IMI-Standpunkt 2023/016
Ankurbelung der Munitionsproduktion
Europa ASAP in Richtung Kriegswirtschaft
Jürgen Wagner (03.05.2023)
Siehe zum Thema auch die deutlich ausführlichere IMI-Studie 2023/21.
Am 20. März 2023 einigte sich der Rat auf einen dreistufigen Plan zur Lieferung und Beschaffung von Munition. Er besteht aus der Ko-Finanzierung an die Ukraine aus Lieferbeständen der Mitgliedsstaaten weitergegebener Munition (Stufe 1), der Bezuschussung länderübergreifender Munitionseinkäufe (Stufe 2) sowie aus einem Maßnahmenpaket zur Ankurbelung der europäischen Munitionsproduktion (Stufe 3).
Für die ersten beiden Stufen sollen jeweils eine Mrd. Euro bereitgestellt werden, für die letzte Stufe sind nun weitere 500 Mio. Euro aus dem EU-Haushalt (plus 500 Mio. seitens der Mitgliedsländer) vorgesehen. Heute legte die Kommission einen Verordnungsvorschlag vor, dem noch Rat und Parlament zustimmen müssen, was aber noch vor der Sommerpause geschehen soll. Der Vorschlag sei „beispiellos“, jubelte Industriekommissar Thierry Breton, schließlich ziele er „darauf ab, mit EU-Geldern den Ausbau unserer Verteidigungsindustrie für die Ukraine und für unsere eigene Sicherheit direkt zu unterstützen.“ Die eigentliche Tragweite der Vorschläge verdeutlichte Breton, als er angab, die Industrie würde „jetzt in den Kriegswirtschaftsmodus wechseln.“
Es gehe nun darum, der Ukraine schnellstmöglich Munition liefern und die eigene Herstellung – von Artilleriemunition bis hin zur Raketenproduktion – so weit als möglich ankurbeln zu können. Daher ist der Name des Kommissionsvorschlags auch Programm, wie Spiegel Online erläutert: „Das Gesetz zur Munitionsbeschaffung trägt den sperrigen Namen »EU Act to Support Ammunition Production«, für dessen Wahl allerdings die Abkürzung »ASAP« mitentscheidend gewesen sein dürfte – im Englischen steht er für »schnellstmöglich« (»as soon as possible«).“
Im Verordnungsvorschlag der Kommission lässt sich über die Ziele des Gesetzesentwurfs folgendes nachlesen: „Das Instrument soll finanzielle Unterstützung für Handlungen leisten, um identifizierten Flaschenhälsen bei den Produktionskapazitäten und Lieferketten zu begegnen, wobei die Sicherheit und Beschleunigung der Produktion im Zentrum steht, um eine effektive Versorgung und zeitnahe Verfügbarkeit der relevanten Verteidigungsmaterialien zu gewährleisten.“ (Artikel 8, Absatz 2)
Zu den mit 40 bis 60 Prozent bezuschussbaren Maßnahmen gehören die „Optimierung, Expansion, Modernisierung, Aufwertung oder Umwidmung bestehender oder die Etablierung neuer Produktionskapazitäten.“ (Artikel 8, Ansatz 3a) Selbst das „Training oder die Aus- oder Fortbildung von Personal“ lässt sich finanzieren (Artikel 8, Absatz 3e). Ein weiterer wichtiger Aspekt besteht darin, den „Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten zu verbessern.“ (Artikel 8, Absatz 3f) Hierfür schlägt die Kommission unter anderem die Nutzung bislang ziviler Fonds für die Unterstützung der Munitionsproduktion vor, wie euractiv erläutert: „Der ASAP-Plan zielt auch darauf ab, Anreize für die Mitgliedstaaten zu schaffen, bestehende EU-Fonds wie den Kohäsionsfonds und die EU-Fazilität für Konjunkturbelebung und Krisenbewältigung (RFF) für Investitionen in den Aufbau der Industrie zu nutzen. Diese Mittel stünden dann beispielsweise für den Bau von Fabriken und Produktionslinien zur Verfügung, betont die Kommission, da die Stärkung der industriellen Basis auch Arbeitsplätze anziehen und die Wirtschaft ankurbeln werde.“
Damit geht die einstige „Zivilmacht Europa“ einen großen Schritt in Richtung Kriegswirtschaft. Einmal mehr missbraucht die Kommission dabei im Übrigen rechtswidrig Artikel 173 AEUV als Kompetenzgrundlage für das neue Gesetz – das bedeutet, dass es in die Zuständigkeit der Industriepolitik gerückt wird, weil der EU-Vertrag die Finanzierung verteidigungspolitischer Maßnahmen aus dem EU-Haushalt verbietet. Doch wer sich ohnehin mit Volldampf in Richtung Kriegswirtschaft bewegt, dem dürften derlei rechtliche Feinheiten dann ohnehin auch vollends egal sein.