Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2022/052

Katar rüstet auf

Blick auf die Militarisierung und die WM im Emirat

Jacqueline Andres (12.12.2022)

Die Fußballweltmeisterschaft in Katar zieht viel Aufmerksamkeit auf sich: Besonders die Lage der Arbeitsmigrant*innen, die die Stadien in dem autoritär regierten Emirat errichtet haben, sorgt für Empörung. In unsäglicher Hitze mussten sie arbeiten, um die Stadien rechtzeitig fertig zu stellen – untergebracht unter kläglichen Bedingungen und oftmals nicht fair entlohnt. Mehr als 6.500 Arbeiter*innen aus Indien, Bangladesh, Nepal und Sri Lanka starben zwischen 2010 und 2020 – doch diese Ziffer deckt weder alle Nationalitäten der Arbeits*migrantinnen ab, noch die vielen ungeklärten Todesfälle. Katar ist auch eine Warnung für die EU, wie Natasha Iskander betont, denn auch hier steigen die Temperaturen durch die Klimakrise.[1] Die Landwirtschaft bspw. in Spanien oder Italien ist bereits jetzt abhängig von Tagelöhner*innen und Landarbeiter*innen (sogenannte braccianti), die durch ihren ungesicherten Aufenthaltsstatus vermehrt Ausbeutung ausgesetzt sind. In den letzten Jahren starben Tagelöhner*innen immer wieder durch die sengende Hitze auf den Feldern in Südeuropa. Weniger Aufmerksamkeit zog die Militarisierung und der steigende Einsatz von Überwachungstechnologien auf sich, die sich voraussichtlich noch lange nach der WM auf das Emirat und seine Bevölkerung auswirken werden.

World Cup Shield Operation

Angesichts der kleinen Größe des Emirats stellt die Garantie der Sicherheit während der WM eine Herausforderung für Katar dar. Ein eher ungewöhnlicher Schritt dürfte hierbei die Einberufung von hunderten Zivilisten in den obligatorischen Militärdienst sein, darunter auch von Diplomaten im Ausland, um die Sicherheit der WM in Katar zu garantieren.[2] Doch selbst dies reicht nicht: Katar erhält für die Sicherheit während der Weltmeisterschaft für ihre World Cup Shield Operation Unterstützung von zahlreichen Staaten wie Frankreich, Großbritannien, Italien, Marokko, Pakistan, Südkorea, Türkei, USA sowie der NATO.[3] Die Weltmeisterschaft stellt einen willkommenen Anlass und ein Experimentierfeld dar, um die militärische Zusammenarbeit mit anderen Staaten zu vertiefen. Eine Ausweitung der Sicherheitskooperation mit anderen Staaten liegt auch unabhängig von der WM im Interesse Katars, um sich als eigenständige Regionalmacht mit einem verhältnismäßig kleinen Militärapparat (bestehend aus nur 20.000 Streitkräften) in der hochgerüsteten Region notfalls auch gegen Nachbarstaaten wie Saudi Arabien zu positionieren. Durch die WM und die Operation World Cup Shield kann Katar zeigen, was das Emirat mit seinen Verbündeten leisten kann.

Katar rüstet auf – Technologien für Krieg und Überwachung

Katar rüstet kräftig auf – im Jahr 2021 lagen die Militärausgaben des Emirats laut SIPRI bei 11,6 Milliarden US-Dollar. Damit stiegen Katars Militärausgaben um 434% im Vergleich zum Jahr 2010.[4] Einen deutlichen Schub der Aufrüstung erfuhr das Emirat durch den Arabischen Frühling und die einsetzende Aufrüstungswelle in Nordafrika und Westasien, durch die Vergabe der WM 2022 an Katar im Jahr 2010 und durch die Blockade von Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Bahrein im Jahr 2017. Katar will sich als Regionalmacht etablieren und unabhängig von den anderen GCC-Staaten sein, zu denen die Beziehung seit der Blockade noch zerrütteter ist. Das erklärt auch die fleißigen Einkäufe von Waffensystemen und Rüstung in den letzten Jahren – auch hier dient die WM oftmals als Anlass, doch die Rüstungsimporte erfüllen mehrere Funktionen: Katar zeigt sich als militärischer Partner der NATO, die Rüstungsdeals pflegen Katars internationalen Ruf, stärken Katars Einfluss als globaler Akteur und lassen Kritik der Rüstungsexporteure an der Erbmonarchie untergehen.

Seit 2015 besteht eine obligatorische Militärdienstpflicht in Katar. Der Dienst ist für Frauen freiwillig. Wie andere Militärapparate der Golfmonarchien ist auch Katar auf die Rekrutierung nicht-katarischer Soldaten angewiesen. In den katarischen Streitkräften finden sich daher Soldaten aus Pakistan oder Sudan wieder. Das Emirat beteiligte sich militärisch an unterschiedlichen Kriegen in den letzten Jahren – genannt seien der Krieg in Libyen, den Katar durch die Beteiligung seiner Luftwaffe am NATO-Kriegseinsatz Unified Protector, die Entsendung von hunderten Soldaten und die Bewaffnung von Rebellengruppen, die gegen General Haftar kämpfen, stützte. Katar befeuerte den Krieg in Syrien durch Waffenlieferungen über die Türkei sowie durch die Beteiligung der Luftwaffe an Angriffen auf den Islamischen Staat und schickte 1.000 Bodentruppen, 200 gepanzerte Fahrzeuge und 30 Apache-Kampfhubschrauber in den katastrophalen Krieg in Jemen.[5] Nach dem Zerwürfnis mit den VAE und Saudi Arabien trat Katar aus der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition aus.

Katar setzt im Rahmen der WM-Sicherheit auch auf zahlreiche Militärtechnologien, die der großflächigen Überwachung dienen. So plante das Emirat mehr als 15.000 Überwachungskameras mit Gesichtserkennungssoftware und Drohnenüberwachungssysteme zur Schätzung von Menschenmassen auf den Straßen einzusetzen, um die WM-Stadien und den öffentlichen Raum Dohas zu beobachten. Ausgewertet werden die übertragenen Daten im Aspire-Kontrollzentrum. Niyas Abdulrahiman, der technische Direktor von Aspire, sagte: „Wir haben Augen am Boden, wir können alle 15.000 Kameras in den acht Stadien sehen. […] Was Sie hier sehen, ist ein neuer Standard, ein neuer Trend beim Betrieb von Sportstätten, das ist unser Beitrag von Katar zur Welt des Sports. Was Sie hier sehen, ist die Zukunft des Stadionbetriebs“. Um die Gesichter der Fans erkennen zu können, müssen alle Besucher*innen der WM eine Hayaa Card ausfüllen, eine digitale Identifikations-App der katarischen Regierung, ein Foto ihres Gesichts hochladen und ihren Reisepass scannen.[6] Für die autoritäre Monarchie in Katar dürfte dies einerseits ein Labor zum Experimentieren neuer Überwachungstechnologien sein und gleichzeitig eine Chance darstellen, ihre eigenen Produkte zu testen und zu vermarkten, so hat die Universität Katar das Drohnenüberwachungssystem erstellt.

Der Artikel „Katar rüstet auf“ ist ein geänderter Auszug aus der Broschüre „Rote Karte für Katar: Wie die Fifa den Fußball verkauft und Katar Menschenrechte mit Füßen tritt“ von Jacqueline Andres und Dietrich Schulze-Marmeling, herausgegeben von Özlem Alev Demirel.

Anmerkungen


[1]     Natasha Iskander: Does Skill Make Us Human?: Migrant Workers in 21st-Century Qatar and Beyond, Princeton University Press, 2021

[2]     Qatar ‘calling diplomats home’ for military service at World Cup, theguardian.com, 27.7.2022

[3]     https://www.middleeastmonitor.com/20221006-qatar-signs-deal-with-us-for-security-at-fifa-world-cup-2022/ 

[4]     World military expenditure passes $2 trillion for first time, sipri.org, 25.4.2022

[5]     Muriel Asseburg, Wolfram Lacher und Mareike Transfeld: Mission Impossible? UN-Vermittlung in Libyen, Syrien und dem Jemen, swp-berlin.org, SWP-Studie 2018/S 12, 4.7.2018

[6]     Andrew Cohen: Qatar Will Deploy Facial Recognition Security at FIFA World Cup, sporttechie.com, 19.8.2022

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de