Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

[0615] Großdemo am Samstag / G7 / Erhöhung Schnelle Eingreiftruppe / Neues Territorialkommando

(29.06.2022)

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Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0615 ………. 25. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)…….. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ……. https://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,

diese IMI-List beginnt mit dem Hinweis auf die Großdemo gegen die Aufrüstung und für eine „zivile Zeitenwende“ (http://www.zivilezeitenwende.de/) am kommenden Samstag in Berlin. Mehr zur Demo und einer entsprechenden Kundgebung in Stuttgart findet sich hier:

Aufruf zu Demonstration und Kundgebung am 2. Juli

Außerdem findet sich in dieser Mail

1.) Der Hinweis auf eine Analyse zum neuen „Territorialen Führungskommando“ der Bundeswehr;

2.) Ein Standpunkt zur Aufstockung der NATO Response Force auf 300.000 Kräfte;

3.) Ein Beitrag zum G7-Gipfel in Hinblick auf die Ukraine.

1.) Analyse zum neuen „Territorialen Führungskommando“

Das neue Territoriale Führungskommando soll u.a. die Logistik von NATO-Truppenbewegungen durch Deutschland zentral koordinieren und absichern. Darüber hinaus ist es für alle Inlandseinsätze der Bundeswehr, auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall zuständig.

IMI-Analyse 2022/32
Neues Territorialkommando
Truppenaufmarsch, Inlandseinsätze und Reformvorhaben

Neues Territorialkommando


Martin Kirsch (23. Juni 2022)

2.) Aufstockung der NATO Response Force auf 300.000 Kräfte

Bereits vor Beginn des aktuell in Madrid stattfindenden NATO-Gipfels hat der Generalsekretär Stoltenberg eine massive Erhöhung der Schnellen Eingreiftruppe der NATO von etwa 40.000 auf 300.000 angekündigt. Woher Personal, Ausrüstung und Finanzierung kommen sollen, ist aber noch völlig unklar.

IMI-Standpunkt 2022/024
Nato will Schnelle Eingreiftruppe auf über 300.000 aufstocken

Nato will Schnelle Eingreiftruppe auf über 300.000 aufstocken


Jürgen Wagner (29. Juni 2022)

3.) IMI-Standpunkt: G7 und Ukraine

Die G7 haben in Elmau versucht, gegenüber Russland Einigkeit zu demonstrieren und neue Bündnisse zu schmieden. Sie verfolgen damit einen Weltkrigs-Kurs, meint Bernhard Klaus.

IMI-Standpunkt 2022/025
Die G7 auf Weltkriegs-Kurs

Die G7 auf Weltkriegs-Kurs


Bernhard Klaus (29. Juni 2022)

Abgeschottet von Protesten und Öffentlichkeit haben die G7 im bayerischen Schloss Elmau u.a. eine gemeinsame Erklärung abgestimmt, die sich zum größten Teil um den Krieg in der Ukraine und dessen weltweite Folgen dreht.1 Die Maßnahmen, die darin zu ihrer Bewältigung angekündigt werden, offenbaren, dass man unter den G7 davon ausgeht, dass der Krieg und seine globalen Folgen – für die Lebenshaltungskosten, den Zugang zu Grundnahrungsmitteln und die Energiesicherheit – noch lange anhalten werden. Von Verhandlungen – zumindest mit Russland – ist hingegen keine Rede. Von einer „Beendigung dieses Krieges“ ist im Grunde nur an einer Stelle die Rede und offenbar sieht man dazu nur den einen Weg, „Russland erhebliche anhaltende Kosten auferlegen“. Außerdem wird angekündigt, „der Ukraine so lange wie nötig zur Seite [zu] stehen und die erforderliche finanzielle, humanitäre, militärische und diplomatische Unterstützung für die mutige Verteidigung ihrer Souveränität und territorialen Unversehrtheit bereit[zu]stellen“. Man richtet sich auf einen langen Krieg ein, dessen einziges denkbares Ende der Ruin Russlands sein kann. Hierzu schmiedet man auf dem G7 auch Bündnisse über EU und NATO hinaus. Entsprechend waren zu den Arbeitssitzungen tw. auch „bewusst einflussreiche Vertreter des Globalen Südens nach Elmau eingeladen“.2 Konkret habe man sich mit den „Staats-und Regierungschefs von Argentinien, Indien, Indonesien, Senegal und Südafrika sowie der Ukraine ausgetauscht“, so die Abschlusserklärung.3

Vermeintlich spontan haben die G7 noch eine weitere Erklärung veröffentlicht, die sich auf den mutmaßlichen russischen Luftangriff auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk befasste. Auch hier wird bekräftigt: „Wir werden weiterhin finanzielle, humanitäre sowie militärische Hilfe für die Ukraine bereitstellen, so lange es nötig ist“. Außerdem wird dort festgestellt: „Willkürliche Angriffe auf unschuldige Zivilistinnen und Zivilisten sind Kriegsverbrechen. Der russische Präsident Putin und die Verantwortlichen werden dafür Rechenschaft ablegen müssen“.4 So sehr das unserem Gerechtigkeitsempfinden entsprechen mag, ist es eine weitere Absage an eine Verhandlungslösung und Bekräftigung der Absicht, den Krieg bis zur völligen Niederlage Russlands anhalten zu lassen – unabhängig davon, wie viele ukrainische Zivilist*innen und Soldaten und Freiwillige aus aller Welt darin noch umkommen werden. Zudem sind Angriffe auf Zivilist*innen ein Verbrechen, das in nahezu jedem Krieg stattfindet, auch jenen, welche die G7 (Japan vielleicht ausgenommen) in der Vergangenheit (Ex-Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen) vom Zaun gebrochen oder – z.B. im Jemen – unterstützt haben. Mit am Tisch saß schließlich auch der französische Staatspräsident Macron, dessen Luftwaffe am 3. Januar 2021 in Mali eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert und dabei 19 Zivilisten getötet hatte. Auf eine parlamentarische Anfrage zu diesem Vorfall hatte die Bundesregierung seinerzeit übrigens geantwortet, sie nehme „grundsätzlich keine Stellung zu den Operationen ausländischer Streitkräfte“5 – offensichtlich eine dreiste Lüge.

„Im Krieg versuchen Staaten, ihren Streit gewaltsam mit Soldaten und Waffen zu lösen. Oft sind daran nur zwei Staaten beteiligt. Von einem ‚Weltkrieg‘ spricht man, wenn die Kämpfe zwischen vielen Staaten stattfinden und sich über die ganze Welt erstrecken“.6 Mit diesen Sätzen beginnt der Eintrag „Weltkrieg“ im „junge[n] Politik-Lexikon“ der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Bislang findet in der Ukraine ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine statt. Die Bemühungen der NATO und der G7 gehen dahin, die Kriegshandlungen zwar auf die Ukraine zu begrenzen, den Kreis der indirekten Kriegsbeteiligten jedoch durch Waffenlieferungen, Sanktionen und gemeinsame Festlegungen auf eine russische Niederlage als einziges akzeptables Ergebnis möglichst groß zu halten. Dabei erscheinen im Moment drei Szenarien denkbar:

(1) Ziemlich unwahrscheinlich erscheint, dass Russland sich tatsächlich zurückzieht und auch die Krim aufgibt, wie von den G7 gefordert. Im Grunde müsste zusätzlich das Regime um Putin zusammenbrechen und dieser ausgeliefert werden, damit er – wie eingefordert – zur Verantwortung gezogen werden kann. Das könnte in Russland tatsächlich als so grundlegende Gefährdung der eigenen Sicherheit wahrgenommen werden, wie es in der russischen Nuklearstrategie als Voraussetzung für den Einsatz von Atomwaffen definiert wurde.

(2) Deutlich wahrscheinlicher ist, dass es früher oder später doch zu einer Verhandlungslösung kommt, in der die Ukraine Teile ihres Territoriums abgeben muss oder der Konflikt – vergleichbar zur Situation 2014 bis 2022 – einfriert. Dieser Weg wird gerade von NATO und den G7 kategorisch ausgeschlossen und mit jeder neuen, gemeinsamen Erklärung weiter verbaut. Falls es doch zu diesem Ergebnis kommt, müssten sich die westlichen Politiker fragen lassen, wofür so viele ukrainische (und russische) Soldaten ihr Leben haben lassen und so viele Menschen weltweit Entbehrungen in Kauf nehmen mussten.

(3) Der Krieg eskaliert und internationalisiert sich weiter. Dieses Szenario wird im Moment durch das Handeln der NATO und der G7 immer wahrscheinlicher. Es ist ein Weltkriegs-Kurs.

Das nicht explizit auf ein junges Publikum ausgerichtete Politiklexikon der BpB definiert Weltkrieg als „militärische Auseinandersetzungen, 1) die aufgrund des geografischen Ausmaßes und des unbegrenzten Einsatzes aller verfügbaren Mittel (Menschen, Waffen u. a.) von weltweiter Bedeutung sind und 2) deren Resultat eine grundsätzliche Neuordnung der Beziehungen und Gewichte zwischen den Staaten der Welt ist…“.7

Die erste Bedingung ist bislang nicht erfüllt. Zwar ist der Krieg in der Ukraine v.a. auch aufgrund der westlichen Sanktionen und Waffenlieferungen zweifellos von weltweiter Bedeutung. Ein „unbegrenzte[r] Einsatz aller verfügbaren Mittel (Menschen, Waffen u. a.)“ lässt sich allerdings noch nicht feststellen. Auch jenseits von Atomwaffen besteht z.B. in den Domänen Cyber und Weltraum noch erhebliches Eskalationspotential. Bei aller Bestialität des von Russland entfesselten Krieges ist auch zu konstatieren, dass auch die Luftwaffe noch eher zurückhaltend eingesetzt wird und es z.B. bislang zu keinen Flächenbombardements kam. Beide unmittelbar beteiligten Länder rekrutieren zwar längst Kämpfer(innen?) aus Drittstaaten, haben aber bislang auf eine Generalmobilmachung verzichtet.

Es ist das zweite Kriterium, das zu Denken gibt. Zumindest von Seiten der G7 und der NATO wird eine grundsätzliche Neuordnung der Welt, ein „Bündnis der Demokratien gegen die Autokratien der Welt“ relativ offen angestrebt. Die G7 haben entsprechend in Elmau angekündigt. in den nächsten fünf Jahren 600 Mrd. US$ für seine „Partnerschaft für Globale Infrastruktur und Investitionen“ zu mobilisieren – in Anlehnung an Chinas „neue Seidenstrasse“. Russland seinerseits hat mit dem Angriff auf die Ukraine die Bereitschaft signalisiert, sich weiter von China abhängig zu machen und in offener Feindschaft zum Westen neue Bündnisse zu schmieden. Es scheint, als wären beide Seiten bereit, das genannte Ergebnis eines Weltkrieges – eine Neuordnung der Welt – hinzunehmen und der Westen dies sogar offen anzustreben. Dazu passt auch die völlige Marginalisierung und Ignoranz gerade auch des Westens gegenüber der UN, die als Grundlage dieser Weltordnung gilt (und vom„junge[n] Politik-Lexikon“ der BpB auch als Folge des Zweiten Weltkrieges hervorgehoben wird).

Die Frage, welche NATO und G7 damit aufwerfen, lautet also: Kann man das Ergebnis eines Weltkrieges erreichen, ohne den Krieg in der Ukraine zum Weltkrieg zu eskalieren? Und wie weit will man noch gehen, um das herauszufinden?

Die an den Katzentisch geladenen Drittstaaten jedenfalls scheinen diesen Weg nicht weiter mitgehen zu wollen. Zwischen vielen Floskeln von der „Geschlossenheit des Westens und Stärkung des globalen Südens“ (Deutschlandfunk)8 geht fast unter, dass diese Staaten keine Bereitschaft zu (weiteren) Sanktionen erklärt haben.

Anmerkungen

1) G7 2022 Germany: Kommuniqué der Staats-und Regierungschefs der G7 –Zusammenfassung, Elmau, 28. Juni 2022.

2) Die G7 steht geschlossen an der Seite der Ukraine, https://www.g7germany.de/g7-de/g7-gipfel.

3) S. FN 1.

4) G7 2022 Germany: Erklärung der G7 Staats-und Regierungschefszum Raketenangriff auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk, Elmau, 27. Juni 2022.

5) Bundestags-Drucksache 19/26065.

6) Christiane Toyka-Seid, Gerd Schneider: „Weltkrieg“, in: Das junge Politik-Lexikon (Bundeszentrale für politische Bildung, https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/321418/weltkrieg/.

7) Klaus Schubert, Martina Klein: Das Politiklexikon. 7. Auflage (2020), https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/18475/weltkrieg/.

8) Stephan Detjen: Geschlossenheit des Westens und Stärkung des globalen Südens, in: Deutschlandfunk: Informationen am Morgen vom 27. Juni 2022, https://www.deutschlandfunk.de/treffen-der-g7-staaten-in-elmau-dlf-dd7dbeeb-100.html .

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de