IMI-Analyse 2022/43 - in: Ausdruck Juni 2022
Mehr Satelliten für mehr Klimaschutz?
Klima- und Umweltkosten der Weltraumnutzung
Jacqueline Andres (25.07.2022)
Im Jahr 2016 erklärte der Milliardär Jeff Bezos, in den nächsten Jahrhunderten solle die Schwerindustrie zum Schutze unseres Planeten verlagert werden: „Und das tun wir, indem wir ins Weltall gehen.“1 Bezos steht mit der Behauptung nicht alleine da, durch die Nutzung des Weltalls einen Beitrag zum Wohle des Planeten leisten zu wollen. Im vorherigen Namen des EUropäischen Satellitenprograms Copernicus stand die Umwelt noch vor der Sicherheit: „Global Monitoring for Environment and Security“ (GMES). Copernicus dient offiziell u.a. dazu, „den aktuellen Zustand unseres blauen Planeten kontinuierlich zu erfassen und die Daten über Ozeane, Landoberflächen, die Atmosphäre und den Klimawandel den verschiedenen Nutzergruppen, wie Behörden, Unternehmen, Institutionen, Umweltämtern und Bürgern zeitnah zur Verfügung zu stellen“. Die Kerndienste von Copernicus gliedern sich bislang in sechs Kategorien: „Landüberwachung, Überwachung der Meeresumwelt, Überwachung der Atmosphäre, Überwachung des Klimawandels, Katastrophen- und Krisenmanagement und [militärische] Sicherheitsdienste“. Auch der Vorstandsvorsitzende des Weltraumkonzerns OHB, Marco Fuchs, erkennt in den Satelliten Klimawächter und behauptet sogar, dass die Raumfahrt für sich in Anspruch nehme, die Erde zu bewahren.2 Doch die aktuelle und die geplante Nutzung des Weltraumes geht mit der Erschließung des Weltraums als sogenanntem Zukunftsmarkt einher und damit weit über die Klimaüberwachung hinaus. Dieser „Zukunftsmarkt“, der auch mit der kolonial anmutenden Bezeichnung „New Space“ versehen wird, sieht u.a. eine Ausweitung von militärischer Aufklärung, Weltraumtourismus, Rohstoffabbau von Asteroiden, Produktionsstätten im Weltraum sowie eine Weltraumkolonialisierung vor und schadet zwangsläufig dem Klima und der Umwelt.
Raumfahrt und ihre Treibstoffe
Noch, heißt es, seien die Emissionen der Raumfahrt mit jährlich rund 22.000 Tonnen CO2 durch Raketenstarts geringer, als die 900 Millionen Tonnen des weltweiten Flugverkehrs.3 Doch ein touristischer Weltraumflug, durch den die Erde in zehn Minuten der Schwerelosigkeit zu betrachten ist, verursacht für jede der vier Personen, die in eine Weltraumkapsel von Jeff Bezos oder Elon Musk passen, 75 Tonnen CO2 (der durchschnittliche Jahresverbrauch lag weltweit bei 4,7 Tonnen pro Kopf). Nicht mit eingerechnet sind jedoch u.a. die Emissionsdaten der Entwicklung und Herstellung von Satelliten, Raketen, ihrer Startzentren sowie die Logistik zu den Weltraumbahnhöfen.4 So setzt die für Elektronik benötigte Ressourcengewinnung, z.B. von Coltan im Kongo, oftmals das Abholzen des Regenwalds voraus, um die Minen errichten zu können. Zudem erfordern die kommerziellen sowie staatlichen Raumfahrtprogramme das kontinuierliche Prüfen von Raketenantrieben. Und die kommerzielle und militärische Raumfahrt nimmt zu. Starteten im Jahr 1957 noch drei Raketen, so waren es im Jahr 2020 schon 114 und zukünftig soll allein die Zahl der Raketenstarts von Richard Branson auf jährlich 400 Starts anschwellen. Laut der Geophysikerin Eloise Marais nehmen die CO2-Emissionen der Raumfahrt jährlich um 5.6% zu. Zudem wirken sich die Emissionen anders aus, denn sie erreichen obere Atmosphärenschichten, wo sich die Schadstoffe jahrelang halten – von kerosinhaltigen Treibstoffen verursachtes CO2 hält sich dort z.B. 120 Jahre lang.5
Zur Raumfahrt werden unterschiedliche Antriebe und Treibstoffe verwendet, einige umweltschädlicher als andere. Doch umweltfreundlich ist bislang keiner. Zwar prahlte Jeff Bezos, dass seine Weltraumrakete kein CO2 ausstieße, da sie einen auf Wasserstoff basierenden Flüssigtreibstoff verwende, doch dieser selbst ist nur so nachhaltig, wie die zu seiner Herstellung verbrauchten Energien. Tatsächlich mahnen Wissenschaftler*innen der Universität New South Wales, dass die durch Raumfahrt verursachten kumulativen Auswirkungen auf das Klima und die Umwelt erforscht werden müssen, bevor die Anzahl von jährlichen Starts in die Höhe schnellt.6 So treibt Wasserstoff z.B. die atmosphärische und mesosphärische Wolkenbildung erheblich voran, doch noch liegen unzureichende wissenschaftliche Erkenntnisse zu Wolken in der Mesosphäre vor. Bekannt ist, dass Wolken die Wärmestrahlung der Erde reflektieren und somit die Erderwärmung verstärken. Zudem greifen stickstoff- und wasserstoffhaltige Treibstoffe die Ozonschicht an und je nach Treibstoff, setzt die Raumfahrt Aluminiumoxid- oder Rußpartikel frei, die zur Erderwärmung beitragen können.7
Abgesehen davon stoßen alle Raketentreibstoffe Stickoxide aus, die zur Verschlechterung der Wasserqualität und der Böden führen, wodurch sie u.a. den Wäldern schaden, die ebenfalls wichtig zur Minderung des Klimawandels sind. Umweltauswirkungen entstehen bereits direkt am Startort – auch hier führen freigesetzte Schadstoffe in den sogenannten Bodenwolken zu saurem Regen. Es ist zynisch, dass viele der Raketenstartorte eine koloniale Geschichte haben – so startet die ESA ihre Raumfahrten in Französisch-Guayana in Südamerika. Gesucht werden abgelegene Orte in der Nähe des Äquators, oftmals auf Kosten der indigenen Communities vor Ort (siehe Emma Fahr). Häufig regt sich auch aus Umweltschutzgründen Widerstand gegen neue Weltraumbahnhöfe, von denen es in Zukunft immer mehr geben wird.
Space Dreck
Laut der ESA tummeln sich mittlerweile mehr als 36.500 Weltraummüllobjekte im Orbit, die größer sind als 10 cm, dazu kann zum Beispiel im All verloren gegangenes Werkzeug zählen. Ganz andere Dimensionen nimmt die Anzahl noch kleinerer Objekte an: Stolze 131 Millionen Weltraummüllobjekte, die zwischen 1mm und 10 cm groß sind, z.B. Lackteilchen, befinden sich im Orbit. Von den 8.300 Satelliten, die im Orbit ihre Runden drehen, funktionieren nur noch 5.400.8 Wenn Satelliten und andere Raumfahrtobjekte ausgedient haben, stehen ihnen zwei Friedhöfe zur Verfügung: Entfernte Satelliten befördern sich mit ihrem Resttreibstoff in den Friedhofsorbit im All – mittlerweile entwickeln unterschiedliche Staaten und Unternehmen weitere Technologien, um Satelliten in den Friedhofsorbit zu befördern, wie z.B. durch den Einsatz von Greifarmen (siehe Pablo Flock). Große, nähere Raumfahrtobjekte, die nicht beim Wiedereintreten in die Atmosphäre verbrennen, werden über dem Weltraumfriedhof Point Nemo im Pazifischen Ozean zum Absturz gebracht – dieser befindet sich zwischen Neuseeland und Chile in der größtmöglichen Distanz zu Landmassen. Allein bis 2016 ließen unterschiedliche Staaten dort mehr als 260 Weltraumfahrzeuge kontrolliert abstürzen.9 Auch wenn Point Nemo nicht der artenreichste Ort des Ozeans ist, so bliebt es eine umweltpolitisch fragwürdige Vorstellung, dass der Pazifik als Müllhalde der Raumfahrt genutzt wird. Doch nicht immer gelingt der kontrollierte Absturz. So landete z.B. ein Rohr der chinesischen Langer Marsch 5 Rakete auf dem Dach eines bewohnten Hauses in der Elfenbeinküste10. Und nicht immer ist Point Nemo Ziel des Absturzes: Im Jahr 2016 erregte der geplante Absturz eines Teils einer russischen Satellitenrakete Aufsehen, der in der kanadischen Arktis abstürzen sollte. Die Inuit Circumpolar Commission, die sich zur Verwaltung des Gebietes bildete, wehrte sich gegen dieses arrogante Vorgehen. Ihr Vertreter Okalik Eegeesiak betonte, dass die Rakete nicht ins Niemandsland fallen würde, sondern dass das Gewässer ihre Heimat sei: „Dies ist ein lebenswichtiges Gewässer, das für die Nahrungsmittelversorgung der Inuit-Gemeinschaften in Grönland und Kanada unerlässlich ist. Inuit leben hier, Inuit nutzen die Tiere in diesen Gewässern, um ihre Familien zu ernähren.“11 Das betroffene Gebiet, die Polynja Nordwasser, gilt als das biologisch produktivste Ökosystem nördlich des Polarkreises. Trotz der Zusicherungen vonseiten der russischen Botschaft bestand die Sorge, dass der hochgiftige Hydrazin-Treibstoff beim Auftreffen auf die Erde eben nicht komplett verbrannt werde, da Wissenschaftler*innen festgestellt haben, dass in der Regel 10% unverbrannt blieben.12
Wenn die Ozeane smart werden
Abgesehen von dem Weltraumfriedhof im Pazifik, wirkt sich die militärische Nutzung des Weltraums verstärkt auf die Ozeane aus – denn die Satelliten können die Ozeane „smart“ und „digital“ machen. Der Beigeordnete Generalsekretär der NATO für Verteidigungsinvestitionen, Camille Grand, hob bei ersten Treffen des 2019 eingerichteten Innovationsbeirats der NATO für unbemannte maritime Systeme (MUS) hervor: „Ein digitaler Ozean ist ein gutes Beispiel für eine Gelegenheit, neue und aufkommende Technologien zu nutzen, um unseren operativen Vorteil zu erhalten.“13 Das 2021 präsentierte Digital Ocean Concept der NATO „sieht maritime Domain Awareness, Unterwassersensoren, unbemannte Überwasserschiffe, Drohnen und Satelliten vor und nutzt neben konventionellen Mitteln auch KI, Big Data und autonome Systeme“.14 Ähnliche Bestrebungen verfolgte die EU mit dem Forschungsprojekt OCEAN2020, das an einem möglichen Einsatz unbemannter und autonomer Systeme zur maritimen Überwachung und Aufklärung forschte. Aus der im März 2022 veröffentlichten aktualisierten Joint All-Domain Command and Control (JADC2) Strategie des US-Verteidigungsministeriums geht hervor, dass die US Navy die Nutzung der unbemannten und autonomen maritimen Systeme vorantreibt, die durch weltweite Kommunikationsnetzwerke und abgedeckten Bandbreitenbedarf global einsetzbar sein sollen.15 Zur militärischen Aufklärung der Tiefen der Ozeane plant das US-Militär vermehrt Radar und Sonar zu nutzen. Dr. Masha Green, die Wissenschaftlerin, die als Erste auf die tödliche Auswirkung des von der Navy eingesetzten Sonars auf Wale aufmerksam machte, warnt, dass der geplante satellitengestützte und militärisch genutzte „smarte Ozean“ in eine Umweltkatastrophe münden könnte.16 So fördern die Wale die Produktion von Phytoplankton, das die Grundlage der marinen Nahrungskette darstellt. Es produziert etwa die Hälfte des in der Atmosphäre enthaltenen Sauerstoffs und bindet Unmengen an CO2: „Selbst ein Anstieg der Produktivität des Phytoplanktons um 1 % dank der Aktivität der Wale würde mindestens Hunderte Millionen Tonnen zusätzliches CO2 pro Jahr binden, was dem plötzlichen Auftreten von 2 Milliarden ausgewachsenen Bäumen entspricht.“17
Wir können hoffen, dass die Stimmen derjenigen, die in den Himmelkörpern mehr als nur finanzielle Gewinnquellen sehen, lauter werden. Laut dem Weltklimarat bleiben uns acht Jahre, um radikale Emissionssenkungen durchzuführen. Statt sich in Ausflüchte und ins Weltall zu flüchten, muss ein Umdenken hier auf diesem Planeten geschehen. Dazu zählt, dass wir die Frage stellen, was für eine Nutzung des Weltraums wirklich zum Erhalt dieses Planeten beiträgt, wenn wir nicht einfach nur satellitengestützt aufzeichnen wollen, wie wir ihn zu Grunde richten.
Anmerkungen:
1 Mirjam Hecking: Jeff Bezos will Schwerindustrie ins Weltall auslagern, manager-magazin.de , 1.6.2016
2 Die Umweltüberwachung aus dem Weltraum wird ein Ausmaß annehmen, das wir uns im Moment noch gar nicht vorstellen. Interview mit Marco R. Fuchs, ohb.de, 26.3.2019
3 Heike Westram: Weltraumtourismus. Den höchsten Preis bezahlt die Umwelt, ardalpha.de, 22.10.2021
4 Westram
5 Westram
6 J.A. Dallas, S. Raval, J.P. Alvarez Gaitan , S. Saydam, A.G. Dempster: The environmental impact of emissions from space launches: A comprehensive review, in: Journal of Cleaner Production, Volume 255, Mai 2020, DOI:10.1016/j.jclepro.2020.120209
7 J.A. Dallas
8 Ebd.
9 Volker Zota: Zahlen, bitte! Point Nemo – Raumschiff-Friedhof am abgelegensten Punkt der Erde, heise.de, 18.6.2019
10 Tory Shepard: Thousands of kilometres from anywhere lies Point Nemo, a watery grave where space stations go to die, theguardian.com, 2.9.2021
11 Bob Weber: Inuit angered by Russian rocket splashdown in the Arctic, theglobeandmail.com, 3.6.2016
12 Ebd.
13 Maritime Unmanned Systems Innovation Advisory Board discuss NATO innovation in the maritime domain, nato.int, 9.11.2021
14Maritime Unmanned Systems Innovation Advisory Board discuss NATO innovation in the maritime domain, nato.int, 9.11.2021
15 DoD: Summary of the Joint All-Domain Command & Control (JADC2) Strategy, März 2022
16 Christine Albers: A Whale of a Story: Ocean Mammal Institute Scientist Warns of Damage to Ocean Life, iowasource.com, 6.12.2021
17 Koohan Paik-Mander: Whales Will Save Climate — Unless the Military Destroys Them First, laprogressive.com, 14.12.2021