IMI-Aktuell 2023/723
EU-Mitgliedschaft: 90 Prozent?
(09.11.2023)
In der Berichterstattung war gestern viel von einem „historischen Tag“ die Rede. Damit wurde ein Begriff aufgegriffen, den die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen selbst vorgegeben hatte, als sie in ihrer offiziellen Funktion für die Kommission die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine empfahl. Den Abgeordneten des ukrainischen Parlaments soll sie aus diesem Anlass versichert haben: „Sie haben schon mehr als 90 Prozent des Weges hinter sich“.
Das grenzt schon hart an Fake-News. Schließlich müssen alleine für die Aufnahme von Beitrittsgespräche erstmal noch alle(!) Mitgliedsstaaten zustimmen. Vielsagend sind alleine die Meldungen, die am Tag der Empfehlung der EU-Kommission gemeinsam mit dieser auf den verschiedenen Liveblogs deutscher Leitmedien veröffentlicht wurden. Hier eine kurze Auswahl bei zdf.de:
„Selenskyj lehnt Präsidentenwahl wegen Krieges ab
Präsident Selenskyj spricht sich klar gegen Initiativen für die Abhaltung einer Präsidentenwahl im März trotz des andauernden russischen Angriffskrieges aus. ‚Ich meine, dass Wahlen jetzt nicht angebracht sind“, so Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft‘. […]“
„Ukraine bekennt sich zu Anschlag auf pro-russischen Politiker
Die Ukraine hat einen tödlichen Anschlag auf einen pro-russischen Lokalpolitiker und früheren Separatistenchef verübt. […]“
„Innenminister in Kiew spricht nach Tod von Offizier von Unglücksfall
Nach dem Tod des Adjutanten des ukrainischen Oberbefehlshabers bei der Explosion einer Granate hat Innenminister Ihor Klymenko in Kiew von einem Unglücksfall gesprochen. Der persönliche Assistent des Oberkommandierenden Walerij Saluschnyj hatte scharfe Granaten zuhause, wie Klymenko bei Telegram mitteilte. Demnach hatte der Major einige ihm zum Geburtstag geschenkte Granaten seinem Sohn gezeigt. Dabei sei zufällig die Granate entsichert und der Vater bei der Explosion getötet worden. Das Kind wurde verletzt. […]“
In der Abendsendung „Das war der Tag“ des Deutschlandfunks (ab 13:12) zeigte sich nicht nur der Moderator Stefan Heinlein euphorisch und wiederholte die Floskel eines „historischen Tages“ mehrfach, sondern auch die von ihm interviewte Parlamentarische Staatssekretärin der Grünen im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann. Einerseit zeigte sie sich erfreut, dass es nun gelinge, „diese Grauzonen, die wir jetzt noch in unserer Nachbarschaft haben, in unseren Rechtsrahmen, in unseren Raum der Freiheit, der Sicherheit, der Demokratie zu integrieren“. Andererseits begrüßte sie die Ankündigung von Beitrittsgesprächen auch deshalb, weil das zeige „wofür die Menschen da gerade kämpfen und ihr Leben auch riskieren in der Ukraine, nämlich dafür, dass sie unserem Raum des Recht und der Freiheit angehören können“. Das wiederholte sie; die Beitrittsperspektive „dient eben den Ukrainerinnen und Ukrainern dafür, eine Perspektive zu haben, wofür sie da kämpfen.“ Für falsche Versprechen oder zumindest auf der Grundlage falscher Behauptungen darüber, wie weit (90%) man dabei bereits gekommen sei?
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