IMI-Standunkt 2023/033
Rezension: Der „Grüne Krieg“ – kein neuer Krieg
Peter Clausing (12.09.2023)
Um Missverständnissen vorzubeugen: Im vorliegenden Buch geht es weniger um den Krieg „der Grünen“ als um einen Krieg „im Grünen“, auch wenn das Zitat aus einer Antwort der Bundesregierung vom 9. August 2022 beides nahe legt (S.7). Dort heißt es „Der Erhalt der Wälder des Kongobeckens … liegt im Interesse der gesamten Weltbevölkerung“. Dem ist unumwunden zuzustimmen, wäre da nicht der Anlass für die Anfrage an die Bundesregierung – die Militarisierung des Naturschutzes und die damit verbundenen, teils massiven Menschenrechtsverletzungen.
Etikett „Wildereibekämpfung“
Vergleiche hinken, doch während der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan („Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“, Struck) von 2002 bis 2021 dauerte, existiert der von Deutschland kofinanzierte „Festungsnaturschutz“ mit seinen Menschrechtsverletzungen schon länger und dauert bis heute an. Das liegt vermutlich daran, dass das Scheitern dieser Mission weniger spektakulär und weniger offensichtlich ist. Simone Schlindwein, die Autorin des beeindruckenden Buches „Der grüne Krieg“, um das es hier geht, bringt es auf den Punkt (S. 65): „Die Deutschen feiern die Zahlung von Millionen von Euro in den weltweiten Arten- und Naturschutz als Erfolgsgeschichte, noch bevor sie wissen, was mit ihrem Steuergeld eigentlich passiert“, wobei sich die deutschen Naturschutzprojekte laut Schlindwein in den letzten Jahren zunehmend auf Wildereibekämpfung konzentrieren. Wenn man aber „offenbar die Kontrolle darüber verloren (hat),“ was vor Ort geschieht (S. 168), dann verbergen sich hinter dem Etikett „Wildereibekämpfung“ jene Aktivitäten, die dem Buch seinen Titel gegeben haben.
Im Gegensatz zu den Vertreter*innen deutscher Institutionen (insbesondere der Kreditanstalt für Wiederaufbau) und des deutschen Zweigs des WWF (einem wichtigen Naturschutz-Geldgeber in Afrika), war die Autorin insgesamt mehrere Monate vor Ort und hat – nicht ohne Risiken – mit Akteuren aller beteiligten Seiten gesprochen. Das ist eine der besonderen Stärken des Buches. Es beruht zu großen Teilen auf Primärinformationen, auf zahlreichen Interviews und Originaldokumenten, die zum Teil über mühsame Prozesse der Akteneinsicht erlangt wurden. Mit über 500 Quellenverweisen dürfte die harsche Kritik, die an deutschen Behörden und bestimmten NGOs geäußert wird, „gerichtsfest“ sein, was erfahrungsgemäß auch notwendig sein dürfte.
Dem Buch ist zu entnehmen, dass die Ranger der Nationalparks im Kongobecken besser ausgebildet und besser ausgerüstet sind als die Soldaten der betreffenden Länder. Trainiert unter anderem von israelischen Ex-Militärs und der südafrikanischen Sicherheitsfirma Maisha, verfügen sie über moderne Schusswaffen und elektronische Überwachungssysteme. Deutsche Gelder kamen beim Kauf von Rüstungsgütern offenbar nicht zum Einsatz, aber die Zahlung von monatlichen „Prämien“, finanziert mit deutschen Steuergeldern bzw. vom WWF, an die Parkwächter, die einem Mehrfachen ihres Gehalts entsprechen, waren an Kriterien gebunden, die den Einsatz von Gewalt befeuern, zum Beispiel an die Zahl der pro Monat getätigten Verhaftungen.
Es hatte lange gedauert, bis unter dem Druck von öffentlich bekannt gewordenen Skandalen die Zahlung der Fördergelder für bestimmte Nationalparks im Kongobecken zeitweilig ausgesetzt wurde. Zuvor wurden Übergriffe und die Vertreibung ethnischer Minderheiten, z.B. der Batwa in den Regenwald-Nationalparks des Kongobeckens als Einzelfälle heruntergespielt. Doch ging es dabei neben der systematischen Zerstörung der Lebensgrundlage dieser Menschen, die dort schon seit Hunderten von Jahren lebten, um konkrete Fälle von Vergewaltigungen und außergerichtlichen Exekutionen. Bei den wenigen, von massiver Korruption belasteten Gerichtsverfahren, die kaum zur Verurteilung der Täter führten, hatten sich das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und seine Durchführungsorganisation, die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), dahinter verschanzt, dass auf juristischen Verfahren kein Einfluss genommen werden könne.
Festungsnaturschutz
Ein weiteres Verdienst des Buches ist, dass es nicht nur mehrere Vorzeigeprojekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Naturschutzbereich unter die Lupe nimmt, sondern auch den entsprechenden Kontext liefert, sowohl mit Blick auf die koloniale Vergangenheit als auch auf die neokoloniale Gegenwart. Dabei kommt unter anderem die Nazi-Vergangenheit von Bernhard Grzimek, nach dem Krieg Direktor des Frankfurter Zoos und Galionsfigur des deutschen Wildtierschutzes in Afrika („Die Serengeti darf nicht sterben“), zur Sprache. Der einzige kleine Mangel des Buches ist das Versäumnis, auf einige wichtige Quellen näher einzugehen, die bereits vor 10 bzw. 20 Jahren auf die Problematik hinwiesen. Gemeint sind damit das „Schwarzbuch WWF“ von Huismann (2012, auch wenn es in der „weiterführenden Literatur“ erwähnt ist) und die wissenschaftlichen Studien von Kai Schmidt-Soltau (2003 und 2005) zu Vertreibungen der lokalen Bevölkerung bei der Gründung afrikanischer Nationalparks.
Gründlich analysiert werden die Motive der Naturschutz-Millionen, die aus Deutschland nach Afrika und auf andere Kontinente des globalen Südens fließen. Weil Deutschland seine Klimaziele nicht erreicht, teils weil das ästhetische Empfinden beim Anblick von Windrädern gestört wird, teils weil ein durchgehendes Tempolimit auf Autobahnen bzw. weniger Autoverkehr offenbar unzumutbar ist, wird nach Möglichkeiten gesucht, das Problem mit Hilfe eines naturschutzbasierten Handels mit CO2-Zertifikaten zu lösen. Die dafür eingesetzten Finanzierungsmodelle werden immer skurriler und der WWF sowie die in staatlichem Auftrag handelnde Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sind da mittendrin. Beide beteiligen sich am „neuesten Trend in der Klima- und Artenschutzpolitik“, indem „immer mehr Zahlungen über sogenannte Fonds kanalisiert werden“ (S. 68), statt die Gelder direkt in die Naturschutzprojekte fließen zu lassen. Neben der oben geschilderten Fragwürdigkeit der Naturschutzprojekte selbst, kommt die Finanzierung der Hedgefonds ins Spiel – Transaktionen, bei denen „im Jahr 2018 umgerechnet vier Millionen Euro Verlust eingefahren“ wurden, die aus deutschen Steuergeldern stammten (S. 70).
Aus gutem Grund wird der KfW im Buch viel Platz eingeräumt, die sich in gewisser Weise in rechtsfreiem Raum bewegt. Diese chamäleonartige Institution wehrt sich einerseits, unter Bezugnahme auf das privatrechtliche Bankgeheimnis, gegen die Transparenz, zu der sie als öffentliche Institution eigentlich verpflichtet wäre. Mit anderen Worten, Informationsfreiheitsanfragen werden lange verschleppt oder komplett zurückgewiesen. Umgekehrt entzieht sich die Bank den menschenrechtlichen Verpflichtungen des seit Anfang diesen Jahres gültigen Lieferkettengesetzes unter Verweis darauf, dass sie keine private Institution sei.
Mit Blick auf das durch Simone Schlindweins gründliche Recherchen entworfene Gesamtbild könnte das Ende 2022 in Montreal verabschiedete „30 Prozent-Ziel“ eher als Drohung denn als Hoffnung verstanden werden. Auf der 15. Nachfolgekonferenz zur Biodiversitätskonvention von 1993 (COP15) wurde vereinbart, 30 Prozent der Erdoberfläche unter Naturschutz zu stellen, was für jene Teile der Erdbevölkerung, die auf diesen Flächen leben, nichts Gutes bedeutet. Vereinfacht gesagt, befinden sich die armen Bevölkerungsteile Afrikas eingeklemmt zwischen dem „Festungsnaturschutz“ der hochgerüsteten Parkranger und der von FRONTEX bewachten „Festung Europa“.
Simone Schlindwein
Der grüne Krieg
Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird – und was der Westen damit zu tun hat
Ch. Links Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783962891886
Gebunden, 256 Seiten, 20,00 EUR