Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2020/008

Die Militarisierung der Fläche: Das Beispiel Emden

Michael Skoruppa (09.03.2020)

Deutschland ist überall auf der Welt im Krieg. Es nimmt an fast jeder „humanitären Intervention“ teil. Die Verteidigungsministerin fordert einen Flugzeugträger und generell mehr deutsche Militäreinsätze. In ihrer Partei gibt es Leute, die hätten gerne Atomwaffen. In Deutschland scheren die Politiker sich nicht ums Völkerrecht oder nur dann, wenn sie dessen Bruch anderen meinen vorwerfen zu können. So sieht es aus in Berlin.

Woran niemand denkt, das ist die Provinz. Sind es nur die nationalen Politiker, die nach Krieg streben? Wie sieht es in der Provinz aus, mit den Lokal-Politikern in Stadt und Land?

Nehmen wir das Beispiel Emden:

Militarisierung damals…

Um 1900 hat Kaiser Wilhelm einigen deutschen Städten ein Kriegsschiff geschenkt, das dann auch am Ersten Weltkrieg teilnehmen durfte. 1908 war es dann so weit: Der damalige Bürgermeister von Emden durfte anreisen und sein Kriegsschiff taufen. 1903 wurde die Werft Nordseewerke Emden gegründet, die mit vielen Mitarbeitern Kriegsschiffe baute und über den Zweiten Weltkrieg hinaus bis 2018 bestand, als sie von Fossen Yards übernommen wurde, die hauptsächlich im zivilen Bereich tätig sind. Die Kriegsschiffssparte ist von TKMS (ThyssenKrupp Marine Systems) geschluckt worden. In Emden kann die vorgesehene Schließung auch dieser Sparte Ende 2020 wahrscheinlich durch den Bau von U-Booten für Brasilien abgewendet werden. Ohnehin arbeiten dort nur noch etwa 220 Mitarbeiter, bei MWB Fahrzeugtechnik Emden sind 50 bis 99 Mitarbeiter beschäftigt.

1911 wurde das Emder Kriegsschiff im Pazifischen Ozean zur Niederschlagung eines Aufstandes eingesetzt, was durch Niederbrennen von Hütten und Feldern der „Eingeborenen“ gelang. Ein Verbrechen. Am Ende wurden 15 „Rädelsführer“ hingerichtet und alle Bewohner der Insel deportiert. „Friedenseinsatz“ heißt das bei der „Bordgemeinschaft der Emdenfahrer“ (Web-Seite).

Am 22.9.1914 (1. Weltkrieg) schoss die SMS Emden in Madras Öltanks in Brand, tötete in der Stadt 3 Zivilisten und 5 Seeleute auf einem Handelsschiff im Hafen. Ein Kriegsverbrechen. Am 26.10.1914 versenkte sie im Hafen von Penang den nicht abwehrbereiten russischen Kreuzer Schemtschug und den unterlegenen französischen Torpedoboot-Zerstörer Mousquet. Am 9.11.1914 unterlag die SMS Emden dem überlegenen australischen Kreuzer Sydney. 136 Seeleute starben bei der folgenden Selbstversenkung.

Die anfängliche Kriegsbegeisterung war schnell geschwunden. Ende 1914 gab es im Pazifik keine deutsche Marine und keine Kolonien mehr. Im westlichen Europa unterlagen die deutschen Truppen 1916 in der langen Schlacht von Verdun, und die „Heimatfront“ erlebte den Hungerwinter. Es ging dem Ende zu. Von Anfang des Krieges an war die Propaganda eine besondere Stütze des Systems. Das Märchen von den „Männern der Emden“ war ein wichtiger Teil der diesbezüglichen Anstrengungen.

Von 1914 an ist die Verehrung der SMS Emden ein fester Bestandteil der bürgerlichen Emder Kultur geworden, über alle gesellschaftlichen Formationen Deutschlands hinweg.

1933, schon im März, wurden zwei Straßen in Emden nach Karl von Müller, dem letzten Kapitän der SMS Emden, und Adolf Hitler benannt.

Ein kleiner Hinweis auf den Grund der späteren Wertschätzung des 1923 verstorbenen von Müller durch die Nazis lässt sich in einer Biografie finden: „Rassefragen beschäftigten ihn sehr. Er verurteilte jede Rassemischung. ‚Rasse ist die Vorbedingung für hohe Kultur… ,eine ausgeprägte Kultur stärkt wieder das Rassebewußtsein…, das Bewußtsein, daß jede Vermischung eines Deutschen oder einer Deutschen mit Angehörigen einer fremden Rasse ein schweres Vergehen gegen die Natur und gegen das eigene Volkstum ist, sollte mehr und mehr das deutsche Volk durchdringen. Er beklagte den Standesdünkel und verurteilte alles, was ihn stärkte. Er verlangte eine Gemeinschaft de Volkes.“ (Quelle: Karl Betz „Der Kommandant der Emden. Das Leben des Kapitäns von Müller.“ Im Deutschen Verlag, Berlin, 1939, S.208)

Immer gilt es, den „Heldenkreuzer“ zu ehren, die Mannschaft als „gentlemen of war“ zu verehren. Diesen Ruf erwarb die SMS Emden, weil sie auf ihrer Kaperfahrt durch den Pazifischen Ozean die Besatzungen der Handelsschiffe, die sie aufgebracht und geplündert hatte, vor der Versenkung von Bord gehen ließ. Dies geschah in Übereinstimmung mit dem geltenden Kriegsrecht.

Daraus entwickelte sich dann das Wort von den „gentlemen of war“. Es ist aus dem Märchen von den „Männern der Emden“ nicht mehr wegzudenken.

1934 kam schließlich auch das Schiff zu Ehren, durch die Einweihung eines „Ehrenmals“ mit Hakenkreuzfahnen und Hitlergruß.

Bei der Remilitarisierung nach 1945 spielten Karl von Müller und sein Schiff eine wichtige Rolle, und 2014 wurde das alte Propagandamärchen von der SMS Emden wieder aufgelegt.

Nach 1945 war es eine kurze Zeit ruhig in Emden. Auch hier hatte man vom Krieg genug, besonders nach der fast vollständigen Zerstörung der Stadt am 6. September 1944.

Aber das alles dauerte nicht lang, dann kam auch in Emden die schnelle Remilitarisierung. In die Emder Kaserne, die zuvor leer gestanden und eine Weile jüdischen Flüchtlingen als Unterkunft gedient hatte, zogen wieder Soldaten ein.

Zum „Namensgeber“ der Kaserne wurde Karl von Müller erkoren, der frühere Kapitän der SMS Emden, der in der Weimarer Republik für die rechtsextreme DNVP im Braunschweiger Landtag saß. Die DNVP hat den Kapp-Putsch gegen die Republik unterstützt, sie galt als antisemitisch und am Ende als Steigbügelhalterin der NSDAP. 1933 traten ihre Abgeordneten in Berlin und Braunschweig zur NSDAP über. Aber da war Karl von Müller schon lange tot (seit 1923). Vielleicht hat man deshalb der Kaserne seinen Namen gegeben, konnte er doch evtl. als unbelastet gelten.

In Emden hatte man sich gut an die Bundeswehr gewöhnt. 1997 bekamen die Freunde des Militärs jedoch einen großen Schock. Ihre Kaserne wurde geschlossen. 2018 meldeten dann die Nordseewerke Emden Insolvenz an.

Die Rüstungsindustrie ist in Emden aber weiterhin „gut“ vertreten.

… und heute

2013 kam dann die Außer-Dienst-Stellung der 5. SMS Emden, die für große Aufregung in der Stadt, besonders beim Rat, sorgte. Mit den Stimmen von SPD (außer einem Mitglied), CDU und FDP beschloss der Rat den Beitritt der Stadt zum Traditionsverein des Kriegsschiffes.

Es stellt sich die Frage, ob der Rat zu diesem Schritt überhaupt berechtigt gewesen ist. Gefragt wurde ja niemand. Aber anscheinend sind wir es gewöhnt, dass in Fragen von Krieg und Frieden gewöhnlich gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung entschieden wird.

2020 wird eine Korvette auf den Namen Emden getauft. Der Jubel beim Rat, der Verwaltung, beim Landesmuseum, das eine Ausstellung zur Bejubelung der SMS Emden erstellt hat, und bei den Lokal-Zeitungen über die neue Korvette Emden ist inzwischen groß.

Über die Funktion der neuen Kriegsschiffe wird dagegen wenig gesagt und geschrieben: In der „Konzeption der Bundeswehr“ vom Juli 2018 wurde unter anderem beschlossen, sich für künftige „Randmeerkriege“ mit Russland rüsten zu wollen. Hier spielt vor allem die Ostsee eine zentrale Rolle, für die mittlerweile ein neu in Rostock angesiedeltes NATO-Marinekommando zuständig ist. Und genau für dieses Einsatzgebiet dürften vor allem auch die neuen Korvetten, unter anderem die „Emden“, gedacht sein, da sie kleiner und wendiger als Fregatten und daher aus Sicht der Bundeswehr „ideal“ für „Randmeerkriege“ geeignet sind.

Die Bundeswehr freut sich, dass sich so viele Städte für ein Kriegsschiff beworben haben (neben Emden wurden Namenspatenschaften für Köln, Karlsruhe, Augsburg und LLübeck beschlossen). Das heißt, dass überall in Stadt und Provinz sich die Politiker in der Frage von Frieden und Krieg eindeutig entschieden haben. Jedenfalls nicht für den Frieden.

Der Rat der Stadt Emden beschloss 2014 den Beitritt zum Verein für die Förderung des Kriegsschiffes, 80 Jahre nach der Einweihung des SMS Emden Ehrenmals. Der Verein heißt offiziell „Freundeskreis Marineschiff Emden e.V.“

2020 wird eine Korvette auf den Namen Emden getauft werden.

Emden ist Standort der Rüstungsindustrie. Wie bereits erwähnt, sind hier TKMS und die MWB Fahrzeugtechnik zu nennen. Über Emdens Hafen werden Kriegsgüter und Soldaten im Falle von Manövern und Kriegen verschifft.

Der Oberbürgermeister ist „mayor for peace“.

In mehreren Städten werden Korvetten auf deren Namen getauft. Wie nehmen dies die dortigen Bürger auf?

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Video-Clip: https://youtu.be/VCVQXtqwgdk

Buch: Michael Skoruppa „SMS Emden.Heldengedenktage“ ISBN: 978-3-7450-0023-8

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