Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2025/18

Umstellung auf „Kriegswirtschaft“

Ein betrübter Blick nach Frankreich

Sven Wachowiak (05.06.2025)

Im Juni 2022 verkündete Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in seiner Eröffnungsrede zur Rüstungsmesse Eurosatory großsprecherisch: „Frankreich muss auf Kriegswirtschaft umstellen.“ Skepsis schien angebracht, zumal sich der französische Präsident in seiner ersten Amtszeit bekanntlich durch eine gewisse Hemdsärmeligkeit im Umgang mit dem K-Wort ausgezeichnet hatte.[1] Knapp drei Jahren später hat sich die präsidiale Losung wider Erhoffen nicht als leere PR-Nummer entpuppt. Besonders seit dem diplomatischen Eklat im Weißen Haus Ende Februar 2025 feiert die „Kriegswirtschaft” in den Sonntagsreden und Leitartikeln der Republik fröhliche Urstände.


Kriegswirtschafts-AGs

Schon kurz nach der Eurosatory-Rede wurde damit begonnen, die Ankündigung ins Werk zu setzen: In Arbeitsgruppen aus Vertretern der Rüstungsindustrie, der Rüstungsbehörde DGA (Direction générale de l’armement) und des Generalstabs der französischen Streitkräfte wurden zwischen September 2022 und April 2023 alle Umsetzungsdetails eruiert.[2] Zu den Kernforderungen Macrons gehörten die Sicherstellung der kurzfristigen Verfügbarkeit von Ausrüstung sowie „die Fähigkeit, viel schneller und flexibler zu liefern“. Für den geplanten Hochlauf der Produktionslinien ist eine entsprechende Umstrukturierung der technologischen und industriellen Rüstungsbasis (base industrielle et technologique de défense, DTIB) erforderlich. Neben neun exportstarken Großkonzernen rechnet das Wirtschaftsministerium hierzu rund 4.500 kleine und mittlere Industrieunternehmen. Privatwirtschaftliche Effizienzkriterien, wie die bis dato
auch dort gängige Nullbestandsstrategie, sollen nunmehr ausgedient haben; stattdessen sollen „strategische Lagerbestände“ angelegt werden. Darüber hinaus soll die Autonomie der Industriebasis durch Rückverlagerungen der Produktion und eine Diversifizierung der Zulieferer langfristig gefestigt werden. Es geht darum, potenziell anfällige Lieferketten zu optimieren, indem Engpässe und Verzögerungen identifiziert und beseitigt werden. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf mineralischen Ressourcen, die als kritische Rohstoffe für die Herstellung von Pulver und Munition gelten. Unterstützt und überwacht werden die Fortschritte von einer durch die Rüstungsbehörde ad hoc geschaffenen Direktion für die Verteidigungsindustrie (Direction industrielle de défense, DID), deren Einweihung im April 2024 erfolgte.

Meilenstein LPM

Durch staatliche Garantien soll schließlich langfristige Planungssicherheit für die Industrie und Investoren geschaffen werden. Als diesbezüglicher Meilenstein wurde das kürzlich verabschiedete Gesetz zur militärischen Planung (Loi de programmation militaire, LPM) gefeiert. Während im auslaufenden Gesetz für den Zeitraum 2019-2025 noch 295 Milliarden Euro für die Verteidigung vorgesehen waren, also rund 50 Milliarden Euro pro Jahr (ca. 2 Prozent des BIP), wurde die Allokation in der Neuauflage des LPM für 2024-2030 auf insgesamt 413 Milliarden Euro erhöht, was einer Steigerung von 40 Prozent entspricht.
Geplant ist eine schrittweise Erhöhung des Etats: Von 2025 bis 2027 sollen jährlich 3 Milliarden dazukommen, ab 2028 dann 4 Milliarden. Zwar garantiert das LPM volle Auftragsbücher, aber es ist nicht alles nur Zuckerbrot. Das Gesetz sieht nämlich auch die Möglichkeit staatlicher „Requirierungen“ von privaten Unternehmen vor – unter der nebulösen Voraussetzung einer „aktuellen oder vorhersehbaren Bedrohungslage“. Die „Frankfurter Rundschau“ berichtete: „Laut Gesetz kann die Regierung sowohl Lagerbestände wie Produktionsmittel mit Beschlag belegen als auch das entsprechende Betriebspersonal zwangsverpflichten. Das gilt nicht nur für die eigentlichen Rüstungskonzerne wie MBDA, Thales, Dassault und Nexter, sondern auch für ihre quasi zivilen Zulieferbetriebe.“[3] Nach aktuellem Plan würde der französische Wehretat im Jahr 2030 bei 67 Milliarden Euro kulminieren (ca. 2,5 Prozent des BIP), mithin bereits über das bekannte NATO-Ausgabenziel hinausschießen. Dennoch ist dies einigen noch zu kurz gesprungen. Im Interview mit der Tageszeitung „Le Figaro“ erklärte Macron kürzlich, dass es das langfristige Ziel der EU-Staaten sein müsse, ihren Wehretat auf 3 bis 3,5 Prozent des BIP hochzuschrauben. So sieht es auch der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu; er hatte bereits zuvor mehrfach für eine schrittweise Erhöhung des Jahresetats auf 90 bis 100 Milliarden Euro bis 2030 (≥ 3,5 Prozent des BIP) plädiert. Ihm jedenfalls reichen die eingeplanten Mittel nicht aus, um seine Wunschliste restlos abzuarbeiten. So berichtet die Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek: „Zahlreiche ambitionierte Vorhaben müssen weiterhin zurückgestellt werden, hieß es aus dem Kriegsministerium. Die Landstreitkräfte könnten nur zwei Drittel der eigentlich geplant 2.300 neuen Panzer und Panzerfahrzeuge bekommen. Die Luftstreitkräfte würden 2030 statt der vorgesehenen 185 Rafale-Jagdflugzeuge nur über 137 verfügen, weil die Lieferung der restlichen Maschinen aus finanziellen Gründen bis nach 2030 gestreckt werden müsse. Von den 50 Transportmaschinen vom Typ A400, die angeschafft werden sollten, können vorläufig nur 35 finanziert werden, und die Marine bekommt statt der geplanten fünf neuen Fregatten vorläufig nur drei.“[4] Ein Schwerpunkt des LPM hingegen liegt auf der Modernisierung des französischen Atomwaffenarsenals (knapp 15 Prozent des Budgets), Aufklärungskapazitäten, der Abwehr von Cyberattacken, sowie dem Bau eines neuen Flugzeugträgers als Nachfolger der PAN Charles de Gaulle und Drohnensystemen. Was die Personalstärke betrifft, so sieht das LPM 2024-2030 eine Erhöhung von 269.000 im Jahr 2024 auf 275.000 im Jahr 2030 vor. Außerdem soll die Zahl der Reservisten (derzeit 44.000) bis 2035 auf 105.000 steigen. Anfang Mai 2025 hat eine von Macron eingesetzte Kommission darüber hinaus verschiedene Vorschläge für die Wiedereinführung einer Wehrpflicht „light“ vorgelegt (eine flächendeckende Wiedereinführung würde aus Kostengründen wohl nicht erfolgen).[5]

Poster von Otto Lietz zum Kauf von Kriegsanleihen in Deutschland 1918. Quelle: Museum Weißenfels-
Schloss Neu Augustusburg über Museum Digital Deutschland.

Unkonventionelle Finanzierung


Die unvermeidbare Frage lautet folglich: Wie soll das alles finanziert werden? Allenthalben wird daran erinnert, dass Frankreich mit einer Staatsverschuldung von 5 % des BIP – hinter Griechenland und Italien – eines der am höchsten verschuldeten Eurozonenländer ist. Nachdem Emmanuel Macron erst jüngst das Versprechen gegeben hat, seine Rüstungsoffensive nicht durch Steuererhöhungen zu finanzieren, werden dieser Tage gehäuft „unkonventionelle“ Hintertürlösungen ins Spiel gebracht. Vor allem das Sparvermögen der privaten Haushalte (rund sechs Billionen Euro) weckt Begehrlichkeiten. Seit Kurzem steht die Idee im Raum, diese über eine nationale Anleihe zu mobilisieren, auch wenn Premierminister François Bayrou im März zu Protokoll gab, dass diesbezüglich „die Entscheidung keineswegs getroffen ist“.[6] Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Sparvermögens (6,5 Prozent) liegt als festverzinsliche Einlage auf dem staatlich reglementierten Sparbuch „Livret A“. Dort trägt es zwar u. a. zum sozialen Wohnungsbau bei, nicht jedoch zu den hehren nationalen Kraftanstrengungen im Rahmen der „Kriegswirtschaft“. Dies könnte sich jedoch bald ändern. Die französische Tageszeitung „L’Humanité“ u.a. berichteten Ende 2023: „Ein Änderungsantrag zum Haushaltsgesetzentwurf 2024, den [die damalige Premierministerin] Elisabeth Borne soeben willkürlich und autoritär mithilfe von Verfassungsartikel 49.3 [d.h. ohne parlamentarische Abstimmung] durchgesetzt hat, macht es nämlich möglich, aus dem Goldtopf dieser ‚Haushaltsersparnisse‘ zu schöpfen, um ‚die Verteidigungsindustrie zu finanzieren‘. […] Nur der von den Banken verwaltete Teil, d. h. 40,5 % der für das Livret A gesammelten Gelder, soll im Prinzip für die Verteidigungsindustrie bestimmt sein. […] Dennoch stellt dies einen Geldsegen für die Verteidigungsindustrie dar, da sich allein die Einlagen des Livret A auf über 400 Milliarden Euro belaufen.“[7] Neuerdings diskutiert die Regierung sogar die Einführung neuer Sparkonten, in die der französische Kleinanleger „solidarisch“ zur Finanzierung der staatlichen Rüstungsoffensive investieren kann. Durch ein solches „Rüstungssparbuch“ für die Bevölkerung erhofft man sich laut FAZ die „Schaffung eines Anlageprodukts, mit dem man 450 Millionen Euro an Ersparnissen mobilisieren wolle. Der Mindestbetrag betrage 500 Euro und der Höchstbetrag ‚einige Tausend Euro‘.“[8]

Nichts Schlimmeres als Kriegswirtschaft


Wer am Ende als Zahlmeister einspringen wird, gilt jedenfalls bereits als ausgemachte Sache. So steht auf Zeit Online zu lesen: „Premierminister François Bayrou und seine Regierung bereiten die Bevölkerung auf die Opfer vor, die sie für die Aufrüstung erbringen müsse. Kürzlich kündigte er an, dass Änderungen am umstrittenen späteren Rentenalter nun nicht mehr möglich seien.“ Er darf auf viele willige Helferlein zählen, die dafür sorgen werden, dass diese bittere Pille am Ende geschluckt wird. Wie immer brummt die mediale Konsensfabrik im trauten Einklang mit der Waffenfabrik. Die medienkritische Beobachtungsstelle Acrimed hat eine ansehnliche Sammlung zu Macrons erneuter Kriegswirtschaftsoffensive im Frühjahr 2025 zusammengestellt.[9] Kostprobe: „Mehr arbeiten ist der beste Weg, um die nötigen Ausgaben für unsere Armeen zu finanzieren“ („Les Échos“, 10. März). Oder: „Unser sakrosanktes Sozialmodell […] treibt das Land wissentlich in den Ruin und nimmt ihm jeglichen finanziellen Handlungsspielraum.“ (Le Figaro, 7. März). Wen wundert es auch, schließlich gehört „Le Figaro“, der laut Wikipedia „neben Le Monde als wichtigste meinungsbildende Zeitung Frankreichs gilt“,[10] zur Holding Gesellschaft Dassault, in deren Portfolio sich darüber hinaus rund 70 weitere französischsprachige Zeitungen und Zeitschriften finden. Eine solche Armee von Schreibtischkriegern stellt in punkto Reichweite und finanzielle Firepower jede russische „Troll-Brigade“ in den Schatten. Da nimmt es nicht Wunder, dass die Presse hüben wie drüben
keine Parteien mehr kennt, nur noch Shareholder. Das vermittelte Zerrbild sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die meisten Franzosen einen feuchten Kehricht um die allseits beschworene „Union Sacrée“ (Burgfriedenspolitik) scheren. Eine davon ist Sophie Binet, Generalsekretärin des größten Gewerkschaftsbundes im öffentlichen Sektor, CGT, die es in der Tageszeitung L’Humanité trefflich auf den Punkt brachte: „Für die Arbeiter gibt es nichts Schlimmeres als die Kriegswirtschaft“.[11]

Zur Bebilderung
Leitend bei der Auswahl der Bilder für diese Ausgabe war die Frage, wie Regierungen versuchen, die Ausgaben für Krieg und Rüstung der Bevölkerung schmackhaft zu machen und wie sich Krieg auf die
Wirtschaft auswirkt. Gerade die zeitliche Distanz zum letzten „erlebten“ Krieg macht es notwendig auch in einer visuellen Form an diese Auswirkungen zu erinnern. Dabei sei nur erwähnt, dass das Mittel
der Kriegsanleihe gar nicht so antiquiert ist, wie es erscheint – ein aktuelles Beispiel bietet beispielsweise der von der kanadischen Regierung aufgelegte Ukraine Sovereignty Bond, der auch nichts weiter ist, als eine Wette, dass der Krieg schon nicht verloren geht. Die meisten der hier verwendeten Bilder sind den
Plattformen museum-digital deutschland und dem Digital Commonwealth entnommen.

Anmerkungen


[1] Britta Sandberg: „Wir sind im Krieg“, Spiegel Online, 16.3.2020.


[2] Gaspard Schnitzler: “Wartime Economy”: From buzzword to reality ? Changes in European Defence Industrial Strategies since February 2022, Institut de relations internationales et stratégiques (IRIS), März 2024, S.4.


[3] Stefan Brändle: Auf dem Weg zur „Kriegswirtschaft“? Frankreich macht Waffenschmieden Druck, Frankfurter Rundschau, 3.4.2024.

[4] Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek: Frankreichs Militärhaushalt soll um ein Drittel erhöht werden, 25.5.2023.


[5] Tanja Kuchenbecker: Mehrheit der Franzosen spricht sich für Militärdienst aus, Handelsblatt, 6.5.2025.

[6] TF1 Info: Emprunt national, livret d’épargne… Les pistes du gouvernement pour financer le réarmement, 7.3.2025.

[7] Bruno Odent : Livret A : le gouvernement va financer l’industrie de l’armement avec votre épargne, L’Humanité, 9.11.2023.

[8] Niklas Záboji: Mit 500 Euro Rüstungssparer werden, Frankfurter Allgemeine, 20.3.2025. Sowie: Annika Joeres: Bestimmt eine bombige Geldanlage, Zeit Online, 29.3.2025.

[9] Pauline Perrenot : « Pensions ou munitions ? » : la fabrique du consentement à « l’effort de guerre », Acrimed, 14.3.2015.

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Le_Figaro.

[11] Contre Attaque : Économie de guerre et course à l’armement, 14.3.2025.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de