Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2023/004

EDIRPA: Nächster Illegaler EU-Rüstungstopf in der Mache

Jürgen Wagner (09.02.2023)

Nach der „Europäischen Friedensfazilität“ (EFF) und dem „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF) befindet sich aktuell das dritte große de facto EU-Militärbudget in der Konkretisierungsphase. Mit dem „Instrument zur Stärkung der Europäischen Verteidigungsindustrie durch Gemeinsame Beschaffung“ (EDIRPA) sollen künftig insbesondere gemeinsame Munitionskäufe finanziert werden – und wie die beiden anderen Töpfe ist auch dieses geplante Instrument de facto illegal. Dennoch wird aktuell eifrig daran gefeilt, dem Ganzen den Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben, weil EDIRPA unter anderem auch den Weg für ein ebenfalls bereits in Planung befindliches, noch einmal deutlich größeres Beschaffungsbudget ebnen soll.

EDIRPA-Kommissionsvorschlag

Den EU-Staaten geht durch die Lieferungen an die Ukraine die Munition aus, es soll dringend nachgefüllt werden. Eine Option hierfür soll das „Instrument zur Stärkung der Europäischen Verteidigungsindustrie durch Gemeinsame Beschaffung“ (EDIRPA) sein. Laut einem ersten Kommissionsvorschlag vom Juli 2022 sei es nur so möglich, die Bestände aufzufüllen und die Ukraine weiter zu beliefern: „[Es] wird darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten angesichts der Sicherheitslage und der bereits erfolgten Verbringungen in die Ukraine die Verteidigungsfähigkeit dringend wiederherstellen müssen. Insbesondere würde ihnen eine Wiederauffüllung der Materialbestände auch ermöglichen, der Ukraine weitere Hilfe zu leisten.“

Die Kommission sah hierfür zunächst 500 Mio. Euro vor, die Ausschüttung der Gelder sollte aber an verschiedene Bedingungen geknüpft werden: Eine Finanzierung soll nur dann erfolgen, wenn sich mindestens drei Staaten zusammenfinden, dadurch die europäische Rüstungsindustrie gestärkt wird und es sich um kurzfristige Beschaffungen handelt – im Kommissionsvorschlag heißt es dazu: „Die durch das Instrument bereitgestellte finanzielle Unterstützung durch die EU müsste Verfahren zur kooperativen Beschaffung im Verteidigungsbereich durch die Mitgliedstaaten fördern und der EDTIB [rüstungsindustriellen Basis] zugutekommen, zugleich aber die Handlungsfähigkeit der Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten, die Versorgungssicherheit und eine größere Interoperabilität sicherstellen.“

Als Starttermin wurde ursprünglich noch 2022 anvisiert, was sich nun aber vor allem aufgrund von Rangeleien um die parlamentarischen Zuständigkeiten zwischen Sicherheit & Verteidigung (SEDE), dem Industrieausschuss (ITRE) und dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) auf Juli 2023 verzögert. Letztlich sind jetzt SEDE und ITRE gleichberechtigt verantwortlich und haben einen Berichtsentwurf zur Ausgestaltung von EDIRPA vorgelegt, der gegenüber dem Kommissionsvorschlag an einigen wichtigen Stellen Veränderungen anmahnt.

Verdreifachung des Budgets 

Laut der Europäischen Sicherheit & Technik ist an dem EP-Berichtsentwurf vor allem bemerkenswert, dass er eine deutliche Aufstockung des Budgets fordert: „Die beiden Berichterstatter von SEDE und ITRE, Michael Gahler und Zdzisław Krasnodębski, sprechen sich in ihrem Berichtsentwurf von Mitte Januar für die Erhöhung des Finanzvolumens von EDIRPA von 500 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro aus.“

Während im Kommissionsvorschlag nicht näher präzisiert wurde, was genau mit EDIRPA-Geldern – übrigens auch rückwirkend bis hin zum 24. Februar 2022 – finanziert werden soll und kann, wird dies mit dem Berichtsentwurf detailliert nachgereicht. Darin ist unter anderem die Rede von „allen Arten von Munition“ einschließlich „Luft-Boden-Munition mittlerer und großer Reichweite, insbesondere präzisionsgelenkte Munition und Marschflugkörper“.

Der strittigste Punkt im Berichtsentwurf betrifft den Vorschlag, das Instrument auch für Nicht-EU-Staaten zu öffnen. Das Fachportal Bruxelles2 schreibt dazu (übersetzt mit deepl.com): „Die Berichterstatter fordern, dass die an dem Instrument teilnehmenden Mitgliedstaaten ‚das Recht haben, die Ukraine und die Republik Moldau zur Teilnahme an der Aktion einzuladen‘ und daher gemeinsame Verträge mit diesen Ländern abzuschließen (Artikel 5). Mit dem Argument, dass dies für diese Länder ‚eine Grundlage für die spätere Einbeziehung ihrer Verteidigungsindustrien in die europäische verteidigungstechnologische und -industrielle Basis (EDBIT)‘ darstellen würde. Sie öffnen diese Tür auch für Georgien, ‚sobald der Europäische Rat ihm den Status eines Kandidatenlandes zuerkennt‘.“

Ironischerweise könnte das hier verfolgte Ziel, die Armeen dieser Länder auf Material aus EU-Ländern zu polen, noch eher als industriepolitische Maßnahme durchgehen als die Ausstattung der eigenen Armeen, die primär militärisch-machtpolitischen Gesichtspunkten folgt. Dennoch scheint für manche hier die ganze Angelegenheit rechtlich doch zu wacklig zu werden.

Rechtlich windig

Wie häufig erwähnt, verbietet Artikel 41(2) des EU-Vertrages die Finanzierung von Maßnahmen mit verteidigungspolitischen Bezügen aus dem EU-Haushalt. Dennoch existieren inzwischen, wie bereits erwähnt, diverse De-facto-EU-Militärbudgets, unter anderem die „Europäische Friedensfazilität“ (EFF), die insbesondere der Finanzierung von Waffen für „befreundete“ Akteure dient. Hierfür standen ursprünglich zwischen 2021 und 2027 5,7 Mrd. Euro zur Verfügung, weil dieser Betrag aber durch die Lieferungen an die Ukraine faktisch bereits ausgeschöpft ist, wurde unlängst eine Erhöhung um zunächst 2 Mrd. Euro mit einer Option auf weitere 3 Mrd. Euro (in Preisen von 2018) beschlossen (siehe IMI-Aktuell 2023/051). Um dem Ganzen wenigstens den Anschein der Rechstkonformität zu verpassen, wurde die EFF als „haushaltsexternes“ Budget angelegt, sie wird also mit Geldern der Einzelstaaten befüllt und ist damit nicht offizieller Teil des EU-Haushaltes, um geltendes EU-Recht zu umgehen (siehe IMI-Analyse 2021/17).

Ein anderer Weg wurde wiederum für den seit 2021 existierenden „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF) gewählt, mit dem für denselben Zeitraum zwischen 2021 und 2027 rund 8 Mrd. Euro für die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern bereitgestellt werden. Er wurde kurzerhand auf die Kompetenzgrundlage von Artikel 173 AEUV gestellt und dadurch in den Bereich der Industriepolitik verfrachtet, wodurch er nach Auffassung von Kommission, Rat und Parlamentsmehrheit den Beschränkungen aus Artikel 41(2) nicht mehr unterliegt. Wenn eine Maßnahme allerdings klar einem Zweck dient, in diesem Fall die militärischen Fähigkeiten auszubauen, kann sie nicht einfach beliebig auf eine andere Kompetenzgrundlage, in diesem Fall die Industriepolitik, gestellt werden. Aus diesem Grund ist der gesamte Fonds faktisch illegal, wie unter anderem in einem ausführlichen Rechtsgutachten herausgearbeitet wurde. Und obwohl auch eine Klage gegen den EVF anhängig ist, wurde nun beschlossen, auch für den EDIRPA-Fonds denselben Weg zu wählen.

Als EDIRPA-Kompetenzgrundlage wurde somit ebenfalls Artikel 173 AEUV, also die Industriepolitik gewählt, wie bei der Europäischen Sicherheit & Technik nachzulesen ist: „Da die EU aufgrund des Artikels 41 Absatz 1 [sic!] des Vertrages über die Europäische Union nicht direkt Rüstungsgüter finanzieren darf, gilt EDIRPA, genauso wie der Europäische Verteidigungsfond (EDF), als industriepolitische Maßnahme.“

Dass das eigentlich rechtlich alles andere als sauber ist, wurde bereits erwähnt noch vogelwilder wird es, wenn man die Beschreibung in diesem Artikel weiter folgt: „Das Geld, so die Kommission, sei ausschließlich für die Finanzierung administrativer Kosten zu verwenden, die beim gemeinsamen Beschaffungsprozess für die Mitgliedstaaten entstünden. Überprüft soll dies aber nicht werden, da die Gelder, so der derzeitige Stand, nach dem Prinzip ‚financing not linked to costs‘ vergeben werden sollen. Auf diese Weise wäre die EU in der Lage indirekt die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern zu fördern, ohne gegen Artikel 41 Absatz 1 [sic!] zu verstoßen.“

So abenteuerlich das ganze Konstrukt auch daherkommt, das allein genügte noch nicht, um größere Bedenken auszulösen. Erst die im EP-Berichtsentwurf vorgeschlagene Erweiterung der Maßnahme auf die Länder Ukraine, Georgien und Moldawien scheint nun für manche den Rahmen zu sprengen. Zwar geht es bei der ganzen Angelegenheit eben nicht primär um Industrieförderung, das gesamte mühsam zurechtgezimmerte Konstrukt hält aber beim besten Willen nicht mehr zusammen, wenn man unter dieser Fahne auch noch Gelder an die Ukraine, Georgien oder Moldawien vergibt.

Bei Bruxelles2 wird deshalb über die diesbezüglichen Bedenken sowohl aufseiten der Liberalen Renew-Gruppe wie auch der Kommission berichtet. Zitiert wird unter anderem der Renew-EDIRPA-Schattenberichterstatter Dominique Riquet (übersetzt mit deepl.com): „Die Vorschläge des Europäischen Parlaments zerstören die Rechtsgrundlage, machen den Vorschlag wirkungslos … und riskieren daher, dass er angefochten und somit für nichtig erklärt wird. […] Dieser Text basiert auf einer Rechtsgrundlage, der der Industrie. Denn für militärische Aktivitäten im Rahmen der Verträge gibt es keine Rechtsgrundlage. Es geht also darum, bei der Integration, Produktion und Standardisierung der europäischen Verteidigungsindustrie zu helfen. Die Motive, so politisch wünschenswert sie auch sein mögen (Ausweitung auf Drittländer, Hinwendung zu nicht-konventionellen Lieferungen oder Aufhebung von Nutzungsbeschränkungen), sind alles Elemente, die uns von der Rechtsgrundlage wegbringen.“

Laut Bruxelles2 teilt auch die Kommission diese Einschätzung (übersetzt mit deepl.com): „Die Vertreter der Europäischen Kommission äußerten sich in der öffentlichen Sitzung mit keinem Wort zur Frage der Rechtsgrundlage. Aber nach unseren Informationen, die von einer guten Quelle bestätigt wurden, gibt es tatsächlich ein Problem. […] Wer vor Gericht ziehen würde, könnte wenn nicht die Aufhebung der Verordnung, so doch zumindest die Aufhebung des betroffenen Artikels erwirken. Artikel 173 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, der die EDIRPA begründet, betrifft nur ‚die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Union‘ […]. Wenn es notwendig ist, den Nachbarländern zu helfen, gibt es andere Rechtsgrundlagen und andere Budgets.“

Türöffner für Mehrwertsteuerbefreiungen

Wohlgemerkt, die hier geäußerten rechtlichen Bedenken von Renew und Kommission richten sich nur gegen die Öffnung des EDIRPA-Instruments für Nicht-EU-Länder. Es handelt sich dabei nicht um grundsätzliche Einwände gegen die über Artikel 173 AEUV etablierte Praxis, Militärpolitik als Industriepolitik zu tarnen, um Gelder unter Umgehung geltenden Rechts aus dem EU-Haushalt loseisen zu können. Im Gegenteil, ihnen geht es darum, diese Praxis gegen etwaige Klagen abzusichern, um damit den Weg für den nächsten ambitionierten Schritt zu ebnen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die im EP-Berichtsentwurf vorgeschlagene Erweiterung auf die besagten Nicht-EU-Länder wieder einkassiert werden dürfte. Denn das EDIRPA-Instrument soll „nur“ kurzfristig Lagerbestände auffüllen helfen, es ist aktuell zeitlich bis Ende 2024 begrenzt. Deshalb soll möglichst bald das noch einmal ambitioniertere „Programm für europäische Verteidigungsinvestitionen“ (EDIP) anschließen.

Mit ihm sollen künftig Konsortien für Verteidigungsfähigkeiten (EDCC) gebildet werden können, die unter anderem den „Vorteil“ genießen sollen, beim Einkauf von Rüstungsgütern von der Mehrwertsteuer befreit zu werden. In der entsprechenden Kommissionsmitteilung „Analyse der Defizite bei den Verteidigungsinvestitionen und die nächsten Schritte“ vom Mai 2022 lässt sich nachlesen: „In Anbetracht dessen wird die Kommission […] eine Verordnung über ein Programm für europäische Verteidigungsinvestitionen (EDIP) vorschlagen. Mit ihr sollen die Bedingungen und Kriterien festgelegt werden, unter denen die Mitgliedstaaten Konsortien bilden können, die als Europäisches Konsortium für Verteidigungsfähigkeiten (EDCC) gelten; solche Konsortien beschaffen gemeinsam Verteidigungsfähigkeiten zur Nutzung durch die beteiligten Mitgliedstaaten, die in der EU in Zusammenarbeit entwickelt werden und für eine Mehrwertsteuerbefreiung infrage kommen. […] Die Mehrwertsteuerbefreiung würde auch für den Betrieb, die Wartung und die Stilllegung gelten, die während des gesamten Lebenszyklus von Verteidigungsgütern mit erheblichen Kosten verbunden sind. […] Die EDIP-Verordnung könnte als Dreh- und Angelpunkt für künftige gemeinsame Entwicklungs- und Beschaffungsprojekte von hohem gemeinsamen Interesse […] dienen, insbesondere bei Projekten, die kein Mitgliedstaat allein entwickeln oder beschaffen könnte.“

Somit soll das EDIRPA-Instrument lediglich der Türöffner für den großangelegten Einstieg der Europäischen Union in die Beschaffung von Rüstungsgütern sein!

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