Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2022/028

Eisige Töne trotz Tauwetter im Sahel

Malis ECOWAS-Sanktionen gelockert, doch diplomatischer Tiefdruck wegen ivorischer Soldaten

Pablo Flock (14.07.2022)

Eigentlich schienen der Tiefpunkt überkommen und sich die Beziehungen zwischen der Militärjunta Malis und den Regierungen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), zu der Mali zwar gehört von deren Gremien es aber zur Zeit suspendiert ist, wieder aufzuwärmen.

Nach ihrem zweiten Putsch im letzten Jahr hatte die Junta einen Übergangsplan von ursprünglich vier Jahren vorgelegt, woraufhin die ECOWAS das Land mit schweren Sanktionen belegte. Diese beinhalteten die Schließung aller Grenzen und des Flugverkehrs, sowie einen auf essentielle Güter (Lebensmittel und Medikamente) reduzierten Handel zwischen Mali und den benachbarten Mitgliedsstaaten Senegal, Elfenbeinküste und Niger.

Die ebenfalls nach Putschen suspendierten benachbarten Länder Guinea und Burkina Faso beteiligten sich nicht am Embargo. Auch Guineas Putschisten waren sanktioniert worden und teilen mit Malis Junta die vermeintlich antikoloniale Rhetorik gegen die ECOWAS. Im Falle Malis war die ECOWAS besonders streng und hatte dessen Währungsreserven bei der Westafrikanischen Zentralbank und den Zentralbanken der Mitgliedsländer eingefroren. Individuen der Putschisten-Regierung wurden mit Sanktionen (Reiseverbote, Einfrierung persönlicher Bankguthaben) belegt – woran sich auch Frankreich beteiligte. Außerdem waren die Botschafter der Länder abgezogen – der Botschafter Frankreichs wurde ausgewiesen.

Versöhnlicher Übergangsplan

Nun, nachdem Mali einen neuen Zeitplan für den Übergang zur Demokratie vorlegte, der ein Referendum für eine neue Verfassung und Parlamentswahlen im Jahr 2023 sowie Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2024 vorsieht, hoben die Regierungschefs der ECOWAS am 3. Juli die schwersten der Sanktionen auf.

Die Grenzübergänge zwischen den benachbarten Mitgliedsländern und Mali werden wieder geöffnet und der uneingeschränkte Warenverkehr wieder hergestellt. Auch die finanziellen Transaktionen und der Zugriff auf die Staatsreserven im Ausland scheinen wieder hergestellt zu sein. Die Botschafter kehren ebenfalls zurück. Einzig die Suspendierung des Stimmrechts innerhalb des Staatenbunds und die individuellen Sanktionen gegen die Putschisten bleiben bestehen. (Eine offizielles Dokument dazu ist noch nicht auf der Seite ecowas.int zu finden.Doch renommierte Medien wie die BBC berichteten über die jetzige Einigung. Bei einem Treffen im März wurde eine Übergangszeit bis 2024 noch abgelehnt.)

Dies ist definitiv ein Erfolg für Mali. Wie Paul Melly, Afrika Ansprechpartner der Denkfabrik Chatham House, für die BBC schrieb, trafen die Sanktionen durchaus auch die Bevölkerung. „Obwohl die Maßnahmen nicht darauf abzielten, die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern einzuschränken, stellten sie in der Praxis eine zusätzliche Belastung für Händler und Familien dar, die bereits mit dem Anstieg der Weltmarktpreise für Getreide und Kraftstoffe zu kämpfen hatten, der durch die wiederauflebende weltweite Nachfrage nach der Pandemie und den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöst wurde.“

Militär für’s Volk & Volk für’s Militär?

Insgesamt kann die malische Militärregierung die Auseinandersetzung mit der ECOWAS und den nicht freundlich gesonnenen Nachbarregierungen als Erfolg verbuchen. Als die Sanktionen verhängt wurden, hatten Tausende in Bamako und anderen Städten gegen diese und für den Übergangsplan der Militärregierung demonstriert. Das von der Regierung verfolgte Narrativ, die ECOWAS sei eigentlich der verlängerte Arm Frankreichs, erfreute sich schon zuvor großer Beliebtheit – was in Anbetracht des großen Einflusses, den Frankreich auf viele der Regierungen hat, nicht einfach von der Hand gewiesen werden kann.

Nach Melly nutzen die malische Militärführung und Premierminister Choguel Maïga „diese Wahrnehmung in der Bevölkerung geschickt aus, um sich als Verteidiger des Volkes gegen tyrannische Nachbarn darzustellen, welche die Notwendigkeit eines radikalen Wandels in einem Land nicht erkannten, dessen traditionelle Elite angeblich durch Korruption und Selbstgefälligkeit verrottet war.“

Das zambische Nachrichtenportal IOL, das der aktuellen malischen Regierung offensichtlich eher positiv gesonnen ist, behauptet zudem, dass die Sanktionen auch den Nachbarländern Elfenbeinküste und Senegal zu schaffen gemacht hätten. Da das Binnenland Mali seinen Handel zu den Häfen in Mauretanien und Guinea umleiten musste, verloren diese beiden Länder, über deren Hafeninfrastruktur zuvor viel malischer Handel lief, natürlich Umsätze.

Umgekehrt, freut sich das Blatt, dass Mali sich recht resistent gegenüber den Sanktionen zeigte. Laut Weltbank hat es im letzten Jahr, trotz Sanktionen, ein solides Wirtschaftswachstum von 3,1% hingelegt.

Zwei Schritte vor und einen zurück

Jedenfalls hat mit dem letzten Gipfeltreffen der ECOWAS-Staatschefs eine neue Phase der Kooperation der Regionalorganisation und ihrer Mitgliedsstaaten mit der Militärjunta in Mali begonnen. Übrigens wurde auch der Übergangsplan der Militärregierung in Burkina Faso akzeptiert. Sanktioniert war dieses Land, abgesehen von einem suspendierten Stimmrecht, jedoch nicht. Der Übergangsplan Guineas hingegen wurde zur Überarbeitung zurückgewiesen und die Sanktionen gegen die Putschisten bleiben bestehen.

Im Falle Malis, das zuvor mit den härtesten Sanktionen belegt war und nun weitgehend rehabilitiert ist, scheint der versöhnliche Moment jedoch keine Abkehr vom souveränistischen Weg, der auf Misstrauen gegenüber europäischen und Nachbarländern setzt, zu bedeuten. Jedenfalls sorgte eine Pressemitteilung, wonach das malische Militär 49 ivorische Soldaten festsetzte, für viel Empörung – nicht nur im Verteidigungsministerium der Elfenbeinküste, sondern auch bei der Stabilisierungsmission der Vereinten Missionen in Mali (MINUSMA) sowie beim deutschen Verteidigungsministerium. Und tatsächlich betrifft das Vorkommnis auch die Bundeswehr.

Putsch gegen Putschisten?

Die malische Regierung behauptet in dem Communiqué zu dem Fall, dass sie „Dank der Professionalität der malischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte“ festgestellt hätten, „dass sich die neunundvierzig (49) ivorischen Militärangehörigen illegal auf dem Staatsgebiet Malis befanden.“

Die Soldaten, „darunter etwa 30 Angehörige der Spezialeinheiten,“ wären „im Besitz von Kriegswaffen und -munition ohne Einsatzbefehl oder Genehmigung“ gewesen.

Außerdem sei „der tatsächliche Beruf der Soldaten […] größtenteils verschleiert“ gewesen. So hätten auf den Pässen alle möglichen Berufe gestanden, von Student über Verkäufer bis Wachmann. Die Begründungen, warum sie sich auf malischem Territorium befänden, hätten zwischen „vertrauliche Mission, Rotation im Rahmen der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA), Sicherung der Logistikbasis der Fluggesellschaft ‚Sahelian Aviation Services‘ und Schutz des deutschen Kontingents“ variert.

Die malischen Behörden sprachen deshalb von „Verfehlungen und Verstößen“ bei der Entsendung der Soldaten und betrachtet diese deshalb „als Söldner, wie sie in der OAU-Konvention über die Beseitigung des Söldnertums in Afrika definiert sind.“ Es wird behauptet, „die verhängnisvolle Absicht der festgenommenen Personen“ bestehe darin, „die Dynamik der Neugründung und der Sicherung Malis sowie der Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung zu brechen.“

Aussage gegen Aussage

Der bundeswehrnahe Blog Augengeradeaus, von dem die obigen Übersetzungen des Communiqués stammen, kontrastiert diese Aussagen mit einer offiziellen Mitteilung des ivorischen Verteidigungsministeriums. Nach diesem seien die Festgenommenen „ordnungsgemäß in der ivorischen Armee registriert“ und befänden sich „im Rahmen der Operationen der Nationalen Unterstützungselemente (NSE) in Mali.“ Dies geschehe „im Einklang mit den Mechanismen zur Unterstützung der Kontingente der truppenstellenden Länder im Rahmen von Friedenssicherungsmissionen“ und sei „den malischen Behörden wohlbekannt.“ Seit 2019 seien aufgrund eines „zwischen der Elfenbeinküste und den Vereinten Nationen unterzeichneten Abkommens und gemäß einem mit der Société Sahel Aviation Service (SAS) unterzeichneten Vertrag[s] über die Sicherung und logistische Unterstützung ivorische Soldaten am Flughafen von Bamako präsent.“ Die letzten sieben periodischen Wechsel der Sicherheitskräfte sei „ohne jegliche Schwierigkeiten“ verlaufen und auch dieses Mal sei „den malischen Flughafenbehörden eine Kopie des Missionsbefehls des Kontingents übermittelt“ worden. Ebenso hätten das „Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit sowie der Generalstabschef der malischen Streitkräfte“ ein Kopie erhalten.

Auch der MINUSMA-Sprecher Olivier Salgado eilte den Ivorern zur Seite und bestätigte via Twitter: „Diese Soldaten sind seit mehreren Jahren im Rahmen einer logistischen Unterstützung im Auftrag eines unserer Kontingente in #Mali eingesetzt.“ Bezüglich der Kommunikation zwischen den Staaten versicherte er: „Unseren Informationen zufolge soll ihre Ablösung am 10. Juli zuvor den nationalen Behörden mitgeteilt worden sein.“

Wie es folgende Information in die malische Verlautbarung geschafft hat, die Augengeradeaus übrigens mit einem einfachen „[…]“ vernachlässigt, die aber vom malischen Medium maliactu.net zitiert wird, bleibt somit mysteriös. Hier wird behauptet, dass „Verantwortliche der malischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte sofort ihre ivorischen Kollegen kontaktiert haben. Diese behaupteten, dass sie nichts von der Anwesenheit der in Mali festgenommenen ivorischen Militärangehörigen wussten“. Darüberhinaus erklärt das Dokument: „befragt durch die malischen Behörden, gab die MINUSMA an, dass sie am 10. Juli 2022 keine geplante Rotation hatte.“

Soldaten oder Söldner

Das offizielle Narrativ der Regierung der Elfenbeinküste sowie der MINUSMA und der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, dass die ivorischen Menschen und Waffen letztendlich für den Schutz der von einem ehemaligen deutschen Hauptmann geführten, Firma Sahel Aviation Services (SAS) und damit auch für das in deren Gelände eingemietete, deutsche Kontingent, geplant waren, scheint den malischen Behörden auch bei ihrer Veröffentlichung schon bewusst gewesen zu sein. Immerhin beinhaltet die Mitteilung direkt die Forderung, dass das Geländer der Airline nicht mehr durch ausländische Kräfte bewacht werde, diese das Land verlassen und sich die Firma auf die Bewachung durch malische Sicherheitskräfte verlassen müsse.

Ob das Motiv für die Aktion der malischen Regierung wirklich
– ein „fehlendes Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit im Rahmen von MINUSMA“ ist, wie es Lambrecht behauptet, oder
– die ivorische Regierung und SAS tatsächlich in der Kommunikation mit den Behörden versagt haben,
– es eine weitere Zurschaustellung der eigenen Souveränität und nationalistisches Aufwiegeln der Bevölkerung war,
– oder die Bewaffneten letztendlich doch für staatsgefährdende Aktionen eingeflogen wurden,
lässt sich aus der Distanz alles nicht sagen.

Die Affäre zeigt jedoch recht gut, dass die Klassifikation von Sicherheitskräften im Dienst privater Firmen, die eben nicht in den offiziellen Kontingenten gezählt werden, nicht immer ein einfaches Unterfangen ist. In diesem Zusammenhang fällt besonders die Skandalisierung der russischen Militärausbilder ins Auge, die in westlichen Medien oft als Söldner der Wagner-Gruppe benannt werden und/oder deren undurchsichtige Zugehörigkeit beklagt wird.
Doch die Suppe scheint auf beiden Seiten ähnlich trüb.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de