IMI-Mitteilung
Rüstung Digital – Neue Technologien für neue Großmachtkonflikte
Bericht vom 23. Kongress der Informationsstelle Militarisierung
IMI (09.12.2019)
Schlagworte wie „Digitalisierung“ oder „Künstliche Intelligenz“ spielen in der öffentlichen Debatte eine immer größere Rolle, weshalb der diesjährige Kongress der Informationsstelle Militarisierung diese Fragen ins Zentrum rückte. Unter dem Titel „Rüstung Digital! Neue Technologien für neue Großmachtkonflikte“ beschäftigten sich in der Spitze über 120 Menschen mit verschiedenen Fragen rund um die Digitalisierung des Krieges und seine Auswirkungen.
Der Kongress begann am 30. November 2019 mit einer Veranstaltung in der Hausbar des Wohnprojektes Schellingstrasse, bei der in verschiedenen Formen (Lesung, Quiz…) ein eher humoriger Einstieg ins Thema gesucht wurde. Der Samstag startete mit dem Panel „Geostrategie digital“. Hochtechnologien, von denen sowohl ökonomische als auch militärische Quantensprünge erwartet werden, sogenannte „disruptive Innovationen“, würden bei den ohnehin beobachtbaren Blockbildungstendenzen eine zentrale Rolle spielen, so Christoph Marischka: „Disruptive Innovationen vereinigen die ökonomische Perspektive des Wettbewerbsstaates mit der geopolitischen Perspektive der Vorherrschaft und suggerieren die existenzielle Notwendigkeit eines Kampfes um Technologieführerschaft.“ Anschließend wurde anhand des Weltraums von Jürgen Wagner dargestellt, wie Digitalisierung und Militarisierung Hand in Hand gehen würden: „Eine Militarisierung des Weltraums hat schon längste stattgefunden, nun stehen wir aber an der Schwelle zur aktiven Bewaffnung (zB durch französische Forderungen nach im All platzierten Laserwaffen).“ Claudia Haydt erörterte daraufhin die Perspektiven einer möglichen Einhegung digitalisierter Kriegstechnologien: „Ein Wettrüsten im Bereich Autonomer Systeme und beim militärischen Einsatz künstlicher Intelligenz ist nicht unausweichlich. Es gibt die aktive Bereitschaft zahlreicher Staaten, sich hier verbindlichen Regeln und Verbotsverträgen zu unterwerfen.“
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Michael Schulze von Glaser und Marius Pletsch näherten sich im Panel „Gefechtsfeld Digital“ dem Thema von zwei unterschiedlichen Zugängen: Michael Schulze von Glaser beschäftigte sich mit Videospielen und Gefechtssimulatoren. Gefechtssimulatoren würden häufig von Unternehmen angeboten, die auch in der Videospiel-Branche tätig sind. Die Szenarien zahlreicher Videospiele, wie z.B. Call of Duty, ähnelten außerdem auffällig oft den Kriegsszenarien, die von der NATO aufgemacht würden – auch was die Gegner, die Waffen und die Kriegsführung der Zukunft anbelange. Die Hersteller würden sich an Feindbildern orientieren, die von der Politik vorgegeben werden. Marius Pletsch beschäftigte sich mit dem Mensch-Maschine-Zusammenspiel teilautonomer Waffensysteme, die gerade entwickelt würden. Wichtigstes Beispiel in Europa sei das Future Combat Air System, dessen Entwicklung momentan anlaufe. Ziel sei es, einen Kampfjet zu entwickeln, der im Verbund mit mehreren Drohnen agieren soll – ein Milliardengrab.
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Am Samstagnachmittag ging Martin Kirsch unter dem Titel „Rüstung Digital“ auf die Verschiebungen im Rüstungswesen der Bundeswehr unter den Bedingungen der Digitalisierung ein. Als Ausgangspunkt dienten die Thesenpapiere des Drei-Sterne-Generals Leidenberger von 2017 und 2018. Darin würde eine grundlegende Umstrukturierung des Beschaffungswesens gefordert, um die Landstreitkräfte der Bundeswehr für einen Krieg der Zukunft zu rüsten. Von der permanenten Beobachtung ziviler Forschung über die entwicklungsnahe Erprobung bis zur permanenten Einrüstung neuester Technik in Großverbände in einer Aufrüstungsfabrik („Werft fürs Heer“) würde eine Aufrüstungsspirale in Gang gesetzt, die an Vorgehensweisen der Kriegswirtschaft erinnere. „Sollten die Vorschläge aus den Thesenpapieren Realität werden, wäre dies ein Bruch mit dem Beschaffungswesen der Nachkriegszeit. Nach dem Vorbild des Spiralmodells aus der Softwareentwicklung sollen Strukturen entstehen, die einem militärisch-ökonomischen Primat unterliegen und damit Politik und Bürokratie weiter entmachten.“ Kirsch weiter: „Ziel ist es, zivile Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung militärisch nutzbar zu machen und dadurch einen Angriffsvorteil gegen ebenbürtige Gegner – also Russland – zu erlangen.“
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Mit „Kontroverse: Digitalisierung als Chance?“schlossder Samstagabend in einer für den IMI-Kongress etwas ungewohnten Veranstaltungsform mit einer Diskussionsrunde, der drei kurze Inputs vorausgingen. Der erste Beitrag kam von Rainer Rehak (FIFF), welcher digitale Möglichkeiten für soziale Projekte hervorhob (von Crowd-Funding bis zu Demonstrationsaufrufen). Rehak argumentierte, dass die Möglichkeiten der digitalen Interaktion „überhaupt erst den desolaten Zustand unserer Demokratie sichtbar gemacht“ hätten. Der zweite Beitrag von Thomas (Antikriegscafé, Google Campus verhindern) leitete den ethischen und antikapitalistischen Diskurs ein. Überall würden neue Daten erhoben: „Daten sind das neue Gold.“ Das handelnde Subjekt würde in Kategorien eingeteilt, könne dadurch gesteuert und somit entmündigt werden. Google sei dabei ein wesentlicher Akteur. Zuletzt wurde die Position der Akzelerationalisten vorgetragen, die – kurz gesagt – die linke Bewegung auffordern würden in der Digitalisierung mitzuwirken, um Richtungsentscheide beeinflussen zu können. Jetzige Widerstandsformen glichen Strohfeuern, die nicht über lokale und temporäre Grenzen hinausgingen.
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Den Sonntag eröffnete Tobias Pflüger, der zum Thema „Lobbyismus Digital“ argumentierte, dass die neuen europäischen Rüstungsbudgets auf Vorlagen der Rüstungslobby basieren würden. Außerdem würden sie eine starke Schwerpunktsetzung auf die Digitalisierung der Kriegsführung legen. Beim Europäischen Verteidigungsfonds (EVF), für den 2021-2027 13 Mrd. aus dem EU-Haushalt vorgesehen seien, sollten zum Beispiel direkt mindestens vier und bis zu acht Prozent der Gelder in „disruptive Technologien“ fließen. „Symptomatisch ist, dass Thierry Breton, der als Industriekommissar den Fonds verwalten wird, zuvor Chef von Atos war, eines der größten EU-IT-Unternehmen mit engen Verbindungen zur Rüstungsindustrie. Dementsprechend liegt auch der Schwerpunkt der bevorzugt über den EVF zu finanzierenden Projekte der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (PESCO) auf Vorhaben im Hochtechnologiebereich.“
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Weiter ging es mit einem Panel zu den „Profiteuren der digitalen Rüstung“. Thomas Haschke erzählte etwas über den Thales-Konzern, dessen Portfolio die Bereiche Verteidigung, Sicherheit, Luftfahrt und Raumfahrt umfasse. Thales und dessen Vorgängerorganisation seien seit 50 Jahren Partner der Bundeswehr. Seine Technologien würden bei jedem Auslandseinsatz der Bundeswehr eingesetzt – beispielsweise Flugsimulatoren, Helme mit integriertem Informationsdisplay oder Wärmebildkameras. Lothar Höfer berichtete vom Konzern Airbus, der in allen Bereichen der zivilen und militärischen Luftfahrt tätig sei. Im Wehrbereich sei Airbus in den Feldern Militärsysteme, Raumfahrt, Kommunikationssysteme und Sicherheitstechnologien aktiv. Airbus gehöre mit Thales zu den weltweit größten Rüstungsunternehmen. Christoph Marischkas Beitrag ging um den Atos-Konzern. Atos sei in Deutschland für das Projekt HaFIS (Harmonisierung der automatischen Führungs- und Informationssysteme) zuständig. In der Praxis sei dies das Cloud Computing der Bundeswehr. Atos fusionierte unter anderem mit dem Hardware-Hersteller Bull, der in Frankreich das Battle Management System der französischen Streitkräfte zur Verfügung stellte, mit der die Luft- und Bodentruppen miteinander vernetzt wären. Da der EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, Thierry Breton, als früher Atos-Chef Fusionen, vor allem im Bereich Rüstung, vorangetrieben habe, sei deshalb in Zukunft zu erwarten, dass noch mehr Fusionen stattfinden würden, um die deutsch-französische Rüstungsindustrie auszubauen.
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Beim abschließenden Podium wurden dann gewerkschaftliche Positionen erörtert sowie der Frage nachgegangen, inwieweit Proteste gegen Digitalunternehmen andere Protestformen erfordern, als dies früher gegen klassische Rüstungsunternehmen der Fall war. Als eine mögliche Zusammenführung von Protesten gegen digitale und analoge Aufrüstung wurde schließlich das für April und Mai 2020 anstehende Großmanöver „Defender 2020“ identifiziert bei dem beide Seiten der Kriegsmedaille eingeübt würden.