IMI-Standpunkt 2019/010 (Update 23.3.2019)
US-Drohnenkrieg und zivile Opfer: Zurück in die Intransparenz
Marius Pletsch (07.03.2019)
US-Präsident Donald Trump hat am sechsten März ein Dekret unterzeichnet, wonach das Büro des Direktors für die nationalen Nachrichtendienste (ODNI) nicht länger jährliche Berichte über die in Operationen außerhalb von Kampfgebieten getöteten Zivilist*innen veröffentlichen muss.[1] Der Vorgang, über den u.a. die Washington Post[2] und CNN[3] berichteten, hat zur Folge, dass die ohnehin schon mauen Informationen über die Opfer des US-Drohnenkrieges noch karger werden dürften.
Schritte zu etwas mehr Transparenz…
Mit seinem Dekret macht Trump die Trippelschritte von Präsident Barack Obama für etwas mehr Transparenz im US-Drohnenkrieg rückgängig. Die wichtigste Änderung betrifft den oben angesprochenen Bericht, den das ODNI nach Abschnitt drei des Obama-Dekrets anfertigen und bis zum ersten Mai des Folgejahres veröffentlichen musste. Dadurch wurden einige offizielle Informationen über das US-Drohnenprogramm und die durch die Aktionen getöteten Personen bekannt.
Insgesamt sind allerdings nur zwei Berichte erschienen: Im Bericht von 2016, welcher die Zahlen vom 20. Januar 2009, dem Amtsantritt von Obama, und dem 31. Dezember 2015 zusammenfasste, gab die Regierung an, insgesamt 473 Angriffe außerhalb von Gebieten mit aktivem Kampfgeschehen durchgeführt zu haben. Die Zahl der Angriffe ist dabei nicht gleich der Zahl der eingesetzten Raketen oder Bomben. In den Angriffen sollen insgesamt 2372 bis 2581 „Kombattant*innen“ und 64 bis 116 Zivilist*innen getötet worden sein.[4] Im Bericht über das Jahr 2016, der noch vor dem Amtsantritt von Trump am 19. Januar 2017 veröffentlicht wurde, hieß es, man habe 53 Angriffe durchgeführt und dabei 431 bis 441 „Kombattant*innen“ und eine/n Zivilist*in getötet.[5] Aufschlussreich waren die Berichte kaum,[6] jedoch schenkten sie den Aktionen der USA etwas mehr Aufmerksamkeit und es wurde mit der Veröffentlichung Raum für eine öffentliche Debatte und Kritik rund um das Erscheinungsdatum geschaffen. Allerdings existierte stets eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Zahlen des ODNI und den deutlich höher liegenden von Gruppen wie dem Bureau of Investigative Journalism oder dem Thinktank New America. Das ODNI versuchte aber schon in den Berichten Gründe für diese Unterschiede anzuführen.
… zunichte gemacht!
Begründet wird der jetzige Schritt der Trump-Regierung damit, dass das Verteidigungsministerium (DoD) unter dem Gesetz zur Autorisierung der nationalen Verteidigung (NDAA) seit dem Haushaltsjahr 2018 dem Kongress in einigen Sachverhalten einen etwas detaillierteren Bericht vorlegen muss, der auch veröffentlicht werden soll (bislang wurde ein Bericht 2018 verspätet über das Jahr 2017 veröffentlicht). Das DoD hat in dem Bericht mehr einzelne Beispiele für Einsätze genannt und die vermeintlichen „Erfolge“, also getötete mutmaßliche gegnerische Kämpfer*innen, oder getötete sogenannte „Hochwertziele“ in den Vordergrund gestellt, ob bei diesen genannten Beispielen auch Zivilist*innen zu Schaden kamen, wird jedoch nicht explizit benannt. Stattdessen wird stets in einem letzten Absatz erwähnt, ob es für das DoD glaubwürdige Berichte von zivilen Opfern gab. Glaubwürdige Berichte sieht das DoD bei den Operationen Inherent Resolve (Counter Daesh Einsatz im Irak und Syrien), Freedom’s Sentinel und Unterstützungseinsätze der NATO-Mission Resolute Support in Afghanistan und im Jemen. Für Militäreinsätze in Somalia und Libyen hat das DoD keine glaubwürdigen Berichte, im Falle Somalias würde noch ein Hinweis untersucht. Insgesamt seien in den verschiedenen Operationen etwa 499 Zivilist*innen getötet und annähernd 169 verletzt worden, weggefallen ist eine Gesamtangabe der getöteten Personen, die die USA als „Kombattant*innen“ einstuft.[7] Insgesamt lässt auch der Bericht des DoD kaum mehr Schlüsse über die US-Militäreinsätze zu, auch wenn er mehr auf die Regionen eingeht, in denen die USA aktiv ist. Seit dem Haushaltsjahr 2019 muss dieser Bericht zwar differenzierter ausgefertigt werden, er kann aber seitdem auch komplett unter Verschluss gehalten werden, wenn der Verteidigungsminister, bzw. die Verteidigungsministerin eine Gefahr für die nationale Sicherheit in einer Veröffentlichung sehen würde.[8]
Dass der Kongress nun Berichte über zivile Opfer verlangt und auch über die Methodik unterrichtet werden möchte,[9] lässt zumindest hoffen, dass die Legislative kleine Fortschritte bei der Kontrolle der Regierung und der US-Militäroperationen macht. Diese Berichte gehen aber nur auf Aktionen unter Leitung des DoD ein (US Code, Title 10). Wenn US-Soldat*innen eine Drohne unter Leitung bspw. der CIA fliegen würden, würde eine solche Aktion nicht in dem Bericht auftauchen, da diese anders autorisiert wäre (US Code, Title 50).[10] Dies ist eine holzschnittartige Beschreibung. Konsequenzen hat die Art der Autorisierung für die Kontrolle im US-Kongress. Während in den Berichten des ODNI Aktionen unter beiden Provisionen berücksichtigt wurden, wird in den DoD-Berichten lediglich auf die sogenannten Title-10 Aktionen eingegangen, während „verdeckte Operationen“ hier nicht genannt werden.
Hoffnungsschimmer Jemen-Urteil
Dies ist ein Schritt in die falsche Richtung, gerade weil Präsident Trump der CIA wieder mehr Spielräume in Sachen Drohnenangriffe einräumt und die Einsatzregeln gelockert hat. Das gefährdet Zivilist*innen in den betroffenen Regionen enorm. Die mangelnde Rechenschaft und Transparenz der USA sind auch Gründe, warum drei Jeminiten, die bei einem Drohnenangriff nahe Angehörige verloren hatten, vor dem Oberverwaltungsgericht Münster am 19.3.2019 einen Teilerfolg erzielen konnten. In der Urteilsbegründung hieß es: „Die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs.2 GG besteht bei Gefahren für das Grundrecht auf Leben auch bei Auslandssachverhalten, sofern ein hinreichend enger Bezug zum deutschen Staat besteht. Hier besteht ein solcher Bezug, der eine aus dem Grundrecht auf Leben folgende Schutzpflicht der Beklagten gegenüber den Klägern auslöst, weil sie berechtigterweise Leib- und Lebensgefahren durch völkerrechtswidrige US-Drohneneinsätze unter Nutzung von Einrichtungen auf der Air Base Ramstein befürchten. Das Recht auf Leben ist umfassend und schützt auch vor relevanten hinreichend konkreten rechtswidrigen Gefährdungen für Leib und Leben“.[11] Eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde zugelassen.
Dieser Beitrag erschien hier zuerst unter dem Titel „US-Drohnenkrieg. Keine öffentlichen Berichte über getötete Zivilist*innen in ‚Anti-Terror‘-Operationen mehr“, wurde nun aber noch einmal deutlich erweitert und mit neuer Überschrift versehen.
Anmerkungen
[1] White House (whitehouse.gov, 6.3.2019): Executive Order on Revocation of Reporting Requirement.
[2] Ryan, Missy (washingtonpost.com, 6.3.2019): Trump administration alters Obama-era bill on civilian casualties in U.S. airstrikes.
[3] Cohen, Zachary/Browne, Ryan (cnn.com, 6.3.2019): Trump revokes Obama order on reporting civilians killed in US airstrikes
[4] ODNI (dni.gov, ): Summary of Information Regarding U.S. Counterterrorism Strikes Outside Areas of Active Hostilities.
[5] ODNI (dni.gov, 19.1.2017): Summary of 2016 Information Regarding United States Counterterrorism Strikes Outside Areas of Active Hostilities.
[6] Siehe IMI-Analyse 2016/28.
[7] DoD (via fas.org, 22.5.2018): Annual Report on Civilian Casualties in Connection With United States Military Operations.
[8] NDAA FY 2019, Sec. 1062 (b).
[9] Ein Bericht über den Umgang mit zivilen Opfern wurde Anfang 2019 veröffentlicht, siehe: DoD (defense.gov, 8.2.2019): Report on Civilian Casualty Policy.
[10] Für eine ausführlichere Diskussion der Title-10-Title-50-Debatte siehe: Lewis, Lerry/Vavrichek, Diane M. (2016): Rethinking the Drone War. National Security, Legitimacy, and Civilian Casualties in U.S. Couterterrorism Operations. Appendix A, S. 209-2012.
[11] OVG NRW, Urteil vom 19.3.2019 ‒ 4 A 1361/15 ‒