseits der öffentlichen Sphäre geführt werden.
In seinem Vortrag mit dem Titel „Militarismus im Hinterzimmer“ sprach Malte Lühmann über den Einfluss der Rüstungslobby auf die deutsche und europäische Politik. Dabei widmete er sich der Frage nach den konkreten Formen und der Reichweite dieser Einflussnahme. Lühmann machte klar, dass der Rüstungslobbyismus heutzutage nur im Kontext allgemeiner Entdemokratisierungstendenzen in der Politik zu verstehen sei. Im Rahmen der sog. „Postdemokratie“ (Colin Crouch) habe sich das Phänomen Lobbyismus in den letzten Jahrzehnten immer tiefer im politischen System festgesetzt. So arbeiteten in Berlin ca. 5.000 LobbyistInnen. Brüssel belege mit schätzungsweise 15-30.000 gar den Platz als zweite Lobby-Hauptstadt der Welt – nach Washington D.C. Im Rüstungsbereich sei schon seit den 50er Jahren die Rede vom militärisch-industriellen Komplex. Dieser Begriff, der eine besonders enge Vernetzung zwischen Industrie, Militär und Politik beschreibe, sei auch heute noch aktuell, wenn auch in veränderter Form. Rüstung sei eben nach wie vor ein „politisches Geschäft“.
In seinem Vortrag ging Lühmann auf die verschiedenen Formen der Einflussnahme durch die Industrie ein. Von offiziellen Konsultationen über Wahlkampffinanzierung – wie im Fall des Abgeordneten Johannes Kahrs – bis hin zu zahlreichen Vereinen und informellen Gesprächskreisen mit Rüstungsbezug bestehe sowohl in Berlin als auch in Brüssel ein dichtes Netzwerk. Mit dem Umbau der EU zu einem militarisierten Bündnis sei hier zudem ein neues Tätigkeitsfeld für Rüstungslobbyisten entstanden, denn immer mehr rüstungs- und sicherheitspolitische Entscheidungen würden in der EU-Hauptstadt getroffen. Basierend auf der Annahme, „keine gemeinsame Außenpolitik ohne gemeinsame Verteidigungspolitik – als Basis dafür: Eine starke Rüstungsindustrie“, seien europäische Konzerne von EADS bis Thales aktiv in die EU-Politik eingebunden und gestalteten politische Entscheidungen wesentlich mit. Vor diesem Hintergrund unterstrich Lühmann abschließend, dass das Thema Rüstungslobbyismus nicht nur aus Friedens- oder antimilitaristischer Perspektive ein Skandal sei, sondern auch im Kampf gegen die fortschreitende Entdemokratisierung in Europa ernst genommen werden müsse.
Christoph Marischka beschrieb, wie Entscheidungen im internationalen Raum und transnationalen Netzwerken getroffen und dann auf nationaler Ebene als vermeintliche Sachzwänge bestätigt werden. Dieser „Multilateralismus“ diene zugleich als Legitimation einer weiteren Militarisierung deutscher Außenpolitik. Oft werde Multilateralismus als „Diplomatie“ und damit Alternative militärischer Interessenspolitik verstanden, gegenwärtig sei aber Diplomatie häufig eher Vorstufe militärischer Interventionen. Wenn etwa Regierungen die Legitimität aberkannt oder Sanktionen verhängt werden, schaffe dies vor dem Hintergrund einer Politik des Regime Change Pfadabhängigkeiten in Richtung Intervention oder Bürgerkrieg. In der (politik-)wissenschaftlichen Debatte gilt das Agieren in internationalen Netzwerken als notwendiges und in der Praxis unabhängig von den eingesetzten Mitteln auch hinreichendes Charakteristikum für die Kategorisierung einer „Zivilmacht“ und als Voraussetzung „gerechter Kriege“. Dieser „ideologischen Begleitmusik in Form einer Scheindebatte“ hielt Marischka entgegen, dass die ausgreifenden Strategien westlicher Staaten unilateral hinsichtlich der Kosten und Risiken gar nicht realisierbar wären. An Beispielen aus Somalia und Afghanistan zeigte er zudem auf, dass die Internationalisierung der Außenpolitik keineswegs zu einer Verrechtlichung der internationalen Beziehungen führen müsse, sondern im Gegenteil zur Unterlaufung des (Kriegs-)Völkerrechts und einer Barbarisierung internationalisierter Bürgerkriege beitrage. Abschließend dekonstruierte Marischka an den Fällen Libyen und Mali die vorherrschende Darstellung, wonach die westlichen Interventionen v.a. auf „die klare Forderung der zuständigen regionalen Organisation, der Arabischen Liga“ (Harald Müller) bzw. der Regierung Malis zurückginge. Im Gegenteil wären die jeweiligen Forderungen wesentlich auf diplomatische Initiativen der interventionswilligen Staaten und die gezielte Marginalisierung anderer Akteure – in Libyen etwa der Afrikanischen Union – zurückzuführen. Die Verlagerung der Entscheidungen in undurchsichtige internationale Sicherheitsnetzwerke berge die Gefahr einer Eigendynamik, der sich die beteiligten Staaten und Bevölkerungen kaum mehr entziehen könnten. „Sicherheitsarchitekturen reagieren reflexartig mit militärischen ‚Lösungen‘, zunehmend losgelöst von nationalen oder demokratischen Entscheidungsprozessen“, befürchtet Marischka.
Das anschließende Podium „Unerklärte Kriege und automatisierte Gewalt“ näherte sich dem Kongress-Thema aus drei unterschiedlichen Perspektiven anhand von Fallbeispielen.
Peter Clausing eröffnete seinen Beitrag „Anti-Drogen-Kriege“ mit einem historischen Rückblick. Er beschrieb, wie Drogenkriege in anderen Ländern die Drogenökonomie nach Mexiko gebracht hätten und wie diese sich dort seither ausgebreitet habe. Clausing stellte seinem Vortrag die These voran, dass die Anti-Drogen-Kriege für die Einsätze des Militärs im Inneren als Laboratorium dienten. In seiner Analyse kommt er zu dem Schluss, dass heute letztlich gar kein Interesse an der „Lösung“ des Problems bestehe, sondern vielmehr davon auszugehen sei, dass die Aufrechterhaltung des „Drogenkrieges“ einer ganzen Reihe von Interessen innerhalb und außerhalb Mexikos nützlich sei. Unter anderem wurde dabei genannt, dass die Umsätze und Gewinne durch den Handel enorm seien. Überdies bilde der Kampf gegen die Drogen einen Vorwand, um soziale Proteste zu unterdrücken und damit den politischen Status quo zu erhalten. Zudem seien im Zuge des Anti-Drogen-Kriegs entvölkerte Gebiete leichter einer neuen Nutzung zuzuführen. Tendenziell seien die Interessen von Großagrarkonzernen oder von Minenunternehmen leichter durchsetzbar. Schließlich wies er auch darauf hin, dass die US-amerikanische „Hilfe“ für Mexiko im Kampf gegen die Drogenkartelle dem nördlichen Nachbarn die Chance böten, sich durch Kooperationen eine einseitige Abhängigkeit des mexikanischen Militärs zu generieren. Eine der unmittelbaren Folgen des Drogenkrieges sei – neben den Tausenden von Toten, die bisher den Auseinandersetzungen zum Opfer gefallen sind, eine deutlich sichtbare Verrohung der Zustände – die in zahlreichen Menschenrechtsverletzungen münden würden.
Ebenfalls mit einem historischen Überblick begann Werner Ruf seinen Vortrag zu dem Thema „Unerklärte Kriege im Sahel“. Die demokratischen Anfänge freier Wahlen in Algerien 1991/1992 hätten zu einem Putsch des Militärs geführt. Daraus habe die Marginalisierung und Radikalisierung von Bevölkerungsgruppen resultiert, was erst zu den nun unter dem Stichwort des Terrorismus bekannten Phänomenen geführt hätte. Das massive Vorgehen der Sicherheitsbehörden und des Militärs gegenüber der opponenten Bevölkerung, das an Brutalität deutlich die Züge einer auf Einschüchterung setzenden Kolonialpolitik gezeitigt habe, beendete keinesfalls die Proteste, sondern radikalisierte sie zusätzlich. Zugleich habe der Staat den Rückhalt der Bevölkerung für diese Gruppen schwächen wollen, indem er besonders radikale und rücksichtlose Zusammenhänge unterstützte. Als Beispiele wurden auch die Gruppen benannt, die unter der Bezeichnung Al-Qaida bekannt geworden sind. Der Handel mit Drogen auf der Transferroute von Südamerika nach Europa, Kidnapping von Touristen oder Mitarbeitern von Hilfsorganisationen sowie die Kontrolle über die Migrationsrouten aus dem südlichen Afrika in Richtung Europa würden den angeführten Gruppen einträgliche Einnahmequellen bescheren. Aufgrund seiner strategischen Lage und auch seiner Bodenschätze sei die Region schon früher den Begehrlichkeiten westlicher Mächte ausgesetzt gewesen. Aktuell sei sie dies aber in einer besonderen Form der Fall. Als Beispiele hierfür wurden die USA genannt, deren Interessen an Rohstoffen (vor allem an Öl) ein verstärktes Engagement bewirkt hätte sowie Frankreich, das nicht nur traditionell starke Bindungen in die Region unterhalte, sondern auch die für den Betrieb seiner Kernkraftwerke benötigten Rohstoffe aus dieser Gegend beziehe. Der entscheidende Punkt bei diesem Engagement sei, dass es wiederum die Machtinteressen ausländischer Mächte seien, die ein explizites Interesse an der „Nicht-Lösung“ der Konflikte in dieser Region hätten.
Mit einem Beitrag zum Thema „Verselbstständigte Kriege: Drohnen und gezielte Tötungen“ wurde ein weiterer Aspekt in die Diskussion eingebracht. Einleitend gab Wolfgang Kaleck einen Überblick über die Debatte zum Einsatz von Drohnen im Krieg. Dabei hob er besonders hervor, dass eine mit juristischen Mitteln vorgenommene Verfolgung von Delikten, die mit Drohnen verübt wurden, aufgrund der geringen Dokumentationsmöglichkeiten, der nicht vorhandenen Transparenzregeln und Festlegungen rechtlicher Verantwortlichkeiten nahezu unmöglich sei. Aus rechtlicher Sicht sei aber nicht nur die Verwischung der Grenzen zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben ein Problem, sondern weitere Aspekte kämen hinzu, wie die Auflösung von staatlicher Souveränität und der Gültigkeit völkerrechtlicher Standards. Unter Bezugnahme auf die Analyse des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Peter W. Singer machte Wolfgang Kaleck zudem die Tendenz aus, dass Drohneneinsätze von der Bevölkerung und den Medien nicht unbedingt als Krieg im herkömmlichen Sinn wahrgenommen würden und damit als Konsequenz die Hemmschwelle bei politischen Entscheidungsträgern zur Autorisierung von Kriegen mittels Drohnen erheblich sinke. Sein Appell, sich mit kritischen Beiträgen und Informationsarbeit in die noch junge Diskussion um Drohnen einzubringen, bildete den Abschluss.
Das Abendpodium beschäftigte sich mit „Klandestiner Kriegsführung“, wobei Jürgen Wagner zunächst auf „Spezialeinheiten als neue Speerspitzen des Interventionsimus“ einging. Er verwies dabei auf eine im Januar 2012 verabschiedete US-Globalstrategie namens “Sustaining U.S. Global Leadership”, mit der eine grundlegende Neujustierung US-amerikanischer Kriegspolitik eingeleitet worden sei: „Die neue US-Globalstrategie erteilt Besatzungseinsätzen mit großen Truppenzahlen wie in Afghanistan und im Irak eine Absage und setzt stattdessen auf klandestine Kriegsführung – allen voran auf Spezialeinheiten“, so Wagner. Die Aufwertung von Spezialeinheiten spiegele sich in einer massiven Erhöhung der Truppenzahlen (2001: 33.000; 2012: 63.000) und des Budgets (2001: 2.3 Mrd. Dollar; 2012: 10,5 Mrd. Dollar) wider. US-Spezialeinheiten seien in mindestens 75 Ländern aktiv, v.a. zum Training verbündeter Kräfte, aber auch für Sabotageakte zur Destabilisierung feindlicher Länder. Als Beispiele für diese Strategie, die versuche, ohne Bodentruppen Regimewechsel herbeizuführen, nannte Wagner Libyen, Syrien und den Iran, wo Spezialeinheiten allesamt eine wichtige Rolle spielen würden. Abschließend verwies Wagner noch darauf, dass im Zuge der allgemeinen Aufwertung von Spezialeinheiten auch das deutsche Kommando Spezialkräfte an Bedeutung gewinnen dürfte, das fernab jeglicher ernstzunehmender parlamentarischer und ganz zu schweigen einer öffentlichen Kontrolle operiere.
Den Samstagabend beschloss Claudia Haydt mit ihrem Beitrag über „Geheime Dienste – Geheime Kriege“. Die zunehmende Rolle deutscher Geheimdienste sei eine direkte Folge der gewandelten machtpolitischen Ambitionen der Bundesrepublik, so die Kernthese: „Je imperialer sich ein Staat verhält, desto aggressiver gebärden sich auch seine Geheimdienste“, so Haydt in Anlehnung an den Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom. Im Inland seien Geheimdienste vor allem mit Spionageabwehr und dem ausspitzeln vermeintlicher „Verfassungsfeinde“ beschäftigt. Hinzu komme aber ein immer stärker werdendes außenpolitisches Engagement. Es reiche von der Erstellung politischer Lagebilder und wirtschaftlicher Analysen bis hin zur Anfertigung militärischer Lagebilder. Dazu gehörten etwa die Informationsbeschaffung über die Struktur und Aktivitäten (feindlicher) Streitkräfte, ihre Waffensysteme oder auch über Truppenbewegungen. Eine direkte Unterstützung von Kriegseinsätzen sei etwa vom Bundesnachrichtendienst (BND) im Irak-Krieg 2003 erfolgt, der damals eine wichtige Rolle gespielt habe, indem die USA mit Informationen versorgt worden seien. Auch an der berüchtigten „Task-Force 47“, die für das Tanker-Massaker von Kunduz 2009 verantwortlich war, bei dem zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen, seien BND und Militärischer Abschirmdienst (MAD) beteiligt. CIA-Offiziere (inklusive BND-Präsenz) seien aktuell etwa in die Bewaffnung der „Freien Syrischen Armee“ involviert und somit an den Versuchen, in Syrien einen Regimewechsel herbeizuführen. „Geheimdienste sind unkontrollierbar, ihre Tätigkeit entzieht sich vollständig jeglicher Öffentlichkeit. Das ist in einer Demokratie nicht hinnehmbar. Sämtliche Geheimdienste gehören aufgelöst – sofort“, so Haydts Fazit.
Das erste Podium am Sonntagmorgen befasste sich mit dem Phänomen, dass gerade aus neuen Formen der demokratischen Partizipation, zivilgesellschaftlichen Kampagnen, Organisationen und Diskursen, häufig Forderungen nach militärischen Interventionen hervorgehen. Christoph Marischka versuchte sich hierfür einleitend an einer Begriffsklärung der „Zivilgesellschaft“. Er verwies dabei auf eine Mitteilung der EU-Kommission zu „Europas Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft im Bereich der Außenbeziehungen“, wonach Zivilgesellschaftliche Organisationen per se demokratisch seien, zu einem „größeren sozialen Zusammenhalt und freieren und vertieften Demokratien“ führten und deshalb „zum Aufbau von Staaten mit höherer Legitimation bei[tragen]“. Eine vergleichbare positive Konnotation werde implizit häufig auch von sozialen Bewegungen vertreten. Andere hingegen würden Zivilgesellschaft als „erweiterten Staat“ begreifen, in dem v.a. ökonomische Interessen durchgesetzt und „in dem Intellektuelle tätig werden, die Begriffe des Kollektivlebens zu konzipieren und den spontanen Konsens der Beherrschten zu organisieren“ (Alex Demirovic). In der Dokumentation einer Medico-Konferenz aus dem Jahre 2007 zu „kritische[r] Kampagnenarbeit in Zeiten der Globalisierung“ herrsche die Wahrnehmung vor, dass die Staaten infolge der Privatisierung des Politischen (des Sozialen, der Gesundheit, der Partizipation) an Legitimation eingebüßt hätten und sich in der „immer größer werdende[n] Lücke zwischen den Sphären der Staatlichkeit und den Bevölkerungen“ ein Raum für NGOs geöffnet hätte. Deren Arbeit werde darin grundsätzlich positiv bewertet, es gelänge demnach allerdings „der politische[n] und wirtschaftliche[n] Macht … immer besser, … NGOs entweder zu neutralisieren oder zu kooptieren.“ In jedem Falle, so Marischka, sei die Zivilgesellschaft als umkämpftes Terrain zu begreifen und werde v.a. in den Außenbeziehungen, im Zuge einer globalen Strategie der Aufstandsbekämpfung jedoch auch im Inneren, als eine Frage „nationaler Sicherheit“ behandelt. Es würden – ausgehend von der Außenpolitik – zunehmend staatliche Strategien zum gezielten Eingriff in die Zivilgesellschaft entwickelt, bei denen auch Geheimdienste eine Rolle spielten. Ein zentraler Mechanismus dabei sei derjenige der Intergration und Isolation, der Vernetzung und Marginalisierung. In Somalia und Mali etwa würden Gruppierungen aufgrund mutmaßlicher Verbindungen zum internationalen Terrorismus als Akteure und Verhanlungspartner gar nicht anerkannt. Vergleichbare Prozesse liefen auch innerhalb Deutschlands durch Zuschreibungen wie „militant“ oder „extremistisch“ ab, die von Geheimdiensten vorgenommen, bei politischer Oppertunität instrumentalisiert und teilweise unhinterfragt auch von sozialen Bewegungen internalisiert würden und bspw. Einfluss auf deren Bündnispolitik hätten. Auch in der Wissenschaft und hier gerade im Zuge staatlich induzierter „Interdisziplinierung“, etwa in Sonderforschungsbereichen, seien vergleichbare Mechanismen zu beobachten. Wer sich als nicht integrierbar erweist, wird isoliert. Dieser Prozesse, vor allem der Versuche zur Integration und Kooption, müsse man sich verstärkt bewusst werden, einen Umgang mit ihnen finden und Grenzziehungen permanent hinterfragen, so Marischka in der anschließenden Diskussion.
An die Ausführungen über die Zivilgesellschaft anknüpfend, sprach Thomas Mickan über das Thema „Mit Gewalt Gutes tun?“ Er beschäftigte sich dabei mit der Frage, „warum manche Menschen sich der Überzeugung hingeben, dass mit militärischer Gewalt Gutes vollbracht werden könne.“ Er zeichnete dabei die Debattenfunktion einer so genannter „diskursiven Polizei“ nach. Der Ausdruck beschreibe, wie bestimmte Ereignisse zu Symbolen würden, die das darauf folgende Denken auf die eine oder andere Weise rahmten und regulierten. „Ruanda“ und auch „Srebrenica“ seien Beispiele dafür. Sie wirkten wie eine Art Polizei in der Diskussion. Mit ihrer rot strahlenden Kelle winke diese Polizei kriegs- und militärkritische Positionen auf den Seitenstreifen der Debatte. Dadurch werde eine bestimmte militärbejahende Welt- und Machtvorstellung aufgezwängt. Unter anderem am Beispiel des „Will to intervene“ Projektes am „Montreal Institute for Genozid and Human Rights Studies“ verdeutlichte Mickan, wie über die Politik der Kampagne Massenverbrechen als Debattenbeiträge für Militärinterventionen instrumentalisiert werden. Das notwendige Lernen aus der Geschichte solch unsagbarer Verbrechen dürfe dabei aber gerade nicht heißen, sie auf einfache Erklärungsmuster, auf Schlagwörter für die politische Debatte zu reduzieren, um mit ihnen heutige Interventionen und Militäreinsätze zu legitimieren. Es gelte vielmehr als Bestandteil einer notwendig facettenreicheren öffentlichen Auseinandersetzungen bei diesen Verbrechen immer auch die strukturelle Verstrickung des Militärs zu betonen, wenn die „diskursive Polizei uns auf den Seitenstreifen winkt.“ Sonst werde Militärbejahung immer mehr zur Norm und zum Rahmen, der durch die Aufrufung von Symbolen die emotionalen Bindungen zur Welt regele.
Unter dem Titel „Netzkultur und die Frage von Krieg und Frieden“ referierte Jörg Friedrich zu „Feindkonstruktionen und Frontenbildung“ in der Netzwelt. Friedrich arbeitete zunächst die Besonderheiten der Meinungsbildung in sozialen Netzwerken, vor allem in Twitter, heraus. Zum einen sei die Informations- oder auch Meinungsvermittlung über Twitter aufgrund der Begrenzung eines „Tweets“ auf 140 Zeichen gezwungenermaßen beschränkt. In anderen sozialen Netzwerken wie Facebook oder Google+ sei das zwar nicht vorgegeben, hier sei allerdings ebenfalls eine „Twitterisierung“ zu beobachten, insofern auch hier die Nutzer sich auf sehr kurze Statements beschränken würden. Zum anderen würden Debatten in diesen Netzwerken selten über einen längeren Zeitraum geführt werden, da sie sehr schnell von neuen Einträgen verdrängt würden.
Das Nutzerverhalten sei in den sozialen Netzwerken stark vorgegeben, wobei Friedrich darauf hinwies, dass sich die Unternehmen wie Facebook und Twitter dabei stark an dem orientieren, was die Nutzer wünschten. Das Internet verändere demnach nicht die gesellschaftliche Kommunikation, es würde vielmehr die vorherrschenden Formen reproduzieren. So gebe es bei diesen Medien die Möglichkeit schnell und einfach Zustimmung zu signalisieren und den Eintrag unkommentiert weiterzuverbreiten. Es sei hingegen weder bei Facebook noch bei Twitter vorgesehen, mit „einem Klick“ eine Aussage abzulehnen. Eine vergleichbare Tendenz, eher Zustimmung als Ablehnung zu signalisieren, sei jedoch auch im unmittelbaren zwischenmenschlichen Kontakten – etwa bei Vorträgen – zu beobachten.
Auch wies Friedrich darauf hin, dass – anders als „auf der Straßen“ – es weitaus schwieriger sei, Menschen, die sich nicht sowieso schon mit einem Thema beschäftigen, zu erreichen. Dies läge daran, dass sich in den sozialen Netzwerken Resonanzräume bilden würden, in denen bestimmte Meinungen aber auch Informationen kursieren würden, die allerdings kaum in andere Räume vordrängen. Er wählte das Beispiel der Proteste von Flüchtlingen vor dem Brandenburger Tor, die in bestimmten Gruppen in sozialen Netzwerken stark debattiert, von der breiten Öffentlichkeit allerdings erst dann wahrgenommen worden seien, als sie von der Presse aufgegriffen wurden. „In diesem Beispiel hat das Internet keine Öffentlichkeit hergestellt, weswegen dann nach der Presse gerufen wurde, die in der Lage ist, Öffentlichkeit über die Grenzen eines Resonanzraumes herzustellen“. „Das Problem des Internets ist die fehlende Leiblichkeit“, stellte Friedrich abschließend fest. „Wir haben im Internet die Möglichkeit alles wahrzunehmen, aber wir haben auch die Möglichkeit alles zu ignorieren“. Daher könnte die Kundgebung von Meinungen in sozialen Netzwerken die Demonstration auf der Straße auch nicht ersetzen.
Auf dem Abschlusspodium verwies Wolfgang Kaleck auf die Grenzen und Chancen, dem Krieg juristisch Fesseln anlegen zu können. Daraufhin gingen mehrere der Mitorganisatoren auf das antimilitaristische „War Starts here“-Camps ein, mit dem Mitte September gegen das Gefechtsübungszentrum Colbitz-Letzlinger Heide (GÜZ) protestiert wurde. Beim GÜZ handelt es sich um ein Übungsgelände, das jetzt um eine komplette „Kampfstadt“ („Schnöggersburg“) ergänzt werden soll, in der Soldaten sowohl die Kriegsführung im Ausland, aber auch die Aufstandsbekämpfung im Inland üben können. Die daran anschließende Schlussdiskussion beschäftigte sich vor allem mit anstehenden Schwerpunkten der Friedens- und Antikriegsbewegung. Vor allem Drohnen-Kriege sowie Aufstandsbekämpfung im Inland wurden dabei mehrfach als wichtige kommende Themen hervorgehoben, die beide auch wesentlich mit dem Thema des Kongresses zusammenhängen.