IMI-Analyse 2023/13
Drohnen als Massenware im Abnutzungskrieg
Der Ukrainekrieg als Testfeld und Katalysator
Christoph Marischka (16.03.2023)
Der Krieg in der Ukraine stellt im Hinblick auf die beschleunigte Entwicklung und Umsetzung neuer Technologien auf dem Schlachtfeld durchaus so etwas wie eine „Zeitenwende“ dar. Das gilt insbesondere für den Einsatz von Drohnen im Sinne von unbemannten Luftfahrzeugen unterschiedlicher Größe, Reichweite und Funktion. Manches von dem, was diesbezüglich gerade in der Ukraine passiert, war durchaus absehbar, anderes ist überraschend und vieles gibt den Kritiker*innen im Nachhinein – leider – Recht.
So war die ab etwa 2010 einsetzende, v.a. aus der Friedensbewegung getragene Kritik entsprechender Technologieentwicklung zwar von den sog. „gezielten Tötungen“ der US-Regierung überschattet und zielte v.a. auf die großen Beschaffungsprogramme der Bundesregierung sowie der Frage nach deren Bewaffnung. Sie umfasste jedoch Drohnen in einem weiten Spektrum – von der Hobbydrohne mit geringer Reichweite und Nutzlast über bewaffnungsfähige Drohnen mittlerer Größe bis hin zu Spionagedrohnen vom Ausmaß kleiner Passagierflugzeuge wie dem Euro Hawk. Die Bandbreite dieser Kritik kam in dem etwas sperrigen, aber passenden Titel einer 2013 ins Leben gerufenen Kampagne „gegen die Etablierung einer Drohnentechnologie zur Kriegsführung, Überwachung und Unterdrückung“ zum Ausdruck.1 Demgegenüber mahnten jene Expert*innen, welche entsprechende Forschungen und Anschaffungen zumindest in Teilen guthießen, oft zur Differenzierung hinsichtlich Funktion, Größe/Reichweite, Bewaffnungsfähigkeit usw. So genannte Kamikaze-Drohnen wurden von ihnen gerne als „Wirkmittel“ bezeichnet und komplett aus der Debatte ausgeklammert, während in Bezug auf unbewaffnete Drohnen gerne auf die Vielzahl ziviler Anwendungen verwiesen und auch bei ihrer militärischen Anwendung vermeintlich deeskalierende (Abrüstungsverifikation) oder gar humanitäre Potentiale hervorgehoben wurden. Oft war dies verbunden mit Darstellungen, wonach Drohnen aufgrund ihres gezielten Einsatzes unter Echtzeit-Überwachung zivile Opfer minimieren und zu einer „saubereren“ Kriegführung beitragen würden.
Irrtümer und (böse) Überraschungen
Vieles davon ist bereits seit den ersten Wochen des Krieges vom Tisch. Die neuen und einstigen Expert*innen sind sich weitgehend einig, dass Drohnen in der Ukraine in einem weiten Spektrum v.a. von ukrainischer Seite umfangreich und erfolgreich zum Einsatz kommen.2 Dieses Spektrum reicht von (umgerüsteten) Hobbydrohnen über Kamikaze-Drohnen, mittelgroße Aufklärungs- und Kampfdrohnen bis hin zum Global Hawk. Umgerüstete Hobbydrohnen werden von ukrainischen Spezialkräften zur Aufklärung eingesetzt und sollen entscheidend dazu beigetragen haben, den russischen Vormarsch auf Kiew zu unterbinden. Sie werden jedoch auch mit Sprengsätzen bestückt und werfen diese über gegnerischen Stellungen ab. Häufig betont wird auch deren Rolle in der psychologischen Kriegführung, zur Einschüchterung des Feindes und Steigerung der eigenen Kampfmoral, etwa durch Bilder zerstörter feindlicher Waffensysteme oder Videos fliehender Soldaten. Auch größere Kampf- und Aufklärungsdrohnen liefern eine Vielzahl von Aufnahmen, die gut ausgewählt und gezielt veröffentlicht der Propaganda dienen. Zugleich dienen größere Aufklärungsdrohnen natürlich auch der Zielerkennung u.a. für die Artillerie und ermöglichen Kampfdrohnen auch auf größere Distanz die Bekämpfung feindlicher Stellungen und z.B. Panzer. Global Hawks der USA liefern aus großer Höhe vom NATO-Bündnisgebiet aus Informationen über russische Aktivitäten, die an die ukrainischen Streitkräfte weitergegeben werden. Über dieses gesamte Spektrum gibt es mittlerweile sehr viele Analysen westlicher Thinktanks und Militärs, in denen – anders als zuvor – meist ganz allgemein von Drohnen die Rede ist und nicht nur von einzelnen Kategorien und Fähigkeiten.
Die Stimmen, welche mit Drohnen gewissermaßen eine „Zivilisierung“ der Kriegführung assoziieren wollten, waren bereits nach dem Krieg um Berg-Karabach 2020 (der ‚erste echte Drohnenkrieg‘, Kramp-Karrenbauer)3 leiser geworden, wo teilweise sehr empathische Berichte über den Horror erschienen, den die Drohnen der aserbaidschanischen Armee unter den armenischen Truppen und der Zivilbevölkerung ausgelöst hatten.4 Nun sind sie fast völlig verstummt. Ganz im Gegenteil werden nun v.a. die von Russland eingesetzten, iranischen Kamikazedrohnen Shahed-136 hierzulande häufig als „Terrorwaffen“ bezeichnet. In der frühen Phase des Krieges dokumentierten auch das ukrainische Militär und westliche Berichte quasi zur Erbauung gerne Angst und Schrecken, den Drohnen unter russischen Soldaten auslösten. Vergleichbare Berichte finden sich auch vereinzelt über eine vergleichbare Wirkung russischer Drohnen, u.a. aus der oft als „Fleischmühle“ (Meat Grinder) bezeichneten Schlacht um Bachmut.5
Massenware
Ein entscheidendes Umdenken hat auch hinsichtlich der grundsätzlichen Konzeption von Drohnen als in jeder Hinsicht überlegene „High-Tech-Waffe“ stattgefunden. Über die Anschaffung grundsätzlich bewaffnungsfähiger Drohnen wurde in Deutschland lange gerungen, bislang hat die Bundeswehr davon fünf Stück geleast und nach jahrelanger Diskussion nun die Beschaffung potentieller Bewaffnung auf den Weg gebracht. Die Entwicklung der sog. Eurodrohne wird spätestens seit 2013 vorbereitet und mit Milliardensummen finanziert, die Auslieferung der ersten von insgesamt 63 Exemplare ist für 2028 vorgesehen. Erwartet wird von diesen eine grundlegend neue und überlegene Befähigung, irgendwann.
Die kriegerische Praxis in der Ukraine sieht völlig anders aus. Nicht nur die zu hunderten vom Iran an Russland und von den USA an die Ukraine gelieferten Kamikazedrohnen (RUS: Shahed-136, UKR: Switchblade) sind Massenware, sondern auch die türkischen Kampfdrohnen vom Typ TB-2, mit denen die Ukraine in den ersten Wochen große Erfolge erzielte. Sie sind zwar relativ leicht abzuschießen, aber ihre Stückkosten werden „nur“ auf etwa 6 Mio. US$ geschätzt – ein einzelnes Exemplar, das durch Spenden aus Litauen finanziert wurde, soll sogar für 3.2 Mio. US$ verkauft worden sein.6 „Wenn du eine, zwei, drei verlierst, ist es egal, solange andere das Ziel finden“,7 wird ein türkischer Rüstungsbeamter zitiert. Auch bei den Shahed-136 werden vergleichbare Kalkulationen angestellt. Die Stückkosten der wegen ihrer Lautstärke und technischen Einfachheit auch „fliegende Rasenmäher“ genannten Drohnen werden teilweise auf lediglich 20.000 US$ geschätzt, weshalb sich ein recht zuverlässiger Abschuss etwa durch IRIS-T-Lenkwaffen kaum lohne, da eine einzelne Rakete hiervon über 400.000 US$ kostet – und natürlich deutlich kompliziertere Bauteile enthält.
Entsprechend sind schnell die Lieferketten in den Blick der militärischen Planung gerückt. So wurde beispielsweise in Hinblick auf die TB-2 und ihre zahlreichen Abschüsse durch Russland früh festgestellt, dass der türkische Hersteller „kein Problem“ haben sollte, „die Produktion aufrechtzuerhalten“. Anders sehe das hingegen bei russischen Drohnen vergleichbarer Größe aus, da die Sanktionen es Russland erschweren, Zugang zu enthaltenen High-Tech-Komponenten zu bekommen.8 Das ukrainische Verteidigungsministerium und ihm nahestehende NGOs haben wiederholt Analysen und Listen von Komponenten veröffentlicht, die in der Shahed verbaut sind und von westlichen Firmen stammen9 (darunter 40 Bauteile von 13 US-amerikanischen Firmen und ein Motor, der zunächst aus Deutschland stammt, nun aber im Iran nachgebaut wird), um den Nachschub zu unterbinden. Ein Problem hierbei ist aber, dass die Teile teilweise so einfach und alltäglich sind, dass sie sich schwer sanktionieren bzw. leicht ersetzen und nachbauen lassen.
Abnutzungskrieg und Testfeld
Die verstärkte Thematisierung von Lieferketten und deren mittel- bis langfristige Aufrechterhaltung zur Fortsetzung des Krieges in der Ukraine findet nicht nur im Bezug auf Drohnen, sondern z.B. auch Munition und zunehmend Rekruten statt. Sie ist ein Symptom dafür, dass es sich hier um einen „Abnutzungskrieg“ handelt, was hierzulande zunächst wiederum die Friedensbewegung konstatiert hat, zunehmend jedoch in den USA und auch in Deutschland von regierungsnahen Medien und Thinktanks anerkannt wird. Um ein deutlich größeres Mobilisierungspotential auszugleichen (das in diesem Falle Russland aufweist) gilt in solchen Kriegen technologische Überlegenheit und Innovationsfähigkeit als entscheidend.10
Letztere war in der Ukraine schon vor dem russischen Einmarsch hoch. Bereits ab 2019 tauchten wie aus dem Nichts neue Unternehmen auf und versorgten die Streitkräfte – teilweise sehr informell – mit hochwertigen neuen Drohnentypen.11 Mit dem Einmarsch traten sehr schnell „zivilgesellschaftliche“ Netzwerke und Crowdfunding-Kampagnen auf, um der Armee neue Technologien bereitzustellen; westliche Medien berichteten teilweise euphorisch von Tüftlerwerkstätten, in denen handelsübliche Drohnen umgebaut und bewaffnet wurden;12 anonyme „Entwickler“ spendeten Software für die Schwarmsteuerung von Drohnen und deren Vernetzung mit der Artillerie. Vieles davon läuft hochgradig informell und kommt ohne großen Verzug an der Front an. Dass westliche Geheimdienste und Tarnorganisationen beteiligt sind, ist anzunehmen.
Darüber hinaus hat sich der Krieg in der Ukraine auch zu einer gigantischen Rüstungsschau entwickelt, die langfristige Folgen haben wird. So zitiert der Business Insider den ukrainischen Verteidigungsminister: „Die Ukraine ist jetzt im Wesentlichen ein Testgebiet … Viele Waffen werden jetzt im Feld getestet, unter den realen Bedingungen des Kampfes gegen die russische Armee“. Die ukrainische Armee sei „interessiert an der Erprobung moderner Systeme“ und lade Waffenhersteller ein, ihre neuen Produkte unter Gefechtsbedingungen zu testen.13 Die Autorin Hanna Shelest, deren Biographie zwischen NATO-Thinktanks und ukrainischem Verteidigungsministerium alleine schon interessant ist, empfiehlt in einem Beitrag für das European Council on Foreign Relations (ECFR) unter dem merkwürdigen Titel „Defend. Resist. Repeat“: „Die EU-Mitgliedstaaten können aus den Erfahrungen der Ukraine lernen, aber dies sollte in beide Richtungen gehen – die europäischen Länder sollten der Ukraine weiterhin Waffen liefern und Schulungen anbieten und im Gegenzug Einblicke in die Kriegspraxis erhalten“.14
Egal, wie der Krieg in der Ukraine ausgeht, Drohnen werden danach in der Kriegführung eine ganz andere Rolle spielen. Oder eben Stöcke und Steine.
Dieser Beitrag erscheint gekürzt und überarbeitet auch in der Sozialistischen Zeitung (SoZ), April 2023 (www.sozonline.de).
Anmerkungen
2 Vgl. die frühe Analyse des Autors vom April 2022: Christoph Marischka: Drohnen im Ukraine-Krieg. Technologietransfer als Gamechanger – und Kriegsgrund?, IMI-Studie 2022/03, https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2022-3-Ukraine-Drohnen.pdf.
3 Vgl.: Christoph Marischka: Berg-Karabach und der „erste echte Drohnenkrieg“. Europas Anteil und deutsche Konsequenz, IMI-Analyse 2021/19, https://www.imi-online.de/2021/04/14/berg-karabach-und-der-erste-echte-drohnenkrieg/.
4 Z.B.: Manuel Daubenberger und Florian Guckelsberger: Auf der Spur der Drohnen, https://magazin.zenith.me/de/gesellschaft/deutsche-bauteile-tuerkischen-drohnen-und-der-krieg-um-bergkarabach.
5 Asami Terajima: Brigade that spent 2 months in Bakhmut: ‘It was becoming harder each week’, https://kyivindependent.com/national/brigade-that-spent-2-months-in-bakhmut-it-was-becoming-harder-each-week.
6 Die Angaben zu diesem Vorgang sind unterschiedlich. Viele Quellen berichten, dass insgesamt etwa 6 Mio. Euro gesammelt worden seien, der Hersteller sich aber entschieden hätte, die Drohne selbst umsonst zu liefern und 1,6 Mio. aus der Kampagne in deren Bewaffnung zu stecken, so z.B.: Andrius Sytas: Lithuania to transfer a crowdfunded Bayraktar drone to Ukraine on Wednesday, https://www.swissinfo.ch/eng/lithuania-to-transfer-a-crowdfunded-bayraktar-drone-to-ukraine-on-wednesday/47732328.
7 Zitiert nach: James Marson und Brett Forrest: Armed Low-Cost Drones, Made by Turkey, Reshape Battlefields and Geopolitics, https://www.wsj.com/articles/armed-low-cost-drones-made-by-turkey-reshape-battlefields-and-geopolitics-11622727370.
8 David Axe: Russia Just Lost A Killer Drone Over Ukraine. It Can’t Afford To Lose Many More, https://www.forbes.com/sites/davidaxe/2022/04/09/russia-just-lost-a-killer-drone-over-ukraine-it-cant-afford-to-lose-many-more/.
9 Z.B. Statewatch(UA): „More than 30 Western companies’ components found in Iranian UAVs Shahed-136“, https://statewatch.org.ua/en/publications/more-than-30-western-companies-components-found-in-iranian-uavs-shahed-136/. Diese NGO steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der anerkannten, regierungskritischen NGO Statewatch(UK).
10 Beispielhaft siehe: Seth G. Jones, Riley McCabe und Alexander Palmer: Ukrainian Innovation in a War of Attrition, CSIS-Brief, https://www.csis.org/analysis/ukrainian-innovation-war-attrition.
11 Siehe FN 2.
12 Z.B.: Christoph Seidler: Wettlauf der Bombenbastler, https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/ukraine-krieg-drohnen-werfen-granaten-ab-wettlauf-der-bombenbastler-in-der-ukraine-a-d07c20a7-6dd0-412a-bcc4-64921eb4361a.
13 Zitiert nach: Jake Epstein: Ukraine wants more firepower for its fight against Russia, and it’s inviting arms makers to test their weapons there, https://www.businessinsider.com/ukraine-wants-more-firepower-russia-war-invites-weapons-testing-battlefield-2022-7.
14 Hanna Shelest: Defend. Resist. Repeat: Ukraine’s lessons for European defence, ECFR Policy Brief, https://ecfr.eu/publication/defend-resist-repeat-ukraines-lessons-for-european-defence/.