Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2022/029

Erste Einschätzung zum Eklat in Mali

Umstrittene Einschränkung internationaler Truppenbewegungen

Christoph Marischka (15.07.2022)

Seit einigen Tagen schlagen die Wellen hoch in der Berichterstattung zu Mali. Auslöser war zunächst die Tatsache, dass am Sonntag (10. Juli 2022) 49 ivorische Staatsbürger und Angehörige der ivorischen Streitkräfte auf dem Flughafen Bamako festgenommen wurden. Nach Angaben der malischen Putsch-Regierung wird ihnen Söldnertum vorgeworfen. In westlichen Medien hieß es zunächst hingegen mehrfach, es habe sich um Angehörige der UN-Mission (MINUSMA) vor Ort gehandelt, mittlerweile ist von einer „UN-Wachmannschaft“ die Rede. Nach Angaben der UN habe es sich nicht um Soldaten gehandelt, die zum MINUSMA-Kontingent gehören, sondern Angehörige eines „nationalen Unterstützungselements“, was durchaus üblich und deren Rotation bislang problemlos abgelaufen sei. Offenkundig waren die ivorischen Soldaten bereits zuvor beim Schutz einer Liegenschaft eingesetzt worden, auf dem u.a. auch ein deutsches Truppenkontingent und ein von einem deutschen Reservisten gegründetes Logistikunternehmen untergebracht sind.

Vier Tage später gab die malische Regierung bekannt, vorerst alle Rotationen im Rahmen der MINUSMA auszusetzen – also die Ein- und Ausreise von Angehörigen der Mission nicht zu genehmigen – und mit der UN in Verhandlungen über die damit verbundenen Formalitäten zu treten. Die UN bestätigte den Eingang einer entsprechenden Mitteilung und dass sie zu entsprechenden Gesprächen bereit wäre.

Eine weitere Zuspitzung zumindest in deutschen Medien erhielt der Konflikt am heutigen Freitag, als bekannt wurde, dass „acht deutsche Soldaten an der Ausreise gehindert“ worden seien – so die dpa. Entsprechende Darstellungen, wonach sie von malischen Behörden „aufgehalten“ worden seien, fanden sich auch auf den Webseiten des österreichischen Standard sowie englischsprachig etwa bei MSN. Das Bundesverteidigungsministerium relativierte hingegen, die Ausreise sei aufgrund einer „unklaren Situation am Flughafen“ „verschoben“ (postponed), aber nicht aktiv von malischen Behörden verhindert worden. In bundeswehrnahen Foren schlugen dessen ungeachtet die Wellen hoch, wurde schon von „Geiselhaft“ gesprochen und dass die deutsche Staatsanwaltschaft tätig werden sollte.

Diesen empörten Stimmen soll hier entgegengehalten werden, dass es das verbriefte Recht eines jeden Staates ist, die Ein- und Ausreise bewaffneter Kräfte und Angehörige ausländischer Streitkräfte zu überwachen und einzuschränken. Dasselbe gilt – leider – auch für die Einreise unbewaffneter Menschen wie Wanderabreiter*innen und Geflüchteter, wobei dem im letzten Falle durch das Asylrecht eigentlich enge Grenzen gesetzt sind.

Auf dem Gebiet der sog G5-Sahel-Staaten (Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad) hat sich in den letzten Jahren jedoch durch militärische und andere „sicherheitspolitische“ Interventionen ein gänzlich anderes Migrationsregime herausgebildet: Durch ein komplexes Netzwerk internationaler Truppenkontingente, grenzüberschreitender Militäroperationen und multilateraler Einsatzformationen haben sich westliche Streitkräfte und deren lokale Verbündete eine grenzüberschreitende Mobilität erschlossen, während sie zugleich Maßnahmen anstoßen und fördern, um die grenzüberschreitende Mobilität der lokalen Bevölkerung und ziviler Angehöriger von Drittstaaten einzudämmen. Man braucht nur die Bundestagsdebatten zu den Mali-Einsätzen der Bundeswehr nachzulesen oder die Effekte der europäischen Sicherheitspolitik im Norden der Republik Niger anzusehen, um den Stellenwert und die Folgen der Migrationsbekämpfung nachzuvollziehen.

Demgegenüber hat insbesondere Frankreich mit der Ausweitung seiner Operation Serval in Mali auf die gesamten G5-Staaten (Operation Barkhane) einen grenzüberschreitenden Raum militärischer Mobilität geschaffen. Die französischen Spezialkräfte haben dabei sowohl mit den offiziellen Streitkräften der G5-Staaten als auch eher informellen bewaffneten Gruppen zusammen operiert. Nachweisbar haben sie in Gefechtssituationen mehrfach kurzfristig und grenzüberschreitend mit Kampfhubschraubern, Drohnen und Flugzeugen – z.B. zur Unterstützung US-amerikanischer Spezialkräfte in Begleitung privater Sicherheitskräfte – interveniert. Ebenfalls nachweisbar ist, dass z.B. beim Tod Angehöriger der tschadischen Streitkräfte oft Unklarheit herrschte, ob diese unter dem Mandat der MINUSMA oder als Unterstützungselement von Barkhane im Einsatz waren. Dass Barkhane im Rahmen der Operation Takuba durch weitere Spezialkräfte aus EU-Mitgliedsstaaten unterstützt wurde, hat die Situation für die malischen Behörden sicherlich nicht übersichtlicher gemacht.

Auch die UN-Mission MINUSMA mit gut 14.000 (offiziellen) bewaffneten Kräften aus verschiedenen Staaten mit unterschiedlichen legalen und bürokratischen Verfahren bedingt eine komplexe Logistik der Truppenverlegungen und – formal betrachtet – eine umfangreiche Bürokratie auf Seiten des betroffenen Staates. Dass die Grenzen zwischen Angehörigen des eigentlichen (in den entsprechenden UN-Resolutionen definierten) Kontingents, privaten Dienstleistern und z.B. „nationalen Unterstützungskomponenten“ fließend ist, offenbaren nicht nur die jüngsten Vorfälle, sondern auch die Mitteilungen über Verluste unter den UN-Kräften der letzten neun Jahre: Hier wurden einerseits oft auch sog. „Contractors“ aufgeführt, zugleich entspricht die Zahl der darin vermeldeten Verlusten bei der MINUSMA bei weitem nicht der kumulierten Zahl der in den Einzelmeldungen angegebenen Verlustmeldungen. Es gab in den vergangenen Jahren auch immer wieder (glaubwürdige) Gerüchte, dass Angehörige deutscher Spezialkräfte als Teil des MINUSMA-Kontingents eingereist wären, um grenzüberschreitend auch in Niger und Burkina Faso tätig zu werden. Es ist schwer vorstellbar, dass malische (oder nigrische) Behörden tatsächlich den alltäglichen Verkehr zwischen den dem deutschen MINUSMA- und französischen Barkhane-Kontingenten in Gao und dem gemeinsamen Luftdrehkreuz im benachbarten Niger tatsächlich kontrollieren könnten. Grundsätzlich steht die meist in UN-Resolutionen nach Kapitel VII erklärte Zielvorstelluntg der „Stärkung der nationalen Souveränität“ des Einsatzlandes zumindest in einem Spannungsverhältnis mit den bürokratischen Erfordernissen, welche die mit UN-Missionen einhergehende militärische Logistik an die – meist in multiplen Krisen anderweitig beschäftigten – Bürokratien stellt.

Die Verhaftung der ivorischen Soldaten unter dem Vorwurf des Söldnertums ist zweifellos eine harte, eskalierende Maßnahme des malischen Regimes. Begründet wird sie allerdings mit bürokratischen Unklarheiten wie unterschiedlichen Berufsbezeichnungen der einreisenden Personen/Soldaten. Außerdem wird einigen zumindest unterstellt, Angehörige der ivorischen Spezialkräfte zu sein, was für einen vorgesehenen Einsatz für den Schutz einer Liegenschaft zumindest Fragen aufwirft.

So lässt sich der aktuelle Konflikt zwischen der malischen Putsch-Regierung, der MINUSMA und einigen truppenstellenden Staaten einerseits als legitime Inanspruchnahme souveräner Rechte interpretieren oder auch als von Russland forcierte paranoide Überreaktion – die angesichts der französischen Geschichte offener und verdeckter Operationen auf dem afrikanischen Kontinent zumindest in Teilen nachvollziehbar erscheint. Interessant ist auch die Frage, warum die – zunächst eher harmlos erscheinende – Verzögerung der Ausreise von acht Soldaten der Bundeswehr in diesem Moment und sicherlich nicht ohne Mitwirken des BMVg zum Politikum wird. Kann die hiermit diskursiv und lokal inszenierte Eskalation als Einstieg in den Abzug der Bundeswehr aus MINUSMA oder einen konfontativeren Ansatz gegenüber Mali dienen. Oder beides?

Anmerkungen

In diesem zugegeben eilig verfassten Beitrag werden zur aktuellen Lage viele Quellen verwendet, die Thomas Wiegold auf seinem Blog augengeradeaus.net zugänglich gemacht hat. Auch die wiedergegebene Stimmung in entsprechenden Foren bezieht sich v.a. auf Kommentare dort (vgl.: https://augengeradeaus.net/category/afrika/ (Datum beachten)). Zur globaleren Einordnung der Lage vor der jüngsten Eskalation s. IMI-Standpunkt 2022/028 von Pablo Flock.

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