Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2022/023

Rassistische Traditionen

Rede vor dem U.S. Africa Command (AfriCom) in Stuttgart, 28.5.2022

Pablo Flock (30.05.2022)

Liebe Friedensfreunde und Kriegsgegner*innen,

Seit fast 15 Jahren existiert nun das Africom und koordiniert alle Einsätze auf dem afrikanischen Kontinent – außer Ägypten das dem CentCom untersteht – und arbeitet dabei besonders mit der US AirForce in Rammstein und dem Camp Lemmonier in Djibouti zusammen.

Schon im 19. und 20. Jahrhundert stand die pro-koloniale und rassistische Politik der USA in Afrika diametral dem entgegen, was man heute „westliche Werte“ nennt.

Sie unterstützten die belgische Schreckensherrschaft im Kongo und das rassistische Apartheidregime in Südafrika. Die CIA war sowohl an der Ermordung des anti-kolonialen Anführers und ersten gewählten Premierministers des Kongos, Patrice Lumumba, sowie an der Verhaftung Nelson Mandelas beteiligt.

1986 bombardierten die USA Libyen,…. das sie 25 Jahre später, zusammen mit Großbrittanien und Frankreich, noch einmal in Schutt und Asche bombardierten.

Das 21. Jahrhundert beginnt mit dem 11. September 2001, sagen manche.

Der „Kampf gegen den Terror“, der damals ausgerufen wurde, bestimmt bis heute das meiste militärische Geschehen – auch in Zeiten wo der Ukraine-Krieg die Medien bestimmt.

Hier beginnt auch das wachsende Interesse der Vereinigten Staaten an Afrika.

Mit dem Camp Lemmonier in Djibouti hatte es 2001 die erste – und bis heute einzige offizielle – Militärbasis in Afrika an einem geostrategisch wichtigen Ort eröffnet, der nicht nur wichtig für die Sicherung der internationalen Handelswege ist, sondern auch an den Jemen und Somalia angrenzt, die die USA als Brutstätten für Terrorismus ausmachte.

Durch die Finanzierung und Unterstützung ausgewählter Warlords und der äthiopischen Invasoren nahm die USA Partei im somalischen Bürgerkrieg. Durch die Zerstörung der recht stabilen und friedlichen, wenn auch fundamental-islamistischen, Föderation „Islamic Court Union“ und den Terror, den die mit den USA Verbündeten Warlords in der Bevölkerung verbreiteten, erschufen sich die USA ihren neuen Feind: die Anschläge ausführende al-Shabab Miliz, die später alQuaida die Treue schwor.

In Anbetracht dieser neuen viel-oder-keine-Fronten Kriege, liegt die Errichtung einer Kommandozentrale in Europa nahe. Von Stuttgart aus fliegt man in zwei Stunden nach Tunesien, doch die hohen Militärs und ihre Familien leben in erst-sahnigstem erste Welt Luxus – weit weg von einjedem, der sich mit den Opfern ihrer Politik identifizieren und solidarisieren würde.

Die Kinder der Opfer ihrer Drohnenschläge können hier keine Rache üben.

Dass die Einrichtung eines solchen Hauptquartiers mit einem Einsatzgebiet außerhalb der NATO-Länder eigentlich von Bundestag und Bundesrat bestätigt hätte werden müssen – wie es beispielsweise der pensionierte Bundesverfassungsrichter und Völkerrechtler Dieter Deiseroth kritisiert – scheint bis heute niemand zu interessieren.1

In militarisierten Zeiten, in denen der Rüstungshaushalt mal eben verdoppelt wird, ist das nicht verwunderlich.

Jedenfalls begann mit dem US Africa Command eine neue, strategische Ära:
Die durch militärische Missionen basierend auf der „Politik des kleinen Fußabdrucks“ gekennzeichnet ist.

Das heißt:

– man hat sehr wenig Soldaten auf dem Boden, minimiert seine eigenen Gefallenen und erhält somit leichter den Rückhalt in der Bevölkerung

– parlamentarische Kontrolle wird erschwert, da die Parlamente oft nur bei der Truppenmandatierung mitsprechen

(das läuft so übrigens auch in Deutschland: kleine Truppen von Sondereinsatzkräfte kann die Regierung einfach senden!)

– Die Drecksarbeit machen in dieser Strategie lokale Verbündete, die sich aus der lokalen Bevölkerung rekrutieren,
und man schickt bombardierende Flugunterstützung – heute auch gerne in Form unbemannter Drohnen.

Natürlich schickt die USA auch Soldaten nach Afrika. In der Strategie der USA ist der Kontinent überhaupt nicht marginal.

Ab 2013 wurde für das Africom fast das doppelte an Budget eingeplant wie für das EUCOM, das auch in Stuttgart liegt und für Europa inklusive Russland zuständig ist.2
(Durch die jüngsten Ereignisse kann sich dieser Trend mittlerweile wieder gewendet haben)

Über den Freedom of Information Act eingeforderte, ehemals klassifizierte Dokumente des Africoms ist klar, schon 2015 unterhielt das Kommando rund 36 teils geheime Außenposten in 24 afrikanischen Ländern.

Von 2006 bis 2016 stieg der Anteil Afrikas als Einsatzziel US-amerikanischer Spezialeinheiten von 1% auf über 17% an – tatsächlich, so geht es aus offiziellen Papieren des hier angesiedelten „Special Operations Command in Africa“ hervor, werden nur noch im mittleren Osten mehr Spezialeinheiten eingesetzt als in Afrika.3

Die meisten Leben verlieren wohl Somalis durch US-Militärgewalt in Afrika.

Insgesamt verloren rund 1500-2000 Menschen ihr Leben durch US-Drohnenangriffe in Somalia. Laut offiziellen Zahlen waren maximal 120 davon Zivilisten.4

Doch Recherchen der britischen NGO Airwars in Zusammenarbeit mit dem Bureau of Investigative Journalism, deren Berechnungen zu immensen zivilen Opfern die US-Armee auch im Fall Syriens annehmen musste, bestätigten, dass alleine zwischen 2007 und 2020 nahezu 140 getötete Zivilisten ungezählt blieben.5

Hinzu kommen hunderte bis tausende Verschleppte, oft unschuldige von Kopfgeldjägern diffamierte, die in CIA-Foltergefängnissen wie Guantanamo und ähnlichen in Afrika und Europa oft jahrelang festgehalten und verhört wurden – ohne jegliche Gerichtsverhandlung oder Urteile.

Auch als Folterberichte von, mit lokalen Kräften geteilten, US-Basen in Kamerun öffentlich wurden, schob man dies beim Africom weg – man wolle nichts davon mitbekommen haben.6

Diese Spiel des Nicht-Zugebens getöteter Zivilisten oder ungerechtfertigter brutaler Handlungen kennen wir von unseren eigenen Regierungen. Wer auf Butscha zeigt, zeigt ebenso auf die EU.

Der damalige Oberst Klein, der die Bombardierung zweier Tanklaster in Afghanistan befehligte und dabei rund 140 Zivilisten und kaum Taliban tötete, wurde von Kriegsverbrechen und Versagen im Amt frei gesprochen, weil er bei seinen angeblichen – aber offensichtlich falschen – geheimdienstlichen Informationen fest hielt – ohne dass er nachweisen musste, dass es diese gab, wie sie lauteten und woher sie kamen. Mittlerweile wurde er zum Brigade General befördert.7

Ähnlich läuft es bei unserem Partner Frankreich.

Das Massaker das ein französischer Hubschrauber im letzten Jahr in Mali an einer Hochzeitsgesellschaft der Ethnie Fulani beging, wird mittlerweile von der UN-Mission in Mali als solches benannt. Frankreich weigert sich dies einzugestehen.8

Am französischen und europäischen Anti-Terrorkampf im Sahel werden die Widersprüche des „Anti-Terrorkriegs“ sehr deutlich.
Eine lange wachsende Liste an militärischen Missionen im Sahel führte zu nur mehr terroristischer Aktivität, mehr terroristischen Gruppen und immer mehr betroffenen Gegenden in denen Gewalt herrscht.

Zudem nimmt die Bevölkerung die fremden Truppen, und besonders die ehemalige Kolonialmacht Frankreich zunehmend als neokoloniale Besatzer wahr.
Und das nicht nur in Mali wo man deswegen nun zu den Russen übergelaufen ist.
Auch in Burkina Faso und im Niger wird immer mehr gegen die fremde Militärpräsenz demonstriert, was „unsere Verbündeten“ dort mit Repression beantworten.9

Unzufriedenheit mit korrupten Regierungen und das Bedürfnis nach einer bezahlten Arbeit sind laut der Studie „journey to extremism“ der Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen (bekannt als UNDP) der größte Treiber für die Rekrutierung in terroristische Organisationen.10

Kriegerische Gruppen, ob staatlich oder rebellisch oder terroristisch, organisieren und rekrutieren sich entlang ethnischer und religiöser Trennlinien,
doch die treibende Kraft für Rekrutierung und Wut auf andere, die generelle Unzufriedenheit und Ausweglosigkeit, hat fast immer ökonomische Faktoren.

Armut ist der Hauptgrund für Aufstände und Bürgerkriege. Sowohl die staatlichen Armeen wie auch die Rebellengruppen sind oft die einzigen Chancen auf ein „sicheres“ Einkommen.

Wer will schon für 1$ am Tag die Harke schwingen und dem immer weiter austrocknenden Boden das letzte abgewinnen, während französische, kanadische und chinesische Minenarbeiter im dicken Jeep die Bodenschätze aus der Nachbarschaft wegkarren.

Deswegen kann der Kampf gegen den Terror nicht militärisch gewonnen werden.

Wir müssen die Armut bekämpfen, und den Klimawandel.

Die Überfischung der Meere vor Somalia und in Westafrika, die den Fischern die Lebensgrundlage wegnimmt, muss genauso gestoppt werden, wie die Ausbreitung der Sahara.

Die Milliarden, die im Moment ins Militär gesteckt werden, sollten in Aufforstung, Bildung und Programme zur Deckung der menschlichen Grundbedürfnisse gesteckt werden.

Der Frieden kann nur friedlich gewonnen werden.

Vielen Dank!

Anmerkungen:

1 Beispielsweise auf S. 35 in „Geheimer Krieg“ von Christian Fuchs und John Goetz. 2013 Rowohlt: Hamburg

2 Ebd. S. 33

3 Nick Turse: The U.S. is waging a massive shadow war in Africa, exclusive documents reveal. 18.5.2017 vice.com

4 The War in Somalia. newamerica.org

5 Nick Turse: New data shows the U.S. military is severely undercounting civilian casualties in Somalia 25.02.2020 theintercept.com

6 Nick Turse & Robert Trafford: Pentagon denies knowledge of Cameroon base abuses – despite being aware of reports of torture. 31.07.2017 theintercept.com

7 IMI-Analyse 2021/05: Gesetzeslose Soldaten. Wie Regierungen Kriegsverbrecher vor Bestrafung schützen. Pablo Flock 10.2.2021 imi-online.de

8 IMI-Standpunkt: 2021/017: Mali: Bounti war ein Massaker. 01.04.2021 imi-online.de

9 IMI-Standpunkt 2021/063: Wi(e)der die Kolonialmacht? Wie Frankreich in Westafrika die Kontrolle entgleitet. Pablo Flock 17.12.2021 imi-online.de

10 Die Ergebnisse der Forschungsgruppe der UNDP: journey-to-extremism.undp.org

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