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IMI-Studie 2024/6

Sahel – der verlorene Hinterhof

Auch Deutschland ist nun bald ganz aus dem Sahel raus. Profranzösische Statthalter in Tschad und Togo nähern sich Souveränisten an. Diese gründen Konföderation.

Pablo Flock (24.07.2024)

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Inhalt:

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Zusammenfassung:

Niger: Doch kein deutscher Fuß in der Tür
Kurz machte die Ende Mai im Spiegel berichtete Ankündigung einer vorläufig verlängerten Stationierung des deutschen Kontingents, welches im Niger das sogenannte Luftdrehkreuz betreibt, glauben, die Deutschen könnten dem antiwestlichen Trend im Sahel noch trotzen – natürlich ohne dass dies etwas an der geopolitischen Zeitenwende in der Region geändert hätte. Doch die Geheimverhandlungen scheinen nach einem Monat schon ins Leere geführt zu haben. Auch die deutschen Kräfte werden das Sahelland bis Ende August verlassen müssen.

Auch USA verlieren Sahel
Nachdem die Franzosen mittlerweile abgezogen sind, kündigte der Niger am 17. März 2024 auch das Kooperationsabkommen mit den USA auf. Bis Mitte September sollen die Reste der 1.100 Sicherheitskräfte umfassenden Stationierung sowie das Material, darunter z.B. Reaper-Drohnen, von den eigens erbauten Basen Air Base 101 nahe der Hauptstadt Niamey und Air Base 201 bei Agadez abgezogen werden. Am 3. Mai 2024 zogen dann nach Angaben des US-Militärs schon russische Soldaten des neugegründeten Afrika Korps, der dem Verteidigungsministerium unterstehenden Nachfolgeorganisation der Wagner-Gruppe, in einen abgetrennten Bereich der Air Base 101 ein.

Neue Konföderation der Sahelstaaten
Die Staatschefs der, als Antwort auf Interventionsandrohungen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) gegründeten, Allianz der Sahelstaaten planten bald, über ein bloßes militärisches Bündnis, welches die Aufgabe der G5 übernehmen und koordiniert gegen die Islamisten vorgehen würde, hinauszugehen und andere Formen der Integration, so wie eine Zoll- und ggf. eine Währungsunion zu gründen. Auf dem ersten offiziellen Gipfel der Staatschefs der Allianz am 6. Juli 2024 beschlossen die Militärregenten, sich zu einer Konföderation zusammenzuschließen. Wie Captain Ibrahim Traore aus Burkina Faso, bekräftigte, sollten die rund 72 Millionen Menschen aus den drei Ländern sich nun als Bürger der AES und in allen drei Ländern zuhause fühlen.

Tschad & Togo: Frankreichs Schoßhunde wollen von der Leine
Diesem gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich gerichteten Trend entsprechend, nahmen nun, wie die französische Zeitung Le Monde berichtete, auch Soldaten aus dem Tschad und aus Togo an den ersten gemeinsamen taktischen Manövern der Allianz der Sahelstaaten teil, die zwischen dem 26. Mai und 3. Juni im nigrischen Tillia stattfanden. Der antikoloniale Block gab der Übung wahrscheinlich wegen diesem bündnispolitischen Erfolg bzw. als Hieb gegen Frankreich den großspurigen Titel »D‘Envergure«, zu Deutsch: »Von Tragweite«. Zudem schickte auch der Tschad schon erste US-amerikanische Einheiten nach Hause und holte russische Soldaten ins Land – während das französische Kontingent noch bleibt.

Diktatorensöhne: Macht im Innern gefestigt, im Äußeren diversifiziert
Klar, dass von den Söhnen der ehemaligen profranzösischen Diktatoren keine Wendung hin zur Demokratie zu erwarten war, nur weil sie sich geopolitisch zumindest nach neuen Verbündeten umzusehen scheinen. Verfassungsänderungen, eingeschüchterte Opposition und manipulierten Wahlen gehen weiter.

Sahelstaaten: Demokratie auf Abstand halten
Doch auch die sich revolutionär gebenden und zumindest in Mali und Burkina Faso aus niedrigeren Offiziersrängen hervorgegangenen Putschisten sichern ihre Macht gegen aufbegehrende Bevölkerungsteile ab und scheren sich dabei nicht sonderlich um die Demokratie.
So hätte die Übergangsphase der von Kapitän Ibrahim Traoré angeführten Militärjunta in Burkina Faso ursprünglich zum 1. Juli 2024 auslaufen sollen. Traoré erließ jedoch am 25. Mai eine neue Übergangscharta, nach der er, nun nicht mehr als Übergangspräsident sondern Präsident der Republik, für weitere fünf Jahre im Amt bleiben wird und per Dekret regieren kann bis er ein Parlament beruft, welches er zu über einem Viertel selbst ernennt.
Auch in Mali sind Anfang 2024 die angegebenen zwei Jahre Übergangszeit verstrichen. Doch die Wahlen wurden schon im Dezember auf unbestimmte Zeit verschoben und im Mai 2024 empfahl ein „Nationaler Dialog“ aus hauptsächlich Militärs und regimetreuen Gruppen eine Verlängerung der Militärherrschaft und eine Wahlverschiebung bis 2027.

Senegal: demokratischer Schwenk weg vom Westen
Im Gegensatz zu den seit der Unabhängigkeit durch Putsche und Diktaturen geprägten Sahelstaaten konnte der Senegal seinen Ruf als Bastion der Demokratie erneut verteidigen – und trotzdem die geopolitische Wende der Nachbarn teilweise mit vollziehen. Das junge Duo aus ehemaligen Steuerfahndern, Ousmane Sonko und Bassirou Diomaye Faye, konnten entgegen aller Manipulationsversuche des Establishments die Wahlen gewinnen und werden nun, letzterer als Präsident und ersterer als Ministerpräsident, die Beziehungen zu Europa zwar nicht völlig kappen, jedoch von ihr fordern gemeinsam „eine neu durchdachte, erneuerte Partnerschaft“ aufzustellen. So kündigten die beiden schon an, beispielsweise Bergbau und Kohlenwasserstoff-Lizenzen (z.B. für die Gasfelder vor Senegals Küste) sowie internationale Fischfanglizenzen überprüfen und ggf. neu aushandeln zu wollen.

CFA-Franc: Frankreichs sterbender Goldesel
Sowohl die Sahelstaaten, als auch Senegals neue Spitze propagieren mit ihrer Abkehr vom westafrikanischen Franc eigentlich das Mittel für eine stärkere Integration, die auch die ECOWAS weiterbringen könnte: die monetäre Union – fernab vom kolonialen Überbleibsel Westafrikanischer Franc.
Über die mit der kolonialen Währung verbundenen, verpflichtenden Einlage von 50% der Staatseinlagen der Länder in der französischen Zentralbank (eine Regelung, die Macron 2020 ankündigte, aufzuheben) macht diese jährlich Abermillionen durch Geldgeschäfte und die Planbarkeit, die der feste Wechselkurs gibt, macht das Afrikageschäft französischer und nun europäischer Unternehmen leichter, sicherer und billiger. Jedoch warnen regionaleund internationale Kritiker schon lange, die Währung würde das wirtschaftliche Wachstum der Länder behindern, da sie keine eigene, an ihre Bedürfnisse angepasste Währungspolitik machen können, und die Kapitalflucht lokaler Eliten begünstige.

Rohstoffe: nigrisches Uran und burkinisches Gold
Zudem würde die französische Wirtschaft auch durch das Wegfallen der bevorzugten Behandlung bei lukrativen Rüstungsbeschaffungen und bei Konzessionen für den Abbau von Bodenschätzen leiden, wenn nun die alten Eliten, mit denen man Jahrzehnte verbandelt war, abgelöst werden (oder die Loyali-
tät entsagen). Wie solche Wechsel sukzessive ablaufen, kann gerade schon gesehen werden, und zwar gerade am für Frankreich ggf. kritischsten Rohstoff: dem nigrischen Uran, welches die Atommacht Frankreich dort bisher exklusiv abbauen konnte. Nach dem Auslaufen der Verträge wurde dem französischen Nuklearkonzern Orano (vormals Areva), welcher zu 90% im Besitz des französischen Staats ist, die Lizenz für die Imouraren Mine entzogen, welche als eine der weltweit größten Lagerstät-
ten von Uran gilt. Russland intensiviert derweil seine Minenoperationen in allen drei der Sahelstaaten.

Die russische Zone
Zwar fehlt Russland noch die Breite des Einflusses, wie Frankreich ihn hatte, dessen Militär sich durch die Verträge der G5-Sahel frei im Gebiet der heutigen Konföderation der Sahelstaaten und durch seit der Entkolonialisierung bestehende Verträge auch durch den Tschad und den Senegal und manche der südlichen Küstenstaaten bewegen konnte. Auch die 5.000 Soldat*innen, die Frankreich durch die Mission Barkhane alleine in den G5-Staaten stationiert hatte, wird Russland wohl nicht so schnell aufbringen können – obwohl das ISW mit Bezug auf die LeMonde von 1.000-2.000 Söldnern des Afrikakorps in Mali spricht.
Könnte Russland Frankreich im Tschad und im Senegal jedoch ersetzen, hätte es einen Aktivitätsradius, der sich quer über den Kontinent vom Atlantik bis zum Roten Meer zieht, da es im Moment sogar beide Parteien im sudanesischen Bürgerkrieg unterstützt. Auch für die Kooperation und den Nachschub für den mit Russland verbündeten Warlord im libyschen Bürgerkrieg, Khalifa Haftar, ist die Kontrolle der benachbarten Sahelzone praktisch.

Europas Eindämmungsversuche
In der EU möchte man sich stattdessen auf die Ertüchtigung der südli- chen Küstenstaaten Westafrikas konzentrieren. Schon im letzten Jahr hat man dafür die Hände in die Elfenbeinküste, nach Benin,
Ghana und Togo ausgestreckt und Pläne für die Ausbildung von Sicherheitskräften gemacht. Auch die USA werden nun eine Drohnenbasis in Odienne in der Elfenbeinküste aufbauen.
Trotzdem scheint es, als müsste der Westen sich vorerst mit einer Beschneidung seiner Einflusszone abfinden und Angebote machen, um nicht noch mehr zu verlieren.

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