Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2022/039

Neues Territorialkommando – Kommandeur sieht Verfassungsrecht eher flexibel

Martin Kirsch (28.09.2022)

Bereits fünf Tage vor dem offiziellen Arbeitsbeginn fand am 26. September der Aufstellungsappell für das neue Territoriale Führungskommando (TFK) der Bundeswehr statt. Das neue Kommando soll zwischen Oktober 2022 und April 2023 auf 550 militärische und 250 zivile Dienstposten anwachsen, um dann die volle Einsatzbereitschaft zu erreichen – 24/7 Operationszentrale und Grundstock für einen nationalen Krisenstab im Kanzleramt inklusive. Erster Befehlshaber des TFK wird der Dreisternegeneral Carsten Breuer, der im vergangenen Jahr nach einem Ruf von Kanzler Scholz bereits als Krisenmanager für die nationale Impfkampagne im Kanzleramt residiert hatte (siehe IMI-Standpunkt 2021/062).

Als künftiger Nationaler Territorialer Befehlshaber wird Breuer künftig zwei Kernaufgaben haben. Einerseits die Vorbereitung auf die Nationale Territoriale Verteidigung – die Verteidigung der Heimatfront im Kriegsfall – und die Aufgabe des aufmarschführenden Kommandos, von dem aus Truppenbewegungen von Bundeswehr und NATO durch die Bundesrepublik koordiniert werden. Und zweitens die Koordination sämtlicher Inlandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen der sogenannten Amts- und Katastrophenhilfe (siehe IMI-Analyse 2022/32). Das Spektrum reicht dabei von Naturkatastrophen wie Hochwasser, Waldbränden und extremen Schneefällen über Pandemien bis hin zur Unterstützung der Polizei im Falle von großen Terroranschlägen. Entsprechende Szenarien am Rande des verfassungsrechtlich Möglichen werden bereits seit 2017 regelmäßig trainiert (siehe IMI-Analyse 2019/35).

Mit welcher Perspektive Krisenmanager Breuer auf seinen verfassungsmäßig heiklen Job blickt, machte er bei einer Rede zur Außerdienststellung des Kommandos Territoriale Aufgaben – dem kleineren Vorgängerkommando des TFK – am Vormittag des 26. September in Berlin deutlich.

Dort blickte er auf das Elbehochwasser 2013 (rund 20.000 alarmierte Soldat*innen) und den größten Inlandseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr nach der Hamburger Sturmflut 1962 zurück. „Damals, 1962, hatte der Hamburger Innensenator Helmut Schmid an allen Instanzen vorbei telefonisch die Bundeswehr angefordert. Gegen geltendes Recht, aber ziemlich effektiv und im Rückblick richtig. Und damit hat er ein Beispiel auch für uns in unserer Zeit gegeben. Auch wir müssen immer wieder die Frage nach der Zweckmäßigkeit von Verfahren, von Verordnungen und Vorschriften stellen – immer jeden Tag in unserem täglichen Dienst.“

Etwas zugespitzt lässt sich Breuers Position wohl so zusammenfassen: nicht nur in der Not geht politisch/militärische Zweckrationalität auch mal vor Vorschriften, Gesetze … und die Verfassung?

Formal wird das TFK zwar keine neuen Kompetenzen im Inland bekommen. Der Aufbau der Strukturen der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit seit 2007 hat allerdings bereits gezeigt, dass die öffentlich zur Schau gestellte Bereitschaft der Bundeswehr, im Inland eingesetzt zu werden, auch entsprechende Begehrlichkeiten in den Talkshows und Innenministerien weckt. Die strikte Trennung von Polizei und Militär als bitter notwendige Konsequenz aus dem deutschen Faschismus bleibt – auch mit Blick auf aktuelles rechtes Machtstreben – weiterhin äußerst relevant. Mit der Aufstellung des TFK und der Benennung von General Breuer als erstem Befehlshaber wird allerdings die Politik der letzten Jahre fortgesetzt, die das Trennungsgebot in kleinen Schritten bis zur völligen Unkenntlichkeit aufzuweichen droht. Der aktuell ständig wiederholte Verweis auf sogenannte hybride Bedrohungen – an der Grenze zwischen Krieg und Frieden – auf die sich auch das TFK in seiner Aufgabenbeschreibung beruft, dürfte in den kommenden Monaten und Jahren das diskursive Moment sein, das die weitere Militarisierung bisher ziviler Aufgaben vorantreiben wird.

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