IMI-Analyse 2021/04
Reservisten mit Terrorplänen
Der Reservistenverband als Wehrsportgruppe für Neonazis?
Luca Heyer (04.02.2021)
Der Reservistenverband hat ein Problem mit Neonazis in den eigenen Reihen, das immer offener zutage tritt. Dieses Problem existiert bereits seit Längerem. Mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015 verschärfte sich das Problem jedoch auf besorgniserregende Art und Weise. Seitdem werden immer wieder Fälle bekannt, in denen Reservist*innen in rechtsmotivierte Terrorplanungen verstrickt waren – wenn sie nicht gar federführend beteiligt waren. Allein 2019 wurden 773 Reservist*innen wegen mangelnder Verfassungstreue bzw. „Extremismus“ für Bundeswehreinsätze gesperrt.[1] Leider handelt es sich dabei keineswegs, wie häufig von Regierungsseite behauptet, um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem, das den gesamten Verband betrifft: Es sind keineswegs isolierte Fanatiker – vielmehr sind Nazis unter den Reservist*innen eingebettet in einen Verband, der insgesamt massiv nach rechts rückte und eine klare Abgrenzung nach rechts lange vermissen ließ.
Machtkampf im Reservistenverband
Ähnlich schätzt auch Roderich Kiesewetter, der für die CDU im Bundestag sitzt und von 2011 bis 2016 Präsident des Reservistenverbands war, die politische Lage im Verband ein. 2017, ein Jahr nach seinem Rücktritt, begründete er ebenjenen mit der zunehmenden Rechtslastigkeit des Verbands: „In der Flüchtlingskrise hat sich der Verband aus meiner Sicht von der Mitte der Gesellschaft wegbewegt. […] Ich wollte nicht das moderne, freundliche Gesicht eines rückwärtsgewandten Verbands sein.“[2] Tatsächlich tobt innerhalb des Reservistenverbands seit Jahren ein Machtkampf: Rechte Kräfte schafften es häufig, Schlüsselpositionen innerhalb des Verbands zu besetzen, woraufhin sich Vertreter*innen des moderaten Spektrums wie z.B. Kiesewetter zurückzogen.
Nicht nur auf der Präsidialebene, sondern auch auf der Ebene der Landesverbände gibt es dafür Beispiele. So wurde in Mecklenburg-Vorpommern 2018 der damalige Landesvorsitzende Helge Stahn, der bemüht war, gegen rechte Umtriebe im Verband vorzugehen, abgewählt und durch Roland Heckt, einen Kandidaten des rechten Spektrums, ersetzt. Daraufhin verließ der SPD-Landtagsabgeordnete Dirk Friederiszik den Verband, was er folgendermaßen begründete: „Der ehemalige Vorsitzende des Landesverbandes, Helge Stahn, hatte sich zum Ziel gesetzt, rechtsextremistische Mitglieder aus dem Verband zu entfernen. Doch dieser Kampf ging verloren und wird von seinem Nachfolger offenbar auch nicht fortgesetzt. Stattdessen existieren die alten Netzwerke von Rechtsextremisten weiter und dehnen sich auch aus.“[3]
Dass sich rechte Kräfte zunehmend im Reservistenverband durchsetzen, hat fatale Folgen – insbesondere, wenn man bedenkt, dass die betreffenden Personen über den Reservistenverband Schießübungen absolvieren können, Zugang zu Munition und Schusswaffen bekommen und unter Umständen im Katastrophenfall als Teil der Reserve der Bundeswehr im Inland eingesetzt werden.
Nordkreuz
Gerade in Mecklenburg-Vorpommern wurde sehr schnell klar, wohin diese Problematik führen kann. Dort bildete sich ab Ende 2014 ein rechtes Chatgruppennetzwerk um mehrere Protagonisten des dortigen Reservistenverbands heraus, das bundesweit unter dem Stichwort „Nordkreuz“ Schlagzeilen machte. Die mehr als 50, fast ausschließlich aus Mecklenburg-Vorpommern stammenden Mitglieder organisierten sich in den Telegram-Chats „Nordkreuz“, „Nord.Com“, „Nord“ und „Vier gewinnt“. Ein Großteil der Mitglieder dieser Chats lässt sich klar dem neurechten und neonazistischen Spektrum zuordnen. Diese Mitglieder der Chatgruppen bereiteten sich auf einen Tag X vor, an dem u.a. die Ermordung politischer Gegner*innen geplant war. Es ist unklar, wann genau der Tag X ausgerufen werden sollte – von einem Mitglied wurden sowohl Szenarien wie der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung durch vermeintlich unkontrollierte Zuwanderung, aber auch z.B. eine Pandemie genannt. Für den Tag X wurden Waffendepots angelegt und sogar Leichensäcke und Ätzkalk bestellt.[4]
Am 28. August 2017 (und danach noch weitere Male) kam es in Mecklenburg-Vorpommern zu Razzien an sechs Orten, bei denen ein Waffenarsenal und Ordner mit Listen von politischen Gegner*innen sichergestellt wurden. Als Beschuldigte gelten der Anwalt und Rechtspopulist Jan-Hendrik H. aus Rostock, sowie der (mittlerweile ehemalige) Kriminalkommissar Haik J. aus Grabow. Razzien gab es auch bei vier weiteren Personen, die nicht als Beschuldigte gelten. Dies sind der Malermeister Axel M. und Horst S., der Kommandeur der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanie (RSU-Kompanie), einer freiwilligen Reservisten-Einheit für Heimatschutzangelegenheiten der Bundeswehr.[5] Außerdem durchsucht wurden die Wohnungen des Versicherungsvertreters Jörg S. und des LKA-Polizisten Marko G., der auch zeitweilig beim Spezialeinsatzkommando (SEK) tätig war. Bei ihm wurden 2019 zehntausende Schuss Munition sowie ein Waffendepot im Garten gefunden. Marko G. war zudem Administrator der Chats „Nordkreuz“, „Nord.Com“ und „Vier Gewinnt“.[6] Fünf der genannten sechs Personen sind bzw. waren beim Reservistenverband aktiv. Über den Reservistenverband konnten die rechten Prepper militärische Schießübungen absolvieren. Für den Tag X war sogar geplant, Uniformen und Militärfahrzeuge über den Reservistenverband zu besorgen, um damit an Checkpoints nicht aufzufallen und politische Gegner*innen besser deportieren zu können. „Nordkreuz“ ist Teil des Hannibal-Netzwerks, in dem rund um den Verein Uniter noch weitere Reservisten aktiv sind.[7]
Zuflucht Beuden
Ähnliche Planungen für einen Tag X bzw. einen „Rassenkrieg“ gab es in den Chatgruppen „Zuflucht Beuden“ und „Endkampf“, deren Mitglieder größtenteils in Sachsen und Sachsen-Anhalt ansässig sind. Die Gruppe, zu der auch zahlreiche Reservisten gehören, plante ab der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015 die Übernahme des Dorfs Beuden in Sachsen mittels Waffengewalt für den Fall, dass es in Deutschland wegen der Geflüchteten einen „Rassenkrieg“ geben könnte. Am Tag X wollten sich die Mitglieder dann in Beuden verschanzen.
Eine zentrale Person der Gruppe, der Reservist Gunnar G., saß Anfang 2020 im Corona-Krisenstab des Burgenlandkreises und sollte entscheiden, welche Art von Amtshilfe die Bundeswehr leisten kann – eine durchaus sicherheitskritische Position. Auch Michael S., Mitarbeiter der AfD zuerst in Sachsen-Anhalt, dann im Bundestag für Alice Weidel, war Teil der Gruppe. Er ist im neurechten bis klassisch neonazistischen Spektrum bestens vernetzt – auch er ist Hauptmann der Reserve. Seit 2012 ist er Funktionär des Reservistenverbands Sachsen. Während der Coronakrise war auch er zeitweilig in Bereitschaft versetzt worden – im selben Kreisverbindungskommando wie Gunnar G., mit dem er als Reservist häufiger zu Wehrübungen gefahren war. Auch der Neonazi Jörg K., ebenfalls Reservist, beteiligte sich an den Planungen für den Rassenkrieg. Er wäre am Tag X vermutlich der Anführer der Gruppe bzw. des Dorfes gewesen.
Neben diesen drei zentralen Akteuren der Gruppe, die als Reservisten aktiv sind, gibt es noch weitere neonazistische Reservisten, die zum Umfeld der Gruppe gehören. Der Schatzmeister des sächsischen Reservistenverbands, Dirk H., unterstützte die rechten Prepper bei der Waffenbeschaffung und Schießtrainings. Heinz-Dieter F., der ebenfalls Funktionär im Reservistenverband ist, war bereit, für einzelne Mitglieder der Gruppe gegen Geld Schießnachweise zu fälschen. Der Reservist Norbert W., der wie Gunnar G. im Kreisverbindungskommando Burgenlandkreis sitzt, unterhält zu einigen Chatmitgliedern ein freundschaftliches Verhältnis. Es scheint so, als ob das Kreisverbindungskommando Burgenlandkreis geradezu durchsetzt ist von Neonazis, die teils „Zuflucht Beuden“ zuzuordnen sind, teils eher dem rechten Burschenschaftsmilieu, wobei die Übergänge fließend sind. Dies ist eine sehr beunruhigende Vorstellung, wenn man bedenkt, dass gerade dort zentrale Entscheidungen im Falle eines Inlandseinsatzes der Bundeswehr getroffen werden, wie jetzt im Zuge der Covid-19-Pandemie. Die Gefahr, die von militanten Neonazis mit Umsturzplänen ausgeht, wenn diese für die Bundeswehr als Reservisten in den Krisenstäben sitzen, darf auf keinen Fall unterschätzt werden.[8]
Zu viele „Einzelfälle“
Neben „Zuflucht Beuden“ und „Nordkreuz“ gab es in den letzten Jahren noch weitere Fälle, die es zu weniger Bekanntheit brachten. Exemplarisch sei hier noch auf den vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) als rechtsextrem eingestuften Reservisten Christian G. aus Niedersachsen verwiesen, bei dem Anfang Juli 2020 Hausdurchsuchungen stattfanden. Die Polizei fand bei ihm eine Liste mit 17 Politiker*innen und Prominenten, z.T. mit Privatadressen, außerdem Granaten sowie eine zerlegte Langwaffe. In der Werkstatt einer Bundeswehr-Kaserne in Munster, in der G. gearbeitet hatte, stellte die Polizei zudem ein Abschussgerät für Panzergranaten, ein Minensuchgerät, eine Langwaffe und ein Magazin sicher, die er dort mutmaßlich illegal gelagert hatte.[9]
Jüngst veröffentliche das Recherche-Kollektiv Ostwestfalen[10] einen Text, aus dem hervorgeht, dass auch die Bielefelder Reservistenkameradschaft RK36 Alt-Bielefeld fest in der Hand von Neonazis ist: Mindestens zwei von ihnen hatten am 3. Oktober 2020 an einer Demonstration der faschistischen Partei „Der III. Weg“ in Berlin teilgenommen. Beide übernehmen führende Funktionen als Reservisten. Einer der beiden, der Neonazi Michael R., Obergefreiter der Reserve, ist Vorsitzender der Bielefelder Reservistenkameradschaft RK36 Alt-Bielefeld. Der andere, Heinz K., war von 2009 bis 2010 Vorsitzender der RK36. Beide traten bei neonazistischen und verschwörungsideologischen Veranstaltungen regelmäßig in Kleidung mit dem Aufdruck „Division Ostwestfalen“ auf. Diese Kleidung stammt „aus dem Label ‚Druck 18‘, welches von dem Neonazi-Kader Tommy F[…] betrieben wird. Tommy F[…] ist seit fast 20 Jahren in der neonazistischen Szene aktiv. Er führt das Gasthaus Goldener Löwe in Kloster Veßra, das als Treffpunkt der Neonazi-Szene dient. 2017 war F[…] Anmelder des neonazistischen Großevents ‚Rock gegen Überfremdung‘, an dem ca. 6000 Neonazis aus ganz Europa teilnahmen.“[11] Es scheinen zudem weitere Verbindungen zwischen der RK36 und dem neonazistischen Rocker-Milieu vorzuliegen.
Leider ist davon auszugehen, dass diese erschütternden Fälle, die in den vergangenen Jahren bekannt wurden, nur die Spitze des Eisbergs sind. Immerhin waren die Sicherheitsbehörden lange Zeit unfähig oder unwillig, diesen Umtrieben einen Riegel vorzuschieben. Auf „Nordkreuz“ wurden Polizei und Verfassungsschutz zwar aufmerksam, nahmen die Vorgänge aber erst nach massivem gesellschaftlichem, parlamentarischem und medialem Druck ernst. Alle Beteiligten sind bis heute auf freiem Fuß. Der MAD, der eigentlich dafür zuständig wäre, Neonazis in der Bundeswehr – und auch unter den beorderten Reservist*innen – zu entdecken und zu entfernen, hatte „Nordkreuz“ zunächst überhaupt nicht auf dem Schirm. Noch übler ist es im Fall von „Zuflucht Beuden“: Weder Geheimdiensten noch Polizei war angeblich irgendetwas über die Existenz der Gruppierung bekannt. Vielmehr kamen die Pläne für den „Rassenkrieg“ erst durch Recherchen des antifaschistischen Recherchekollektivs „LSA Rechtsaussen“ ans Licht.
Dementsprechend ist die Dunkelziffer rechtsradikaler Reservist*innen kaum abschätzbar. Dass die bewaffneten Neonazis oft unbehelligt bleiben können, liegt – neben einer allgemeinen Blindheit auf dem rechten Auge der Sicherheitsbehörden – auch daran, dass sich seitens der Geheimdienste lange Zeit niemand für Neonazis in der Reserve interessierte, weil hier ein Zuständigkeitsgewirr unter den Geheimdiensten vorherrscht: Der MAD ist nur zuständig für jene Reservist*innen, die von der Bundeswehr tatsächlich beordert, also eingesetzt werden – und das auch nur während des Zeitraums, in dem sie beordert sind. Schmieden beorderte Reservist*innen in ihrer Freizeit Pläne für den „Rassenkrieg“ oder einen Tag X, dann fällt dies nach Ansicht des MAD nicht in den eigenen Zuständigkeitsbereich, sondern in den des Verfassungsschutzes. Die Verfassungsschutzämter hingegen blendeten lange Zeit die spezifisch militärische Komponente der Problematik aus, nämlich die Tatsache, dass die betreffenden Personen Zugang zu Waffen, militärischer Ausbildung, Uniformen, Informationen und in manchen Fällen auch Krisenstäben haben.
Keine Sicherheitsüberprüfung
Zudem wurden die Reservist*innen bislang keiner regelmäßigen Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Ende 2016 war beschlossen worden, alle Soldat*innen zu Beginn ihrer Laufbahn einer „Einfachen Sicherheitsüberprüfung“ zu unterziehen. Der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Markus Grübel, begründete diesen Schritt damit, dass die Bundeswehr „nicht zum Ausbildungscamp für Extremisten, Islamisten, Gewalttäter und Terroristen werden“ dürfe.[12] Bei der Reserve wurde jedoch offensichtlich nicht so genau hingesehen. Ende Juni 2020 wurde im Untersuchungsbericht zu rechten Umtrieben beim Kommando Spezialkräfte moniert, dass sich eine „erhebliche Anzahl von Vorkommnissen im Bereich Rechtsextremismus“ auf die Reserve beziehe. Das macht folgenden Befund des Berichts umso besorgniserregender: „Bei Reservistinnen und Reservisten, die vorübergehend Dienst in der Bundeswehr leisten, ist gegenwärtig nicht gewährleistet, dass sie überhaupt über eine Sicherheitsüberprüfung verfügen. Dies stellt einen Widerspruch zu der im Jahr 2017 eingeführten Soldateneinstellungsüberprüfung dar.“[13]
Probleme erkannt?
Im September 2020 wurde daraufhin beschlossen, diesen Missstand zu beheben. In einem Bericht des Verteidigungsministeriums heißt es: „Ziel ist es, dass künftig jeder Reservist, der im Rahmen einer Wehrübung Dienst in der Bundeswehr leistet, eine erfolgreiche Sicherheitsüberprüfung vergleichbar der Stufe Ü1 durchlaufen hat.“[14] Aus dem Bericht geht auch hervor, dass von den rund 30.000 beorderten Reservist*innen nur 5.300 in den vergangenen fünf Jahren einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen wurden. Für die übrigen rund 25.000 müsse deshalb „das Überprüfungsverfahren so gestaltet werden, dass Aufwand und Wirkung in einem angemessenen Verhältnis stehen.“[15] Das lässt zwar Spielraum offen, wie ernst diese Überprüfung gemeint ist, zeigt jedoch immerhin, dass die Gefahr, die von Neonazis unter den Reservist*innen ausgeht, auch im Verteidigungsministerium nicht mehr ignoriert werden kann. Die Regelung ist bislang noch nicht in kraft getreten, soll aber zeitnah realisiert werden.
Auch bezüglich des Problems der unklaren Zuständigkeiten zwischen den Geheimdiensten scheint sich etwas zu tun. Die Zuständigkeiten bleiben zwar weiterhin genauso bestehen, am 18. August 2020 wurde allerdings eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem MAD geschlossen, die diese Problematik zumindest teilweise angeht. Die als Verschlusssache eingestufte Vereinbarung sieht unter anderem einen schnelleren und unkomplizierteren Datenaustausch zwischen den Behörden, gemeinsame Fallbearbeitungen, gemeinsame projektbezogene Dateien, gemeinsame Fortbildungen und wechselseitigen Personalaustausch vor. Es wird von den Präsidenten der drei Behörden offen zugegeben, es habe bisher „Defizite“ bei „der Übermittlung von Informationen zwischen MAD und BfV“ gegeben.[16] Ob die beschlossenen Maßnahmen tatsächlich ausreichen werden, um diese Defizite zu beheben, ist fraglich. Insgesamt ist es eher bemerkenswert, dass die Behörden bis August 2020 offenbar kaum Daten zu mutmaßlichen Neonazis in der Bundeswehr austauschten. Nach dem Auffliegen von „Nordkreuz“ war bereits 2017 die „Arbeitsgemeinschaft Reservisten“ von BfV und MAD gegründet worden. Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit wurden jedoch wegen mangelnder Ergebnisse von parlamentarischer und militärischer Seite bislang eher als ernüchternd betrachtet.[17]
Umschwung im Reservistenverband?
Auch im Reservistenverband scheint sich der Wind wieder leicht zugunsten der moderateren Kräfte zu drehen. Nach Kiesewetters Rücktritt als Präsident 2016 hatte zunächst Oswin Veith den Posten als Präsident des Verbandes besetzt. Im November 2019 übernahm der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg dieses Amt. Der grundsätzlich im politisch konservativ-militaristischen Lager zu verortende Sensburg bezieht seitdem allerdings klar Stellung gegen Neonazis im Reservistenverband, was sein Vorgänger Veith in dieser Klarheit häufig vermissen ließ. Sensburg kündigte ein hartes Vorgehen gegen „Extremisten“ an: diese sollten konsequent ausgeschlossen werden. Von den Behörden fühle er sich dabei jedoch wenig unterstützt, da diese Erkenntnisse über rechtsextreme Mitglieder nicht an den Verband weitergeleitet hätten: „Wenn die Sicherheitsbehörden sich nicht auch einen Schritt auf uns zu bewegen, dann können wir als Verband nicht mit aller Konsequenz gegen Extremismus in unseren Reihen vorgehen.“[18] Auch Sensburg kritisierte in diesem Zusammenhang die unklare Zuständigkeit zwischen den verschiedenen Behörden. Wegen der nicht vorhandenen Kooperationsbereitschaft der Behörden könne der Verband nur auf eigene Faust gegen Neonazis in den eigenen Reihen vorgehen und bei Personen aktiv werden, bei denen die rechtsextremistische Gesinnung öffentlich bekannt sei.
Öffentlich bekannt wurde vor allem der Fall von Andreas Kalbitz (AfD). Kalbitz stehe als führendes Mitglied des rechtsextremen Flügels der AfD und als ehemaliges Mitglied der inzwischen verbotenen rechtsextremen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) nicht hinter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, so Sensburg. Im Juni 2020 wurde er aus dem Verband ausgeschlossen.[19]
Auch die geplante Überprüfung von beorderten Reservist*innen begrüßte Sensburg: „Wir Reservistinnen und Reservisten haben kein Problem damit, wenn auch wir überprüft werden, wir unterstützen dies sogar.“[20]
Außerdem wurde unter Sensburgs Vorsitz die Kampagne „Reserve und Demokratie – Wir gegen Extremismus“ ins Leben gerufen, die sich klar gegen Rechtsextremismus positioniert, auch wenn konzeptionell leider nach wie vor das in der Forschung längst als irreführend beurteilte Modell der Extremismustheorie bemüht wird, das vermeintlichen Linksextremismus mit Rechtsextremismus gleichsetzt.[21] Hier droht die Gefahr der Verharmlosung von rechtem Terror – zumal im Reservistenverband nicht allzu viele „Linksextremist*innen“ Mitglied sein dürften.
Massives Problem, aber langsames Umdenken
Nach wie vor hat der prinzipiell schon rechts-konservativ eingestellte Reservistenverband ein massives Problem mit Neonazis in den eigenen Reihen. Dies betrifft vor allem die Basis, auf die die Verbandsführung nur wenig Einfluss hat. Seitens der Bundesregierung und der Führungsebene des Reservistenverbands scheint es allerdings mittlerweile zumindest ein Problembewusstsein zu geben. Ob die jüngst beschlossenen Maßnahmen das Problem eindämmen können, muss sich zeigen. Möglicherweise würde es helfen, der Forderung Sensburgs nachzukommen und den Reservistenverband von staatlicher Seite über Nazis in den eigenen Reihen zu informieren. Außerdem wäre es hilfreich, Programme wie den Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz unter dem Motto „Dein Jahr für Deutschland“ oder die militärische Ausbildung von Zivilist*innen durch den Reservistenverband[22] einzustellen, da sie geradezu einer Einladung an Neonazis gleichkommen, sich dort militärisch ausbilden zu lassen. Ansonsten droht die Gefahr, dass diese militärischen Ausbildungen durch den Reservistenverband bzw. die Bundeswehr auch eine staatlich betreute Wehrsportgruppe für militante Neonazis bleibt.
Anmerkungen
[1] Bundeswehr-journal: MAD identifizierte 2019 insgesamt 14 Extremisten, 4.3.2020.
[2] Heidenheimer Zeitung: Rechtsruck. Reservistenverband: Kiesewetter kritisiert politische Ausrichtung, 15.9.2017.
[3] Nordkurier: Austritt. SPD-Politiker Friedriszik wirft Reservistenverband Extremismus vor, 2.10.2018.
[4] Redaktionsnetzwerk Deutschland: Die rechtsradikale “Kreuz”-Connection und die Bundeswehr, 23.1.2020.
[5] Vgl. IMI-Studie 2013/08a. Martin Kirsch: Der neue Heimatschutz der Bundeswehr. Die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte und das Kommando Territoriale Aufgaben als neue Instrumente für den Inlandseinsatz.
[6] Panorama: Bundesanwalt ermittelt: Polizist als Staatsgefährder?, 07.09.2017; Taz: Terror-Ermittlungen in Norddeutschland. Kommando Heimatschutz, 20.12.2017.
[7] IMI-Studie 2019/04b. Luca Heyer: Der Hannibal-Komplex. Ein militantes, rechtes Netzwerk in Bundeswehr, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Parlamenten.
[8] Sachsen-Anhalt rechtsaussen: „Sieg Heil, Herr Hauptmann“ – Rechte Prepper in der Bundeswehr, 7.6. 2020; Taz: Zuflucht rechts außen. 6.6.2020.
[9] Süddeutsche Zeitung: Waffen bei mutmaßlich rechtsextremen Reservisten gefunden, 10.7.2020.
[10] Recherche Kollektiv Ostwestfalen: Neonazistische Umtriebe im Reservistenverband Kreisgruppe Bielefeld. 31.1.2021.
[11] Ebd.
[12] BMVg: Bundestag beschließt Sicherheitsüberprüfung vor Dienstantritt, 16.12.2016.
[13] Bericht der Arbeitsgruppe Kommando Spezialkräfte. 30.6.2020.
[14] Augen geradeaus: Verteidigungsministerium will Sicherheitsüberprüfung von Reservisten und KSK ausweiten, 16.9. 2020.
[15] Ebd.
[16] Spiegel Online: Vertrauliche Vereinbarung der Sicherheitsbehörden. MAD soll aggressiver gegen rechtsextreme Soldaten vorgehen, 23.9.2020.
[17] Beispielsweise durch Patrick Sensburg, MdB, Präsident des Reservistenverbands: Taz: Reservisten-Präsident zu Rechtsradikalen: „Es darf uns keiner durchhuschen“, 23.6.2020.
[18] Redaktionsnetzwerk Deutschland: Reservistenverband will Extremisten in eigenen Reihen möglichst rasch ausschließen, 26.7.2020.
[19] Bundeswehr-journal: Reservistenverband setzt Kalbitz vor die Tür, 19.6.2020.
[20] Reservistenverband: Verband begrüßt Sicherheitsüberprüfung für Reservisten, 11.9.2020.
[21] Konrad-Adenauer-Stiftung: Reserve und Demokratie – Wir gegen Extremismus, 1.10.2020; Richard Stöss: Kritische Anmerkungen zur Verwendung des Extremismuskonzepts in den Sozialwissenschaften, 29.1. 2015.
[22] Deutschlandfunk Kultur: Reservisten-Schnellkurse in Berlin. Dürfen zivile Quereinsteiger dienen?, 12.7.2018.