Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2021/028 - in: AUSDRUCK (Juni 2021)

Klimakrise in Nordafrika

Kampf um Lebensgrundlagen

Nabil Sourani (14.06.2021)

Die menschgemachte Klimakrise schreitet voran. Trotzdem hält das Kapital an seinem Kurs fest: kompromisslose Ausbeutung von Mensch und Natur. Dagegen formt sich weltweit radikaler Widerstand. In Algerien, Marokko und Tunesien mobilisiert sich ein „Umweltaktivismus der Armen“ so der Forscher J. Martinez-Alier[1]. Die Bevölkerung in Nordafrika kämpft gegen ihre ökologische und soziale Ausbeutung.

Im Kapitalismus wird die Natur für Profite ausgebeutet. Die Klimakrise ist also Teil des Kapitalismus, der nach wie vor in einem auf fossilen Brennstoffen basierenden System gefangen ist. Für multinationale Unternehmen sind „ihre Profite vom Zugang zu den wichtigsten Energieressourcen abhängig“.[2] Es sind die Vermögenden der Welt, die den Löwenanteil an der menschengemachten Klimakrise zu verantworten haben, so Suzanne Jeffery in ihrem Beitrag zu Schmutziger Energie, Kapitalismus und Klassenkampf.[3] Unternehmen konkurrieren global um möglichst hohe Profite. Dabei, so Jeffery, „verlassen sie sich auf die Macht des eigenen Nationalstaates, um den Zugang zu diesen Ressourcen und Märkten zu sichern“. Innerhalb dieser Strukturen bleiben die imperialistischen Wirtschaften in Kontrolle. Die dahinter liegende Logik blockiert tiefgreifende Maßnahmen, die die Klimakrise bremsen könnten. Denn die Prozesse führen dazu, dass Kapital und Staat ihre Interessen „weiterhin mit dem Zugang zu und der Kontrolle über fossile Brennstoffe verknüpfen“[4]. Damit die Menschen aus den ärmsten Teilen der Welt dabei nicht stören, werden Gesetze verabschiedet und Mauern hochgezogen. Sie diskriminieren jene, die am meisten unter den Folgen leiden müssen, während sie am wenigsten zu dem Problem beigetragen haben. So in Afrika, das den niedrigsten Pro-Kopf-Kohlenstoff-Fußabdruck aller Kontinente hat.[5]

Umweltbewegung ist Klassenkampf

Wesentlicher Bestandteil des Umweltaktivismus in Nordafrika ist die Forderung nach sozialer und ökologischer Gerechtigkeit. Auf diesen Zusammenhang weist der Umweltaktivist Hamza Hamouchene hin.[6] Er untersuchte soziale Umweltbewegungen in der Maghreb-Region und fand  heraus: Die Aktivist*innen in Algerien, Marokko und Tunesien verlangen „sozioökonomische Rechte wie Arbeitsplätze, Entwicklung der städtischen und ländlichen Infrastruktur, Verteilung des Wohlstands und Demokratisierung der Entscheidungsfindung“[7]. Sie kämpfen demnach gegen ihre soziale Ausgrenzung, die Gewalt und den Autoritarismus des Neoliberalismus und seiner Eliten. Die sozialen Umweltbewegungen in Nordafrika sind folglich Klassenkampf gegen jegliche Ausbeutung und Herrschaft, der das kapitalistische Entwicklungsmodell im Ganzen anprangert.

So zum Beispiel in Salah, Algerien. Eine der reichsten Städte auf dem Kontinent gemessen an Gasvorkommen. Trotzdem ist die Infrastruktur miserabel. Das einzige Krankenhaus der Stadt nennen die Bewohner aufgrund des schlechten Zustands auch ‚Krankenhaus des Todes‘[8]. Die Imider-Mine in Marokko lässt die natürlichen Wasservorkommen versiegen. In Tunesien zerstörte eine phosphatverarbeitende Fabrik die Oase von Chenini.

Verarmt und marginalisiert entspringt ihr Widerstand den „Verteilungskonflikten um die Nutzung der für den Lebensunterhalt notwendigen ökologischen Ressourcen“[9]. Es geht um Umweltgerechtigkeit, eingebettet in die Kritik an den nationalen Eliten. Denn letztere berauben im Schulterschluss mit imperialistischen Staaten und internationalen Konzernen ihre Länder um die natürlichen Ressourcen und die Menschen ihrer Lebensgrundlage. Zum Beispiel durch die Agroindustrie, den Massentourismus oder den Ressourcenabbau in Algerien, Marokko und Tunesien. Die Landwirtschaft in Nordafrika richtet die EU insbesondere auf die eigenen Bedürfnisse aus. Die exportorientierte und wasserintensive Monokultur-Agrarindustrie in (Halb-)Trockengebieten erschöpft die letzten Grundwasservorkommen. Die Umwandlung von Ackerland der lokalen Nahrungsmittelproduktion, hin zum Anbau von für den Export bestimmten Oliven und Zitrusfrüchten, sorgt zudem für eine Importabhängigkeit zu (teils spekulativen) Weltmarktpreisen.[10]

Umweltaktivismus der Armen

In Algerien formierte sich die sog. Arbeitslosenbewegung, die sich in das informelle Netzwerk Nationale Koordination für die Verteidigung der Rechte von Erwerbslosen (NCDUR) eingliedert. Seit 2013 mobilisierte das Netzwerk zehntausende Arbeitslose.[11] Sie lehnen die Ausbeutung von Schiefergasvorkommen ab, begehren gegen ihre wirtschaftliche Ausgrenzung auf und fordern menschenwürdige Arbeitsplätze sowie soziale Gerechtigkeit. „Warum profitieren wir nicht von dem Ölreichtum, der unter unseren Füßen liegt?“[12], fragt der algerische Aktivist Karim. Er protestierte im Februar 2015 in Ouargla gegen Fracking. Währenddessen wurde bekannt, dass die französischen Unternehmen Total und Engie SA (Fusion aus Gaz de France und Suez, GDF Suez) bald in Algerien Schiefergas abbauen könnten, nachdem es ihnen aus Umweltschutzgründen in Frankreich verboten wurde.„Man sieht doch den grässlichen Zustand unserer Stadt und seiner Infrastruktur und nun haben sie die Dreistigkeit, zu kommen und unser Wasser zu vergiften! Die wollen uns opfern und ich sag, wie es ist: das ist Diskriminierung und Rassismus und wir werden nicht einfach stillhalten angesichts einer solchen Ungerechtigkeit“, so der Aktivist Salah.[13] Derweil versuchten die Behörden, die Bewegung zu zerschlagen, sie zu diskreditieren oder auch für ihre Ziele zu kooptieren.[14]

Ähnliche Prozesse fanden in Marokko statt. Die Amazigh-Gemeinschaften kämpfen hier gegen die größte und produktivste Silbermine Afrikas. Auf ihrem Land ist die Imider-Mine, die von der Société Métallurgique d’Imider (SMI) betrieben wird und sich in Besitz der privaten Holdinggesellschaft (SNI) der marokkanischen Königsfamilie befindet. Im Jahr 2017 katapultierte die Mine Marokko unter die größten 20 Silberproduzenten der Welt. Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung, vornehmlich junge Erwachsene, schaffte sie keine. Stattdessen verschmutzt das Unternehmen die Umwelt und grub Brunnen für die Produktion, was die Wasserquellen versiegen ließ. Das historische unterirdische Kanalnetz (Khettara-System) aus dem 14. Jahrhundert wurde schwer beschädigt und kann Felder nicht mehr mit Wasser versorgen.[15] Entsprechend setzen sich in Imider die Bäuerinnen und Bauern, die Arbeitslosen und die Wanderarbeiter*innen seit fast drei Jahrzehnten zur Wehr. Protestmärsche und Sitzstreiks vor der Mine gehörten ebenso zu ihren Aktionen wie die Besetzung der Mine selbst. Auf letztere reagierte der Staat mit Gewalt und der Inhaftierung von Aktivist*innen.[16] Im Jahr 2011 errichteten junge Erwachsene – überwiegend Student*innen, Arbeitslose und proletarisierte Landarbeiter*innen – ein Protestcamp auf dem Berg Alebban. Es galt als der längste Protest in der Geschichte Marokkos. Die Forderungen an das Unternehmen und die Behörden: Schluss mit der Wasserplünderung; lokale Entwicklungsprojekte und Arbeitsplätze für die Bewohner*innen der Region.

Die Aktivist*innen bauten einen Gemeindeverband auf, die Bewegung auf der Straße 96. Sie vernetzten sich mit internationalen Bewegungen, nahmen an den internationalen Klimagesprächen in Marrakesch (COP22) teil, setzten ihren Kampf auf die internationale Agenda und konnten dadurch den Widerstand aufrechterhalten. Unternehmen und Staat ignorierten das Protestcamp in Alebban. Unter dem Schutz der Sicherheitsbehörden setzte die Mine ihren Betrieb fort.[17]

Auch in Gabès, Tunesien, kam es regelmäßig zu Protesten gegen die Ausbeutung der Umwelt. Das Aussterben einheimischer Arten und durch industrielle Umweltverpestung hervorgerufene Krankheiten sind Alltag. Bei den Aufständen von 2010/11 nahmen die Arbeiter*innen die Phosphatindustrie ins Visier. Sie legten die Produktion in vielen Minen im Süden des Landes lahm. Ausrüstung wurde sichergestellt und die Wasserzufuhr gekappt. Beim Raffinieren von Phosphat entsteht zudem radioaktiver Abfall, der Uran und Radium enthält. Eine Untersuchung des Golfes von 2011 stellte eine „allgegenwärtige Verschmutzung“[18] durch Schmiermittel, Treibstoffe, Rohöle und Abwässer fest. Nach den Umbrüchen erhöhte die Raffinerie die Produktion. Im Jahr 2013 zogen wiederholt Protestierende durch die Straßen. Unmittelbarer Auslöser war der Tod zweier Kinder in Chott Esselam, der von der Gemeinde mit massiver industrieller Verschmutzung in Verbindung gebracht wurde. Jährlich sollen 13.000 Tonnen an Giftmüll in den Golf von Gabès gelangen.

Die chirurgischen Masken und Transparente der Demonstrierenden auf Arabisch, Englisch und Französisch zeugten von 40 Jahren ökologischer Katastrophen in ihrer Gemeinde mit gravierender Auswirkung: Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten, Lebensraumzerstörung und Todesfälle. Angelehnt an die Parolen von 2011 rufen sie „Verschmutzung, raus hier“[19]. Die Polizei setzte Tränengas ein und unterdrückte den Protest südlich des großen Raffineriekomplexes.

Gabès war einst für seinen guten Fisch bekannt, doch den könnten sie aufgrund der Verschmutzung nicht mehr essen, sagte die Aktivistin A’muri. Die Oase von Gabès wurde von den Vereinten Nationen zum Weltkulturerbe bestimmt. Sie ist Heimat vieler Vogelarten, mehr als 40 verschiedener Dattelpalmen und eines komplexen tradierten Bewässerungssystems. Klimawandel, Raubbau und Überfischung mischen sich mittlerweile mit der industriellen Verschmutzung zu einer das Ökosystem zerstörenden Kombination. Den Strand nennen die Einheimischen nur noch ‚Strand des Todes‘.[20]

Klimakrise ist Systemkrise

Genannte Beispiele aus Algerien, Marokko und Tunesien verdeutlichen das Problem: Die vom globalen Norden aufgezwungenen neoliberalen Reformen verschärfen die Klimakrise und bieten keine Lösung. Armut, Arbeitslosigkeit, Giftmüll, Verpestung der Luft und Verschmutzung des Süßwassers sowie der Meere plagen Nordafrika.

Der Kapitalismus wird weder die Klima- noch die Umweltkrise beheben. Um sich dem entgegenstellen zu können, müssen Unternehmen, die globale Produktion und Verteilung demokratisiert werden. Das ist nur auf den Trümmern des kapitalistischen Wirtschaftssystems möglich.

Doch die imperialistische Außenpolitik der EU und USA vertieft diese Strukturen weiter. Der globale Norden kontrolliert die Ressourcen mit politischem, militärischem und wirtschaftlichem Druck. Auf den Widerstand aus der Bevölkerung antworten die Regime mit polizeilicher und militärischer Repression. Und die beginnt hier in EUropa, hier in Deutschland, wo die Unterstützung sowie Ausrüstung und Ausbildung der Sicherheitskräfte zu großen Teilen herkommt.

Anmerkungen


[1] Martinez-Alier, J. (1997): From political economy to political ecology, in Guha, R. and Martinez-Alier, J. (eds.) Varieties of Environmentalism. London: Earthscan, S. 22-45.

[2] Jeffery, S. (2019): Dirty energy, capitalism and the working class. International Socialism journal. Issue: 162. https://isj.org.uk/dirty-energy-capitalism/.

[3] Ebd.

[4] Ebd.

[5] Schulz, T. (2020): Liste der Länder nach CO2-Emission pro Kopf. AQAL Capital GmbH. https://aqalcapital.com.

[6] Hamouchene, H. (2019): Extractivism and Resistance in North Africa. Amsterdam: Transnational Institute.

[7] Ebd, S. 16.

[8] Ebd, S. 12.

[9] Ebd, S. 16.

[10] Roape (2020b): The Agricultural Model Killing der World: an interview with Habib Ayeb and Ray Bush. Roape. https://roape.net/2020/04/23/the-agricultural-model-killing-the-world/.

[11] Hamouchene, S. 15.

[12] Ebd.

[13] Ebd, S. 8.

[14] Ebd.

[15] Ebd, S. 14.

[16] Ebd.

[17] Ebd.

[18] Al Jazeera (2013): Pollution in Gabes, Tunisia’s shore of death. Al Jazeera. https://www.aljazeera.com/features/2013/6/14/pollution-in-gabes-tunisias-shore-of-death.

[19] Ebd.

[20] Ebd.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de