Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2019/044

Ungeahntes aus dem Bundestag

„Parlamentskreis Atomwaffenverbot“ gegründet

Peter Feininger (24.09.2019)

In aller Stille wurde ein bedeutsamer Schritt im Deutschen Bundestag vollzogen: Etwa 30 Personen, hauptsächlich Bundestagsabgeordnete und Mitarbeiter, gründeten am 11. September einen Parlamentskreis Atomwaffenverbot. Eingeladen hatten die Bundestagsabgeordneten Ralf Kapschack (SPD), Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) und Kathrin Vogler (Die Linke) als Initiator_Innen.

In einer Pressemitteilung erklärten sie: „‚Wir haben zur Gründung dieses Kreises aufgerufen, um ein klares Zeichen zu setzen gegen eine drohende Aufrüstungsspirale. Dass sich schon zum Auftaktreffen so viele Abgeordnete interessiert gezeigt haben, mitzuwirken, bestätigt unser Anliegen.‘

Kathrin Vogler (Die Linke) erklärt: ‚Der INF-Vertrag ist gescheitert und das Atomabkommen mit dem Iran steht vor dem Aus. Die Furcht vor einem neuen atomaren Wettrüsten wächst und die öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich wieder mehr auf die Risiken der nuklearen Abschreckung. Dem wollen wir gemeinsam eine positive Vision von einer atomwaffenfreien Welt entgegensetzen.‘

Ralf Kapschack (SPD) erklärt: ‚Der Parlamentskreis soll ein interfraktionelles Forum für aktuelle und ehemalige Abgeordnete bieten, zu dem ExpertInnen und AktivistInnen eingeladen werden, um mit den Abgeordneten ins Gespräch zu kommen. Ziel des Parlamentskreises ist es, Unterstützung für den Verbotsvertrag zu mobilisieren.‘

Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) erklärt: ‚Mit Donald Trump sitzt jemand im Weißen Haus, der mit der Größe seines Atomwaffenknopfes prahlt, ein multilaterales Abkommen mit dem Iran torpediert und den INF-Vertrag mit Russland gänzlich aufgekündigt hat. Es ist höchste Zeit, dass wir uns bei diesem drängenden Thema der atomaren Abrüstung über Parteigrenzen zusammenschließen und gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wie ICAN und den Mayors for Peace für einen politischen Wandel einsetzen.‘“[1]

Die Medien mauern komplett, diese Pressemitteilung wurde nirgends veröffentlicht oder auch nur erwähnt. Das einzige, was es neben einem kurzen Taz-Artikel[2] gibt, ist ein Telefonat mit Kathrin Vogler nach der Gründung des Parlamentskreises, das der Bayerische Rundfunk veröffentlichte. Und zwar am Donnerstag, den 12. September, in aller Frühe um 6:05 Uhr in Bayern 2 – und nicht etwa im Nachrichtensender B5 aktuell. Kathrin Vogler (Die Linke) wurde dort folgende Frage gestellt: „Aber selbst wenn der gesamte Bundestag geschlossen ein Atomwaffenverbot fordern würde, dann würde das doch vermutlich wenig Eindruck machen in Washington oder Moskau oder Peking. Was wollen sie dann mit ihrem eher kleinen Arbeitskreis konkret ausrichten?“

Ihre Antwort darauf lautete: „Nun der Bundestag hat ja bereits 2010 beschlossen, dass er sich für eine atomwaffenfreie Welt und auch für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einsetzen will. Das war damals einmütig, also es gab da keine Gegenstimmen. Und das Problem, das wir sehen, ist dass die Bundesregierung sich zu wenig für dieses Ziel einsetzt und dass sie (im Original: wir) eben zum Beispiel auch diesen Atomwaffenverbotsvertrag, der vor zwei Jahren ja von den Vereinten Nationen auf den Weg gebracht worden ist, nicht nur nicht unterstützt, sondern sogar behindert.“[3]

Es ist schon richtig, wenn Kathrin Vogler den Bundestagsbeschluss von 2010 „Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen“ anführt und sich darauf beruft. Aber es ist natürlich auch ein wenig Augenwischerei, wenn man diesen Beschluss als „einmütig“ bezeichnet, obwohl er damals schon in der Parlamentsdebatte massiv demontiert wurde.[4]

Die Verschwiegenheit der Medien zum neuen Arbeitskreis muss uns jedenfalls zu denken geben, denn sie dürfte kein Zufall sein. Die Nachrichtensperre ist so dicht, dass auch linke Medien nichts davon mitbekommen haben. Immerhin treten diese Bundestagsabgeordneten gegen die Kriegsvorbereitungen gegen Russland an und gegen die Kriegsdrohungen gegen den Iran, bei denen auch die nukleare Abschreckung eine immer bedrohlichere Rolle spielt. Stattdessen vertreten die Abgeordneten das Ziel eines generellen Atomwaffenverbots und verlangen, dass Deutschland den UN-Vertrag für ein Atomwaffenverbot unterzeichnet. Damit wäre auch die sogenannte nukleare Teilhabe Deutschlands hinfällig – also die Lagerung von Atomsprengköpfen in Büchel, ihre Modernisierung und ihr möglicher Einsatz mit deutschen Piloten und Bombern.

Die Nachrichtensperre sämtlicher Medien lässt den Schluss auf mächtige Kräfte in Politik, Medien, Rüstungsindustrie und Militär zu, die unter allen Umständen verhindern wollen, dass hier eine andere, friedliche politische Richtung einreißt. Es kann aber sein, dass dieser Versuch mächtiger Kräfte bereits am Scheitern ist. Die SPD ist zerrissen in der Frage und sogar von der CDU hat ein Abgeordneter an dem Gründungstreffen teilgenommen. Es war zwar nur ein kleinerer Kreis von vielleicht 20 Bundestagsabgeordneten, der zum Gründungstreffen kam, aber die ICAN-Erklärung (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) haben inzwischen 166 Bundestagsabgeordnete unterzeichnet.[5] Zu diesen Bundestagsabgeordneten kommen noch 341 Landtagsabgeordnete und Europaparlamentarier als Unterzeichner der Erklärung:

„Wir, die unterzeichnenden Abgeordneten,

begrüßen die Annahme des Vertrags für ein Verbot von Atomwaffen am 7. Juli 2017 in den Vereinten Nationen ausdrücklich als einen entscheidenden Schritt zur Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt.

Wir teilen die in der Präambel ausgedrückte, tiefe Sorge über die katastrophalen humanitären Auswirkungen jeglichen Gebrauchs von Atomwaffen und erkennen die dringende Notwendigkeit an, diese unmenschlichen und abscheulichen Waffen abzuschaffen.

Als Abgeordnete geloben wir, auf die Unterzeichnung und die Ratifizierung dieses bahnbrechenden Vertrages durch unsere jeweiligen Staaten hinzuwirken, da wir die Abschaffung von Atomwaffen als hohes, globales öffentliches Gut begreifen und als einen wesentlichen Schritt zur Förderung der Sicherheit und des Wohls aller Völker.“

Zu dieser politischen Bewegung muss der ICAN-Städteappell hinzugerechnet werden, den bislang 48 Städte und zwei Landkreise unterzeichnet haben.[6]Ferner liegt aus Rheinland-Pfalz ein Landtagsbeschluss für das Atomwaffenverbot vor.[7] Darin wird die Landesregierung aufgefordert, sich auf Bundesebene für eine deutsche Unterzeichnung und Ratifizierung des UN-Vertrages über das Verbot von Atomwaffen einzusetzen. Damit ist neben den freien Städten Bremen und Berlin mit Rheinland-Pfalz das erste Flächenbundesland dabei. Der Antrag wurde neben SPD und Grünen auch von der FDP unterstützt. Die US-Atomwaffen sind übrigens, wie bereits erwähnt, im rheinland-pfälzischen Büchel stationiert.

Leo Hoffmann-Axthelm vom Vorstand ICAN Deutschland war als Referent zum Gründungstreffen des „Parlamentskreises Atomwaffenverbot“ eingeladen. Er verdeutlichte auch, wie enorm wichtig die Unterstützung aus dem Bundestag für das Anliegen von ICAN ist. Teilgenommen haben an dem Gründungstreffen am 11. September unter anderem die Abgeordneten Ulrike Bahr (SPD), Matthias Bartke (SPD), Agnieszka Brugger (Grüne), Dirk Heidenblut (SPD), Ralf Kapschak (SPD), Katja Keul (Grüne), Tobias Pflüger (Linke), Julia Verlinden (Grüne), Kathrin Vogler (Linke) und Matthias Zimmer (CDU). Man kann davon ausgehen, dass sie und noch einige andere Abgeordnete das folgende „Selbstverständnis“ des Parlamentskreises Atomwaffenverbot unterzeichneten:

„I. Ziel: Der Parlamentskreis Atomwaffenverbot setzt sich über Fraktionsgrenzen hinweg für eine atomwaffenfreie Welt und die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages durch die Bundesrepublik Deutschland ein. 

II. Mitgliedschaft und Grundsätze: Der Parlamentskreis Atomwaffenverbot steht allen aktiven und ehemaligen Bundestagsabgeordneten offen, die sich für einen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag einsetzen wollen. Grundlage ist neben dem Einsatz für eine atomwaffenfreie Welt das Bekenntnis zur Menschenwürde, zur Völkerverständigung sowie den Grundsätzen der Demokratie und des Rechtsstaats.

III. Tätigkeiten: Der Parlamentskreis Atomwaffenverbot führt regelmäßige inhaltliche Veranstaltungen durch und wirbt für die Unterzeichnung der ICAN-Abgeordnetenerklärung. Dabei wird eng mit befreundeten Initiativen wie der Internationalen Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) oder den Mayors for Peace zusammengearbeitet. Besonders wichtig für die Arbeit des Parlamentskreises ist die Zusammenarbeit mit anderen Parlamenten, sowohl auf der internationalen Ebene als auch mit Landes- und Kommunalparlamenten.“

In einem Artikel im vorwärts „Warum wir ein weltweites Atomwaffenverbot brauchen“ begründete Ralf Kapschack den Zweck der Gründung des Parlamentskreises folgendermaßen:

„Angesichts der wachsenden Furcht vor einem neuen atomaren Wettrüsten hat es mir jedoch nicht genügt, einen Apell zu unterzeichnen. Zusammen mit Katja Keul (Grüne) und Kathrin Vogler (Linke) habe ich die Abgeordneten des Bundestages zur Gründung des Parlamentskreises Atomwaffenverbot aufgerufen. Es ist gedacht als ein Forum für aktuelle und ehemalige Abgeordnete (fast) aller Fraktionen, zu dem wir ExpertInnen und AktivistInnen einladen werden, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ziel des Parlamentskreises ist es auch, dass Deutschland den UN-Vertrag für ein Atomwaffenverbot unterzeichnet.

Die Arbeit beginnt jetzt

Klar, auch in der SPD ist dieser Vertrag nicht unumstritten. Würde man ihn unterzeichnen, gäbe die Bundesrepublik den Einfluss auf die atomare Strategie der NATO aus der Hand, so ein Argument. Ich sehe das nicht so. Die atomare Bedrohung darf nicht dauerhaft als die entscheidende Grundlage für friedliches Zusammenleben herhalten. Wir erleben gerade, wie fragil diese Argumentation ist. Atomwaffen müssen geächtet und verboten werden. Diese Forderung ist aus meiner Sicht auch eine Chance, das Profil der SPD als Friedens-Partei zu schärfen.“[8]

Der Arbeitskreis ist eine Steilvorlage, mit ihm an die bislang abseits stehenden Abgeordneten mit der Forderung heranzutreten, sich ihm anzuschließen – und sich insbesondere aktiv für die Umsetzung der von ihm formulierten Ziele einzusetzen.


Anmerkungen

[1] „Pressemitteilung ‚Parlamentskreis Atomwaffenverbot gegründet‘“. DIE LINKE. Kathrin Vogler, 12. September 2019.

[2] Schulze, Tobias. Auch CDUler gegen Atombomben. taz, 11.September 2019.

[3] Peerenboom, Christoph. „Parlamentskreis Atomwaffenverbot: Kathrin Vogler, Linke: ‚Das ist kein utopisches Ziel‘“. Audio. Bayern 2, Bayerischer Rundfunk, 12. September 2019.

[4] Näheres siehe in diesem Artikel: Peter Feininger. „Augsburg hisst die Flagge von Mayors for Peace, Teil 2: Denkwürdige Aussagen von Paul Wengert, Kurt Gribl und Thomas Weitzel“. Forum solidarisches und friedliches Augsburg, 18. September 2019. Siehe hier die letzten beiden Abschnitten „Global Zero und eine überfraktionelle Mehrheit im Bundestag für eine vollständige nukleare Abrüstung“ und „Die Entschließung des Bundestags für eine Welt ohne Atomwaffen wurde sehr bald umfassend demontiert“.

[5] „ICAN-Erklärung für Abgeordnete, Unterzeichner Bundestag, Landtag, Europaparlament, geordnet nach Bundesländern“. ICAN Deutschland (blog). Zugegriffen 11. September 2019.

[6] „ICAN-Städteappell“. ICAN Deutschland (blog). Zugegriffen 11. September 2019.

[7] „Rheinland-Pfalz unterstützt Atomwaffenverbot“. ICAN Deutschland (blog), 22. August 2019.

[8] Ralf Kapschack. „Warum wir ein weltweites Atomwaffenverbot brauchen“. vorwärts, 11. September 2019.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de