IMI-Standpunkt 2014/049 (update: 1.10.2014) - in: AUSDRUCK (Oktober 2014)
Gabriels Rüstungsstrategie: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!
Jürgen Wagner (16.09.2014)
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„Rheinmetall plant Aufstieg zum Rüstungsriesen“, titelte die Welt am 15. September 2014. Aus dem dazugehörigen Artikel lassen sich vor allem zwei Schlüsse ziehen: Zum einen, dass die Rüstungsbranche vor einer einschneidenden Fusions- und Übernahmewelle steht; und zum anderen, dass in der von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel für Ende September 2014 angekündigten Grundsatzrede wohl eine Strategie vorgestellt wird, mit der dieser Prozess unterstützt werden soll. Ziel dürfte es dann sein, hierüber eine Stärkung der in diesem Bereich tätigen Unternehmen und damit ihrer „Wettbewerbschancen“ zu erreichen. Kein Wunder also, dass ihm inzwischen wohlwollend bescheinigt wird, er habe nach anfänglichen Irrwegen in Sachen Exportpolitik nun endlich einen „Kümmerkurs“ eingeschlagen (Handelsblatt, 08.09.2014).
Gleichzeitig ist dies aber ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die Gabriel abgenommen haben, sich ernsthaft für eine substanzielle Einschränkung deutscher Waffenverkäufe einsetzen zu wollen. Entgegen der landläufigen Meinung steht dahinter allerdings weniger die Sorge um wirtschaftliche Einbußen oder um den Verlust von Arbeitsplätzen. Vielmehr gilt eine einheimische und schlagkräftige Rüstungsindustrie als wesentliche Bedingung, um auf dem internationalen Parkett als ernstzunehmender Akteur respektiert zu werden: „Nur Nationen mit einer leistungsfähigen Rüstungsindustrie haben ein entsprechendes Gewicht bei Bündnisentscheidungen“, hieß es bereits 2006 im Weißbuch der Bundeswehr (S. 74). Natürlich ist Gabriels Strategie auch gut für die Rüstungsbranche (zumindest für die Unternehmen, die als Sieger aus den Konzentrationsprozessen hervorgehen), und sie bedient selbstverständlich auch die Interessen der nahestehenden IG Metall, aber vor allem folgt sie der Logik deutscher Macht- und Kriegspolitik!
Export- und Konsolidierungsdruck
Um überleben zu können, sind deutsche Rüstungskonzerne heutzutage zwingend auf Rüstungsexporte angewiesen – bei einem stagnierenden oder womöglich tendenziell sogar abnehmenden einheimischen Markt nimmt dieser Druck sogar immer weiter zu. Heinz Marzi, bis Ende 2010 Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), formulierte diesen Zusammenhang folgendermaßen: „Mit einem zurückgehenden nationalen Budget werden für die deutsche wehrtechnische Industrie die Exporte ihrer Produkte zunehmend immer wichtiger und notwendiger.“ (Marzi, Heinz: Die Bedeutung des Rüstungsexports für Deutschland, 11.09.2010)
Um aber „erfolgreich“ auf dem Weltmarkt bestehen, also dort genug Waffen absetzen zu können, ist jedoch eine kritische Größe erforderlich. Nur sie garantiert hohe Stückzahlen und damit niedrige und für ausländische Kunden attraktive Preise. Obwohl sich diese Idealvorstellung in der Praxis häufig nicht realisiert, gelten Konzentrationsprozesse in der Rüstungsindustrie auch in der Politik als Königsweg, um die Exportchancen zu steigern, hierdurch auch den Preis für die eigenen Einkäufe zu senken und damit generell den machtpolitisch wichtigen Erhalt einer schlagkräftigen einheimischen Rüstungsindustrie zu sichern.
Diese Überlegungen führten in den USA schon vor längerer Zeit zu Konsequenzen, in Form des „Großen Fressens“ in den 1990ern, dem wohl zumindest in Teilen auch hierzulande nachgeeifert werden soll: „Im berühmten ‚Last Supper’ von 1993 […] äußerte der damalige US-Verteidigungsminister Les Aspin gegenüber den versammelten Vorstandsvorsitzenden der großen wehrtechnischen Unternehmen, dass aufgrund der Budgetentwicklung in 5 Jahren nur noch 50% von ihnen im Geschäft seien. Die einzige Lösung der angespannten Situation sehe er in Fusionen mit anderen Unternehmen. Dieser Lenkungswille kam auch in erheblicher finanzieller Unterstützung zum Ausdruck: Von 1993 bis 1997 investierte das US-Verteidigungsministerium $1,5 Mrd. in sieben Fusionen im Verteidigungsbereich!“ (Grams, Christoph: Transatlantische Rüstungskooperation – Wandel und Bedeutung, Kieler Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 10/2003)
Hierdurch erzeugten die USA einen enormen Wettbewerbs- und damit auch Konsolidierungsdruck, der vor allem um die 2000er Jahre in der Europäischen Union und in Deutschland zu teils hektischer Betriebsamkeit führte. Nach einer längeren Ruhephase lieferten die Fusionspläne von Bae Systems und EADS (heute Airbus-Group) im September 2012 einen ersten Vorgeschmack, dass die Branche erneut vor einer größeren Konzentrationswelle stehen könnte. Wären die Pläne erfolgreich gewesen, wäre daraus der mit Abstand weltgrößte Rüstungskonzern hervorgegangen. Doch hier zeigte sich, dass es mit der trauten Einigkeit von Politik und Industrie schnell vorbei sein kann, nämlich dann, wenn eine Regierung befürchtet, durch eine transnationale Fusion den Einfluss auf „ihren“ Rüstungskonzern zu verlieren. Dies war im Falle der geplanten Fusion zwischen Bae Systems und EADS der Fall, weshalb die Bundesregierung sie zum großen Ärger der beiden Unternehmen platzen ließ (siehe IMI-Analyse 2012/018).
Nationale vs. transnationale Konsolidierung
Grundsätzlich ist auch die aktuelle Bundesregierung aber sehr für transnationale Fusionen – aber eben nur, wenn sie in einen faktisch deutschen Konzern münden. Überdeutlich wird dies aus den Aussagen des SPD-Vorsitzenden im Verteidigungsausschuss, Hans-Peter Bartels: „Der nationalen Konsolidierung muss dann im Übrigen eine europäische folgen, aber eben aus einer starken Position heraus. Wir brauchen in Europa am Ende nicht drei konkurrierende Kampfflugzeugprogramme und zwanzig für gepanzerte Fahrzeuge. Was aber heute an unterschiedlichen Typen in den europäischen Streitkräften schon vorhanden ist, das muss zusammenarbeitsfähiger und moderner werden – ein großes Projekt für eine leistungsfähige Industrie auf dem Weg zu immer besserer europäischer Kooperation.“ (Welt Online, 23.07.2014)
Augenscheinlich achtet die Bundesregierung eifersüchtig darauf, dass die Kontrolle über rüstungstechnische Kernfähigkeiten und die betreffenden Unternehmen in ihren Händen verbleibt. Dies lässt sich auch für den Heeresmarkt beobachten: Hier waren nach einem umfassenden und von der Bundesregierung unterstützten nationalen Konsolidierungsprozess von ehedem einmal sechs großen Unternehmen nach einigen Jahren nur noch Rheinmetall und Kraus-Maffai Wegmann (KMW) übrig. Als dann aber Anfang 2011 Gerüchte aufkamen, der US-Rüstungskonzern Northrop Grumman plane eine Übernahme von Rheinmetall, war Schluss mit lustig: „Die aktuellen Übernahmespekulationen setzen die Bundesregierung unter Zugzwang: Berlin drängt seit Jahren auf eine Konsolidierung der stark fragmentierten heimischen Rüstungsbranche, allerdings soll diese unter den heimischen Unternehmen stattfinden. Eine Übernahme von Rheinmetall durch Northrop schätzen Branchenkenner als ‚äußerst unwahrscheinlich‘ ein. Rheinmetall hat zwar keinen Ankeraktionär, ist aber gleichwohl vor einem Angriff geschützt. Nach den Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes kann die Bundesregierung die Beteiligung eines ausländischen Konzerns an einer deutschen Rüstungsfirma untersagen, sobald diese die Schwelle von 25 Prozent übersteigt. Deutschland achtet wie die meisten Staaten mit Argusaugen über seine Rüstungsindustrie.“ (Handelsblatt Online, 13.01.2011)
Folglich wurde aus der Fusion nichts, wobei sich dasselbe Spiel mit der anderen verbliebenen Panzerfirma nun noch einmal zu wiederholen scheint: Vor wenigen Wochen kündigte KMW (Umsatz 2012: $1,031 Mrd.) an, der Zusammenschluss mit dem französischen Staatsunternehmen Nexter (Umsatz 2012: $1,954 Mrd.) sei unter Dach und Fach: „Es ist eine der größten Rüstungsfusionen in der jüngeren Vergangenheit. Angesichts schrumpfender Wehretats steht die Branche in Europa seit Jahren unter Konsolidierungsdruck, um sich gegen Großkonzerne etwa aus den USA zu behaupten. […] Die Eigentümer des deutschen Konzerns Krauss-Maffei Wegmann (KMW) und des französischen Staatsbetriebs Nexter hätten am Dienstag in Paris eine Grundsatzerklärung für einen Zusammenschluss bis 2015 unterzeichnet, teilten die Firmen mit.“ (Focus Online, 02.07.2014)
Doch da hatte KMW die Rechnung ohne den Wirt bzw. die Bundesregierung gemacht, denn diese muss, wie bereits oben erwähnt, den Deal abknicken. Wie nun zu hören ist, spricht sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gegen die Fusion aus, was deutsch ist, soll hier auch deutsch bleiben: „Angeblich hat Wirtschaftsminister Gabriel Vorbehalte gegen das Bündnis. Er sähe lieber eine Fusion mit Rheinmetall – auch wenn das offiziell dementiert wird. Gabriel traf jüngst [KMW-Eigentümer] Bode zum Geheimgespräch. KMW teilte umgehend mit, es gäbe eine Exklusivvereinbarung mit Nexter, also kein deutsch-deutsches Bündnis. Dabei sind Rheinmetall und KMW durch Zulieferungen voneinander abhängig. ‚Kein KMW-Panzer fährt, wenn es Rheinmetall nicht will‘, sagt ein Insider. ‚In Berlin gibt es ein strategisches Interesse, den Panzerbau und das U-Boot-Geschäft in der Hand zu behalten.‘ Daher würde alles für eine Konsolidierung unter dem Rheinmetall-Dach sprechen.“ (Welt Online, 15.09.2014)
Rheinmetall hatte bereits früher erfolglos die Fühler nach KMW ausgetreckt: „Mehrere Angebote an die KMW-Eigner scheiterten jedoch an der Führungsfrage. Aufsichtsratschef Manfred Bode und KMW-Geschäftsführer Frank Haun waren erklärte Gegner der Rheinmetall-Lösung.“ (Handelsblatt Online, 10.07.2014) Dabei scheint aus Sicht von KMW für eine Fusion mit Nexter vor allem zu sprechen, dass hierüber augenscheinlich deutsche Exportbeschränkungen umgangen werden sollen, wie der branchennahe „Newsletter Verteidigung“ vollkommen offen einräumt: „Die KMW-Führung will zu einer anderen Lösung kommen, um das Exportgeschäft anzukurbeln, da der nationale Markt für ein Überleben nicht mehr ausreicht und der Export stark gefährdet ist. Hierbei könnte ein Zusammenschluss zwischen KMW mit Nexter, das Anfang der siebziger Jahre zwischen dem damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt und seinem französischen Kollegen Michel Debré ausgehandelten ›Schmidt-Debré-Abkommen‹, von Nutzen sein. Das über vierzig Jahre alte Abkommen ermöglicht es den europäischen Rüstungsfirmen, ihre gemeinsam entwickelten Produkte in dem jeweiligen Land für den Export genehmigen zu lassen, in dem sie endmontiert werden. Für KMW kann dies bedeuten, dass technische Komponenten für Panzerfahrzeuge keine Ausfuhrgenehmigung des Wirtschaftsministeriums aus Berlin mehr brauchen, wenn eine Endmontage in Paris existiert. Denn das Endprodukt wird in Frankreich gefertigt und nach den dortigen Richtlinien exportiert. Dieser Vorteil ist unschlagbar, wie es Experten aus der wehrtechnischen Industrie betonen.“ (Newsletter Verteidigung, 30.09.2014, S. 3f.)
Kein Wunder also, dass KMW-Chef Haun Gabriels offensichtliche Absicht, einen Zusammenschluss mit Nexter blockieren zu wollen, fürchterlich auf die Palme brachte: „In Berlin werden wir wie die Mätresse der Politik behandelt: Jeder braucht, was wir zu bieten haben, aber niemand möchte mit uns in der Öffentlichkeit gesehen werden, und einige wünschen uns sogar den Tod, ohne dass man sie dafür verantwortlich machen kann. Paris hat eine entspannte Haltung zu Mätressen wie uns – wir würden dort mit offenen Armen empfangen.“ (Augengeradaus, 09.09.2014)
Gabriels Konsolidierungsstrategie
Doch nicht nur KMW war ob der diversen lautstarken Ankündigungen des Wirtschaftsministers erbost, die deutschen Rüstungsexporte einschränken zu wollen. In einem Brandbrief an den Wirtschaftsminister wetterten neun teils hochrangige Unionsabgeordnete, im Rüstungsbereich müssten unbedingt „Kernkompetenzen und Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben. […] Der Bundeswirtschaftsminister scheint jedoch von dieser Vereinbarung wenig zu halten. […] Die Existenz eines ganzen Wirtschaftszweigs mit rund 200 000 Arbeitsplätzen steht auf dem Spiel“, wodurch man riskiere, in eine „fatale Abhängigkeit“ von Rüstungstechnologien aus den USA, Russland oder China zu geraten (Spiegel 24/2014).
Ende September 2014 wurde noch einmal in Form eines Positionspapiers der Arbeitsgruppen Wirtschaft und Energie, Verteidigung und Auswärtiges der Unionsfraktion im Bundestag nachgelegt, in dem es heißt: „Als Sofortmaßnahme sind die vom Bundeswirtschaftsministerium de facto ausgesetzten Genehmigungsverfahren für Rüstungsgüter umgehend wieder aufzunehmen und der Antragsstau abzuarbeiten. Entsprechend der Vereinbarung des Koalitionsvertrages sind die ausstehenden Genehmigungsentscheidungen umgehend zu erteilen, sofern sie den geltenden strengen politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus dem Jahr 2000 entsprechen.“ (Tagesschau Online, 23.09.2014)
Doch die Kritiker tun Gabriel leider unrecht: Der Wirtschaftsminister hat sich augenscheinlich entschieden, nationale Fusionsprozesse vorantreiben und die Branche generell dadurch wettbewerbsfähiger machen zu wollen – eine Ausweitung deutscher Rüstungsexporte ist die logische Folge dieser Strategie, selbst wenn an der ein oder anderen Stelle tatsächlich einmal eine Lizenz versagt werden sollte. Und genau aus diesem Grund äußert sich auch das unternehmernahe Handelsblatt wohlwollend über die Strategie: „Der Wirtschaftsminister [will] erklärtermaßen die anstehende Konsolidierung in der Industrie begleiten und vorantreiben, damit die Unternehmen nicht mehr so stark von einzelnen Exportaufträgen abhängen. Bereits im Jahr 2000 hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mit Vertretern der Branche ein recht detailliertes Konzept verabredet, um die zersplitterte Finnenlandschaft in der Heerestechnik und bei Marineschiffen zu größeren Elementen neu zusammenzufügen. Gabriel nennt dieses Papier nun ‚eine gute Vorlage für künftiges Handeln‘. […] Der Kümmerkurs des SPD-Chefs kommt nicht von ungefähr. Die IG Metall und die Betriebsräte der Wehrfirmen haben ihm klargemacht, dass eine striktere Exportpolitik Arbeitsplätze kosten würde.“ (Handelsblatt, 08.09.2014)
Die jüngste Ankündigung Rheinmetalls, sich nicht nur KMW einverleiben, sondern gleich zum ganz großen Schlag ausholen zu wollen, passt ins Bild: „Beim Rüstungskonzern Rheinmetall zeichnen sich wieder Umrisse und die Chance für einen Großumbau ab. In der Branche wird erwartet, dass der Düsseldorfer Konzern den Marineschiffbau samt U-Booten von ThyssenKrupp übernimmt. Gleichzeitig könnte EADS, inzwischen in Airbus-Group umbenannt, seinen Anteil bei Atlas Elektronik, also Torpedos und Marineelektronik und weitere Rüstungsrandbereiche, beisteuern. Rheinmetall könnte somit ein Marine-Gesamtpaket erwerben.“ (Welt Online, 15.09.2014) Der Plan trifft augenscheinlich auf die volle Unterstützung Gabriels und seiner Parteikollegen: „Rheinmetall will […] mit umfangreichen Übernahmen seine Bedeutung als Rüstungskonzern ausbauen. […] Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte kürzlich eine Konsolidierung der Branche. Aus seiner Partei wird bereits Zustimmung für mögliche Zukäufe signalisiert. ‚Sollte sich Rheinmetall breiter aufstellen wollen, würde ich das nur begrüßen‘, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold.“ (Spiegel Online, 12.09.2014)
Volkswirtschaftliche vs. machtpolitische Bedeutung
Es bleibt die Frage nach dem Motiv, das Gabriel hier antreibt: Häufig ist hier zu hören, es gehe primär um Wirtschaftsinteressen oder Arbeitsplätze, doch das ist Quatsch! Die diesbezügliche Bedeutung der Branche ist gelinde gesagt überschaubar. So heißt es in einer Publikation der bestimmt nicht rüstungsfeindlichen „Stiftung Wissenschaft und Politik“ vom Juni 2014: „Volkswirtschaftlich betrachtet hat die Rüstungsindustrie nur geringes Gewicht. […] In der klassischen Rüstungsindustrie (Waffensysteme, Waffen und Munition) [arbeiten] sogar weniger als 20 000 direkt Beschäftigte. Dem stehen etwa in der Automobilindustrie 740 000 Beschäftigte gegenüber […] Der Anteil der Verteidigungs- und Sicherheitsbranche am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt, großzügig berechnet, bei 1 Prozent (22 Mrd. 2011). Die Automobilbranche kommt auf 7 Prozent. Die klassische Rüstungsindustrie wird vollständig staatlich finanziert oder subventioniert. Rund 90 Prozent der 10 Milliarden Euro, die im Haushalt des Verteidigungsministeriums für Investitionen eingestellt sind, gehen an deutsche Unternehmen.“
Nach dieser nüchternen Bestandsaufnahme kommen die Autoren, u.a. Hilmar Linnenkamp, der lange Jahre als stellvertretender Leiter der Europäischen Verteidigungsagentur fungierte, zu eigentlichen Kern. Es sei vor allem der „sicherheitspolitische Mehrwert“, der eine eigene Rüstungsindustrie erforderlich mache: „Rüstungsindustrie im eigenen Land bietet einer Regierung mehrere Vorteile: eigenständige militärische Handlungsfähigkeit, sicherheitspolitische Einflussnahme im Wege von Rüstungskooperation und -exporten, Mitentscheidung über Produktionsstandorte und Beschaffungen bei Projekten mit EU- und Nato-Partnern, Kompetenz bei der Beurteilung von Produkten, die zum Kauf angeboten werden.“
Die ganze Übung hat also vor allem machtpolitische Hintergründe, der Erhalt von Arbeitsplätzen und volle Kassen für die Unternehmen sind dabei nur ein willkommenes, aber nicht ausschlaggebendes Zubrot: Die deutsche Rüstungsbranche soll entlang nationaler Linien zusammengefasst werden, um so zu gewährleisten, dass die Bundesregierung beim Ankauf strategisch wichtiger Waffen künftig nicht von Wohl und Wehe irgendeines ausländischen Staates abhängig ist. Darum geht es, um nichts anders! Dafür werden Fusionsprozesse zur Stärkung der Rüstungsindustrie für unerlässlich gehalten und die damit zwingend einhergehende Ausweitung der Exporttätigkeiten augenscheinlich – ungeachtet Gabriels vollmundiger Ankündigungen – billigend in Kauf genommen. Frei nach dem Motto: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!“