IMI-Standpunkt 2023/21
Rüstungsbericht: Dokumentation des Rüstungswahns
Jürgen Wagner (22.06.2023)
Heute informierte das Verteidigungsministerium über die Veröffentlichung des mittlerweile 17. Berichts über das Rüstungswesen (für den interessanterweise als Redaktionsschluss 30. April 2023 angegeben wird). Darin informiert das Verteidigungsministerium halbjährlich über den Stand der wichtigsten Großprojekte, insbesondere auch über Verspätungen und Kostensteigerungen.
Auch Zahlen über die Entwicklung der Rüstungsinvestitionen wie auch über die einzelner Posten sind dort zu finden. Dort ist nachzulesen, dass die Rüstungsinvestitionen mit 4,782 Mrd. Euro (2018) bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine sprunghaft auf 8,046 Mrd. Euro (2020) und dann 8,860 Mrd. Euro (2022) angestiegen sind, nur um nun auf 16,211 Mrd. Euro (2023) regelrecht zu explodieren. Dazu haben natürlich vor allem die 8,4 Mrd. Euro beigetragen, die in diesem Jahr dem Sondervermögen entnommen werden sollen. Erst kürzlich gab die neue Chefin des Beschaffungsamtes der Bundeswehr, Annette Lehnigk-Emden, an, bis Ende des Jahres sollten zwei Drittel des Sondervermögens von 100 Mrd. Euro und im ersten Quartal das gesamte Sondervermögen vertraglich gebunden sein (siehe IMI-Analyse 2023/24). Davon waren laut dem aktuellen Rüstungsbericht mit Stand 30. April 2023 bereits 32 Mrd. Euro vertraglich unter Dach und Fach.
Im Bericht wird über eine durchschnittliche Verspätung der Großprojekte von 33 Monaten bei Gesamtkostensteigerungen von 11,849 Mrd. Euro informiert. Auf den ersten Blick stellt dies aus einem bestimmten Blickwinkel womöglich eine Verbesserung dar, schließlich war zB im 14. Rüstungsbericht vom Dezember 2021 noch von einer Verspätung von 52 Monaten und Kostensteigerungen von 13,8 Mrd. Euro die Rede. Diese Entwicklung rührt aber vor allem daher, dass in den letzten Jahren einige der problematischsten Projekte zum Abschluss gebracht worden waren. Gleichzeitig kamen eine Reihe neuer Projekte hinzu, die bislang kaum oder wenig Gelegenheit hatten, drastische Verspätungen oder Kostensteigerungen zu fabrizieren (im aktuellen Bericht zB F-35A, Boxer, Arrow…).
Einige neue im Rüstungsbericht aufgelistete „Highlights“ betreffen u.a. zwei „Klassiker“: So stieg die Verzögerung der seit Mai 2003 laufenden Auslieferung des Transportflugzeugs Airbus A400M gegenüber dem Dezemberbericht um satte 33 Monate auf nunmehr 195 Monate an. Und auch beim Eurofighter, dessen erste Vertragsabschlüsse ins Jahr 1988 zurückdatieren, ergibt sich nun eine weitere Verspätung um zusätzliche 19 Monate auf insgesamt 63 Monate. Doch auch einige der erst kürzlich neu hinzugekommenen Großprojekte hinken bereits vor allem dem Kostenplan hinterher. Dies betrifft insbesondere die Beschaffung von vier Fregatten F-126, für die bei Vertragsabschluss im Juni 2020 ursprünglich 5,27 Mrd. Euro vorgesehen waren. Dieser Preis ist inzwischen um 328 Mio. Euro geklettert (ggü. 102 Mio. im Dezemberbericht). Andere „interessante“ Aspekte des Berichts betreffen zB die Präzisierung, wieviel Exemplare des Schweren Waffenträger Infanterie (Bundeswehrabkürzung: sWaTrgInf) auf Basis des Boxer beschafft werden sollen: 123 Stück (plus bis zu 10 Fahrschulfahrzeuge). Im Vorbeigehen wird zudem auch erwähnt, dass für die Auslieferung der geplanten nächsten Kampfpanzergeneration, dem deutsch-französischen Main Ground Combat System, nicht wie bisher meist angegeben Mitte 2035, sondern nun „voraussichtlich Ende der 30er Jahre“ angepeilt wird.
Summa summarum: Die Rüstungsmaschinerie läuft und die Probleme im Beschaffungswesen bestehen fort, was aber inzwischen kaum jemanden mehr zu interessieren scheint, geschweige denn die grundsätzliche Frage, ob dieser Rüstungswahn nicht Teil des Problems und nicht der Lösung ist.