Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2023/008 - in: Telepolis (28.02.2023)

Mali: (K)ein „Eklat“ bei der UNO

Christoph Marischka (01.03.2023)

Zum Jahrestag des russischen Angriff auf die Ukraine hat die UNO-Generalversammlung mit einer großen Mehrheit von 141 Stimmen einer u.a. von Deutschland vorbereiteten Resolution1 zugestimmt, welche den russischen Angriff verurteilt. Nur sieben Staaten stimmten gegen die Resolution, während sich 32 enthielten. In Deutschland wird das Abstimmungsergebnis insgesamt als Erfolg bewertet.2 Angesichts des klar völkerrechtswidrigen Charakters des russischen Vorgehens hätte das Ergebnis vielleicht auch eindeutiger ausfallen müssen und können, wenn sie etwas weniger parteilich formuliert gewesen wäre.

Vielstimmige Debatte

Verschiedene Regierungen haben die Gründe dargelegt, warum sie nicht oder trotz Bedenken zugestimmt haben. Südafrika etwa begründete seine Enthaltung damit, dass die Forderung nach einer Beendigung der Feindseligkeiten mit einem massiven Zustrom von Waffen verbunden sei und keine konkreten Vorschläge für eine Lösung des Konflikts enthalten seien. Brasilien hingegen stimmte zu, stellte aber klar, dass es die „Beendigung der Feindseligkeiten“ als Forderung an beide Seiten ohne Vorbedingungen verstehe.3 Bemerkenswert war v.a. die Erklärung der Vertreterin Costa Ricas, die einen Aspekt besonders hervorhob: „Viele Staaten haben nicht erkannt, dass die kontinuierliche Erhöhung der Rüstungsausgaben in Verbindung mit technologischen Fortschritten des militärisch-industriellen Komplexes die Entwicklung noch mächtigerer und fortgeschrittener Waffensysteme befördern, darunter auch Künstliche Intelligenz und Autonome Waffensysteme“.4 Obwohl dies sicherlich zumindest auch als Warnung an die westlichen Regierungen gerichtet war, welche die Ukraine umfangreich mit Waffen und Technologie unterstützen, stimmte Costa Rica der Resolution zu, die das Land selbst mit eingebracht hatte.

So weit, so diplomatisch. Und so vielstimmig war die Debatte in der UN-Generalversammlung über die Resolution zum Jahrestag des russischen Angriffs. Eine Vielstimmigkeit, die in der deutschen Politik und Berichterstattung gerne ausgeblendet und auf ein Wer-nicht-für-uns-ist-ist-gegen-uns eingedampft wird. Alleine das ist schon Ausdruck einer zunehmenden Verachtung der Diplomatie und der UNO, die letztere eben nur noch als Bühne wahrnimmt, um vermeintliche Geschlossenheit zu demonstrieren oder vermeintliche Skandale zu inszenieren.

„Eklat“ allenfalls aus deutscher Sicht

So schreiben der Deutschlandfunk5 und spiegel.de6 unter der gleichlautenden Überschrift „Nach Eklat bei UNO-Abstimmung“ von eben einem solchen „Eklat“, der jenseits des deutschen Blätterwaldes und insbesondere bei der UNO selbst überhaupt nicht als solcher wahrgenommen wird. Gemeint ist das Abstimmungsverhalten Malis, das unter jenen sieben Staaten war, welche die Resolution abgelehnt hatten. Bei den anderen Staaten wird dies nicht als Eklat wahrgenommen, wohl aber bei Mali, weil sich dort die Bundeswehr an einer UN-Mission beteiligt, die das explizite Ziel verfolgt, die Souveränität und territoriale Integrität des Landes zu verteidigen. Zu dieser Souveränität gehört eigentlich auch die Freiheit ihres Abstimmungsverhaltens in der Generalversammlung und die – im Falle der Ukraine ja immer wieder betonte – Bündnisfreiheit. Werden diese Freiheiten jedoch auf eine Art genutzt, welche den eigenen Interessen widerstrebt, so scheint es, verliert die Gewährleistung von Souveränität ganz schnell an Relevanz.

So werde „[n]ach Spiegel-Informationen … sowohl im Verteidigungsministerium als auch im Außenamt offen hinterfragt, ob Deutschland noch ein weiteres Jahr mit der malischen Regierung kooperieren kann … Mit dem Nein gegen die Resolution sei Mali vielmehr endgültig Mitglied im Klub der letzten Russland-Unterstützer wie Belarus, Nordkorea, Eritrea, Nicaragua oder Syrien, hieß es unter Fachleuten in beiden Ministerien.“ Allerdings hatte die Bundesregierung sich bereits ziemlich festgelegt,7 dass die Bundeswehr bis Mai 2024 ihre Beteiligung an der UN-Operation in Mali beenden wird. Sowohl Spiegel wie der Deutschlandfunk deuten in ihren Beiträgen zum vermeintlichen „Eklat“ bei der UNO an, dass der Einsatz nun genau deshalb früher beendet werden könnte – was aber die zahlreichen angeführten Zitate zur Sinnlosigkeit des Einsatzes genau genommen gar nicht hergeben. Viele dieser Zitate sind älter als der vermeintliche Eklat. Insofern ist die Überschrift „Nach Eklat bei UNO-Abstimmung“ klar irreführend.

Ein Skandal hingegen ist eigentlich, dass deutsche Medien teilweise suggerieren, die Beteiligung der Bundeswehr an einer UN-Mission sei abhängig vom Abstimmungsverhalten der dadurch unterstützten Regierung in der UN-Generalversammlung zu völlig sachfremden Themen, die offenbar kontrovers verhandelt werden. Obwohl das durchaus zutreffend sein mag, dürfte sich der Umkehrschluss im Spiegel und beim Deutschlandfunk schwer in dieser Klarheit finden lassen, nämlich die Aussage, dass die deutsche Beteiligung an UN-Missionen auch dem Zweck dient, ein entsprechendes Abstimmungsverhalten in internationalen Gremien abzusichern oder durchzusetzen.

Deutschland nur zehntgrößter Truppensteller

Wenn das alle Staaten so sehen würden, würde das die entsprechenden Regierungen übrigens vor große Probleme stellen. Aktuell etwa nennt die UN Deutschland lediglich als zehntgrößten Truppensteller.8 Die größten Truppensteller sind demnach der Tschad und Bangladesch. Der ebenfalls von einer Militärjunta mit französischer Rückendeckung regierte Tschad hat der Resolution zugestimmt und Bangladesch sich ebenso enthalten, wie Togo und Guinea, die auf den Plätzen sieben und acht der größten Truppensteller der MINUSMA stehen. Senegal und Burkina Faso, die ebenfalls vor Deutschland auf dieser Liste stehen, haben nicht mit abgestimmt. Für die Resolution haben unter den zehn größten Truppenstellern noch Ägypten, die Côte d‘Ivoire und Niger gestimmt. Alle drei erhalten massive militärische Unterstützung aus dem Westen, in der Côte d‘Ivoire und Niger sind (wie auch im Tschad) französische Truppen stationiert und im Niger finden darüber hinaus aktuell zwei militärische Ausbildungs- bzw. „Partnerschaftsmissionen“ statt.9

Es lässt sich in dieser Stichprobe beim Zusammenhang zwischen Truppenstationierungen und Abstimmungsverhalten also durchaus ein Muster erkennen, in das Mali ohne jeden Eklat hineinpasst. Außerhalb der MINUSMA wird die malische Regierung aktuell militärisch am umfangreichsten von Russland unterstützt. Sowohl der Deutschlandfunk, wie auch der Spiegel führen entsprechend nun ein Argument für europäische Truppenstationierungen auf dem afrikanischen Kontinent an, das in dieser Form relativ neu ist und durchaus nach Imperialismus klingt: Es sei „wichtig die Sahelzone nicht komplett Russland zu überlassen“. Fast schon aus der Zeit gefallen wirkt demgegenüber die beim Deutschlandfunk ergänzte Einschätzung der „Grünen-Politikerin [Sara] Nanni“, „die Bundeswehr sei nicht für die malische Regierung, sondern für die Bevölkerung im Einsatz“. In der vergangenen Dakade wurde das tatsächlich Jahr für Jahr bei den Verlängerungen der Bundeswehr-Mandate im Bundestag so dargestellt.

Anmerkungen

1 Resolution A/RES/ES-11/6 der UN-Generalversammlung: „Principles of the Charter of the United Nations underlying a comprehensive, just and lasting peace in Ukraine“.

2 S.z.B.: Thomas Wiegold: Große Mehrheit in UN-Generalversammlung für Ukraine-Resolution, augengeradeaus.net.

3 Beide Stellungnahmen finden sich zusammengefasst in dem Bericht der UNO zur Generalversammlung: „Hours Before Ukraine Conflict Enters Second Year, General Assembly Adopts Resolution Demanding Russian Federation Withdraw Military Forces, Adjourning Emergency Session“, press.un.org.

4 Diese Stellungnahme findet sich in einem früheren Bericht der UN zur Sondersitzung: „‘We Don’t Have a Moment to Lose’, Secretary-General Tells General Assembly’s Emergency Special Session on Ukraine as Speakers Debate Draft Resolution“, press.un.org.

5 „Nach Eklat bei UNO-Abstimmung- Zweifel am Bundeswehr-Einsatz in Mali“, deutschlandfunk.de.

6 Matthias Gebauer, Marina Kormbaki: Nach Eklat bei Uno-Abstimmung Zweifel an Bundeswehrmission in Mali wachsen, spiegel.de.

7 Christoph Marischka: Abzug aus Mali?, IMI-Standpunkt 2022/050, imi-online.de.

8 https://peacekeeping.un.org/en/mission/minusma, Stand 27.2.2023.

9 Christoph Marischka: Sahel – Neue Allianzen, neue Missionen, IMI-Analyse 2023/06, imi-online.de.

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