Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2022/004

Schweigen gegenüber dem Schlachten im Sudan

Pablo Flock (10.02.2022)

Angesichts von mittlerweile 79 Toten bei Demonstrationen gegen die Militärherrschaft in dem nordafrikanischen Land findet die EU nur gemäßigte Worte. Mit den für Verbrechen an der Menschlichkeit verantwortlichen Militärherrschern verbindet sie ein Flüchtlingsdeal.

Im Sudan reißen die Massenproteste gegen die Militärführung nicht ab. Wöchentlich gehen Zehntausende auf die Straßen und fordern eine uneingeschränkt zivile Regierung. Die Putschisten-Regierung unter General Abdel Fattah al-Burhan, die am 25. Oktober 2021 die selbst eingesetzte Übergangsregierung unter Premier Abdalla Hamdok wieder absetzte, hält aber an ihrer Macht fest und lässt scharf auf Demonstranten schießen. Und was tut die internationale Gemeinschaft derweil?

Vermittlungsversuche tappten bisher ins Leere. Die Fronten sind verhärtet: Den von den Vereinten Nationen Anfang dieses Jahres angebotenen Dialog mit den Militärs lehnten führende Protestorganisationen wie die Sudanese Professionals Association ab – ganz nach der auf der Straße beliebten Parole: „Keine Verhandlungen. Kein Kompromiss. Keine Machtteilung!“1 Die Militärs sind ebenso wenig bereit, nachzugeben und schießen wiederholt auf friedliche Demonstrierende.

Viel Blut für die Demokratie

Insgesamt starben seit dem letzten Coup im Oktober 2021 mindestens 79 Demonstranten, 17 allein in den ersten 17 Tagen diesen Jahres. Und dies ist nur die Spitze des Eisbergs von weiteren Massakern der Militärjunta, welche die Ruder seit der Absetzung des langjährigen Diktators Omar al-Bashir im April 2019 in der Hand hält. Zum Beispiel löste die berüchtigte Miliz Rapid Support Forces (RSF) im Juni 2019 eine Sitzblockade vor dem Armeehauptquartier kurzum durch Schüsse in die Menge auf. Dabei starben rund 120 Menschen, wie lokale Ärzte berichten.2

Der Anführer der Miliz ist mittlerweile die Nummer zwei in der militärischen Doppelspitze.

Die internationale Staatengemeinschaft, allen voran die wert- und wortschweren Europäer, hält sich angesichts so viel für Demokratie vergossenen Blutes erstaunlich bedeckt. Natürlich veröffentlichte die EU, gemeinsam mit der Troika aus Norwegen, Großbritannien und den USA, Anfang des Jahres eine Stellungnahme, in der die Gewalt gegen Demonstrierende, Angriffe auf Krankenhäuser, freie Presse usw. verurteilt werden und Rechenschaft dafür gefordert wird.3

Und natürlich wurden ähnliche Forderungen und die nach einer zivilen Regierung auch in deutschen Regierungspressekonferenzen wiedergegeben.

Stolz gibt man dort sogar an, sich „seit dem Sturz des Baschir-Regimes stark für den Wandel in Sudan engagiert“ zu haben. Auf der Berliner Sudan-Konferenz habe man 1,8 Milliarden US-Dollar für das Land organisiert und generell würde „unser Engagement für die Transition und unser Engagement für Sudan davon abhängen, dass der vereinbarte Prozess der Transition zur Demokratie mit einer zivil geführten Regierung fortgesetzt wird.“4 Doch dafür tut man im Moment doch recht wenig.

Sanktionen nach geopolitischem Belieben

Dass das auch anders geht, zeigt ein kurzer Blick auf Mali, das einige hundert Kilometer westlich, wie der Sudan, in der Sahelzone liegt. Auch dieses Land wird von einer Putschisten-Regierung geführt und auch hier wurde in den letzten Tagen demonstriert. Die großen Massen gingen hier jedoch zu den von der Junta aufgerufenen Demonstrationen gegen die Sanktionen, die die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft dem Land auferlegt hat, weil die Militärs die für Februar angesetzten Wahlen für nicht durchführbar halten.5

Frankreich, die USA und die EU unterstützen die Sanktionen gegen die malische Junta und versuchten solche zudem auch im UN-Sicherheitsrat durchzusetzen. Diese scheiterten jedoch am Veto von Russland und China.

Das ist keine Überraschung, hört man die Stimmen, die behaupten, es ginge mit den Sanktionen viel weniger darum, Wahlen zu erzwingen, als die malische Junta für ihre Entscheidung zu bestrafen, die Sicherheitssituation im Land nun mit der Hilfe russischer Militärausbilder der Wagner-Gruppe unter Kontrolle bekommen zu wollen.6

Sei es aus geopolitischem Interesse oder einem sonderbaren demokratie-theoretischen Unterschied: Offensichtlich ist, dass eine Übergangsregierung aus Putschisten und Vertretern der Straßenbewegung, die gegen den malischen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta im Jahre 2020 protestierte, viel härter sanktioniert wird als die Putschistenregierung im Sudan, die sich ihres zivilen Teils entledigt hat – spätere Versuche sie wieder einzusetzen befriedeten die Protestierenden nicht – und massiv gegen die eigene Bevölkerung vorgeht.

Die genozidalen Freunde der EU

Als al-Burhan die Macht von al-Bashir übernahm, war es zudem ersichtlich, dass der damals etablierte Souveräne Rat keinen Bruch mit dem menschenverachtenden System al-Bashir darstellte. Im Gegenteil: Mit der Besetzung des Postens des stellvertretenden Vorsitzenden dieses Souveränen Rates durch Generalleutnant Mohamed Hamdan Dagalo war klar, dass die schreckenerregendsten Seiten des alten Regimes weitergeführt werden.

Dagalo, ab hier wie auf der Straße meist Hemedti genannt, ist der Kommandoführer der Rapid Support Forces (RSF), der institutionalisierte Ableger der Dschandschaweed Miliz, die für ihre grausame Rolle im Bürgerkrieg in Darfur international berüchtigt wurde und dabei auch teils von Hemedti geführt wurde. Wie unter seinem Vorgänger, dem mittlerweile in Den Haag der Prozess gemacht wird, verübte die Miliz unter Hemedti Angriffe auf Dörfer und Zivilisten, Plünderungen, Vergewaltigungen und an Völkermord grenzende ethnische Säuberungen in dem Bürgerkrieg, der rund 300.000 Menschenleben kostete.

Um die eigenen Interessen zu schützen, schreckt die Friedensnobelpreisträgerin EU jedoch, wie in Libyen und in anderen Regionen, nicht davor zurück, mit einem Regime zusammen zu arbeiten, in dem die dominante muslimisch-arabische Verwaltungsklasse ethnische und religiöse Minderheiten aggressiv unterdrückt. Der 2014 beschlossene Khartoum-Prozess, in dem die Verantwortung für die Migrationskontrolle den afrikanischen Herkunfts- und Transitländern übertragen wurde, ist das eindrücklichste Zeugnis dessen.

Waffen und Geld für Migrationskontrolle

Zwei Milliarden Euro wurden den strategisch wichtigen, meist in Nordafrika oder der Sahelzone liegenden Ländern in einem Fonds bereit gestellt, um Migranten schon vor Erreichen des Mittelmeers zu stoppen. Obwohl auch dieser Vertrag mit Feigenblatt-Artikeln für zivilgesellschaftliche Organisationen und gute Regierungsführung beschönigt ist, sind die Löwenanteile des Geldes für die Kontrolle der irregulären Migration und die Ausstattung der staatlichen Sicherheitskräfte reserviert, wie eine von Migration Control veröffentlichte Studie zeigt.7 Da die Regierung, wie in den meisten Ländern, für die Akkreditierung der NGOs zuständig ist, fließen die eigentlich für gute Zwecke gedachten Feigenblatt-Ausgaben zudem oft in undurchsichtige korruptionsanfällige Kanäle.

Die RSF unter Hemedti sind maßgeblich an der Grenzkontrolle beteiligt. Er selbst lieferte das beste Beispiel dafür, wie sehr lokale Eliten in neo-kolonialer Manier bereit sind, die schmutzigen Hände für den eigenen Machterhalt aufzuhalten: Im Jahr 2016 bestätigte er, dass der Sudan kein Eigeninteresse an der Migrationsbekämpfung habe und die EU deshalb mehr Geld zur Ausstattung seiner Truppe bereit stellen solle.8

Mit Strafen für Menschenschmuggel, die bis zu 20 Jahren Gefängnis und sogar bis zur Todesstrafe gehen,9 wird jede versuchte Festnahme von Menschenschmugglern bzw. Fluchthelfern zum Überlebenskampf, was auch die Gefahr für die Sicherheitskräfte sowie deren Verluste erhöht. Regelungen der EU, die eigentlich Leben und Menschenrechte der Migranten schützen sollen, führen somit zu kriegsähnlichen Situationen in Afrika.

Söldnergeld und Narrenfreiheit

Die militärische Doppelspitze des Sudans kann schon auf die finanzielle und technische Unterstützung von Ländern wie Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten zählen, denen sie als Bodentruppenlieferant im Jemen-Krieg das Kanonenfutter liefert, sowie von Ägypten und Israel, für die eine neo-koloniale Militärdiktatur im Sudan besser klingt als ein demokratischer Aufbruch in der Region.10

Zudem führt die Zusammenarbeit in der Migrationskontrolle, wie man es aus Libyen und der Türkei kennt, offenbar auch hier zur scheinbaren Machtlosigkeit gegenüber Regimen mit blutüberströmten Händen.

Das ist den Militärs bewusst. Dagalo aka Hemedti, dem dank der Massaker an den Protestierenden zudem der Name „Schlächter der Revolution“ verliehen wurde, scheut sich aber nicht, dies trotzdem nochmal auszusprechen: Europa und die USA müssten das Regime anerkennen, da ansonsten eine Flüchtlingskatastrophe drohe, drohte Dagalo im Dezember gegenüber Politico.11

Aller Erfahrung nach sollte das funktionieren. Demokratiebestrebungen stützt man doch eher in Ländern, die nicht nach den europäischen Grenzschutzregeln spielen wollen, wie in Weißrussland, und nicht in kollaborierenden Ländern – sei dies Ägypten oder die Türkei.

Zumindest in der Zivilgesellschaft sollten die mutigen Märtyrer auf den Straßen des Sudans jedoch Erwähnung finden. Sie stellen sich den skrupellosen Militärs immerhin waffenlos entgegen. Und solange die Militärs keine Konsequenzen ihres Handelns zu spüren bekommen, werden diese nicht von ihrem harten Kurs abweichen.

Anmerkungen

Dies ist eine aktualisierte und erweiterte Fassung eines Beitrages, der am 26. Januar 2022 auf Telepolis erschienen ist.

1 Sudan: Protest group rejects UN offer for talks with military. Associated Press ctvnews.ca 09.01.2022.

2 Sudan military admits dispersing sit-in, regrets ‚mistakes‘. AFP france24.com 14.06.2019.

3 Sudan: Statement by the High Representative/Vice President Josep Borrell on the latest situation eeas.europa.eu 18.01.2022.

4 Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 07.01.2022 auswaertiges-amt.de.

5 Malians demonstrate en masse after junta calls for protests over sanctions france24.com 14.01.2022.

6 Collective Sanctions Isolating Mali in the Sahel Sahara as Russia Rides the Wave of Anticolonialism panafricanvisions.com Dezember 2021.

7 Der Khartum-Prozess migration-control.info Mai 2021.

8 Sudan says it is combating illegal migration “on behalf of Europe” sudantribune.com 31.08.2016.

9 Im hier auf Englisch einsehbaren Gesetzestext: Combating of Human Trafficking Act, 2014.Sudan ilo.org.

10 Roettig, Gerd: Sudan: Staatsstreich gegen die Demokratisierung. Telepolis heise.de/tp 02.11.2021.

11 Rosca, Matei: Top Sudan general warns country could be source of refugee influx to Europe politico.eu 01.12.2021.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de