IMI-Standpunkt 2021/030 - in: AUSDRUCK (Juni 2021)
Das andere Mal als Farce: Der Petersilienkrieg
von: Sven Wachowiak | Veröffentlicht am: 14. Juni 2021
In der Straße von Gibraltar ragt 250 Meter vor der marokkanischen Küste eine ca. 15 Hektar große Felseninsel aus dem Meer, von den Spaniern Isla del Perejil (Petersilieninsel) genannt. Der berberische Name Tura trägt ihrem hervorstechenden Attribut Rechnung; er bedeutet „leer“. Etwa drei Kilometer trennen sie von der Landgrenze zur autonomen spanischen Enklave Ceuta und 13,5 Kilometer vom spanischen Festland. Die Eidechsen auf Tura könnten ein friedliches, weitgehend ereignisloses Leben führen, wäre da nicht der Umstand, dass sowohl Spanien als auch Marokko Anspruch auf die Souveränität über ihr ödes Biotop erheben.
Im Juli 2002 kam Marokko auf die Idee, dort einen provisorischen Wachposten zu errichten, offiziell begründet mit der Überwachung von Drogenschmuggel und illegaler Einwanderung und zur Abwehr terroristischer Aktivitäten. Spanien erklärte seine territoriale Integrität für verletzt und forderte die sofortige Wiederherstellung des Status quo ante, die EU schlug in dieselbe Kerbe, drohte mit Sanktionen. Europa hört offenbar dort auf, wo Afrika anfängt, und weist noch bis in den 35. Breitengrad hinunter neuralgische Punkte auf, deren jede Berührung im Brüsseler Nervenzentrum registriert wird.[1]
Im Morgengrauen des 17. Juli rückte ein Spezialeinsatzkommando des spanischen Heeres mit sechs Hubschraubern aus, um die Besetzung der Insel zu beenden. Begleitet wurde das Kommando von zwei U-Booten und weiteren Kriegsschiffen. Die sechs marokkanischen Soldaten, die sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Insel befanden, ließen sich weitgehend widerstandslos festnehmen und wurden den marokkanischen Behörden übergeben.
Dass die ebenfalls umstrittenen Enklaven Ceuta und Melilla für Spanien nicht Teil der Verhandlungsmasse sind und nie sein werden, mag ungleich triftigere Gründe haben. Was aber bewog die Aznar-Regierung im Sommer 2002, eine unbewohnte Felsformation militärisch erstürmen zu lassen, deren strategische und wirtschaftliche Bedeutung für sich genommen eingestandermaßen gegen Null tendiert?
Es sei hiermit die Vermutung in den Raum gestellt, dass die spanische Armee ihren Einsatz nicht zufällig zu einem Zeitpunkt durchführte, als der Irakkrieg bereits am Horizont dräute, ein knappes Dreivierteljahr also bevor sich Spanien in die „Koalition der Willigen“ einreihen würde. Rückblickend kann man sich jedenfalls des Eindrucks schwer erwehren, dass der diplomatische Vorfall um die Petersilieninsel auch als militärisches Übungsszenario benutzt wurde, bei dem das Stimmungsbarometer an der „Heimatfront“ nicht aus dem Blickfeld geriet.
Eine gut getimete kleine Invasion kann – das hat die jüngere Geschichte gezeigt – innenpolitisch durchaus profitabel sein, siehe etwa Englands Krieg um die Falklandinseln oder die US-Invasion der Karibikinsel Grenada. Es ist kein Zufall, dass gerade ehemalige (Kolonial)Großmächte auf dem absteigenden Ast diesem anachronistischen Genre – nennen wir es: Empire-Revival-Festspiele – so zugetan sind. Medial entsprechend zelebriert, entfalten sie ihre maximale Wirkung: Obwohl zuvor kaum jemand auch nur um die Existenz der Petersilieninsel wusste, seien spanische Radiosender regelrecht überflutet worden mit Anrufen, die forderten, die marokkanischen Invasoren zurück ins Meer zu treiben.[1] Und einer Umfrage des spanischen Forschungsinstituts CIS (Centro de Investigaciones Sociológicas) zufolge bewerteten hinterher 75,5% von 1.003 Befragten die fahrlässige Show of Force ihrer Regierung vor der afrikanischen Küste als gut bzw. sehr gut.[2]
[1] „Maroccans seize Parsley Island and leave a bitter taste in Spanish mouths“, 13.7.2002, theguardian.com
[2] „El 75,5% de los españoles apoya la intervención en Perejil, según el CIS“, 27.7.2002, elpais.com