IMI-Standpunkt 2019/026 (Update 9.7.2019)
Munition liegen lassen und als Helfer wiederkommen
Wie sich die Bundeswehr vom Umweltsünder zum Retter in der Waldbrandregion mausert
Martin Kirsch (04.07.2019)
Ein tagelang wütender Waldbrand in Mecklenburg-Vorpommern geistert aktuell durch alle Nachrichtenkanäle. Zeitweise war der Geruch des größten Waldbrandes in der Geschichte des Bundeslandes bis nach Berlin wahrnehmbar. Zwischenzeitig mussten drei Dörfer evakuiert werden. Zeitweise waren rund 3.000 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei, Technischem Hilfswerk, Rettungsdiensten, Bundes- und Landesforst, sowie der Bundeswehr im Schichtsystem im Einsatz, um die Ausbreitung des Feuers zu verhindern. Neben der eher ungewöhnlichen Nutzung von 22 Wasserwerfern der Polizei flogen Hubschrauber von Bundespolizei und Bundeswehr Löscheinsätze über dem Waldbrandgebiet. Als größtes Problem der Katastrophenschutzbehörden stellte sich allerdings die Munitionsbelastung des ehemaligen Truppenübungsplatzes dar. Die Einsatzkräfte konnten über Tage die befestigten Wege nicht verlassen und hielten wegen Explosionsgefahr einen Sicherheitsabstand von über 1.000 Metern zum eigentlichen Brandort. Seit dem 2. Juli inszenierte sich die Bundeswehr verstärkt als Retter in der Not. Neben den bereits eingesetzten Löschhubschraubern wurden schwere Pionierpanzer auf Tiefladern in die Region verlegt.
Ein Waldbrand als Kriegsgebiet?
In den offiziellen Pressekonferenzen hatte neben Landrat Sternberg, Minister*innen und dem zivilen Einsatzleiter auch Brigadegeneral Kropf von der Bundeswehr seinen Platz eingenommen. Der Kommandeur des Landeskommando Mecklenburg-Vorpommern beschrieb die Situation am 3.Juli wie folgt: „Ich will, wie wir das schon seit zwei Tagen machen, in der militärischen Terminologie bleiben. Wir haben angegriffen. Wir versuchen jetzt den Kessel zu schließen – durch die Pioniere. Und gleichzeitig haben wir durch die Erhöhung unserer Hubschrauberkapazitäten um vier NH90 jetzt auch den Angriff aus der Luft fortgesetzt.“ Durch die Zuhilfenahme des schneidigen Generals wurde die Naturkatastrophe zu einem Kriegsschauplatz und die Pressekonferenz zum Ort der offensiven Militarisierung des Katastrophenschutzes – sowohl im praktischen Löscheinsatz als auch in den Köpfen der Zuschauer*innen. Ein Propagandaspektakel für die Bundeswehr.
Tatsächliche Aufgabe der Pionierpanzer war es, Schneisen im Wald zu ziehen, die einerseits die Ausbreitung des Feuers eindämmen und andererseits die Zufahrten für die Feuerwehr in das munitionsbelastete Gebiet ermöglichen sollten. Ministerpräsidentin Schwesig, die sich in der Pressekonferenz hinter der Bundeswehr einreihen durfte, blieb da nichts anderes übrig als sich „ganz herzlich [zu] bedanken bei der Bundeswehr, die hier wirklich massiv im Einsatz ist und uns unterstützt.“ Weiter machte sie sich die Worte eines Feuerwehrmannes zu Eigen, der davon sprach, dass sie vor Ort „aufgeschmissen“ wären „ohne die Bundeswehr“. Eine Aussage, die den zivilen Katastrophenschutzbehörden kein gutes Zeugnis ausstellt. Zum Ende ihres Statements bekam die „Landesmutter“ allerdings die Kurve und vergaß vor lauter Lob nicht, den Bund in die Pflicht zu nehmen, das Gelände in seinem Besitz, das „seit Jahrzehnten mit Munition belastet ist“, nicht brach liegen zu lassen. Man könnte ergänzen: um auf die nächste Katastrophe zu warten.
Schmutzige Geschichte
Die Lübtheener-Heide muss seit 1936 als Truppenübungsplatz herhalten. Während des Zweiten Weltkriegs nutzte neben der Wehrmacht auch die Kriegsmarine das Areal als zentrales Munitionslager. Die Sprengung der Vorräte zu Kriegsende führte allerdings nicht zur vollständigen Zerstörung. Ab 1945 wurde die Heide von der Sowjetarmee und später auch von der NVA genutzt. Nach dem Zusammenbruch der DDR übernahm die Bundeswehr. Mit der Schließung des Truppenübungsplatzes 2013 blieb das Waldgebiet im Besitz des Bundes. Die Spuren von fast 80 Jahren militärischer Nutzung wurden allerdings nicht beseitigt. Mittlerweile ist die Fläche als Naturschutzgebiet ausgeschrieben, darf allerdings wegen der Munitionsbelastung von der Öffentlichkeit nicht betreten werden. Laut Informationen des Landesumweltministeriums wurden bei Probegrabungen bis zu 45 Tonnen Munitionsreste pro Hektar gefunden.
Zynische Katastrophenpropaganda
Das Vorgehen der Bundeswehr, sich bei diversen Naturkatastrophen, von Hochwasser bis zu extremen Schneefällen, als Retter in der Not zu inszenieren, ist aus den letzten Jahren bekannt. Mit dem Einsatz von Pionierpanzern auf Propagandatour zu gehen, bekommt allerdings in Anbetracht der Geschichte des Ortes einen besonders zynischen Beigeschmack. So war es die militärische Nutzung und das kopflose Verschießen und Vergraben von Munition – auch durch die Bundeswehr –, die das Ausmaß der aktuellen Waldbrände und die massiven Probleme bei den Löscharbeiten erst hervorgerufen haben. Kaum vorstellbar, dass der Feuerwehr gedankt werden würde, wenn sie für die Umstände des Brandes selbst mit verantwortlich wäre. Wenn die Not allerdings so groß ist, dass der Bundeswehr das Feld überlassen wird, scheint der Verstand bei einigen auszusetzen.
Kein Einzelfall
Dabei handelt es sich bei Großbränden mit besonderer Gefahr durch Munition oder direktem Zutun der Bundeswehr in den letzten Jahren nicht um einen Einzelfall. Bereits im August 2018 wurden die Löscharbeiten bei einem Waldbrand in Brandenburg durch explodierende Weltkriegsmunition zeitweise verunmöglicht. Noch härter traf es im letzten Jahr eine Moorlandschaft im niedersächsischen Emsland. Durch Raketentests der Bundeswehr bei extremer Trockenheit wurde diese grob fahrlässig in Brand gesetzt und konnte erst über einen Monat später vollständig gelöscht werden. Während Bundeswehr und Regierung in der Frage nach einer möglichen Vergiftung der Einsatzkräfte durch alte Uranmunition und Quecksilber eine Antwort schuldig bleiben, hat die Wehrtechnische Dienststelle 91 der Bundeswehr die Schießübungen im Moor seit Februar 2019 wieder aufgenommen.
Da bleibt nur zu hoffen, dass in der Lübtheener-Heide nach den Löscharbeiten nicht die Bundeswehr im Zuge der aktuellen Aufrüstung für eine Reaktivierung des Truppenübungsplatzes vor der Tür steht. Die Munitionsbelastung und die Kosten für eine Beräumung, die für eine zivile Nutzung nötig gewesen wäre, waren in der Colbitz-Letzlinger Heide nördlich von Magdeburg 2004 der Anlass, um den ausgehandelten „Heidekompromiss“ über Bord zu werfen. Mittlerweile befindet sich dort ein zentrales Übungsgelände, auf dem alle Einsatzkontingente der Bundeswehr vor ihrem Abflug den letzten Schliff bekommen.