Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2021/51 - in: AUSDRUCK 8Dezember 2021)

Die „Wunderwaffe“ des Afghanistan-Krieges

Zwei Finger am Abzug: CIA vs. Pentagon

Elsa Rassbach (15.12.2021)

Artikel im IMI-Magazin AUSDRUCK (Dezember 2021)

Die ersten Pläne zur Bewaffnung von Drohnen stammen aus der Regierungszeit des demokratischen Präsidenten Bill Clinton. Für das Experiment wurde die „Predator“-Drohne der US-Rüstungsfirma General Atomics ausgewählt, die fast 24 Stunden in der Luft bleiben kann. Bereits unter Clinton waren Predator-Drohnen im Juni 1994 von den USA geflogen und im darauffolgenden Jahr von der NATO während des Bosnienkrieges auf dem Balkan zur Aufklärung eingesetzt worden.

Anfang September 2000 ermächtigte die Clinton-Regierung den US-Geheimdienst Central Intelligence Agency (CIA), Predator-Aufklärungsdrohnen nach Afghanistan zu entsenden, um Osama bin Laden ausfindig zu machen, der verdächtigt wurde, 1998 Anschläge auf US-amerikanische Botschaften in Tansania und Kenia finanziert und organisiert zu haben. Noch vor Ende des Monats gelang es mithilfe der Predators, bin Laden vier Stunden und 23 Minuten lang in Tarnak Farms, einem Al-Qaida-Lager in Afghanistan, zu observieren.

Die CIA drängte anschließend darauf, leichte Panzerabwehrraketen, sogenannte Hellfire-Raketen, an einer Predator-Drohne anzubringen, um bin Laden zu töten. Im Pentagon und bei der CIA stieß die Vorstellung bewaffneter Überwachungsflugzeuge jedoch auf große institutionelle Widerstände. Generalmajor George Harrison, der ehemalige Leiter des Operational Test and Evaluation Center der US Air Force, erklärte dem Journalisten Chris Woods: „Eine Bewaffnung würde von der Hauptaufgabe, nämlich der Aufspürung von Zielen, ablenken. Es gab daher starken – wirklich starken – Widerstand, ich kann es gar nicht genug betonen.“

Darüber hinaus wurden politische Attentate nach 1976, als der republikanische Präsident Ford die Executive Order 11905 erließ, nach US-Recht als illegal angesehen: „Kein Angestellter der Regierung der Vereinigten Staaten darf sich an politischen Attentaten beteiligen oder sich dazu verschwören.“ Die Fordsche Verordnung wurde als Reaktion auf die Enthüllungen nach Watergate erlassen, die mehrere Attentatsversuche der CIA auf den kubanischen Präsidenten Fidel Castro aufdeckten. Das Dekret wurde von den US-Präsidenten Carter und Reagan erneut bekräftigt.

Zur Zeit des Angriffs auf das World Trade Center am 11. September 2001 befanden sich die neuerdings bewaffneten Predator-Drohnen noch in der Erprobungsphase. Doch nach den Anschlägen erklärte das Weiße Haus, dass die präsidiale Direktive zum Verbot von Attentaten die Vereinigten Staaten nicht an der Selbstverteidigung hindern würde.

Und am 18. September 2001 unterzeichnete Präsident Bush die vom US-Kongress verabschiedete „Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt gegen die Verantwortlichen für die jüngsten Angriffe auf die Vereinigten Staaten“.  (Authorization for Use of Military Force), die einen Angriff gegen Al-Qaida in Afghanistan weitgehend legitimierte.

Knapp einen Monat später, am 7. Oktober 2001, lancierte das Pentagon Central Command (CENTCOM) in Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich die „Operation Enduring Freedom“ in Afghanistan. In dieser Nacht veranstaltete das CENTCOM ein gewaltiges Spektakel, an dem insgesamt etwa 40.000 Personen, 393 Flugzeuge und 32 Schiffe beteiligt waren, die lasergesteuerte Munition aus der Luft abwarfen und Tomahawk-Marschflugkörper vom Meer starteten. In derselben Nacht erhielt die CIA die Gelegenheit, den ersten bewaffneten Drohnenangriff in der Geschichte zu führen. Das Ziel war der Taliban-Gründer und Oberbefehlshaber Mullah Mohammed Omar in seinem Hauptquartier in Kandahar. Auf dem Gelände des Hauptsitzes der CIA in Langley, Virginia, steuerten Mitarbeiter der Air Force unter Anleitung von CIA-Analysten die Predator-Drohne von einem Stützpunkt in Usbekistan nach Kandahar, wobei die Befugnis zum „Abschuss“ möglicherweise beim CENTCOM lag.

Das erste Anzeichen für die Fehleranfälligkeit bewaffneter Drohnen war jedoch, dass die Predator-Drohne nicht das Hauptquartier von Mullah Omar traf, sondern stattdessen ein Fahrzeug außerhalb des Gebäudes zerstörte und mehrere Leibwächter tötete. Dem Taliban-Führer gelang im darauffolgenden Chaos die Flucht. Mullah Omar starb etwa zwölf Jahre später eines natürlichen Todes.

Im Laufe des nächsten Monats trafen die CIA-Drohnen mehr als 40 Ziele der Taliban und der Al-Qaida. Die US-Luftwaffe (USAF) warf der CIA jedoch vor, ihren ersten Drohnenangriff verpfuscht und Mullah Omar die Flucht ermöglicht zu haben, wobei die Air Force ihn in der ersten Nacht der Invasion leicht mit herkömmlichen Bomben hätte töten können. Mit dieser Begründung gelang es dem Pentagon, die partielle Kontrolle über das US-Drohnenprogramm in Afghanistan zu erlangen, um die Pentagon und CIA seit jenem

 ersten bewaffneten Drohnenangriff am 7. Oktober 2001 rivalisierten. Verschiedene US-Präsidenten bevorzugten entweder die CIA oder das Militär. In der Praxis etablierte sich eine Art Mischform der Kontrolle.

Eine tödliche „special relationship“

Am 14. November 2001 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1378, worin bestätigt wurde, dass den Vereinten Nationen eine „zentrale Rolle“ bei der Einrichtung einer Übergangsverwaltung in Afghanistan zukommen sollte. Zudem wurden die Mitgliedstaaten zur Entsendung von Friedenstruppen aufgefordert, um Stabilität und sicheren Zugang für Hilfslieferungen zu gewährleisten. Kanada, Australien, Deutschland und Frankreich sagten ihre künftige Unterstützung zu. Bis zum 17. Dezember 2001 war es den USA und ihren Verbündeten gelungen, die Taliban zu entmachten. Militärstützpunkte wurden quer durch das Land in der Nähe größerer Städte errichtet. Die Aufklärungs- und Zielerfassungseinsätze der Luftwaffen der Koalition wurden vom Gemeinsamen Luftkontrollzentrum (Combined Air Operations Center – CAOC) des USAF Central Command  auf der Al Udeid Air Base in Katar geleitet.

Am 20. Dezember 2001 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1386, kraft derer die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) eingesetzt wurde, um die militärischen Operationen im Land zu überwachen und die afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden. Als Hamid Karzai 2002 an die Macht kam und das Taliban-Regime ablöste, forderte er die bereits im Land befindlichen internationalen Streitkräfte zur Bekämpfung aufständischer Gruppen auf. Im August 2003 trat die NATO als Bündnis auf den Plan und übernahm die Leitung der ISAF. 

Die USAF hatte längst ihre eigene Drohne verlangt. Eine neue Drohne von General Atomics mit der vorläufigen Bezeichnung „Predator B“ wurde im Februar 2001 testgeflogen. Sie konnte länger in der Luft bleiben und 500-Pfund-Bomben sowie Hellfire-Raketen abfeuern. 2006 gab die USAF dieser Drohne den Namen „Reaper“(dt. Sensenmann), um keinen Zweifel daran zu lassen, dass es sich um die erste echte „Jäger-und-Killer“-Drohne handelte, tödlicher noch als das von der CIA entwickelte Modell. Am 1. Mai 2007 wurde das Geschwader „432d Wing“ der USAF auf der Creech Air Base in Nevada mit der Leitung der sich rasch ausweitenden unbemannten Missionen für Präzisionsangriffe und nachrichtendienstliche Aufklärung und Überwachung betraut. Wie wir seit den Enthüllungen des US-Whistleblowers Brandon Bryant im Jahr 2013 wissen, wurden Signale von und nach Creech Air Base über eine Satellitenrelaisstation auf der Ramstein Air Base in Deutschland an einen Satelliten weitergeleitet, der hunderte von Kilometern über der Erde kreist und der wiederum mit den Predator- und Reaper-Drohnen in Afghanistan, im Irak und anderswo kommuniziert.

Im September 2006 hatte das Vereinigte Königreich den US-Kongress um den Kauf eigener Reaper ersucht. Im Oktober 2007 wurde Personal der britischen Royal Air Force (RAF) auf die Creech Air Base in Nevada verlegt, um unter der Anleitung von Drohnenexperten der USAF die RAF-Reaper-Angriffe in Afghanistan durchzuführen. 2013 wurden die RAF-Einheiten von der Creech Air Base zur RAF-Basis Waddington in Lincolnshire, Großbritannien, verlegt. Es kam in Großbritannien zu Protesten, weil das Drohnenprogramm hierdurch „europäisiert“ wurde. Jedoch waren die Drohnen der USAF und der RAF sowieso interoperabel. Informationen aus britischen Quellen, einschließlich der RAF-Reaper-Überwachung, wurden mit den US-Streitkräften im CAOC ausgetauscht und unter Missachtung der für die britische Streitkräfte geltenden Einsatzregeln („Rules of Engagement“) zur Aufspürung von Zielen verwendet. Die Briten beteuerten, Drohnen vorwiegend zum Schutz der Truppen einsetzen zu wollen. Ende 2014 zogen die Briten alle RAF Reaper aus Afghanistan ab. Bis dahin hatte das Vereinigte Königreich insgesamt zehn Reaper erworben, die zusammen mehr als 500 Drohneneinsätze in Afghanistan flogen.

Nach dem 1. Januar 2015 ging das internationale Engagement in Afghanistan in eine neue Phase über. Die USA und die NATO starteten die Mission „Resolute Support“ (RSM) zur Ausbildung, Beratung und Unterstützung („Train, Advise, Assist“) der afghanischen Polizei und Armee: eine Mission, die angeblich keine Kampfeinsätze beinhaltete. Bis Oktober 2016 stellten 39 Länder Soldat*innen für die RSM zur Verfügung. Gleichzeitig begannen die USA ihre eigene Anti-Terror-Mission mit bewaffneten Drohnen in Afghanistan, um Al-Qaida und deren Verbündete zu jagen, aber auch zum Schutz der Streitkräfte. Die afghanische Luftwaffe wurde ab 2015 zur einzigen Streitmacht neben den USA, die Luftangriffe in Afghanistan durchführte.

Kaum Licht im Dunkel der Zahlen

In den zwei Jahrzehnten, die seit dem ersten bewaffneten Drohnenangriff am 7. Oktober 2001 vergangen sind, haben die USA in Afghanistan vermutlich weitaus mehr bewaffnete Drohnenangriffe durchgeführt, als in jedem anderen Land. Es ist nicht bekannt, wie viele Menschen in Afghanistan durch bewaffnete Drohnen getötet wurden, da die US-Regierung darüber wenig Informationen bereitstellt. Sicher scheint, dass die jährliche Zahl der durch Drohnen getöteten Menschen in Afghanistan und in anderen Ländern im Laufe der Zeit dramatisch angestiegen ist.

In den ersten Jahren nach dem CIA Drohnenangriff am 7. Oktober 2001 wurde das Drohnenprogramm von Präsident George W. Bush noch vergleichsweise klein und verdeckt fortgeführt, mit etwa 60 Drohnenangriffen in Afghanistan und in Pakistan. Die Obama-Regierung führte in ihrer Amtszeit zwischen 2009 und 2017 insgesamt mindestens zehnmal so viele Angriffe durch, auch in Ländern wie Jemen und Somalia, d.h. außerhalb „aktiver Konfliktzonen“ (designated zones of armed conflict) wie Afghanistan. Präsident Donald Trump hat die Drohnenangriffe im Vergleich zu Obama schätzungsweise vervier- bis verfünffacht.

Für bestimmte Zeiträume hat die US-Regierung die Zahl der Luftangriffe veröffentlicht, jedoch keine Information über den Ort des Anschlags oder wie viele Menschen getötet worden sind.

Wegen der fehlenden Information haben verschiedene NGOs und Journalist*innen versucht, die Zahl der Drohnenopfer unter Nutzung von verschiedenen Quellen zu schätzen. Die US-Zeitschrift The Nation schätze die Zahl der getöteten Zivilist*innen in Afghanistan zwischen 2001 und 2012 auf 6.481, davon 5.622 durch den Luftkrieg inklusive Drohnen.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) veröffentlicht seit 2009 Gesamtzahlen der zivilen Opfer, jedoch wird die Zahl der durch Drohnen getöteten Personen nicht angegeben.

2015 hat das ZDF eine „Webstory“ veröffentlicht mit der Einschätzung, dass zwischen 2001 und 2013 in Afghanistan 13.026 Menschen durch Drohnen getötet worden sind. Laut ZDF erfolgte diese Schätzung „auf Basis von Zahlen des US CENTCOM und des Buches Sudden Justice von Chris Woods. Daten wurden nur bis 2013 erhoben“. Das angesehene „Drone Warfare“ Projekt vom Bureau of Investigative Journalism (BoIJ), eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in London, berichtet für den Zeitraum Januar 2015 bis Januar 2020 13.072 bestätigte Luftangriffe (einschließlich Drohnenangriffe) in Afghanistan, 4.126 bis 10.076 gemeldete Tote, darunter 66 bis 184 Kinder, und 658 bis 1.769 Verletzte. BoIJ hat keine Zahlen der Opfer vor Januar 2015 oder nach Januar 2020.

Trotz der akribischen Arbeit des BoIJ und anderen unabhängigen Quellen ist es sehr schwer, über alle zivilen Todesfälle durch Drohnenangriffe in Afghanistan zu berichten. Dies erklärt sich aus dem Umstand, dass eine sehr große Zahl der getöteten afghanischen Zivilisten in abgelegenen ländlichen Gebieten lebte, wohin kein Reporter je seinen Fuß gesetzt hat, wie der österreichisch-afghanische Autor Emran Feroz betont. Und auch das US-Militär macht keine Anstalten, diese Orte aufzusuchen. Laut BoIJ „veröffentlicht die US-Luftwaffe monatliche Zusammenfassungen ihrer Operationen über Afghanistan, einschließlich der Anzahl der geflogenen Einsätze und der Anzahl abgeworfener Bomben und Raketen. Diese Informationen werden mit einem Monat Abstand veröffentlicht und weisen auf eine noch höhere Anzahl von Angriffen aus als die des Bureaus.“

Durch Whistleblower sind jedoch Informationen an die Öffentlichkeit gelangt, die auf das volle Ausmaß des Massakers an unschuldigen afghanischen Zivilisten durch Drohnenangriffe hinweisen. So veröffentlichte zum Beispiel die US-Online-Zeitschrift The Intercept im Jahr 2015 geheime US-Dokumente unter dem Titel „Drone Papers“, aus denen hervorgeht, dass in dem mehrmonatigen Erfassungszeitraum während der US-Drohnenoperation „Haymaker“ zwischen Anfang 2012 und Februar 2013 in Afghanistan 90% der Getöteten nicht die beabsichtigten Angriffsziele waren. Daniel Hale, ein USAF-Veteran und NSA-Mitarbeiter, der von 2009 bis 2013 an der Identifizierung von Zielpersonen für Attentate in Afghanistan beteiligt war, erklärte sich im Juli 2021 schuldig, die geheimen Dokumente an The Intercept weitergegeben zu haben und wurde zu 45 Monaten Freiheitsstrafe in einem Bundesgefängnis verurteilt.

Nie wieder Afghanistan?

Fehlerhaftigkeit und Intransparenz ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte militärische Engagement der USA in Afghanistan, insbesondere das Drohnenprogramm, einschließlich des jüngsten öffentlich bekannt gewordenen US-Drohnenangriffs in der Nähe des Flughafens in Kabul am 29. August 2021.

An diesem Tag erfassten die US-Streitkräfte in Afghanistan per Drohnenüberwachung ein weißes Auto, dessen Fahrer sie sicher als ISIS-K-Terroristen identifiziert zu haben glaubten. Die Drohne(n) hatte(n) den Fahrer dabei beobachtet, wie er an einem vermeintlichen „geheimen Unterschlupf“ der ISIS anhielt, um Munition für einen tödlichen Angriff auf US-Truppen einzusammeln, die am Flughafen Kabul stationiert waren. Die Drohne erhielt den Befehl, mit einer Hellfire-Rakete auf das Auto zu feuern, um die Soldaten vor einem Angriff zu schützen. Dabei tötete sie zehn Zivilisten, alle Mitglieder derselben Großfamilie, darunter auch die sieben Kinder. Die jüngsten waren erst zwei und drei Jahre alt.

Erst am 17. September nach ausführlicher Berichterstattung entschuldigte sich US-General Kenneth McKenzie, der oberste Befehlshaber des US-CENTCOM, persönlich im Fernsehen und erklärte seinen Mitbürgern und der Welt: „Es war ein Fehler.“  Die Beamten seien „ernsthaft davon überzeugt“ gewesen, dass eine „unmittelbare“ Bedrohung vorliege. „Dies war kein überstürzter Angriff“, fügte er hinzu. „Die Einsatztruppe hat das Fahrzeug und seine Insassen acht Stunden lang bewusst verfolgt und beobachtet und dabei alle verfügbaren Informationen abgeglichen, um eine hinreichende Gewissheit über die unmittelbare Bedrohung zu erlangen, die dieses Fahrzeug für unsere Streitkräfte darstellte“, so McKenzie.

Das Ausmaß der Enthüllungen und die Gründlichkeit der Aufarbeitung in Bezug auf die Fehler beim Drohnenschlag am 29.08.2021 waren nur deshalb möglich, weil The New York Times und weitere große Nachrichtendienste sich vor Ort befanden, um über die Evakuierung des nahe gelegenen Kabuler Flughafens zu berichteten. Dagegen fanden die meisten Drohnenangriffen in ländlichen Gebieten von Afghanistan statt, wo etwaige Fehler nicht bekannt werden.

Als ob all dies nicht passiert wäre, veröffentlichte die neue „Ampel“-Koalitionsregierung folgenden Beschluss in ihrem Koalitionsvertrag (S. 149): „Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen. Unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten werden wir daher die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode ermöglichen. Bei ihrem Einsatz gelten die Regeln des Völkerrechts, extralegale Tötungen – auch durch Drohnen – lehnen wir ab.”

Auch der US-Drohnenangriff am 29.08.2021 sollte dem Schutz der US-Streitkräfte vor einer unmittelbaren Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt dienen und sowohl ethische wie auch sicherheitspolitische Aspekte berücksichtigen. Es wurden alle Anstrengungen unternommen, um die Gefährdung von Zivilisten auszuschließen, und letztendlich wurde die Genehmigung des Schlags durch einen Offizier des US-Militärs erteilt, der sich zu ebenjenem Zeitpunkt auf dem Stützpunkt am bedrohten Kabuler Flughafen befand, an dem sich die US-Truppen aufhielten. 

Wo und wie sollte die Bundeswehr bei bewaffneten Drohneneinsätzen in der Lage sein, an bessere Informationen zu gelangen als die USA? Indem sie dort, wo der Angriffsbefehl erteilt wird, Soldaten am Boden hat? Auch die USA hatten sowohl Soldaten als auch den Entscheidungsträger für den Drohneneinsatz direkt vor Ort. Tatsächlich war das Wissen der US-Soldat*innen in den Einsatzgebieten begrenzt, auch was die Meinungen der afghanischen Soldaten anging, die sie persönlich kannten und direkt ausbildeten. In einer neokolonialen Situation ist dies nicht weiter verwunderlich. Wird dies für Bundeswehrsoldat*innen sehr viel anders sein?

„Der Einsatz bestimmter Waffen, die als grob unmenschlich eingestuft werden oder bei denen nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden werden kann, ist bereits nach internationalem Recht verboten,“ schreiben Peter Weiss, internationaler Anwalt und Vizepräsident des Center for Consitutional Rights in den USA, zusammen mit Judy Weiss, Präsidentin der Samuel Rubin Stiftung, in dem Beitrag „Drohnen müssen als Waffen geächtet werden“, der durch das Projekt Foreign Policy in Focus im Oktober 2021 veröffentlicht wurde.

Aufgrund widersprüchlicher – und oft auch fehlender – Berichterstattung durch US-Beamte ist nur sehr wenig darüber bekannt, wie viele Nichtkombattanten in den zwanzig Jahren, seit die USA in Afghanistan mit dem Töten mit Drohnen begonnen haben, durch US-Drohnenangriffe ermordet oder verstümmelt wurden. Während die Vereinigten Staaten sich mittlerweile aus Afghanistan zurückgezogen haben, bleiben Tausende von Drohnentötungen ungeklärt, und Washington weigert sich, darüber zu sprechen, so der österreichisch-afghanische Journalist und Historiker Emran Feroz. Er zitiert Lisa Ling, eine ehemalige Drohnentechnikerin des US-Militärs in Afghanistan, deren Ansicht nach die durch Drohnenangriffe verursachten zivilen Opfer untersucht und als Kriegsverbrechen betrachtet werden müssen. „Ich denke, dass jeder Schlag, bei dem sich zivilgesellschaftliche Vertreter zu Wort melden und uns sagen, dass wir ihre Zivilisten töten, vom Internationalen Strafgerichtshof gründlich untersucht werden sollte, und die internationale Gemeinschaft sollte zuhören“, sagte sie gegenüber Foreign Policy.

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