IMI-Analyse 2024/20
Europäische Sicherheitsforschung und der Krieg in Gaza
EU-Forschungsförderung unterstützt israelische Rüstungsindustrie
Christoph Marischka (22.03.2024)
Im aktuellen Krieg in Gaza wie bereits zuvor bei Besetzung und Ausgrenzung kommen Technologien zum Einsatz, die mit finanzieller Unterstützung aus Europa entwickelt wurden.
Diese IMI-Studie 2024/20 wurde in Kooperation mit Statewatch.org veröffentlicht und ist dort auch auf englisch abrufbar.
Erklärtes Ziel der Forschungspolitik der EU ist es, einen „europäischen Raum der Forschung“ zu schaffen und die „Wettbewerbsfähigkeit“ der entsprechenden Industrie zu fördern.1 Neben Organisationen und Unternehmen aus den Mitgliedsstaaten wurde der Türkei und Israel ein privilegierter Zugang zu den damit verbundenen Mitteln gewährt, während Firmen und Institutionen aus den USA und anderen Region weitgehend ausgeschlossen sind. Da die Finanzierung von „Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ durch die Kommission auf der Grundlage des EU-Vertrages eigentlich ausgeschlossen ist,2 dürfen zumindest in diesem Rahmen und offiziell keine Rüstungsprojekte finanziert werden. Trotzdem steht die Forschungsförderung der Europäischen Union spätestens seit 2007 im wohlbegründeten Verdacht, auch der Förderung der Rüstungsindustrie zu dienen. Das damals aufgesetzte 7. Forschungsrahmenprogramm enthielt erstmals eine Förderlinie zur „Sicherheitsforschung“. Ben Hayes führte das in seiner bereits 2006 erschienen Studie „Arming Big Brother“ auch auf das Lobbying der europäischen Rüstungsindustrie zurück, die sich zuvor durch die Auflösung traditioneller Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit als „Sicherheitsindustrieller Komplex“ neu formiert habe.3 Auch jenseits der Programmlinie „Sicherheit“ wurden seit dem zahlreiche Projekte gefördert, von denen unter vermeintlich „zivilen“ Fragestellungen wie dem Grenzschutz, dem Bevölkerungsschutz und der Überwachung der Meere Rüstungskonzerne profitierten. In vielen Fällen liegt nahe, dass in diesem Rahmen entwickelte Technologien mittlerweile auch in bewaffneten Konflikten zum Einsatz kommen.4 Beim militärischen Vorgehen Israels in Gaza ist dies relativ unmittelbar nachweisbar – und aufgrund der außergewöhnlich großen Zahl an zivilen Opfern und einer ausstehenden Entscheidung des internationalen Gerichtshofs über den Vorwurf eines Völkermordes besonders problematisch.
Während des anhaltenden Krieges Israels in Gaza hat die britische NGO Statewatch im Februar 2024 einen offenen Brief von dreihundert Akademiker*innen veröffentlicht, in dem die EU aufgefordert wird, die Förderung von Forschungsprojekten einzustellen, welche zur Verletzung internationalen Rechts oder der Menschenrechte beitragen könnten. Im Mittelpunkt der Kritik steht dabei die Förderung von sog. Dual-Use-Forschung in Israel, also zu Technologien, die auch militärisch eingesetzt werden können. Der Brief nennt dabei explizit die beiden großen israelischen Rüstungsunternehmen Elbit und IAI, die gleich bei mehreren Projekten gefördert wurden.5
Bereits 2015 hatte ein europäisches Netzwerk pro-palästinensischer Gruppen, die European Coordination of Committees and Associations for Palestine (ECCP), vor dem Hintergrund von Besatzung, Militär-, Polizei- und Siedlergewalt kritisiert, dass israelische Rüstungsunternehmen von der EU-Forschungsförderung profitierten.6 Konkret genannt wurden auch damals Elbit und IAI sowie die großen Forschungsprojekte OPARUS, IDETECT4ALL und FLYSEC. Vor allem OPARUS war bereits zu dieser Zeit auch jenseits der israelischen Beteiligung durch IAI in die Kritik geraten, weil es große europäische Rüstungsunternehmen (Airbus, Dassault, Thales und BAE) dabei unterstützt hat, den Einsatz von Drohnen zur Migrationsabwehr zu konzipieren – u.a. in Kooperation mit der „Grenzschutz“-Agentur Frontex.7 Im Rahmen von IDETECT4ALL sollten neue Sensorsysteme entwickelt werden, um „Eindringlinge“ im Umfeld kritischer Infrastrukturen zu detektieren. Als potentielle Nutzer*innen waren dabei Flughafenbehörden eingebunden gewesen, geleitet wurde das Forschungskonsortium vom auf militärische Sensorik spezialisierten britischen Unternehmen Instro Precision.8 Die größte Fördersumme erhielt damals mit etwa 333.000 Euro Motorola Solutions Israel, das laut ECCP und anderen Organisationen bereits damals Technologien zur Überwachung von Sperranlagen, Checkpoints und Siedlungen in der völkerrechtswidrig besetzten West Bank bereitstellte. Insgesamt, so das ECCP 2015, seien bis dahin von der EU-Forschungsförderung 205 Projekte mit einer Gesamtsumme von 452 Mio. Euro in Israel bewilligt worden, davon gut 32 Mio. für fünf „militärische Unternehmen und Institutionen“. Diese Zahl ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, da hierunter auch die Hebrew University of Jerusalem insgesamt subsumiert wird. Auf der anderen Seite werden in dieser Aufstellung viele kleinere Unternehmen nicht genannt, die zumindest auch das Militär oder die Polizei zu ihren Kunden zählen. Während sich bei großen Unternehmen wie Elbit und IAI die konkrete Anwendung von der EU geförderter Technologien im aktuellen Krieg schwerer nachweisen lässt, lassen sich entsprechende Zusammenhänge bei kleineren Unternehmen mit einem überschaubarerem Portfolio klarer herauszuarbeiten. Dies soll im Folgenden anhand einiger Forschungsprojekte im Bereich der unbemannten Systeme dargestellt werden.
ResponDrone: Drohnenflotten
Mit einer Laufzeit von drei Jahren begann im Mai 2019 das Projekt ResponDrone, das bei einem Gesamtvolumen von 8,257 Mio Euro mit 7,996 Mio. Euro von der EU gefördert wurde. Erklärtes Ziel war es, „eine Plattform für eine komplette Flotte unbemannter Luftfahrtsysteme zu entwickeln“, die Einsatzkräfte „bei der Beurteilung der Lage, bei Such- und Rettungsaktionen sowie bei der Bekämpfung von Waldbränden“ unterstützen könne.9 Die Koordination des Projektes lag beim Deutschen Zentrum Luft- und Raumfahrt (DLR), das hierfür 1,318 Mio. Euro von der EU erhielt. Die größte Einzelsumme ging mit 1,423 Mio. Euro an den spanischen Hersteller Alpha Unmanned Systems, dessen Helikopter-Drohnen vom Typ Alpha 800 und Alpha 900 mit verschiedenen Sensorsystemen in den Versuchen zum Einsatz kamen. Den zweitgrößten Betrag erhielt der etablierte israelische Rüstungskonzern und Drohnenhersteller IAI mit 1,403 Mio. Euro – weit vor dem französischen Rüstungskonzern Thales. Aus Israel waren außerdem das kleine Beratungsunternehmen Agora (0,282 Mio.) und das israelische Verteidigungsministerium (0,1 Mio) beteiligt. Obgleich es sich bei den 100.000 Euro für das Verteidigungsministerium um einen eher symbolischen Betrag handelt, ist doch fragwürdig, warum dieses für seine Beteiligung an einem vermeintlich zivilen Forschungsprojekt überhaupt aus der EU finanziert wird – der ja eigentlich Ausgaben mit Militär- und Verteidigungsbezügen untersagt sind.
Die Durchführung des Projekts ResponDrone ist auf dem entsprechenden Portal der EU-Kommission relativ gut dokumentiert. Einem dort veröffentlichten Bericht über die Feldversuche (in Armenien, Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Israel, Lettland und den Niederlanden) ist z.B. zu entnehmen, dass dabei v.a. auch die Erfassung typischer (ziviler) Schadensereignisse, der jeweiligen Zuständigkeiten und auch die bisherige Nutzung von Drohnen und Regularien zu deren Einsatz erfasst wurden.10 Auch in Israel standen offenbar zivile Schadensereignisse wie Erdbeben und israelische Großstädte im Mittelpunkt, die Rolle des Militärs als „First Responders“ wird im Bericht genannt aber nicht weiter problematisiert. Bemühungen zur Erörterung völkerrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit den besetzten Gebieten sind ebenfalls nicht erkennbar. Obwohl das Projekt offenbar tatsächlich auf zivile Anwendungen abzielte, ist der Dual-Use, also die Möglichkeit einer späteren militärischen Nutzung, offensichtlich. So wurden unter dem Szenario von Rettungseinsätzen Sensorsysteme getestet, die es ermöglichen, Personen zu lokalisieren und (auch autonom) zu verfolgen und unter dem Szenario von Waldbränden Modelle entwickelt, um den optimalen Ort zu errechnen, an dem Wasser auf ein Feuer abgeworfen wird.11 Die militärische Relevanz der eingesetzten Technologie dürfte den Beteiligten durchaus bewusst gewesen sein, u.a. aufgrund eines kleinen Skandals, über den israelische und spanische Medien bereits 2016 berichtet hatten. Damals hatte der (nationalistisch-orthodoxe) israelische Landwirtschaftsminister Uri Ariel dem russischen Premierminister Dmitri Medwedew bei einem Besuch eine Drohne von Alpha Unmanned Systems geschenkt – was vor dem Hintergrund der Annexion der Krim und der in der Drohne enthaltenen „sensiblen Technologie“ anschließend sowohl innenpolitisch als auch vonseiten der spanischen Regierung Kritik hervorrief.12
In einer relativ frühen Phase des Forschungsprojekts ResponDrone veröffentlichten zwei der Beteiligten, IAI und Alpha, eine gemeinsame Pressemitteilung, in der sie ein gemeinsames Produkt, Multiflyer, vorstellten: „Eine Flotte kleiner, unbemannter Helikopter, die ein breites Spektrum an nicht-militärischen Aufgaben und Aufgaben der Homeland Security erfüllen können“.13 Die vermeintlich klare Abgrenzung von militärischen Aufgaben wird durch die Bezugnahme auf „Homeland Security“ relativiert, da diese gerade in Israel den Einsatz des Militärs in Terrorlagen auch jenseits des völkerrechtlich anerkannten Territoriums Israels einschließt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der spanische Drohnenhersteller Alpha bereits vor dem Forschungsprojekt ResponDrone seine Technologie nach Israel exportiert hatte. Spätestens mit dem Forschungsprojekt ging Alpha auch mit dem israelischen Verteidigungsministerium und einem der zentralen israelischen Rüstungsunternehmen, IAI, eine Zusammenarbeit ein, mit letzterem brachte es ein Jahr später ein gemeinsames Produkt, Multiflyer, auf den Markt. Sowohl beim Forschungsprojekt ResponDrone, als auch beim Produkt Multiflyer geht es um „Flotten“ von Drohnen, beim Forschungsprojekt primär um zivile Anwendungen wie der Rettung und der Bewältigung von (Natur-)Katastrophen, bei Multiflyer eher um „fortgeschrittene Überwachungskapazitäten für weiträumige Flächen“ im Kontext der „Homeland Security“.14
Sightec: autonomes Fliegen und Orientierung
Die Rolle von IAI bleibt in den Berichten zu Multiflyer relativ kryptisch. Der etablierte israelische Rüstungskonzern verweist in seiner Pressemitteilungen v.a. auf dessen 50-jährige Geschichte im Bereich unbemannter Systeme, auf seine „ständige Suche nach weiteren Bereichen, in die wir unsere F&E[Forschung&Entwicklungs]-Kapazitäten investieren können“ und bezeichnet Multiflyer als „Meilenstein“ einer Entwicklung, bei der weitere Fortschritte zu erwarten wären. Während IAI hier also eher als Investor und Förderer in Erscheinung tritt, sind die Rollen ansonsten klar definiert: Die kommerziell verfügbaren eingesetzten Drohnen stammen demnach von Alpha, die Sensorik zur Überwachung der Gebiete von Sightec. Explizit genannt wird darüber hinaus das Unternehmen Simplex sowie die Beteiligung „verschiedene[r] israelischer Startups“.15
Auch das an Multiflyer beteiligte israelische Unternehmen Sightec erhielt zwischen April 2022 und Dezember 2023 von der EU Förderung in Höhe von knapp 2,5 Mio. Euro im Rahmen des Projekts AUTOFLY. Der offizielle deutsche Titel des Projektes lautet „Lieferdrohnen mit Lageerfassungsfunktionen“ (der engliche Titel „Delivery drones with situational awareness capabilities“). In seiner Beschreibung kommt das Projekt äußerst zivil daher, spricht einleitend von der möglichen Reduzierung von Treibhausgasen durch den großflächigen Einsatz von Drohnen in der Logistik, gerade auf der sprichwörtlichen „letzten Meile“ und vor dem Hintergrund zunehmenden Online-Handels.16 Im Kern jedoch zielte das Projekt darauf, durch Künstliche Intelligenz einen möglichst hohen Grad an Autonomie herzustellen, mit der sich die Drohnen unabhängig von GPS und bestenfalls auch ohne Funkverbindung bewegen können. Es handelt sich hier um ein sichtbar bemühtes Szenario, militärische Erfordernisse zivil zu kaschieren: Dem an sich kritikwürdigen, „verzögerungsfreien“ Online-Handel durch unbemannte Luftfahrzeuge stehen ganz andere Problematiken entgegen, als das Jamming und Spoofing, welche das Projekt AUTOFLY durch die Finanzierung von Sightec explizit zu überwinden sucht. Obwohl entsprechende Technologien zur Störung und De-Lokalisierung in den letzten Jahren zunehmend auch nicht-staatlichen und terroristischen Gruppen zur Verfügung stehen, sind die GPS-unabhängige und autonome Navigation unter Bedingungen der gezielten Störung ein primär und originär militärisches Thema.
Bereits im Februar 2021 – also vor der Förderung durch die EU – war es dem Unternehmen angeblich „weltweit erstmalig“ gelungen,17 in einem Feldversuch eigenständig Ziele anzufliegen. Der Test fand im Rahmen eines Projekts statt, das von zivilen israelischen Institutionen wie dem Transportministerium und der Autobahnverwaltung auf den Weg gebracht wurde; Szenario war offenbar die Lieferung nicht näher bestimmter Güter. Bereits damals fanden sich vereinzelte, aber schwach belegte Hinweise, wonach Sightec-Systeme von der israelischen Polizei und sogar „im Konflikt mit der Hamas in Gaza“ eingesetzt worden seien.18 In einem Bericht der Times of Israel, der sich weitgehend an den Aussagen von Sightec selbst orientiert, ist etwas allgemeiner davon die Rede, dass „first responders“ (auf deutsch in etwa: „Blaulichtorganisationen“) zu den Kunden und „Homeland Security“ zu den Anwendungen des Unternehmens gehören.19
Das alles war – wohlgemerkt – bevor das von der EU finanzierte Projekt anlief, das mit vermeintlichen Einsparungen an Treibhausgasen durch Lieferdrohnen argumentierend die Entwicklung einer autonomen Flugfähigkeit finanzierte, die zu diesem Zeitpunkt offenbar bereits weit fortentwickelt war. Aktuell lässt ein Blick auf die Homepage des Unternehmens wenig Zweifel, dass sich die beiden dort angebotenen Produkte primär an Militär und Sicherheitsbehörden richten. Für das Produkt „NavSight“ wird zentral und prominent darauf hingewiesen, dass es die Navigation auch da ermögliche, wo das GPS-Signal gestört sei und Versuche des Jammings, also der gezielten Störung der Funkverbindung, stattfinden. „SafeSight“ hingegen wird ganz explizit für Sicherheitsbehörden angeboten für die automatisierte Objektdetektion, Raumüberwachung und Analyse von Menschenansammlungen. Mögliche Anwendungen und Produkte für die zivile Logistik werden nur am Rande erwähnt und scheinen keine nennenswerte Rolle im Marketing der Firma zu spielen.
Xtend: 100% für den Krieg in Gaza
Noch wesentlich unmittelbarer ist die EU-Forschungsförderung für das israelische Startup Xtend Reality Expansion. Dieses erhielt im ersten Halbjahr 2020 50.000 Euro für eine Machbarkeitsstudie zum Dronensystem Skylord Xtender, die v.a. auch den kommerziellen Erfolg und mögliche Kunden untersuchte. In einem sehr knappen Abschlussbericht wurde u.a. berichtet, dass das Unternehmen im Rahmen des Projekts weitere Schritte zur Optimierung des bestehenden Prototyps identifiziert, den Markt für unbemannte Systeme analysiert und „strategische Partner für die Produktion und Vermarktung ermittelt“ habe.20 Wenige Monate später, im Mai 2021, wurde berichtet, dass das Unternehmen einen Liefervertrag über Drohnen exakt diesen Typs mit dem US-Verteidigungsministerium abgeschlossen habe und dass an dieser Transaktion auch das israelische Verteidigungsministerium beteiligt gewesen sei.21 In der entsprechenden Meldung wurde auch berichtet, dass bereits damals Systeme von Xtend bei den israelischen Spezialkräften im Einsatz wären. Mittlerweile ist relativ klar, dass sich das Unternehmen ganz überwiegend auf westliche Militärs als Abnehmer ausgerichtet hat, als „Partner“ nennt die Homepage aktuell darüber hinaus noch u.a. die Großunternehmen Shell und Heineken. Ansonsten wird die Homepage aktuell dominiert von Berichten internationaler Medien wie dem Wall Street Journal und dem Economist über die Rolle, die Xtend im Allgemeinen und der Skylord Xtender im Speziellen im Krieg in Gaza spielen. Hiermit wird geradezu offensiv geworben. Bereits zuvor ließen sich im Internet viele, teilweise martialische Werbevideos für den Skylord finden, die seine Nutzung durch israelische Spezialkräfte hervorhoben.
Als herausragende Fähigkeit, die bislang von wenigen Konkurrenzprodukten vergleichbar erfüllt werde, wurde bereits im Abschlussbericht des Projekts Xtend die GPS-unabhängige Navigation in geschlossenen Räumen identifiziert. Der Economist berichtete dann im Dezember 2023, dass die Drohnen von Xtend „besonders geeignet seien“, um „in Gebäuden und Tunneln wie beispielsweise in Gaza Stadt“ zu navigieren und sie dort tatsächlich auch zum Einsatz zu kommen. Dabei könnten sie auch mit Sprengladungen ausgestattet werden, um z.B. Türen aufzubrechen.22 Wenige Tage später porträtierte das israelische Branchenblatt CTECH den Mitbegründer und CEO des Statups, Aviv Shapira, und schreibt: „Vier Tage nach dem 7. Oktober wählten die IDF [Israel Defence Forces] Xtend als einen ihrer Hauptpartner im Krieg gegen die Hamas aus. Seit dem habe dessen Team alle bisherigen Aktivitäten eingestellt und seine Energie zu 100% darauf ausgerichtet, die IDF zu unterstützen“. „Mit seiner Drohnentechnologie“, so der Titel des Beitrages, spiele „das Startup Xtend eine Schlüsselrolle im anhaltenden Krieg“ in Gaza.23 Ob die 50.000 Euro Forschungsförderung der EU hierbei einen nennenswerten Beitrag geleistet haben, kann bezweifelt werden – welchen Zweck die Förderung eines offensichtlich sehr militär- und rüstungsnahen Startups allerdings darüber hinaus gehabt haben könnte, erscheint ebenso fraglich.
UNDERSEC: Unterwasserdrohnen
Das Projekt UnderSec begann offiziell am 1. Oktober 2023 und wird mit einer Laufzeit von 3 Jahren mit knapp 6 Mio. Euro vollständig von der EU finanziert.24 Anders als die Projekte AUTOFLY und Xtend, wo jeweils nur eine einzelne israelische Firma von der EU-Förderung profitierte, sind hier wieder verschiedene Firmen und Institutionen beteiligt. Auch sonst ähnelt es von der Struktur her dem Projekt ResponDrone: Koordiniert wird es von der deutschen Fraunhofer-Gesellschaft, die dafür 0,581 Mio Euro erhält. Als großes israelisches Rüstungsunternehmen ist in diesem Fall Rafael Advanced Defense Systems beteiligt und erhält dafür 0,442 Mio. Euro, außerdem wiederum das israelische Verteidigungsministerium mit 100.000 Euro. Während ResponDrone eine klar militärisch nutzbare Technologie für zivile Anwendungen erproben sollte, untersucht UnderSec eine Fragestellung, die sich noch deutlich klarer an der Schnittstelle von militärischen und zivilen Institutionen orientiert: Entwickelt werden soll „ein modulares und ganzheitliches Prototypsystem mit multimodalen Sensoren und Robotikfunktionen“, um mehr Lagebewusstsein zu schaffen und die „Reaktionsfähigkeit für Schiffe, Häfen und maritime Infrastruktur“ zu verbessern. Hierfür sind Tests in kontrollierter Umgebung vorgesehen sowie „reale Demonstrationen“. Ein Bezugnahme auf die völkerrechtswidrige Blockade des Gaza-Streifens gerade auch in maritimer Hinsicht enthält die kurze Projektbeschreibung nicht. Da sich das Projekt noch in einer frühen Phase befindet, liegen noch keine offiziellen Berichte vor. Aus der Projektbeschreibung und den beteiligten Unternehmen lässt sich jedoch ableiten, dass dabei u.a. unbemannte Unterwasserfahrzeuge und Bojen mit unterschiedlicher Sensorik vernetzt und erprobt werden sollen. So werden im Rahmen des Projekts auch der portugiesische Anbieter von Unterwasser-Sensordrohnen Oceanscan mit 0,350 Mio. und das spanische Rüstungsunternehmen SAES mit 0,361 Mio. Euro gefördert, das Sensorbojen entwickelt. Darüber hinaus sind auch verschiedene zivile Forschungsinstitute und Behörden (v.a. aus Griechenland) und das portugiesische Verteidigungsministerium beteiligt. Rafael aus Israel, das bereits umfangreiche Systeme zur maritimen Verteidigung, Drohnen und Minenabwehr anbietet, könnte – vergleichbar mit IAI bei ResponDrone – dabei als Systemintegrator agieren. Ob parallel zum Forschungsprojekt vergleichbar mit Autoflyer ein gemeinsames Produkt der beteiligten Frimen auf den Markt kommt, wird sich zeigen.
Erklärungsansätze und Bewertung
Die relativ umfangreiche Förderung israelischer Rüstungsunternehmen im Zuge der EU-Forschungspolitik wirft nicht nur vor dem Hintergrund der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik und des aktuell im Raum stehenden Vorwurf eines Völkermordes Fragen auf. Zugleich bestehen verschiedene Erklärungsansätze.
So ließe sich durchaus normativ argumentieren, dass die europäischen Staaten vor dem Hintergrund ihrer Rolle bei der Staatsgründung Israels und insbesondere Deutschland im Hinblick auf die Shoah eine besondere Verantwortung für die Verteidigungsfähigkeit Israels in einer tendenziell feindlichen Umgebung tragen. Allerdings erschient fraglich, dass diese eher subtile, normative und umstrittene Annahme tatsächlich die Alltagspraxis der EU-Forschungsförderung prägt und prägen kann.
Tragfähiger erscheint eine strukturelle Begründung, wonach der israelische Technologie- und Rüstungssektor Merkmale aufweist, die eine Einbeziehung in EU-Forschungsprogramme besonders wahrscheinlich machen. Dazu zählt einerseits, dass Israel in verschiedenen Technologiesektoren als weltweit führend gilt, was häufig auf das Konzept der „Startup-Nation“ zurückgeführt wird. Dieses umfasst u.a. eine umfangreiche staatliche Förderung und eine enge Vernetzung zwischen Staat und Industrie, insbesondere auch dem Militär, Geheimdiensten und Startups und führt in ihrer konkreten Ausgestaltung zu einer Vielzahl kleiner und mittelständischer Akteure, denen die EU-Forschungspolitik explizit einen privilegierten Zugang zu schaffen versucht. So sind zwar auch in den anderen nutznießenden Staaten aus den Industrie- und Berufsverbänden und staatlichen Behörden Strukturen hervorgegangen, die große und kleine Unternehmen und Organisationen dabei unterstützen, an der Forschungsförderung der EU zu partizipieren und hierfür wiederum von der EU gefördert werden. Aus der Erfahrung der Startup-Nation ist denkbar, dass Israel hier schneller und effizienter entsprechende Strukturen aufbauen oder auf bereits bestehende zurückgreifen konnte. Das hier bereits kurz genannte kleine Beratungsunternehmen Agora, das an verschiedenen EU-Projekten mit und ohne militärische Bezügen beteiligt ist, ist ein Beispiel für entsprechende, rein privatwirtschaftliche und profitorientierte Initiativen. Zuletzt ist insbesondere im Hinblick auf die Sicherheitsforschung festzustellen, dass sich diese insbesondere auf die Schnittstellen von innerer und äußere Sicherheit fokussiert, die in der israelischen Politik und Industrie vor dem Hintergrund von Besatzung und Terrorbedrohung ohnehin sehr ausgeprägt ist.
Zuletzt ließe sich die umfangreiche Einbindung der israelischen (Rüstungs-)Industrie auch durch europäische Interessen begründen. Einerseits ist Israel ein großer Markt, potentiell auch für europäische Rüstungsunternehmen, wie das Beispiel des spanischen Unternehmens Alpha verdeutlicht. Neue Produkte kommen hier schnell zur Anwendung und können mit dem Verweis auf die IDF als Kunden oder als „gefechtserprobt“ vermarktet werden. Zugleich kann hinter der Förderung der Zusammenarbeit mit der israelischen Tech- und Rüstungsindustrie auch die Erwartung eines Technologietransfers stehen, weil dieser – wie gesagt – als führend erachtet wird. Vor diesem Hintergrund bezeichnete etwa kürzlich der konservative deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn, der lange als Professor an der Universität der Bundeswehr gelehrt hatte, die Forderung nach einem Stopp deutscher Rüstungsgüter als „dumm“: „Deutschland ist mehr von Israels Waffen abhängig, als Israel von deutschen. Israels Raketen und Drohnen schützen Deutschland und Europa und ohne Israel wären Deutschlands Terrorprävention oder IT-Fortschritte quasi inexistent. Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber“.25 Tatsächlich scheint die deutsche und europäische Rüstungsindustrie offenbar auf verschiedenen Technologiefeldern von einer Zusammenarbeit mit Israel abhängig, z.B. auf dem Feld der Künstlichen Intelligenz. So stammte die Software für ein kürzlich bei der Bundeswehr erprobtes KI-gestützes System zur Koordination von Drohnenschwärmen und Infanteristen vom israelischen Unternehmen Rafael.26 Ob die Trainingsdaten für die Entwicklung dieser KI auch aus den besetzten Gebieten und früheren Auseinandersetzungen um Gaza stammen, lässt sich bislang nicht klären, wird aber auch nicht ausgeschlossen.
Moralisch und auch rechtlich fragwürdig ist die EU-Förderung für die israelische Rüstungsindustrie allemal – vor allem vor dem Hintergrund der aktuell verhandelten Anklage wegen eines mutmaßlichen Völkermordes in Gaza. Begründet wird diese u.a. mit genozidalen Aussagen hochrangiger israelischer Funktionäre und Politiker, darunter auch des israelischen Verteidigungsministers, dessen Behörde für die Beteiligung an EU-Forschungsprojekten Geld erhält.
1 Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 179.
2 Ebd., Artikel 41(2).
3 Ben Hayes: Arming Big Brother, TNI/Statewatch 2006, https://www.statewatch.org/media/documents/news/2006/apr/bigbrother.pdf.
4 Christoph Marischka: Berg-Karabach und der ‚erste echte Drohnenkrieg‘ – Europas Anteil und deutsche Konsequenz, IMI-Analyse 2021/19, https://www.imi-online.de/2021/04/14/berg-karabach-und-der-erste-echte-drohnenkrieg/.
5 Statewatch: Palestine: 300 academics call for halt to EU research funding that violates international law, 7.2.2024, https://www.statewatch.org/news/2024/february/palestine-300-academics-call-for-halt-to-eu-research-funding-that-violates-international-law/.
6 ECCP: EU funding to Israeli military companies and institutions through Horizon2020, 13.10.2015, www.eccpalestine.org.
7 OPARUS (Open architecture for UAV-based surveillance system) – Final Report, https://cordis.europa.eu/project/id/242491/reporting.
8 Cordis: Novel Intruder Detection & Authentication Optical Sensing Technology – Fact Sheet, https://cordis.europa.eu/project/id/217872.
9 Cordis: Plattform für unbemannte Luftfahrtsysteme unterstützt Einsatzkräfte bei der Situationseinschätzung – Projektbeschreibung, https://cordis.europa.eu/project/id/833717/de.
10 ResponDrone: D15.2 – Report of Field Studies, https://ec.europa.eu/research/participants/documents/downloadPublic?documentIds=080166e5c853aa55&appId=PPGMS
11 ResponDrone: D14.8 ResponDrone Period Report RP2 Month 22-36 (1/2/2021-30/4/2022), https://ec.europa.eu/research/participants/documents/downloadPublic?documentIds=080166e5f2cc3741&appId=PPGMS
12 Times of Israel: Spain seeks answers for Israel’s drone gift to Russia, 25.11.2024, https://www.timesofisrael.com/spain-seeks-answers-for-israels-drone-gift-to-russia/.
13 Globes Israel business news: Israel Aerospace unveils small helicopter drones, 7.9.2020, https://en.globes.co.il/en/article-israel-aerospace-unveils-small-helicopter-drones-1001341862.
14 Ebd.
15 Ebd.
16 Cordis: GPS-free, beyond the visual line of sight navigation for logistics drones in urban environments – Reporting, https://cordis.europa.eu/project/id/190185259/reporting.
17 Shoshanna Solomon: In ‚first‘, delivery drone gets to destination in Israel without GPS signal, Times of Israel, 10.2.2020, https://www.timesofisrael.com/in-first-delivery-drone-gets-to-destination-in-israel-without-gps-signal/.
18 Anastasios Giannakis, Michael Shoesmith, Madison Thomas: First Artificial Intelligence Swarm Drones Recently Utilized On The Battlefield – Implications, The Counterterrorism Group, 19.7.2021, https://www.counterterrorismgroup.com/post/first-artificial-intelligence-swarm-drones-recently-utilized-on-the-battlefield-implications.
19 Shoshanna Solomon: In ‚first‘, delivery drone gets to destination in Israel without GPS signal, Times of Israel, 10.2.2020, https://www.timesofisrael.com/in-first-delivery-drone-gets-to-destination-in-israel-without-gps-signal/.
20 Cordis: Xtend – Extending Reality Skywards – Reporting, https://cordis.europa.eu/project/id/887959/reporting.
21 Seth J. Frantzman: Pentagon orders small Israeli drones for indoor special operations, Defensenews 10.5.2021, https://www.defensenews.com/unmanned/2021/05/10/pentagon-orders-small-israeli-drones-for-indoor-special-operations/.
22 The Economist: How Israel is using drones in Gaza, 4.12.2023, https://www.economist.com/the-economist-explains/2023/12/04/how-israel-is-using-drones-in-gaza.
23 Michael Matias, Yaffa Abadi: With its drone technology, startup Xtend plays a crucial role in the ongoing war, Calcalist, 14.12.2023, https://www.calcalistech.com/ctechnews/article/skrkv9u8t.
24 Cordis: Sensorbasiertes Prototypsystem für Unterwassersicherheit – Projektbeschreibung, https://cordis.europa.eu/project/id/101121288/de.
25 „Eine Gala der Pseudomoralisten“ – Commentary by historian Michael Wolffsohn in the german public broadcasting (Deutschlandfunk) program „Kutur Heute“ (Culture f the day), 25.2.2024, https://www.deutschlandfunk.de/geschichtsvergessener-jubel-michael-wolffsohn-zu-israel-bashing-bei-berlinale-dlf-07408870-100.html.
26 Rafael Advanced Defense Systems: Atos and RAFAEL win the German Army’s “Glass Battlefield” study tender, 8.12.2019, https://www.rafael.co.il/press/atos-and-rafael-win-the-german-armys-glass-battlefield-study-tender/.