Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2019/032

Weitere Erkenntnisse zum Hannibal-Komplex:

Auch Burschenschaften und Identitäre Bewegung Teil des rechten Netzwerks?

Luca Heyer (26.07.2019)

Im Juni 2019 wurde die IMI-Studie zum Hannibal-Komplex veröffentlicht.1 Seitdem haben sich neue Erkenntnisse zu dem beschriebenen rechtsradikalen Netzwerk ergeben. So deckte das Redaktionsnetzwerk Deutschland auf, dass es neben den in der Studie beschriebenen Gruppen Nord, Ost, Süd, West, Vier gewinnt, Nord.Com und Nordkreuz auch die Chatgruppen Westkreuz und Südkreuz gegeben hat.2 Das ist bemerkenswert, weil die Chatgruppe Nordkreuz unter den bisher bekannten Gruppen eine der radikalsten war. So hatten Chatmitglieder unter anderem politische Morde an Linken geplant und sogar Munition, Waffen und Todeslisten gehortet. Auch die Bestellung von Leichensäcken und Löschkalk war geplant – mutmaßlich für Massengräber.3

Falls es ähnliche Strukturen nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern in ganz Deutschland geben sollte, wäre dies äußerst alarmierend: Das rechte Netzwerk wäre deutlich größer und gefährlicher, als bislang angenommen.

Als gefährlichste Zelle innerhalb des Netzwerks galten neben der Gruppe Nordkreuz bislang Franco Albrecht und seine Komplizen Maximilian T. und Mathias F., die auch bereits in der oben genannten Studie ausgiebig thematisiert wurden. Franco Albrecht wurde vorgeworfen, unter einer falschen Identität als Geflüchteter rechte Anschläge geplant zu haben. Nun wurde bekannt, dass es neben den genannten Personen noch mindestens zwei weitere Personen – einer davon mit rechten, mutmaßlichen Terrorplänen – gibt, die ebenfalls dem Umfeld der Zelle um Franco Albrecht zuzuordnen sind: Tobias L. und eine weitere Person, deren Name nicht bekannt ist.4

Die beiden studierten an der Bundeswehr-Universität in München. Weil der MAD ihnen enge Verbindungen zur rechtsradikalen Identitären Bewegung (IB) nachweisen konnte, wurden sie Ende Mai 2017 fristlos aus der Bundeswehr entlassen. Der eine der beiden, dessen Name bislang nicht bekannt ist, hatte Kontakt zu Maximilian T., Franco Albrechts mutmaßlichem Komplizen, der mittlerweile für den AfD-Abgeordneten Jan Nolte im Bundestag arbeitet: „Sie schrieben einander Facebook-Nachrichten – laut Ermittlern auch rund um jene Zeit, als auf dem Truppenübungsplatz Munster Waffen und Munition verschwanden, unter anderem zwei G36-Gewehre und eine Pistole P8.“5 Außerdem wurden eine Signalpistole, zwei Funkgeräte, zwei Magazine ohne Munition und ein Fernglas gestohlen.6 Vor seiner Zeit an der Bundeswehr-Universität in München war Tobias L. in Munster stationiert. Maximilian T. hatte früher selbst an der Bundeswehr-Universität in München studiert.

Bei der anderen Person handelt es sich um den 1993 geborenen Tobias L., der von den Behörden als führender IB-Aktivist identifiziert wurde. Auch er wurde deshalb am 24. Mai 2017 aus der Bundeswehr entlassen. Unter anderem sprach er öffentlich von „scheiß Juden“ und „Niggern“. Doch die Ermittlungsbehörden vermuteten, dass er womöglich noch schlimmeres vorhatte: Sie befürchteten, er horte illegal schwere Waffen, eine Maschinenpistole oder ein Maschinengewehr. Zudem stand der Verdacht im Raum, Tobias L. sei Teil eines größeren rechten Netzwerks in der Bundeswehr und er habe einen Anschlag auf die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen geplant. Wenige Tage vor einem Besuch der Verteidigungsministerin in München leitete die Staatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz ein. Noch am selben Tag wurde die Wohnung von Tobias L. durchsucht. Gefunden wurde nichts, doch L. schien auf die Durchsuchung vorbereitet zu sein – ein Umstand, zu dem es bei Ermittlungen gegen Beteiligte des Hannibal-Netzwerks öfter kam, z.B. im Fall von „Hannibal“ selbst, aber auch im Fall von Franco Albrecht, der größere Mengen Munition bei Mathias F. deponierte, weil er mit Razzien rechnete.7

Der Verdacht der Behörden, Tobias L. könnte einen Anschlag auf von der Leyen geplant haben, scheint nicht an den Haaren herbei gezogen: Im direkten Umfeld eines Ortes, an dem die damalige Verteidigungsministerin auftreten sollte, wurden im Juni 2017 und im Oktober 2018 zwei Handgranaten gefunden.8

Nach seiner Entlassung begann Tobias L. zum Oktober 2017 ein Jura-Studium in Passau. Bald darauf wurde er Mitglied der dort aktiven rechtsextremen „Burschenschaft Markomannia Wien zu Deggendorf“. Seit dem 9. März 2019 ist er zudem stellvertretender Vorsitzender der Jungen Alternative Ostbayern und engagiert sich auch anderweitig für die AfD, wobei er dem rechtsradikalen Flügel zuzuordnen ist. Detailliertere Informationen zu seiner rechtsradikalen Betätigung nach seiner Entlassung aus der Bundeswehr finden sich beim Infoticker Passau.9

All diese neuen Informationen, die Stück für Stück ans Licht kommen, zeigen, wie weit das Netzwerk um „Hannibal“ verzweigt ist. Es steht zu vermuten, dass es sich bei dem bisher Bekannten nach wie vor nur um die Spitze des Eisbergs handeln kann. Das Verteidigungsministerium scheint Neonazis innerhalb der Bundeswehr nicht im Griff zu haben. Zudem ist die Informationspolitik des Verteidigungsministeriums äußerst mangelhaft. Doch von Selbsterkenntnis als erster Schritt zur Besserung ist das Verteidigungsministerium weit entfernt. Dass sich in diesem Bereich unter der neuen Verteidigungsministerin etwas verbessert, ist leider unwahrscheinlich.

1 IMI-Studie 2019/04b. Luca Heyer: Der Hannibal-Komplex. Ein militantes, rechtes Netzwerk in Bundeswehr, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Parlamenten.

5 Ebd.

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