Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2023/12

Krisenprofiteur wird Generalinspekteur

Wer ist der neue Mann an der Spitze der Bundeswehr?

Martin Kirsch (16.03.2023)

Bereits seit Tagen war darüber berichtet worden. Seit dem 15. März 2023 ist es offiziell. General Carsten Breuer wird neuer Generalinspekteur der Bundeswehr und damit „militärischer Berater der Bundesregierung“, „höchster militärischer Repräsentant der Bundeswehr“ und „Teil der Leitung des Verteidigungsministeriums“.[1] Er löst den scheidenden Generalinspekteur Eberhard Zorn ab, der bereits vor fünf Jahren, noch unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, ins Amt berufen wurde.

Doch wie kam der ausgebildete Heeresflugabwehrsoldat, studierte Pädagoge und zwischenzeitige Jugendoffizier[2] Breuer zu seinem neuen Spitzenposten? Noch vor wenigen Jahren war diese steile Karriere kaum absehbar. Damals mit zwei Sternen auf der Schulter wechselte Breuer 2018 aus der dritten Reihe des Kommandos Heer auf den Kommandeursposten des damals eher zweitrangigen Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr in Berlin.[3] Dann kam die Corona-Pandemie und Breuers Kommando stand plötzlich im Mittelpunkt der Unterstützung der Bundeswehr für diverse zivile Bereiche – einem der größten Inlandseinsätze in der Geschichte der Bundeswehr.

Krisen als Karrieresprünge

Die zentrale Rolle in der Koordination der Corona-Einsätze der Bundeswehr führte kurz nach der Bundestagswahl im September 2021 zu Breuers erstem Stritt auf die ganz große Bühne. Noch bevor die neue Bundesregierung vereidigt war, wurde Breuer zum Leiter des neu einberufenen Corona-Krisenstabes im Bundeskanzleramt berufen.[4] Die bis dahin stockende bundesweite Impfkampagne sollte von einem General der Bundeswehr auf das politisch gewünschte Tempo gebracht werden. Allen bisherigen politischen Gepflogenheiten zum Trotz wurde ein Militär auf einen politischen und damit eigentlich zivilen Spitzenposten gehoben. Zudem zog das Kanzleramt unter Bundeskanzler Scholz die innerhalb des komplexen Gefüges der föderalen Strukturen eigentlich bei den Bundesländern liegende Verantwortung für die Impfkampagne an sich und gab sie Breuer in die Hand.[5]

Im Krisenstab im Kanzleramt erhielt Breuer seinen dritten Stern und arbeitete bis zur Auflösung des Corona-Krisenstabes im Mai 2022 wohl nicht nur gemessen an den blanken Ergebnissen zur Zufriedenheit von Kanzler Scholz. Im Juni 2022 folgte dann die politische Ankündigung, ein neues Territoriales Führungskommando der Bundeswehr aufzustellen.[6] Das neue Kommando wechselte aus der bisher zergliederten Bundeswehrhierarchie auf die gleiche Ebene mit dem für alle Auslandseinsätze zuständigen Einsatzführungskommando – angesiedelt direkt unter dem Generalinspekteur und damit außerhalb bzw. in konkreten Einsatzaufgaben im Inland sogar oberhalb der Teilstreitkräfte.[7] Vorerst als Leiter des Aufbaustabes wurde Carsten Breuer dann Ende September 2022 feierlich zum ersten Kommandeur des neuen Territorialen Führungskommandos ernannt.[8]

Direkter Draht zu Scholz

Nachdem Breuer Kanzler Scholz bereits als Leiter des Krisenstabes im Kanzleramt persönlich kennengelernt hatte, nutzte er auch seinen neuen Posten und hielt regelmäßig Kontakt. Am 25. August 2022 besuchte Kanzler Scholz die Ausbildung von künftigen ukrainischen Gepard-Besatzungen auf dem Luftbodenschießplatz der Bundeswehr im holsteinischen Putlos.[9] Führen ließ er sich vom ausgebildeten Heeresflugabwehrsoldaten Breuer.

Ende Februar 2023 besuchte Kanzler Scholz dann Breuers neues Territoriales Führungskommando.[10] Würde dieser Text als Klatschkolumne erscheinen, würde das auf dem Twitter-Kanal von Scholz verbreitete Bild,[11] auf dem Kanzler und General gemeinsam lachen, wohl mit Kommentaren wie „Läuft da was?“ untermalt werden. Was Breuer und Scholz bei ihrem Zusammentreffen hinter verschlossenen Türen besprachen, ist nicht bekannt. Es liegt aber nahe, dass auch die Option von Breuers Aufstieg zum Generalinspekteur zur Sprache kam. Die persönliche Beziehung zu Kanzler Scholz ist allerdings nicht die einzige Qualifikation des künftigen Generalinspekteurs.

Medienaffin und machthungrig

Spätestens seit seinem Amt als Chef des Corona-Krisenstabes im Kanzleramt rückte General Breuer als Erklärer der Impfkampagne in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Mit dem Wechsel aus dem Kanzleramt zurück in die Bundeswehrhierarchie verfiel er aber nicht wieder in das Schweigen, das sonst von vielen Generälen bekannt ist. Er gab Interviews und äußerte sich auch zu eher heiklen politischen Themen, bei denen sich andere Generäle gern auf die Zunge beißen.

Auch wenn der scheidende Generalinspekteure Zorn nach Beginn des aktuellen Krieges in der Ukraine deutlich häufiger in den Medien zu sehen war, als zuvor, merkte man ihm an, dass es sich dabei eher um einen Akt der Pflichterfüllung handelte. Breuer hingegen mag das Rampenlicht.

Wie sehr der künftige Generalinspekteur nicht nur die Kameras, sondern auch die Macht genießt, wird in einem von der Bundeswehr selbst produzierten Youtube-Interviewformat von Juli 2022 deutlich. Dort führt Breuer, in der Rolle des Leiters des Krisenstabes, den sichtlich überraschten Moderator des „Führungsfahrzeugs“ auf die Terrasse des Kanzleramtes und zeigt ihm stolz den Ausblick über das Regierungsviertel in Berlin.[12]

Das dort sichtbare Streben nach Macht zeigte Breuer auch auf seinen letzten Karriereschritten. Mit dem neuen Posten als Kommandeur des Territorialen Führungskommandos zog Breuer nicht nur an seinem ehemaligen Chef, dem Inspekteur der Streitkräftebasis General Schelleis, vorbei, sondern nahm ihm auf dem Weg gleich noch zentrale Entscheidungskompetenzen und unterstellte Dienstellen ab – schwächte damit sogar seine bisherige militärische Heimat, die Streitkräftebasis so sehr, dass sie vermutlich bald aufgelöst werden wird.[13]

Breuer ist sich nicht zu schade auch höheren Generälen auf die Füße zu treten, wenn er es für die Erfüllung seiner Aufgabe und sein persönliches Vorankommen für nötig hält. Diese Fähigkeit, gepaart mit seinen Erfahrungen mit militärischen Transformations- und politischen Entscheidungsprozessen[14] machen ihn zu dem Kandidaten, dem der von der Bundesregierung angemahnte Umbau der Bundeswehr, von einer Mischung aus Friedensdienst in Deutschland und Einsätzen im Ausland hin zur allgemeinen Kriegsbereitschaft, anscheinend zugetraut wird.

Wie tickt Carsten Breuer?

Wenn die Aufgabe ruft ist Breuer gern bereit, über komplexe Strukturen, Machtgefüge und bisherige politische Tabus hinwegzugehen. Als Vorbild beruft er sich dabei auf niemand geringeren als Helmut Schmid. Bei einem Appell in der Umbauphase zum Territorialen Führungskommando stellte sich Breuer vor seine Untergebenen ans Rednerpult und tauchte in die Geschichte des Bundeswehreinsatzes während der Sturmflut in Hamburg 1962 ein: „Damals, 1962, hatte der Hamburger Innensenator Helmut Schmid an allen Instanzen vorbei telefonisch die Bundeswehr angefordert. Gegen geltendes Recht, aber ziemlich effektiv und im Rückblick richtig. Und damit hat er ein Beispiel auch für uns in unserer Zeit gegeben. Auch wir müssen immer wieder die Frage nach der Zweckmäßigkeit von Verfahren, von Verordnungen und Vorschriften stellen – immer jeden Tag in unserem täglichen Dienst.“ Damit schwor er seine Mitarbeiter*innen darauf ein, es mit dem Recht – zur größten Not wohl auch dem Verfassungsrecht – im Sinne der militärisch effizienten Auftragserfüllung nicht zu ernst zu nehmen.[15]

Das nimmt sich der Chef selbst auch zu Herzen. Als bisheriger Mann der Heimatfront waren es das vermeidliche Dickicht föderaler Strukturen, die der Bekämpfung der Corona-Pandemie im Weg standen sowie die schwergängige Zusammenarbeit zwischen Polizei und Bundeswehr in der inländischen Terrorbekämpfung, an die Breuer die Axt anlegte.[16] In beiden Fällen Strukturen, die in der Gründungsphase der Bundesrepublik bewusst angelegt wurden, um als Lehre aus dem Nationalsozialismus eine zu große Machtkonzentration bei Zentralstaat und Militär zu vermeiden.

Im Anbetracht des Krieges in der Ukraine und der Konfrontation der NATO mit Russland gab Breuer als Chef für alle Inlandsaufgaben der Bundeswehr Interviews, in denen er sein Aufgabenfeld umriss: „Wir stellen uns hier im Kommando vor allem auf hybride Bedrohungen ein. Das ist der Zustand zwischen nicht mehr ganz Frieden, aber auch noch nicht richtig Krieg“, sagte Breuer gegenüber dem Spiegel. „Jede Umspannstation, jedes Kraftwerk, jede Pipeline kann attackiert werden, kann ein mögliches Ziel sein“, ließ er die Bild am Sonntag wissen. Die größte Bedrohung in Deutschland sieht er in „Einflussnahmen, mit Anschlägen auf Infrastruktur und mit Cyberangriffen, oder zum Beispiel Aufklärungsflüge mit Drohnen über Kasernen. Also Nadelstiche, die in der Bevölkerung, die bei uns Verunsicherung schüren und das Vertrauen in unseren Staat erschüttern sollen.“ Für die Bundeswehr ist der Weg laut dem künftigen Generalinspekteur damit klar vorgezeichnet. „Der Krieg Russlands hat dazu geführt, dass unser Schwerpunkt wieder auf der Landes- und Bündnisverteidigung liegt. Dem ganzen Land ist klar geworden: Krieg in Europa ist wieder möglich.“[17]

Und das habe auch Konsequenzen für den Bürger, der sich klar werden solle, „dass er sein individuelles Verhalten ändern sollte“. Neben der mentalen Kriegsbereitschaft zählt Breuer dazu auch praktische Schritte, wie die Anschaffung von Taschenlampen, Radios und genügend Batterien, um sich individuell auf den Krisen- oder Kriegsfall vorzubereiten. Dieser Mann der Kriegsbereitschaft und damit auch der Stunde wird künftig auf dem Stuhl des Generalinspekteurs nicht nur die Bundeswehr führen, sondern auch „seinen“ Bürgern erklären, wie sie sich kriegsbereit zu halten haben.

Anmerkungen


[1]     Bundesministerium der Verteidigung: Generalinspekteur wechselt: Breuer folgt auf Zorn, 15.03.23, bmvg.de.

[2]     Bundeswehr: Curriculum Vitae Generalleutnant Carsten Breuer, o.D.,  web.archive.org.

[3]     Ebd.

[4]     IMI-Standpunkt 2021/062, Martin Kirsch: Impfkampagne mit General – Die Bundeswehr als Krisenmanager im zivilen Katastrophenschutz, 03.12.21, imi-online.de.

[5]     Ebd.

[6]     RBB: Neues territoriales Führungskommando der Bundeswehr kommt nach Berlin, 13.06.22, rbb24.de.

[7]     IMI-Analyse 2022/32, Martin Kirsch: Neues Territorialkommando – Truppenaufmarsch, Inlandseinsätze und Reformvorhaben, 23.06.22, imi-online.de.

[8]     Bundeswehr: Curriculum Vitae Generalleutnant Carsten Breuer, o.D.,  web.archive.org.

[9]     Bundesregierung: Bundeskanzler Scholz in Putlos – Unterstützung für ukrainische Streitkräfte, 25.08.22, bundesregierung.de.

[10]   Bundeswehr: Ausdruck der Zeitenwende: Bundeskanzler Olaf Scholz besucht das TFK, 28.02.23, bundeswehr.de.

[11]   Bundeskanzler Olaf Scholz: Tweet vom 28.02.23, twitter.com.

[12]   Cyber Innovation Hub der Bundeswehr: „Wir Soldaten können Krise“ – Corona-General Breuer zu Gast im Führungsfahrzeug, 13.07.22, via: youtube.com.

[13]   Die Auflösung der Streitkräftebasis wurde bereits im 2021 von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Zorn veröffentlichten Eckpunktepapier für die Bundeswehr vorgeschlagen. Siehe: IMI-Studie 2021/05, Martin Kirsch: Bundeswehr der Zukunft – Eckpunkte für den Kalten Krieg 2.0, 26.05.21, imi-online.de.

[14]   Als Stellvertreter des Repräsentanten des Supreme Allied Commander Transformation und Dezernatsleiter Capability Development/Strategic Plans and Policy im NATO-Hauptquartier und Chef des Stabes in Brüssel machte Breuer zwischen 2008 und 2010 nicht nur Erfahrungen in der NATO, sondern auch in deren Unterorganisation, die für die strategische Entwicklung der militärischen Strukturen des Bündnisses verantwortlich ist. Als Projektbeauftragter für das Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr im Bundesministerium der Verteidigung in Berlin gilt Breuer nicht nur als Autor des wichtigen Strategiepapiers, sondern machte vermutlich auch Erfahrungen mit der politischen Aushandlungen innerhalb der Bundesregierung um den finalen Text des Weißbuchs. Siehe: Bundeswehr: Curriculum Vitae Generalleutnant Carsten Breuer, o.D.,  web.archive.org.

[15]   IMI-Standpunkt 2022/039, Martin Kirsch: Neues Territorialkommando – Kommandeur sieht Verfassungsrecht eher flexibel, 28.09.22, imi-online.de.

[16]   Bundeswehr: „Polizei schützt – Bundeswehr unterstützt“, 21.10.22, bundeswehr.de

[17]   Spiegel-Online: Bundeswehrgeneral Breuer warnt vor Angriffen auf deutsche Infrastruktur, 09.10.22, spiegel.de.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de