Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2020/019

Kontroverse um deutsches Mali-Engagement

Christoph Marischka (27.05.2020)

Am Vormittag des 29. Mai 2020 wird der Bundestag über Verlängerung und Ausweitung der Mandate für die Bundeswehreinsätze EUTM und MINUSMA in Mali abstimmen – zwei Tage vor Ablauf der aktuellen Mandate. Bei der ersten Debatte im Bundestag am 13. Mai stand vonseiten der Regierung als Begründung der Einsätze die Bekämpfung des Terrorismus und damit die „Sicherheit Europas“ im Mittelpunkt. LINKE und AFD kündigten die Ablehnung beider Mandate an, Grüne und FDP signalisierten Skepsis hinsichtlich EUTM, demgegenüber jedoch Zustimmung zu MINUSMA.

Vor der Abstimmung hatte sich die „Initiative gegen das EU-Grenzregime in Afrika“ in einem offenen Brief an die Abgeordneten gewandt und diese aufgefordert, „dem Einsatz Ihre Zustimmung zu versagen“. Vorangegangen war u.a. ein offener Brief des ebenfalls v.a. migrationspolitisch aktiven Netzwerks Afrique-Europe-Interact (AEI), der die Erfolge der MINUSMA-Mission hervorhob und damit für eine Verlängerung warb. Dies wiederum hat die Informationsstelle Militarisierung in zwei Stellungnahmen kritisiert.

Am 20. Mai hatte das Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit „Welt-Sichten“ ein Interview mit Helmut Asche unter dem ungewöhnlich deutlichen Titel „Wir verschärfen den Konflikt“ veröffentlicht. Dort heißt es zum militärischen Engagement Deutschlands: „Wir stellen uns damit an die Seite von Armeen, die Konflikte bewusst verschärfen. Ich sage bewusst, weil es offensichtlich in allen drei Ländern Kräfte gibt, die an der Ethnisierung der Konflikte durch den Einsatz von Armee und Milizen interessiert sind […] Das sagen alle Analysen übereinstimmend, nur bei den Bundestagsabgeordneten ist es noch nicht recht angekommen. In dieser Situation ist es geradezu surreal, die Militärintervention einfach fortzusetzen oder auszuweiten.“ Dort verlinkt ist auch ein Konzeptpapier Asches, welches Grundzüge eines ganz anderen Engagements darlegt, das militärische Mittel zwar nicht gänzlich ablehnt, aber eben andere Schwerpunkte setzt.

Asche beruft sich in seinem Papier auf einen sehr lesenswerten Artikel von Bruno Charbonneau, auf den auch die IMI in ihrer Kritik an AEI verwiesen hatte und wonach die westlichen Einsätze zunehmend eine Logik der „Counterinsurgency“ verfolgen würden: „Die fragwürdige Einsatzdoktrin sucht nach vietnamesischem oder afghanischem Muster bzw. nach dem Vorgehen in der französischen Kolonialzeit im Rahmen des militärischen Einsatzes die ‚Herzen und Hirne‘ der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, lokale bewaffnete ‚Non-state Actors‘ zu legitimieren und ansonsten umgrenzte Räume zu sichern, um dort sukzessive Entwicklungsmaßnahmen einleiten zu können.“ Entsprechend sei, so Asche, im Hinblick auf Mali von militärischer Seite von sog. „Wehrdörfern“ die Rede: „Sie wurden ab 1962 im Vietnamkrieg eingeführt, im Rahmen des ‚Strategic Hamlet Programs‘ bzw. des Taylor-Staley-Plans. Sie wurden ein katastrophaler Misserfolg, da sie vor allem der Repression gegenüber den Bauern dienten, ohne diese erfolgreich von der Guerilla zu isolieren. Hier wie dort war ihr Korollar die Korruption und operative Unfähigkeit der Offizierskaste, eine klassische Landesverteidigung in größerem Maßstab zu organisieren. In jeder der beiden Interpretationen gilt: Wenn heute wieder von Wehrdörfern die Rede ist, muss es um die Lage im Dreiländereck Liptako-Gourma und anderen Grenzgebieten sehr schlecht stehen.“

Dieser Interpretation der westlichen Einsatzstrategie schließt sich auch die Forschungsstelle Flucht und Migration (FFM) in ihrem Beitrag zur Debatte an: „Seit 2015 und im Zusammenhang der Externalisierung der europäischen Abschottungspolitik haben die französischen Fremdenlegionäre der Operation Barkhane, in Zusammenarbeit mit MINUSMA und G5-Sahel einen Bedeutungswandel erfahren, der als Kombination von Migrationskontrolle und Counterinsurgency beschrieben werden kann […] Unsicherheit ist ein Medium der Transformation und der Modernisierung. Unsicherheit wird geschürt, Tote werden produziert, Menschen vertrieben, nicht nur um Agrarland frei zu machen, sondern auch um den Ruf nach Ordnung, irgendeiner Ordnung, zu provozieren und Finanzzuflüsse zu generieren. Counterinsurgency ist das Spiel mit Verunsicherung.“

Während es Asche darauf ankommt, den „Staatszusammenbruch in Mali und Burkina Faso“ als „realistic worst case“ zu verhindern und die Situation durchaus auf Grundlage der bestehenden Staatlichkeit zu stabilisieren, stellt die FFM jedoch auch gerade diese postkoloniale Staatlichkeit selbst in Frage: „Territorialstaaten Typ 1648 sind im Sahel keine Friedenslösung.“ Stattdessen gelte es – das könnte man als Seitenhieb auf die Appelle von AEI an die Bundesregierung lesen, zu „versuchen, die Dinge nicht wie ein Staat zu sehen“: „Die Eindrücke von Jeffrey Herbst und Gregory Mann sind ja nach wie vor valide: die Abwesenheit des postkolonialen Staats in einer immensen Fläche und auch die Abwesenheit der NGOs in vielen Regionen. Die Fremdenlegionäre geistern durch unbekanntes Gelände. Gouvern-mentalité ist fake […] Die Auflösung der regionalen Macht- und Gewaltstrukturen, Interessenkonflikte, Generationenkonflikte wird nur regional und von unten her möglich sein.“

Das aber lässt sich durch internationale Militärinterventionen nicht befördern, sondern wird durch diese abgewürgt. Die militärische Aufrechterhaltung fiktiver Staatlichkeit resultiert dann eben in „Wehrdörfern“ und „Couterinsurgency“ – und Situationen, die dann zumindest im deutschen Bundestag sehr an die Debatten zu Afghanistan erinnern. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus bemerkenswert, wie Außenminister Heiko Maas seine Rede für die Ausweitung des EUTM-Mandates einleitete:

„4.000 Kilometer trennen Mali und den Sahel von Deutschland. Das reicht schon, dass einige der Auffassung sind, zu glauben, dass wir damit nichts zu tun hätten. Spätestens aber seit terroristische Gruppen im Jahr 2012 – vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch daran – Mali zu überrennen drohten, sollte uns, und zwar als Europäern, eines klar geworden sein: Was dort passiert, das gefährdet nicht nur die Stabilität unserer südlichen Nachbarschaft, sondern das wirkt als Brandbeschleuniger für die Ausbreitung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und illegaler Migration bis nach Europa. Wir alle haben vor Augen, was droht, wenn Gruppen wie der IS oder al-Qaida im Sahel einen sicheren Rückzugsraum bekommen; denn schließlich sind auch europäische Länder und auch unsere Bürgerinnen und Bürger immer wieder Opfer ihrer Gewalttaten geworden. Dass Mali inzwischen der zweitgrößte Einsatzort der Bundeswehr im Ausland ist, ist auch Ausdruck unserer Sorge darüber, und zwar einer nach wie vor berechtigten Sorge.“

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