Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2023/15

Zielbilder für Großmachtkriege

Die neuen Streitkräfteplanungen von Heer und Marine

Jürgen Wagner (20.03.2023)

Im Juni 2022 wurde beim NATO-Gipfel in Madrid unter anderem ein neues Streitkräftemodell verabschiedet, das die gegen Russland mobilisierbaren Truppen um ein Vielfaches erhöht. Davon ist auch die Bundeswehr betroffen, weshalb die Landstreitkräfte ihre Pläne bereits im August 2022 in ein neues „Zielbild Heer“ einfließen ließen, das seither immer wieder angepasst wird. Am 8. März wurde dann bekannt, dass die ersten Umgruppierungen im Heer bereits ab dem 1. April beginnen sollen. Kurz zuvor zog auch eine weitere Teilstreitkraft nach: Am 5. März landete kurzfristig das „Zielbild Marine 2035+“ (ZBM2035+) angeblich aus „Versehen“ auf der Homepage der Bundeswehr, wurde aber kurz darauf unter dem Verweis, es befinde sich noch in Arbeit, wieder entfernt (eine Kopie findet sich bei web.archive.org).

Auf Basis des neuen NATO-Streitkräftemodells wird der Materialbedarf der Marine ebenfalls konsequent auf einen möglichen Krieg mit Russland ausgerichtet. Auffällig ist dabei die hohe Zahl KI-gesteuerter unbemannter Systeme, die neu eingeführt werden sollen, was auf die neue Einsatzdoktrin teilstreitkräfteübergreifender Kriegsführung zurückzuführen ist. Doch auch die noch gar nicht bewilligte milliardenschwere neue Fregattengeneration F-127 darf sich in dem Papier präsentieren. Nahezu zeitgleich und womöglich nicht zufällig mit dem Leak des Zielbilds präsentierte ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) diversen Abgeordneten seine Entwürfe. Apropos Milliarden: Wie die ambitionierten Pläne der Marine finanziert werden sollen, ist völlig unklar, allerdings ist es ja gerade auch ein Zweck solcher Wunschlisten, noch mehr Gelder loszueisen.

Neues Streitkräftemodell 

Die ebenfalls im Juni 2022 verabschiedete neue NATO-Strategie identifiziert die „Russische Föderation“ als die „größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten“. Aus diesem Grund müsse die Allianz eine „substantielle und durchgängige Präsenz auf dem Land, zur See und in der Luft sicherstellen“. Vor diesem Hintergrund zählte der Ausbau der permanenten NATO-Präsenz an Russlands Westgrenze – neben der Aufnahme Schwedens und Finnlands und der damit einhergehenden Verdopplung der NATO-Grenze mit Russland – zu einem der wichtigsten Beschlüsse des Gipfels. Konkret werden die bisher in den drei baltischen Staaten und in Polen befindlichen NATO-Bataillone (~1.000-1.500 Soldat:innen) auf Brigadestärke (~5.000 Soldat:innen) aufgestockt. Außerdem wurde beschlossen, solche nun unter dem Begriff „Intensified Forward Presence“ firmierende Vorposten auch in vier weiteren Ländern (Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien) zu errichten.

Bereits kurz vor Gipfelbeginn drang darüber hinaus an die Öffentlichkeit, die NATO beabsichtige, ihr Streitkräftemodell grundsätzlich neu aufzustellen (siehe Nato will Schnelle Eingreiftruppe auf über 300.000 aufstocken, Telepolis, 28.6.2022). Konkret geht es um ein neues dreistufiges NATO-Streitkräftemodell (NATO Force Model, NFM), wobei die bisherigen Zahlen der schnell mobilisierbaren Truppen von bislang 40.000 Soldat:innen und von 30.000 Soldat:innen mit etwas geringerer Bereitschaft massiv aufgestockt werden sollen: „Der Anspruch des NFM ist, etwa 800.000 Soldaten zu organisieren. Es teilt die Streitkräfte und Fähigkeiten der Alliierten verschiedenen potentiellen Konfliktregionen innerhalb des euroatlantischen Raums zu, etwa dem Ostseeraum, und organisiert sie in drei Stufen, sogenannten Tiers, mit wachsender Bereitschaftszeit. Tier 1 und Tier 2 bilden mit 100.000 bzw. 200.000 Soldaten den Kern und weisen mit 10 bzw. 30 Tagen eine hohe Reaktionsbereitschaft auf. Tier-3-Truppen, weitere 500.000 Soldaten, sollen graduell in bis zu 180 Tagen einsatzbereit sein.“ (Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 2022/A49)

Insgesamt bedeutet das rund eine „Verzehnfachung der für die Mobilisierung unter NATO-Kommando eingeplanten Truppen“, was natürlich auch an der Bundeswehr nicht spurlos vorbeigehen konnte (siehe IMI-Analyse 2022/45).

Zielbild Heer – „Operativer Türkeil“

Im Lichte der neuen Aufgaben hatte die Bundeswehr bereits 2018 im Fähigkeitsprofil zugesagt, bis 2027 eine schwere Division (~15.000-20.000 Soldat:innen) und bis 2031 drei Divisionen in die NATO einzuspeisen (siehe Deutschland auf (Führungs-)Kurs, Telepolis, 26.12.2019).

Ebenfalls schon im Vorfeld des NATO-Gipfels drang durch, das Fähigkeitsprofil müsse aufgrund des neuen NATO-Streitkräftemodells früher umgesetzt werden. Im August 2022 wurden dann weitere Details des auf dieser Grundlage entworfenen „Zielbild Heer“ bekannt, das zwar unter Verschluss ist, über das aber im Reservistenmagazin „loyal“ ausführlich berichtet wurde. Demzufolge solle die erste Division nun bereits 2025 zur Verfügung stehen, eine zweite dann 2027 folgen und die letzte noch vor 2030 aufgestellt sein.

Neben schweren Verbänden zur „Landesverteidigung“ gegen gegnerische Großmächte und leichten Einheiten für Interventionen im Globalen Süden werden nun die neuen Mittleren Kräfte eingeführt. Zukünftig soll die Division 2025 unter Führung der 10. Panzerdivision über eine schwere und zwei mittlere Brigaden verfügen, der Division 2027 (1. Panzerdivision) zwei Schwere und eine Mittlere und der dritten Division sollen dann die leichten Kräfte zugeordnet werden.

Im Zuge der Debatte um diese Neuaufstellung war es lange zu teils hitzig geführten Auseinandersetzungen innerhalb der Truppe gekommen, die sich im Wesentlichen auf die Frage herunterbrechen lassen, ob die neuen Mittleren Kräfte eher auf Tempo (Rad) oder Feuerkraft (Kette) setzen sollen. Was die unterschiedlichen Geschwindigkeiten anbelangt, wurde dabei zum Beispiel bei Soldat & Technik (10.3.2023) folgende Rechnung aufgemacht: „Dem Beispiel zufolge sind selbstverlegefähige Kräfte auf Rad – wenn auch mittels Inkaufnahme von einer gewissen Belastung für das Material – in der Lage, ein rund 600 Kilometer entferntes Ziel im Straßenmarsch in 10,5 Stunden zu erreichen. In der gleichen Zeit kämen Kettenfahrzeuge nur 195 Kilometer weit, was rund einem Drittel der Radstrecke entsprechen würde.“

Da als wahrscheinlichstes Szenario ein Einsatz der Bundeswehr nicht an der Landesgrenze, sondern nahe Russland angenommen wird, sollen die neuen Mittleren Kräfte einen „guten“ Kompromiss zwischen Tempo und Feuerkraft darstellen. Ihre Aufgabe wird es künftig sein, an der NATO-Ostflanke die Stellung solange zu halten, bis die verstärkenden schweren Kräfte eingetroffen sind. Vor diesem Hintergrund verkündete die Bundeswehr am 8. März 2023 die Entscheidung, die Mittleren Kräfte ausschließlich mit Radpanzern ausstatten zu wollen und erklärte dabei nebenbei auch gleich noch einmal, was aus ihrer Sicht die Aufgabe dieser Einheiten sein soll:  „Warum ist und bleibt das Rad so wichtig? Mittlere Kräfte sind eine neue Kräftekategorie, die ausschließlich auf radbewegliche Gefechtsfahrzeuge baut. Radbewegliche Kräfte zeichnet besonders aus, dass sie entlang von Straßen und Wegen aus eigener Kraft schnell in ein Einsatzgebiet verlegen können. Sie bieten eine effektive, schlagkräftige Kombination aus Wirkungsmöglichkeiten, Mobilität und Schutz. Im Konfliktfall können sie als schnell verlegbarer und zugleich stärker durchsetzungs- und durchhaltefähiger ‚operativer Türkeil‘ die notwendige Zeit zum Einsatz weiterer, vor allem schwerer Kräfte, verschaffen.“

Angesichts dessen ist es in sich logisch, dass kürzlich in der NZZ berichtet wurde, die Bundeswehr plane „mehrere hundert“ in Australien gefertigte Radpanzer Boxer beschaffen zu wollen (Rheinmetall hat dort ein Werk errichtet), da das „deutsche Heer beabsichtigt, den Boxer zum Hauptkampfsystem seiner «mittleren Kräfte» zu machen.“ Dem gewöhnlich gut informierten Militärblog Augengeradeaus zufolge soll es um ein Geschäft im Umfang von 1,9 Mrd. Euro gehen. Mit der sich bereits länger anbahnenden Entscheidung, die Mittleren Kräfte mit Radpanzern auszustatten, sank dementsprechend auch der Bedarf nach Puma-Kettenpanzern. Im Frühjahr 2022 war noch die Rede davon, zusätzlich zu den bereits zugelaufenen 350 Exemplaren solle ein zweites Los mit weiteren 229 Puma-Panzern beschafft werden. Durch die sich abzeichnende Präferenz für Radpanzern und sicherlich zusätzlich begünstigt durch immer neue Pannen reduzierte sich diese Zahl im Laufe der Monate auf nunmehr 50 Stück (siehe IMI-Analyse 2023/02).

Der Umbau beginnt

Nach Angaben von Heeresinspekteur Alfons Mais soll beim Umbau der Truppe kaum ein Stein auf dem anderen bleiben: „Von 130 Strukturelementen des Heeres sind rund 120 betroffen. […] Zum Beitrag des Heeres: Das war bislang periodisch […] Jetzt sind wir bei anderen Größenordnungen, sprechen über permanente Verfügbarkeit von Brigaden und Divisionen. Vom Umfang her Verdreifachen wir die Kräftebindung der Landstreitkräfte, gehen aus der periodischen in eine kontinuierliche Bereitschaft über.“

Und genau damit soll ab 1. April 2023 begonnen werden, wenn die ersten Umgruppierungen starten sollen, über die die Bundeswehr Anfang März informierte: „Konkret heißt das: Die Gebirgsjägerbrigade 23 der 10. Panzerdivision wird künftig der Division Schnelle Kräfte unterstellt, das Panzerbataillon 363 der Panzergrenadierbrigade 37 wechselt in die Panzerbrigade 12. Die Panzergrenadierbrigade 37 erhält hingegen das Augustdorfer Panzergrenadierbataillon 212 der Panzerbrigade 21. Die Panzerbrigade 21 erhält das Jägerbataillon 91 von der Panzerlehrbrigade 9 sowie das Jägerbataillon 413 der Panzergrenadierbrigade 41.“

Um möglichst schnell verlegbar zu sein, sollen diese Großverbände über eine „Kaltstartfähigkeit“ verfügen, das heißt, ihr Ausstattungsniveau müsste dafür sogar deutlich über 100 Prozent liegen, wie zum Beispiel bei Soldat & Technik(24.3.2022) erläutert wird: „Konsequent zu Ende gedacht, erfordert eine Kaltstartfähigkeit eine Vollausstattung in Höhe von etwa 130 Prozent an Material sowie eine gewisse, noch zu definierende Personalreserve. Alles andere wäre nur ein ‚Verfügbarkeitsmanagement‘ auf einem höheren Niveau.“ Gleichzeitig sieht die Mittelfristige Personalplanung einen Aufwuchs der Bundeswehr von aktuell rund 180.000 auf 203.000 Soldat*innen vor, um die anvisierten Großverbände auch auffüllen zu können (IMI-Analyse 2023/09). Somit stellt das NATO-Streitkräftemodell vor allem das Heer personell wie materiell vor immense Herausforderungen, doch auch bei der Marine wurde nun auf dieser Grundlage ein neues Zielbild entwickelt.

Zielbild Marine: Die Lage

Begonnen wird im „Zielbild Marine 2035+“ mit einem Kapitel „Die Lage“, in dem die grundsätzlichen Prioritäten der Teilstreitkraft beschrieben werden. Die dem im Juni 2022 beschlossenen neuen Strategischen Konzept zu entnehmende Eskalation der Beziehungen zu Russland verändere „wesentliche Parameter“ für die „langfristige Ausrichtung“ der Marine. Lange habe die Ausrichtung auf sogenannte Stabilisierungseinsätze im Globalen Süden Priorität oder zumindest Gleichrangigkeit gegenüber der Fähigkeit gehabt, im „hochintensiven Gefecht“ (vor allem mit Russland) bestehen zu können.

Nun sei aber der „Auftrag zur Landes- und Bündnisverteidigung“ (vor allem gegen Russland) „bestimmend“, was sich auch auf die Teilstreitkräfteplanung des ZBM2035+ auswirke, die sich aus den „Vorgaben des NATO Force Model“ ergeben würde. Von den einstmals so vielbeschworenen „humanitären“ Interventionen im Globalen Süden will man heute, da sich mit Russland ein völlig neues und ungleich größeres Rüstungsfeld auftut, auch in der Marine augenscheinlich nicht mehr viel wissen.

Konkret ergeben sich im Zielbild daraus folgende Prioritäten und regionalen Operationsschwerpunkte: „Gegenüber der Zielsetzung, in langandauernden Einsätzen niedriger Intensität durchgängig Marineeinheiten binden zu können, gewinnen andere Faktoren an Gewicht: Kriegstauglichkeit, Kaltstartfähigkeit, eingehende Kenntnis der wesentlichen Operationsräume Nordatlantik, Nord- und Ostsee sowie Präsenz ebenda bereits im Frieden. […] Seekriegsmittel ausschließlich auf lang andauernde Einsätze niedriger Intensität auszurichten, ist abzulehnen.“ (ZBM2035+)

Mehrdimensionale Kriegsführung

Was die Einsatzdoktrin anbelangt, versteht sich das ZMB2035+ als konsequente Umsetzung der von den USA entwickelten „Multi Domain Operations“ (MDOs). Dort wurde spätestens mit der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2015 noch unter Präsident Barack Obama mit einer verstärkten Fokusverschiebung der Strategie- und Streitkräfteplanung hin zu Großmachtkriegen begonnen, die sich auch in den zentralen Dokumenten der Trump-Administration fortsetzte (wenn auch mit einem stärkeren China-Fokus).

Direkt aus der unter Trump veröffentlichten Nationalen Verteidigungsstrategie abgeleitet, wurde im Dezember 2018 mit dem Dokument „The U.S. Army in Multi-Domain. Operations 2028“ ein neues Einsatzkonzept eingeführt, über das der Wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses (21.11.2022) schreibt: „Im Dezember 2018 führte die Armee ihr operatives Konzept der Mehrebenen-Operationen (MDOs) ein. Laut der Armee wurden MDOs als Antwort auf die Nationale Verteidigungsstrategie aus dem Jahr 2018 entwickelt, die den bisherigen sicherheitspolitischen Fokus  der USA von der weltweiten Bekämpfung gewalttätiger Extremisten hin zur Konfrontation mit revisionistischen Mächten verschob – vor allem mit Russland und China.“

Im Kern laufen die MDOs darauf hinaus, dass eine „optimale“ Schlagkraft dann entfaltet werden kann, wenn teilstreitkräfteübergreifend alle Fähigkeiten vernetzt und mit hohem Tempo zum Einsatz gebracht werden können. Zu diesem Ergebnis gelangt auch das ZBM2035+, das MDOs folgendermaßen definiert: „Die Marine […] fügt sich in Multi-Domain Operations (MDO) ein, also in eine Operationsführung, die Aktionen in den Dimensionen See, Land, Luft und Cyber orchestriert, mit nichtmilitärischen Maßnahmen synchronisiert und mit der erforderlichen Geschwindigkeit auf ein gemeinsames Ziel hin zusammenführt. Die Marine muss ihren Beitrag also bundeswehr- und bündnisgemeinsam sowie gesamtstaatlich vernetzt erbringen.“ (ZBM2035+)

Insofern ist auch klar, dass der Datenerhebung und damit auch dem Einsatz Künstlicher Intelligenz dabei eine besondere Bedeutung beigemessen wird, was sich dann auch in der konkreten Streitkräfteplanung niederschlägt: „Dringendste Aufgabe ist ein hinreichendes und kontinuierlich geführtes Lagebild über alle Aktivitäten im eigenen Operationsraum unterstützt durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz.“ (ZBM2035+)

„Quantität hat Qualität“

Auch wenn Nordatlantik und Nordsee ebenfalls aufgeführt werden, kristallisiert sich die Ostsee im Zielbild als klarer Schwerpunkt heraus. Die Fähigkeit zu „Abschreckung und Verteidigung“ hänge primär von der „Verfügbarkeit von Kräften und Mitteln in ausreichendem Umfang“ ab, was heiße: „Quantität hat eine eigene Qualität“. Dies alles erfordere ein „umfassendes Fähigkeitsprofil“, das im ZBM2035+ dann auch mit konkreten Zahlen unterlegt wird.

Die wichtigsten Schiffseinheiten mitsamt Zielgrößen des Zielbilds wurden beim Fachportal Europäische Sicherheit & Technik (6.3.2023) folgendermaßen zusammengefasst: „Die Deutsche Marine geht in den Jahren nach 2035 offenbar einer Zielstruktur von 15 Fregatten, 6 bis 9 Korvetten, 6 bis 9 U-Booten, acht Seefernaufklärern, drei Flottendienstbooten, drei Flottentankern und sechs Unterstützungsplattformen entgegen […] Bis zu 12 Minenabwehrplattformen sind als Nachfolge des Typs 332 vorgesehen.“

Bemerkenswert ist dabei zunächst einmal, dass ganz den Anforderungen der MDO-Einsatzdoktrin entsprechend, fast alle Schiffstypen durch unbemannte KI-Plattformen „ergänzt“ werden sollen – allerdings fehlen hier noch viele Details: Den Minenabwehrplattformen soll etwas namens „Unmanned MCM System bzw. Minenkampf-Toolbox“ beiseite gestellt werden, die Zahl sei aber „noch festzulegen“. Sechs „Unmanned Aerial Systems“ sind für die Poseidon-Seefernaufklärer vorgesehen und die 212CD-U-Boote sollen durch „bis zu 6“ „Large Unmanned Underwater Vehicle“ ergänzt werden.

Während sich bereits über diese erst noch anzuschaffenden Systeme wenig finden lässt, dünnt der Informationsfluss bei den als „Future Combat Surface System“ bezeichneten Einheiten gänzlich aus. Von ihnen sollen 18 Stück die Korvetten K130 – mittelgroße, wendige Schiffe, die für die „Randmeerkriegführung“ in der Ostsee besonders „geeignet“ sind – unterstützen, ohne dass auch militärnahe Expert:innen davon bislang größer etwas gehört hätten. Die Europäische Sicherheit & Technik (6.3.2023) spekuliert: „Zu ihrer [der Korvetten] Ergänzung sollen bis zu 18 Future Combat Surface Systeme (FCCS) eingeführt werden. Der Begriff wurde im vor der Jahrtausendwende für eine neue Fregattengeneration der Royal Navy eingeführt. Im aktuellen Dokument wird zu ihnen nichts ausgeführt. Als schwer entdeckbare, flexibel einsetzbare Plattformen, die mit geringem Personalansatz und auch unbemannt zu betreiben sind, könnten sie zur Überwasserseekriegführung wie auch zur Wirkung an Land zur Verfügung stehen.“

F-127: „Maritime Keule“

Am Zielbild ist natürlich besonders „interessant“, dass daraus abzulesen ist, wie sich die Marine aktuell die Zielgrößen bis 2031 und dann ab 2035 insbesondere bei den großen Schiffen vorstellt. Besonders erwähnenswert, ist dabei die Reduzierung der für Einsätze im Globalen Süden vorgesehenen F-125 von vier (2031) auf drei (2035+) Einheiten bei einem gleichzeitigen Aufwuchs der künftigen „Königsklasse“, der F-127, die von geplanten fünf (2031) auf sechs (2035+) leicht vergrößert werden soll. Während die aktuell im Bau befindliche F-126 vor allem für den „Seekrieg Unterwasser“ gedacht ist, soll die F-127 auf „Seekrieg Überwasser inkl. Luftverteidigung“ fokussieren.

In den Regionen, die potenziell von dem Milliardenauftrag profitieren dürften, geht es jetzt schon recht euphorisch zur Sache – gefertigt werden könnte das Schiff in Wismar, die Konstruktion würde dann in Kiel erfolgen, wo die Lokalpresse schreibt: „Das Projekt der Fregatte 127 soll der deutschen Marine zu neuer Stärke verhelfen. Der von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) vorgestellte Entwurf zeigt, wie eine Lösung aussehen könnte. Das Rennen um den Auftrag hat begonnen. […] Die jetzt geplante Klasse 127 soll eine maritime Keule und Schutzschild gegen alles, was fliegt, werden – eine 12 000 Tonnen schwere schwimmende ‚Fliegenklatsche‘ zum Schutz des Luftraums an Nord- und Ostsee. Eine Aufgabe, die aktuell die großen US-Zerstörer in der Ostsee übernehmen.“ (Kieler Zeitung, 7.3.2023)

Hier geht es um riesige Summen, bereits für das Vorgängermodell wurden rund 1,5 Mrd. Euro (die sich sicher noch erhöhen werden) pro Schiff veranschlagt, die F-127 dürfte sich noch einmal als deutlich teurer erweisen. Aus diesem Grund löste schon die Entscheidung, den Auftrag für den Bau der F-126 an die niederländische Damen-Werft zu vergeben, in der Branche regelrechte Schockwellen aus. Das soll sich nicht noch einmal wiederholen, weshalb sich unter anderem ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) bereits in Stellung bringt und am 6. März 2023 seinen F-127-Entwurf in Anwesenheit mehrerer SPD-Abgeordneter vorstellte: „Beim Besuch der SPD-Bundestagsabgeordneten Mathias Stein (Kiel) und Kristian Klinck (Plön) sowie der SPD-Landesvorsitzenden Serpil Midyatli und dem Landtagsabgeordneten Kai Dolgner stellte die Kieler Werft den Entwurf vor. […] Von den Abgeordneten gab es Unterstützung. ‚TKMS ist eine ganz wichtige Stütze für den Schiffbaustandort. Geld, das in die deutsche Marine investiert wird, ist gut investiert‘, so Kristian Klinck, der auch im Verteidigungsausschuss sitzt. Eine Entscheidung wie 2020 soll sich nicht wiederholen. Damals hatte der Bund den Auftrag zum Bau von vier Fregatten der Klasse 126 an den niederländischen Damen-Konzern vergeben.“ (Kieler Nachrichten, 7.3.2023)

Aktuell ist noch recht unklar, wann eine endgültige Entscheidung über den Bau der F-127 gefällt wird – praktisch, wenn einen Tag vor dem Besuch der SPD-Abgeordneten mit dem ZBM2035+ ein Dokument ins Internet gelangt, das die Notwendigkeit des Schiffs betont.

Wer soll das bezahlen?

Generell stellt sich natürlich die Frage, woher eigentlich das Geld für die maritime Wunschliste kommen soll. Aus dem Sondervermögen der Bundeswehr jedenfalls wohl nicht, denn nachdem der Rechnungshof im Oktober 2022 angemahnt hatte, dass das Verteidigungsministerium das Budget massiv „überplant“ hatte, mussten eine Reihe von geplanten Projekten gestrichen werden – nicht zuletzt bei der Marine (siehe IMI-Analyse 2022/54).

So wurde die Ziehung einer ursprünglich vorgesehenen Option für zwei weitere F-126 Fregatten, mit der die in der im ZBM2035+ aufgeführte Zahl von sechs Schiffen erreicht werden würde, bis auf Weiteres verschoben. Ein zunächst auf fünf Boote ausgelegtes weiteres Los der Korvetten K130 (Kostenpunkt pro Schiff rund 500 Mio. Euro) wurde auf ein Schiff und damit auf eine Gesamtzahl von sechs reduziert – im Zielbild ist aber die Rede von sechs bis neun K130. Und dann wären da etwa auch noch die U-Boote 212CD, von denen bislang lediglich zwei bewilligt sind (Preis pro Schiff rund 1,4 Mrd. Euro) – das Zielbild visiert dagegen mindestens vier und bis zu sieben weitere U-Boote an.

Hier wird ersichtlich, dass mit derlei Planungen natürlich auch Druck auf weitere Erhöhungen des Verteidigungshaushaltes ausgeübt werden soll. Eine Lösung könnte sich schon beim NATO-Gipfeltreffen in Vilnius abzeichnen, das Mitte Juli stattfinden soll. Dort wollen einige Mitgliedsstaaten den bisherigen „Richtwert“ von Verteidigungsausgaben im Umfang von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), der allerdings nicht verpflichtend ist und von vielen Ländern unterschritten wird, ändern. Künftig soll eine absolute Untergrenze von zwei und ein neuer Richtwert von 2,5 bis 3 Prozent gelten, so die vor allem von Osteuropäern und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg unterstützte Forderung. Für viele Länder würde dies gravierende Erhöhungen der Ausgaben nach sich ziehen: 3 Prozent des BIP hätten in Deutschland 2022 einen Verteidigungshaushalt von ca. 115,5 Mrd. Euro bedeutet (offiziell belief er sich auf 50,4 Mrd. Euro).

Zum Glück sträuben sich Berichten zufolge einige Länder gegen diese Pläne – namentlich Kanada, Italien, Belgien und die Niederlande, auffällig abwesend auf der Liste: Deutschland.

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