IMI-Standpunkt 2020/003 - in: Zeit/Störungsmelder, 4.2.2020
1.800 Euro Strafe für „Hannibal“
Luca Heyer (06.02.2020)
Am vergangenen Montag sprach das Amtsgericht in Böblingen ein Urteil im Fall von André S., der wegen Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz angeklagt war. Dieser wurde nun zu 120 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Damit bestätigte das Gericht die Zahl der Tagessätze, die auch zuvor bereits in einem Strafbefehl verhängt worden war, dem André S. jedoch widersprochen hatte. Die Strafhöhe dürfte jedoch deutlich gemildert worden sein – u.a. deshalb, weil André S. nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr kaum noch Einnahmen hat. Vor Gericht erschienen war der Ex- Soldat nicht.
André S. hatte der unter dem Decknamen „Hannibal“ mehrere Telegram-Chatgruppen rechter Prepper sowie paramilitärische Trainings geleitet.
„Hannibals“ Chatgruppen
Prepper sind Personen, die sich auf schwere Krisen oder Naturkatastrophen vorbereiten. Teile der Szene gelten als harmlos, doch im Fall der Hannibal-Chats handelte es sich um Gruppierungen, die Waffen-, Munitions- und Treibstofflager anlegten und sich auf einen vermeintlichen Aufstand Geflüchteter in Deutschland und einen daraus resultierenden Bürgerkrieg vorbereiteten. Der Zeitpunkt dieser Krisensituation wurde als Tag X bezeichnet. Auch Neonazis mit weit fortgeschrittenen Terrorplänen waren Mitglied in den Chatgruppen von „Hannibal“: Dies betrifft in erster Linie zum einen die Gruppe Nord/Nordkreuz und zum anderen Franco A., der in der von „Hannibal“ geleiteten Chatgruppe Süd war, sowie seinen mutmaßlichen Komplizen Maximilian T., der in der Chatgruppe Ost war, die ebenfalls von „Hannibal“ administriert wurde. Die beiden Terrorzellen eint, dass sie Waffen horteten und Feindeslisten politischer Gegner*innen anlegten, die sie mutmaßlich ermorden wollten.
Uniter
Die Chatgruppen entstanden im Umfeld des Vereins Uniter, dessen Gründer und langjähriger Vorstand André S. war. Der Verein wurde von ehemaligen Soldat*innen der Bundeswehr-Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) gegründet, um Tätigkeiten nach der Karriere bei der Bundeswehr zu organisieren, z.B. bei privaten Sicherheitsfirmen oder Spezialeinheiten der Polizei. Dadurch öffnete sich der Verein dann auch für Personen, die zuvor nicht beim KSK gewesen waren.
Ab Ende 2015 radikalisierten sich mehrerer Vereinsmitglieder und es bildete sich ein besonders militaristischer, rechter Kern des Vereins um André S. heraus. Zu dieser Zeit wurde mit dem Aufbau einer bewaffneten Einheit, der „Defence Unit“, begonnen. André S. leitete mehrere paramilitärische Trainings der „Defence Unit“, bei denen er auch militärtaktisches Wissen aus seiner Zeit als KSK-Soldat an Zivilist*innen weitergab.
Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz
André S. ist somit eine zentrale Person innerhalb des rechten Netzwerks, da er das Hauptbindeglied zwischen Uniter und den Chatgruppen ist. Vor Gericht stand André S. jedoch weder wegen der paramilitärischen Trainings noch wegen der Chatgruppen. In der Verhandlung ging es lediglich um von der Bundeswehr entwendete Signalmunition, Nebel- und Rauchgranaten sowie Zünder für Übungshandgranaten die „Hannibal“ in seiner damaligen Wohnung in Sindelfingen sowie beim Autohaus seiner Adoptiveltern in Halle gelagert hatte. Insbesondere die Zünder für die Übungshandgranaten könnte „Hannibal“, der früher Zugangssprenger beim KSK war und sich mit Sprengstoff auskennt, auch zum Zünden gefährlicherer Sprengstoffladungen vorgesehen haben. Brisant ist zudem: André S. wurde gewarnt – bereits zwei Tage vor der Razzia prahlte er vor anderen KSK-Soldaten damit, dass er bereits Bescheid wisse und vorbereitet sei. Es drängt sich die Frage auf, was er vor dem Eintreffen der Polizei alles verschwinden lassen konnte. Die Frage, von wem André S. gewarnt wurde, war nur am Rande Thema der Verhandlung. Im Verdacht steht Peter W., ein Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), der mit André S., welcher Auskunftsperson des MAD war, mehrere Gespräche geführt hatte – u.a. genau zwei Tage vor den Razzien. Peter W. war deshalb wegen Geheimnisverrats angeklagt, wurde jedoch im März 2019 freigesprochen.
Wenig Abschreckungspotenzial
Die Strafe von gerade einmal 1.800 Euro für André S. dürfte wenig Abschreckungspotenzial haben. Er verliert damit zwar seine Erlaubnis zum Besitz von Waffen, kommt jedoch insgesamt noch gut weg, bedenkt man seine zentrale Rolle im dem rechten Terror-Netzwerk. Dass die Strafe so gering ausfällt, liegt auch daran, dass genau das vor Gericht überhaupt keine Rolle spielte. So waren sich die Staatsanwältin und der Verteidiger einig, dass „über den Komplex Franco A. genug geredet worden“ sei – darum gehe es nicht.
Tobias Pflüger, verteidigungspolitischer Sprecher für DIE LINKE im Bundestag, beschäftigt sich schon seit Längerem mit dem Netzwerk und sieht das anders: „Das ist symptomatisch für alle Prozesse, die bislang gegen Personen dieses Netzwerks geführt wurden: Die Netzwerkstrukturen werden ignoriert und es werden niedrige Strafen verhängt, da es immer nur um gefundene Waffen oder Sprengstoff geht, aber nie darum, was die Rechten damit vorhatten – ein fatales Signal für Neonazis mit Terrorplänen.“