IMI-Standpunkt 2018/002 (Update, 25.1.2018)
Gegen den Frieden sondiert!
Die Große Koalition zur Aufrüstung
Jürgen Wagner (17.01.2018)
Am 21. Januar 2018 sprach sich eine Mehrheit der Delegierten beim SPD-Parteitag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU aus. Grundlage werden die Ergebnisse der Sondierungsgespräche sein, über die im Vorfeld war hitzig diskutiert worden war. Während die SPD-Parteiführung das Ergebnis gesundbetete, wurde vielerorts – völlig zu Recht – argumentiert, die Sozialdemokraten hätten sich in den meisten sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen ziemlich über den Tisch ziehen lassen. Was allerdings leider in der gesamten Debatte – auch bei den Kritikern des Sondierungsergebnisses – so gut wie keine Rolle gespielt hat, waren die friedens- bzw. militärpolitischen Passagen des Sondierungspapiers.
„Friedensprojekt“ EU
Das Sondierungspapier beginnt mit Absätzen zur Europäischen Union, die als „historisch einzigartiges Friedens- und Erfolgsprojekt“ bezeichnet wird, das allerdings aufgrund zunehmender Großmachtkonflikte gezwungen sei, sein „Schicksal mehr als bisher in die eigenen Hände [zu] nehmen.“ Hierfür müsse die „europäische Außen- und Sicherheitspolitik […] im Sinne einer Friedensmacht Europa gestärkt werden.“ Und zu diesem Zweck wolle man vor allem die „Zusammenarbeit bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik (PESCO) stärken.“ Das „historische Friedensprojekt“ und die „Friedensmacht“ EU in einem Atemzug mit einer Stärkung von PESCO zu nennen, dem aktuell wohl wichtigsten Projekt zur Militarisierung der EU, ist zwar nicht ungewöhnlich, macht es aber dadurch nicht unbedingt besser (siehe zu PESCO IMI-Standpunkt 2017/036).
Unerwähnt bleiben allerdings andere wesentliche aktuelle EU-Rüstungsprojekte, allen voran der geplante EU-Militärhaushalt, mit dem ab 2019 erstmals EU-Haushaltsgelder in Milliardenhöhe für die Anschaffung von Rüstungsgütern zur Verfügung stehen sollen (siehe IMI-Analyse 2017/45). Auch über die beim Treffen des deutsch-französischen Ministerrats angekündigten Vorhaben unter anderem zum Bau eines gemeinsamen Kampfpanzers und eines Kampfflugzeuges, ist dagegen im Sondierungspapier nichts zu lesen. Einzig im Drohnenbereich wird das Papier noch einmal etwas konkreter: Hier werden zwar „völkerrechtswidrige Tötungen durch autonome Waffensysteme“ abgelehnt, gleichzeitig will man aber „im Rahmen der europäischen Verteidigungsunion die Entwicklung der Euro-Drohne weiterführen.“ Die Entwicklung einer EU-Drohne wurde bereits vor einer Weile auf den Weg gebracht (siehe IMI-Studie 2016/01), zuletzt wurde das Vorhaben bei bereits besagtem Treffen des deutsch-französischen Ministerrates noch einmal bestätigt. Allerdings scheint es dabei derzeit hinter den Kulissen mächtig im deutsch-französischen Verhältnis zu knirschen, auch wenn davon natürlich nicht im Sondierungspapier zu lesen ist. Denn wie zu erwarten war, wird nun um die Führungsrolle in dem Projekt gestritten, wie die rüstungsnahe Internetseite hartpunkt.de (20.10.2017) berichtete: „[Derzeit] kommen der europäische Flugzeugbauer Airbus und der französische Dassault-Konzern beim Thema Eurodrohne nicht ins Gespräch. […] Dassault beanspruche auf der Industrieseite die Führungsrolle, während Airbus diesen Anspruch ablehne, will das Handelsblatt aus Industriekreisen erfahren haben.“
Rüstungsexporte einschränken?
Erfreulich ist dagegen der Satz: „Die Bundesregierung wird ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese am Jemen-Krieg beteiligt sind.“ Nachdem es zunächst den Anschein hatte, als würde sich die geschäftsführende Bundesregierung nicht an das Sondierungsergebnis gebunden fühlen – was vor allem für die Genehmigung von Waffenexporten nach Saudi-Arabien zentral ist –, wurde diese Haltung kurz darauf von Regierungssprecher Seibert korrigiert: „Zur Präzisierung: Die Bundesregierung trifft bei Rüstungsexportgenehmigungen derzeit keine Entscheidung, die nicht mit dem Sondierungsergebnis in Einklang steht.“ (Augengeradeaus.net, 19.1.2018)
Weiter wird im Sondierungspapier die Absicht geäußert, die Waffenausfuhren generell eindämmen zu wollen: „Wir schränken die Rüstungsexporte weiter ein, schärfen die Rüstungssexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren damit auf die veränderten Gegebenheiten.“ Hier handelt es sich schon um eine recht weitreichende Realitätsverzerrung, schließlich sind die Exportgenehmigungen während der letzten GroKo nahezu jedes Jahr angestiegen und haben mit über 10.500 im Jahr 2016 fast ein Allzeithoch erreicht. Wie die DPA (24.1.2018) meldet, überstieg der Gesamtwert der „GoKo-Exportgenehmigungen“ den der schwarz-gelben Vorgängerkoalition deutlich: „Die große Koalition hat in den vergangenen vier Jahren deutlich mehr Rüstungsexporte genehmigt als die Vorgängerregierungen. Der Gesamtwert der Lieferungen lag von 2014 bis 2017 bei 24,9 Milliarden Euro und damit 21 Prozent höher als während der schwarz-gelben Koalition von 2010 bis 2013. […] Die Lieferungen in Drittstaaten außerhalb von EU und Nato nahmen sogar um 47 Prozent auf 14,48 Milliarden Euro zu.“
Dass die Bereitschaft, die „Rüstungsexporte einzuschränken“, auch bei den Sozialdemokraten ihre Grenzen hat, merkt man aktuell allein schon an einem Bericht von Report München vom 16. Januar 2018. Der Praxis, deutsche Exportrichtlinien durch Firmenniederlassungen im Ausland zu umgehen, könne rechtlich Einhalt geboten werden, so Report. Dies werde von Linke und Grünen befürwortet, von CDU/CSU und AfD abgelehnt – interessant ist dabei die Haltung der SPD, die wohl zunächst abwarten will, ob sie sich bald in der Regierung wiederfindet oder nicht, bevor sie Versprechungen macht, von denen eh nicht beabsichtigt wird, sie in Regierungsverantwortung umzusetzen: „Waffenexporte in Krisenregionen über ausländische Tochterfirmen wie jene des Rheinmetall-Konzerns könnte der Gesetzgeber beschränken. Zu diesem Ergebnis kam vor kurzem der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in zwei Gutachten. […] Und die SPD-Fraktion? Die Sozialdemokraten im Bundestag verwiesen zunächst an den SPD-Parteivorstand, der wiederum zurück an die Fraktion verwies. Am Ende teilte die Pressestelle mit, man könne die Fragen von report München nicht beantworten.“
Einsätze & Kosten
Ein weiterer großer Teil der militärpolitischen Passagen im Sondierungspapier beschäftigt sich mit den aktuellen Bundeswehr-Einsätzen. Der aktuelle Anti-IS-Einsatz, bei dem kurdische Peschmerga-Kämpfer durch die Bundeswehr „ertüchtigt“, also aufgerüstet und ausgebildet werden, soll augenscheinlich verstetigt und auf weitere Teile des Irak ausgedehnt werden. Man wolle das „Mandat zur umfassenden Stabilisierung und zur nachhaltigen Bekämpfung des IS-Terrors insbesondere durch capacity building weiterentwickeln.“ Auch die Bundeswehr-Beteiligung an der „UN-mandatierte Mission MINUSMA in Mali wird fortgesetzt.“ Der eigentliche Kracher ist aber die Erhöhung des aktuell 980 Soldaten umfassenden Bundeswehr-Kontingentes für die Resolute Support Mission der NATO in Afghanistan. Damit schwenkt die Bundesregierung auf den Eskalationskurs der Trump-Administration ein, die angekündigt hat, ihre Truppen in Afghanistan von 8400 auf 15.000 Soldaten aufzustocken zu wollen. Gleichzeitig forderte sie in gewohnt nassforscher Weise die Verbündeten dazu auf, truppenmäßig nachzuziehen. Während dies noch vor nicht allzu langer Zeit recht deutlich abgelehnt worden war, heißt es nun lapidar, man müsse die „Zahl der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten zum Schutz der Ausbilder erhöhen.“
Und weil dies alles eine Menge Geld kosten wird, soll der Etat der Truppe ungeachtet der ohnehin schon üppigen Steigerungen der letzten Jahre weiter aufgestockt werden. Direkt aus dem Sondierungspapier selbst geht dies nicht hervor, darin ist „nur“ die Rede davon, Entwicklungshilfe und Rüstungshaushalt zusammen um 2 Mrd. Euro zwischen 2018 und 2021 aufstocken zu wollen. Damit ist aber nur ein Teil der Ausgabenerhöhungen benannt, worauf unter anderem Reuters hinweist: „Tatsächlich kann die Truppe aber mit einem deutlich höheren Zuschlag rechnen, der in der Einigung allerdings nur versteckt auftaucht: […] Das Entscheidende ist dabei der Verweis auf den 51. Finanzplan: Er hat zwar auch keine bindende Wirkung, ist aber die Absichtserklärung der bisherigen großen Koalition, wie sie sich die Entwicklung des Bundeshaushalts in den vier Jahren von 2018 bis 2021 vorstellt. Für den Wehretat sieht der Finanzplan für diesen Zeitraum eine Steigerung um knapp neun Milliarden Euro auf 42,4 Milliarden Euro vor. Sollte es zu einer Neuauflage der großen Koalition kommen, kann die Bundeswehr also mit einer Aufstockung ihres Budgets um neun Milliarden Euro plus ihrem Anteil an den zwei Milliarden Euro für Verteidigung und Entwicklungshilfe rechnen.“ Wie etwa das Handelsblatt (18.1.2018) unterstreicht, bewertet das Verteidigungsministerium die Sondierungsergebnisse positiver, als alles, was während der Jamaika-Gespräche auf dem Tisch gelegen hat: „Im Bundesverteidigungsministerium […] ist man sogar froh, dass es nicht zu Jamaika kam: Die Sondierer von Union, FDP und Grünen hätten keine Steigerungen vorgesehen, sondern sogar eine Rückkehr zu einem älteren Finanzplan verlangt – in den Jahren bis 2021 hätte die Bundeswehr damit von Jamaika zehn Milliarden Euro weniger bekommen als mit dem schwarz-roten Sondierungsplan.“
Trotz dieser saftigen Zuwächse schalteten sich die üblichen Verdächtigen mit scharfer Kritik in die Debatte ein. Andre Wüstner etwa, der Chef des Bundeswehrverbandes, kritisierte, die Budgetplanung gehe auf „Kosten unserer Verlässlichkeit und Bündnisfähigkeit – und damit auf Kosten der Sicherheit Deutschlands. Das ist unverantwortlich.” Es ist also davon auszugehen, dass in den kommenden Monaten von interessierten Kreisen weiter mächtig Druck auf weitere Erhöhungen des Rüstungshaushaltes gemacht werden wird. Ob hier also mit den Sondierungsbeschlüssen schon das Ende der Fahnenstange erreicht ist, ist keineswegs sicher. Sicher ist dagegen aber eins: Sollte es zu einer Großen Koalition kommen, wird dies eine Große Koalition zur Aufrüstung sein.