IMI-Analyse 2025/07
Forschung mit friedlichen Zielen
Forschung mit zivilen und friedlichen Zielen an Teilchenbeschleunigern, geht das überhaupt?
Hannes Jung (24.03.2025)
In der Teilchenphysik, wie sie am CERN in Genf und am Forschungszentrum DESY in Hamburg betrieben wird, geht es um die ganz großen Fragen: Wie ist unser Universum aufgebaut, wie sind Protonen und Neutronen, die Bestandteile der Atome und Moleküle aufgebaut – aus Quarks und Gluonen, den Klebeteilchen für die Quarks. Und warum gibt es uns? Die Gluonen, die Klebeteilchen, brauchen keine Quarks, sie sprechen mit sich selbst. Um all das zu erforschen, brauchen wir sehr hohe Energien und dafür brauchen wir Teilchenbeschleuniger.
CERN, das internationale Zentrum für Teilchenphysik in Genf, wurde auf der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges gebaut, von Wissenschaftler*innen aus Ländern, die Jahre vorher noch im Krieg gegeneinander standen. Es wurde 1954 gegründet und mit ihm wurde die Science4Peace[1] Idee geboren. Die Grundlagenforschung ist universell, die Frage nach dem Ursprung des Universums ist unabhängig von nationalen und politischen Interessen. Damit war eine Möglichkeit gegeben, in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit Vertrauen und gegenseitigen Respekt aufzubauen und damit wurde auch eine Möglichkeit zum Austausch eröffnet. In der Satzung[2] des CERN steht in Artikel 2: „Die Organisation darf sich nicht mit Arbeiten für militärische Zwecke befassen und die Ergebnisse ihrer experimentellen und theoretischen Arbeit sind zu veröffentlichen oder anderweitig allgemein zugänglich zu machen.“
Kooperation mit der Sowjetunion
In einem CERN-Bericht[3] von 1975 steht: ,,Die erfolgreiche wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem CERN und Instituten in der Sowjetunion […] wird häufig als Beispiel dafür angeführt, was im Bereich der Ost-West-Beziehungen erreicht werden kann. […] Es kam schon oft die Frage auf, wie diese Zusammenarbeit in einer Zeit zustande kam, als die politischen Kontakte minimal waren und warum sie so erfolgreich war.” In der Satzung[4] des Instituts in Dubna (JINR) steht: „In all seinen Handlungen fördert das Institut die Nutzung von Kernenergie ausschließlich für friedliche Zwecke, zum Wohle der gesamten Menschheit.“ Die ersten direkten Kontakte gehen zurück bis 1955, in dem Bericht heisst es: „[…] es gab ein zweiwöchiges Treffen am CERN […] an dem eine große Zahl sowjetischer Physiker teilnahm, …“.
Am CERN gab es seit dieser Zeit immer wieder und immer mehr Kooperationen mit der damaligen Sowjetunion und vielen anderen Ländern des Ostens, zuletzt waren Russland und das Institut JINR in Dubna als Beobachter beim CERN Council, dem höchsten Gremium von CERN.
Ein wunderschönes Beispiel für erfolgreiche wissenschaftliche Zusammenarbeit im Sinne von ,,Schwerter zu Pflugscharen” ist der Bau eines Teils des Detektors des CMS-Experiment am LHC bei CERN: Es wurde Messing von sehr hoher Qualität benötigt. Die russischen Kolleg*innen erinnerten sich daran, dass die Marine Messing von hoher Qualität für Patronenhülsen in den 1940er Jahren benutzt hatte und davon noch Millionen in Militärbeständen lagerten. Die Zustimmung zur Benutzung dieses Materials kam recht schnell aus dem russischen Marine-Kommando und aus 15 Marinebeständen wurden diese Hülsen verladen, dann in Belarus eingeschmolzen und als Absorber-Material im CMS-Detektor bei CERN verbaut. Ein wunderschönes Beispiel für internationale Kollaboration und gegenseitiges Vertrauen durch wissenschaftliche Zusammenarbeit[5].
Was kann man sich als eine bessere Verwendung von Patronenhülsen vorstellen?
Ausschluss russischer Wissenschaftler*innen
All das hat sich mit dem Beginn des Ukraine-Krieges fundamental geändert. In Deutschland wurden sämtliche Kooperationen mit Russland beendet, russische Wissenschaftler mussten Institute verlassen, sogar Wissenschaftler*innen bei DESY, die seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebten und arbeiteten, wurde der Email- und Computer-Zugang entzogen. CERN hat erstmal die Kooperationen auf Eis gelegt. Im letzten Dezember hat das CERN Council beschlossen, dass die Kooperation mit Russland nicht mehr weitergeführt wird und die Verträge Ende November 2024 enden. Lediglich die Kooperation mit JINR wird weitergeführt, allerdings weiterhin unter sehr strengen Sanktionen. Viele russische Wissenschaftler mussten daraufhin CERN verlassen, haben keinen Zugang mehr zu den Messdaten. Abgesehen vom finanziellen Beitrag Russlands zum Bau des LHC und zum Aufbau des Experiments (ca. 10 %), werden die intellektuelle Urheberschaft und das intellektuelle Eigentum in Frage gestellt und aufgelöst.
Aber die Entscheidung des CERN Council wurde öffentlich von einigen Wissenschaftler*innen kritisiert, das Science4Peace Forum hat Veranstaltungen dazu organisiert, Unterschriften gesammelt und Artikel gegen den Ausschluss von Wissenschaftler*innen veröffentlicht[6]. Zum ersten Mal in der Geschichte des CERN wurde die Wissenschaft unter das Primat der west-europäischen Politik gestellt.
Bis dato war nur einmal in der Geschichte des CERN ein Land mit seinen Instituten ausgeschlossen worden, und zwar während der Jugoslawienkriege 1992, als Serbien und Montenegro unter UN-Embargo standen[7]. Wohlgemerkt, das war auf Grundlage eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrates. Die Entscheidung des CERN Council, die Kooperationen mit Russland nicht weiterzuführen – nach über 65 Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit – markiert tatsächlich eine Zeitenwende. Eine west-europäische Sichtweise hat sich durchgesetzt und einen west-europäischen Block in der Wissenschaft gebildet.
Vorgaben der west-europäischen Politik
Die Konsequenzen dieser Zeitenwende sind noch nicht abzusehen. Die russischen Wissenschaftler*innen sind frustriert über das Verhalten ihrer „westlichen“ Kolleg*innen, die so moralisch argumentieren. Wie kann es sein, dass mit solcherlei Doppelmoral gemessen wird, einer Doppelmoral, die natürlich nicht nur auf die Wissenschaft beschrankt ist. Israel führt einen schrecklichen Krieg gegen die Bevölkerung von Gaza und auch der Westbank. Israel ist Mitgliedstaat des CERN, mit der Palästinensischen Autonomiebehörde gibt es Kooperationsverträge. Niemand stellt die Zusammenarbeit in der Wissenschaft mit Israel in Frage, und das ist auch gut so: Wir müssen im Gespräch miteinander bleiben. Der neue US-Präsident droht offen Grönland und Panama mit Militärgewalt, sollten sich diese Länder den Wünschen der US-Regierung widersetzen. Ein Ausschluss von US-Wissenschaftler*innen würde diese Politik allerdings nicht ändern.
Eine Ausgrenzung von Wissenschaftler*innen kann keine Lösung sein, damit würde nur eine Isolation gefördert, anstatt für eine Politik der gemeinsamen Forschung und friedlichen Zusammenarbeit einzutreten. Isolation kann sehr gefährlich sein, weil man legitime Interessen der anderen nicht mehr zulässt und ernst nimmt.
Die Doppelmoral und Ausgrenzung auch am CERN werden höchstwahrscheinlich sehr große Konsequenzen haben: Welches Land wird sich an zukünftigen Projekten finanziell beteiligen wollen, wenn die Gefahr besteht, dass man ausgeschlossen wird? Ganz vielen Wissenschaftler*innen ist es unbegreiflich, warum man zugelassen hat, dass ein solch erfolgreiches Projekt wie CERN den kurzfristigen politischen Zielen geopfert wird. In einem sehr guten Artikel im CERN Courier[8] unter dem Titel “Science For Peace? More than ever!” hat der ehemalige Direktor des CERN, Herwig Schopper, schon 2022 betont, dass man die Brücken nicht abbrechen soll, weil es ein danach geben wird, und man miteinander im Gespräch bleiben muss.
In den vielen Jahren, auch während des kalten Krieges und danach, war Science4Peace eine schöne Floskel, die immer wieder gern benutzt wurde. Es ist unendlich beschämend und eine Schande, dass gerade in einer Zeit, wo Science4Peace eine Rolle hätte spielen müssen, von den meisten Wissenschaftspolitiker*innen nichts oder zu wenig dazu unternommen wurde. Noch heute gibt es Beschränkungen für die Teilnahme von russischen Wissenschaftler*innen bei wissenschaftlichen Konferenzen und bei gemeinsamen wissenschaftlichen Publikationen, z.B. am DESY[9]. Aber viele haben sich daran gewöhnt.
Mit dem Krieg gegen die Ukraine wurde wieder ein Feindbild aufgebaut, zuerst begründet durch die Ablehnung des völkerrechtswidrigen Krieges. Aber sehr schnell wurde klar, dass es um weit mehr geht. In einem Bericht der DFG und Leopoldina zu ,,Wissenschaftsfreiheit und Sicherheitsinteressen in Zeiten geopolitischer Polarisierung”[10] heisst es: ,,Wissenschaft und Innovationskraft werden infolgedessen auch in Europa und Nordamerika zunehmend als geopolitischer Machthebel identifiziert, um Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeiten im Sinne nationaler Sicherheitsinteressen zu stärken.” Damit wird versucht, die Wissenschaft als geopolitisches Machtmittel einzusetzen, im Kampf gegen eine vermeintliche Bedrohung aus dem Osten. So wie die wissenschaftlichen Kooperationen mit Russland und Belarus zuerst problematisiert wurden, um dann beendet zu werden, so werden heute schon Kooperationen mit China, aber auch z.B. mit Kuba problematisiert, ganz im Sinne einer recht aggressiven Außenpolitik der USA.
Wissenschaft für militärische Interessen?
Schon 2022 hat acatech[11] empfohlen, ,,im Bereich der Sicherheitsforschung aktiver [zu] werden” und im Sinne von nationaler Resilienz sollen nun Forschungsinstitute und Universitäten, die bisher auf zivile und friedliche Forschung fokussiert waren, für eine weitere Militarisierung vorbereitet werden. Dies wird in Positionspapieren der EU-Kommission[12] und des BMBF[13] übernommen.
Während das DESY-Direktorium in der Umsetzung der Sanktionen gegen russische Wissenschaftler*innen schon eine Vorreiterrolle in Deutschland gespielt hat, wurde nun ein weiterer Schritt unternommen: im Juni 2024 hat das Direktorium des DESY bei einer Belegschaftsversammlung angekündigt, eine Diskussion zu starten[14], ob die strikte Trennung von ziviler und militärischer Forschung noch zeitgemäß sei und ob militärische Forschung bei DESY in Zukunft möglich sein solle. Anstelle von militärischer Forschung wird nun von ,,sicherheitsrelevanter Forschung” gesprochen, man möchte den Zusatz ,,zivil” aus dem Leitbild[15] streichen, wie Der Spiegel berichtet[16].
Mit diesem Vorstoß hat das DESY-Direktorium einen weiteren Schritt hin zur Forschung im Dienste bestimmter politischer Vorstellungen unternommen. Aber es regt sich großer Widerstand: von Mitarbeiter*innen bei DESY wurde eine Unterschriftenliste gestartet, um sich gegen die Öffnung für Militärforschung zu wenden – und vor allem zu erklären: Ohne mich! Diese Kampagne wurde von vielen DESY-Beschäftigten unterstützt und hat inzwischen auch auf change.org[17] recht viele Unterstützer*innen.
Mit den Sanktionen gegen russische und belarussische Wissenschaftler*innen bei CERN aber auch an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen wurde ein sehr großer Schrittgetan, um die Wissenschaft unter die Vorgaben der Politik zu bringen. Es war erstaunlich, dass nur wenige Tage nach dem Angriff auf die Ukraine die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen[18] schon Sanktionen gegen russische Wissenschaftler und Kooperationen beschlossen hatte. Beachtenswert ist, dass sich einige Universitäten, wie z.B. die Universität Hamburg, den Publikationsbeschränkungen von DESY nicht angeschlossen haben[19].
Nicht in unserem Namen
Die Debatte um die Zivilklausel[20] in Deutschland und insbesondere in Forschungsinstituten wie dem DESY ist sehr gefährlich. Die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges haben zu Zivilklauseln geführt, auch und gerade in internationalen Instituten, wie z.B. dem CERN. Bei DESY stand lange Zeit Rüstungsforschung überhaupt nicht zur Debatte.
Aber natürlich lassen sich alle wissenschaftlichen Erkenntnisse in verschiedene Richtungen anwenden, das ist nichts Neues. Schwerter zu Pflugscharen: mit einem Pflug kann man auch töten, aber der Sinn eines Pfluges ist ein anderer als der Sinn eines Schwertes. Mit der Debatte um Dual-Use und dem Argument, dass man die Anwendung oft nicht voraussehen könne, versucht man in der Diskussion abzulenken, man versucht zu verwischen, dass es sehr oft eindeutige Zuordnungen gibt.
Schon jetzt gibt es Interesse des Militärs an der Forschung bei DESY, wie der Spiegel kürzlich berichtet hat[21]. Mit einer weiteren Erhöhung des Verteidigungshaushaltes auf 3.5 oder mehr (was nahezu einer Verdopplung gleichkommt), werden die Mittel für rein zivile Forschung abnehmen. Dadurch sollen Forschungsinstitute über die Finanzierung gezwungen werden (sofern sie es nicht freiwillig tun), Forschung zu militärischen Zwecken zuzulassen. Damit wird eine fatale Forschungspolitik eingeführt, die Forschung und Wissenschaft unter die (zum teil recht aggressiven) geopolitischen Ziele unterordnet.
Es ist wichtig, dass sich Wissenschaft und Forschung diesem Zugriff widersetzen. Nicht nur die Institute sind gefordert, sondern jede einzelne Wissenschaftler*in und Mitarbeiter*in an Universität und Forschungseinrichtungen. Aber auch Lehrer*innen an Schulen müssen deutlich sagen: Nicht in unserem Namen und die Kampagne von Science4Peace unterstützen.[22]
[1] CERN – who-we-are / our-history, home.cern.
[2] Convention for the establishment of a European organization for nuclear research, 1953, cern.ch.
[3] A History of the Collaboration Between the European Organization for Nuclear Research (CERN) and the Joint Institute for Nuclear Research (JINR), and with Soviet Research Institutes in the USSR, 1955-1970.
[4] CHARTER of the Joint Institute for Nuclear Research, 1992.
[5] The CMS Hadron Calorimeter, 2011.
[6] M. Albrecht et al, Beyond a Year of Sanctions in Science, arxiv.org, 2023.
A. Ali et al, A Science4Peace initiative: Alleviating the consequences of sanctions in international scientific cooperation, arxiv.org, 2024.
[7] CERN and the UN Embargo against Serbia and Montenegro, home.cern, 1993.
[8] H. Schopper, Science For Peace? More than ever!, cerncourier.com, 2022.
[9] DESY Direktorium, Measures taken by DESY in response to the Russian invasion of Ukraine, desy.de, 2022.
[10] Leopoldina und DFG, Wissenschaftsfreiheit und Sicherheitsinteressen in Zeiten geopolitischer Polarisierung, sicherheitsrelevante-forschung.org, 2024.
[11] J-D. Wörner, Chr. M. Schmidt, Chr. M., Sicherheit, Resilienz und Nachhaltigkeit, acatech.de, 2022.
[12] EU Kommission, On options for enhancing support for research and development involving technologies with dual-use potential, europa.eu, 2024.
[13] BMBF, Positionspapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Forschungssicherheit im Lichte der Zeitenwende, bmbf.de, 2024.
[14] N. Gessner, Militärforschung am DESY? Mitarbeiter in Sorge, Hamburger Morgenpost, mopo.de, 2024.
[15] Mission und Leitbild von DESY, desy.de, 2013.
[16] M.Hasse, M. Schlak, Zeitenwende in der Wissenschaft – Krieg und Forschung, spiegel.de, 2025.
[17] Opening civil research facilities to military projects is NOT IN OUR NAME !, change.org,2024.
[18] Allianz der Wissenschaftsorganisationen: Solidarität mit Partnern in der Ukraine-Konsequenzen für die Wissenschaft, helmholtz.de, 2022.
[20] Bestehende Zivilklauseln, zivilklausel.de, 2025.
[21] M.Hasse, M. Schlak, Zeitenwende in der Wissenschaft – Krieg und Forschung, spiegel.de, 2025.
[22] Opening civil research facilities to military projects is NOT IN OUR NAME !, change.org, 2024.